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Archiv für 1. Februar 2011

Formaldehyd: Am Goethe-Gymnasium herrscht Angst, bei der Stadt kann man's nicht verstehen. Foto: Archiv

Nachträgliche Korrekturen vorneweg: Bei den Messergebnissen war in dem Artikel von “Nanogramm” die Rede, tatsächlich geht es um Mikrogramm. Den Fehler haben wir zwischenzeitlich korrigiert. Die Relationen bleiben ungeachtet dessen dieselben. Die Gesamtkosten für die Sanierung des Goethe-Gymnasiums werden derzeit mit rund 26 Millionen Euro kalkuliert. Die Turnhalle liegt bei 4,3 Millionen Euro. Die Redaktion Im städtischen Amt für Hochbau und Gebäudeservice liegen die Nerven blank. Täglich rufen dort besorgte Eltern an. Ihre Kinder gehen aufs Regensburger Goethe-Gymnasium. Der Verdacht, dass sie in der dortigen Turnhalle einer erhöhten Schadstoffbelastung ausgesetzt sind, will einfach nicht abreißen. Formaldehyd heißt der Stoff, der für Aufruhr sorgt. Und ein beruhigendes, andere nennen es beschwichtigendes oder gar lächerliches Schreiben der Stadtverwaltung an die „Schulfamilie“ hat keine Entspannung gebracht. Im Gegenteil.

Atteste, Proteste, Sportunterricht im Freien

Immer mehr Eltern lassen ihre Sprösslinge vom Sportunterricht befreien. Mehrere Lehrkräfte halten den Unterricht im Freien ab – einerseits aus Protest, andererseits auf Druck der Eltern. Vor kurzem haben sich fast 300 Schülerinnen und Schüler des Goethe-Gymnasiums zu einer Facebook-Gruppe zusammengeschlossen. Dort diskutieren sie darüber, den Sportunterricht in der neuen Turnhalle zu verweigern. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen die Stadt. Diese habe Messungen manipuliert, Grenzwerte beschönigend dargestellt und nehme Gesundheitsschäden billigend in Kauf.

Stadt: Diskretion statt Kommunikation

„Wir können tun, was wir wollen. Man glaubt uns einfach nicht, dass es in der Turnhalle keine Gesundheitsgefährdung gibt“, heißt es dagegen aus dem städtischen Amt für Hochbau und Gebäudeservice. Für Mittwoch hat die Stadtspitze nun eine interne Besprechung der zuständigen Amtsleiter anberaumt. Ansonsten lehnt die städtische Pressestelle eine Stellungnahme ab. Ebenso der Schulleiter des Goethe-Gymnasiums, Franz Feldmeier. Auch Schulbürgermeister Gerhard Weber war am Dienstag nicht zu erreichen. Dieses zurückhaltende Kommunikationsverhalten der Stadt ist kennzeichnend für ihren Umgang mit dem Thema, dass Schüler, Eltern und Lehrkräfte am Goethe-Gymnasium seit eineinhalb Jahren umtreibt: Formaldehyd. Im September 2009 wurde die wenige Monate zuvor fertig gestellte Turnhalle gesperrt. Der Neubau war stark mit dem Krebsgift belastet. Die gemessenen Werte lagen zum Teil um das Doppelte über dem maximalen Grenzwert. Untersuchungen ergaben: Die Prallschutzwände verströmen den Giftstoff. Nach „längeren Verhandlungen“, wie es damals hieß, erklärte sich die verantwortliche Firma bereit, die Wände auszubauen. Gesagt, getan. Im April 2010 gab die Stadt nach erneuten Messungen grünes Licht und gab die Halle wieder für den Betrieb frei. Die genauen Verantwortlichkeiten wurden – wenigstens offiziell – nie geklärt.

Jucken, Husten, allergischer Schock

Und Ruhe ist seitdem auch nicht wirklich eingekehrt. Nach wie vor klagen Schüler wie Lehrer über Haut- und Augenreizungen sowie Atemprobleme. Eine Schülerin erlitt während des Sportunterrichts einen allergischen Schock. Die Öffentlichkeit erfuhr darüber zunächst einmal nichts. Aber das Gesundheitsamt. Eine „ganze Reihe von Betroffenen“ hat sich in der Vergangenheit und eigentlich bis heute immer wieder bei der Behörde gemeldet – mal telefonisch, mal persönlich. „Die beschriebenen Symptome sind nachvollziehbar“, sagt der Leiter des Gesundheitsamts, Dr. Heinrich Körber. „Die gesundheitlichen Probleme waren da.“ Das alles habe man der Stadt auch mitgeteilt. Zunächst im Dezember 2010.

Stadt: „Unangenehmer Geruch, aber alles ok“

Die Stadt veranlasste daraufhin weitere Messungen und ließ am 11. Januar via Pressemitteilung verlauten: alles in Ordnung. Der gemessene Wert von 87 Mikrogramm pro Kubikmeter Raumluft liege unter dem „Leitwert“ von 120 Mikrogramm. Beschwerden von Schülern und Lehrern über einen „unangenehmen Geruch“ seien wohl auf Probleme mit der Lüftung zurückzuführen. Eine wenigstens beschönigende Darstellung der Tatsachen. Das sieht das Gesundheitsamt offenbar ähnlich. Ohnehin erfuhr man dort von den Messungen zunächst aus der Presse. Von der Stadt beteiligt wurde die Fachbehörde bisher zu keinem Zeitpunkt. Auch die Ergebnisse der Januar-Messung erhielt Amtschef Körber erst auf Nachfrage.

Gesundheitsamt: „Schadstoffwerte deutlich erhöht“

Unserer Redaktion liegt ein aktuelles Schreiben des Gesundheitsamts an die Schulleitung und die Stadt Regensburg vom 25. Januar vor. Eine Reaktion auf weitere Beschwerden von Schülern, Eltern und Lehrkräften. Darin räumt Dr. Körber ein, dass der gemessene Wert von 87 Mikrogramm unter dem zulässigen Grenzwert liege. Anlass zur Sorglosigkeit sieht er aber keineswegs. Ein Wert von 87 sei als „deutlich erhöht zu beurteilen“. Üblich seien 20, „allerhöchstens 60 ng in unbelüfteten Räumen“. Auch die Messebedingungen stuft das Gesundheitsamt als wenig aussagekräftig ein. Schadstoffmessungen werden eigentlich unter den schlechtanzunehmendsten Bedingungen (“worst case”) vorgenommen. In einer Turnhalle herrschen üblicherweise 18 Grad aufwärts. Gemessen wurde dagegen bei 14 Grad und nachdem die Halle gelüftet worden war. Gelüftet, unüblich kalt: Vor diesem Hintergrund sei es anhand der gemessenen Werte  „nicht auszuschließen, dass weiterhin eine Formaldehydquelle in der Sporthalle vorhanden ist“, schließt das Gesundheitsamt.

Die Fachbehörde durfte nicht messen

„Es kann durchaus sein, dass sich das Problem bei guter Lüftung weitgehend löst“, sagt Körber mit Blick auf gerade abgeschlossene Umbaumaßnahmen an der, das sei nochmal erwähnt, neuen Turnhalle. Aber ohne irgendwelchen Detailkenntnisse – bislang wurde das Gesundheitsamt nicht miteinbezogen – sei das allenfalls eine „sehr vorsichtige Annahme“, so Körber abschließend. Bis Ende letzter Woche hat das städtische Hochbauamt an einem neuen „Lüftungskonzept“ gearbeitet, das nun seit kurzem in Betrieb ist. Damit hofft die Stadt, alle Probleme beseitigen zu können. Es soll auch weitere Messungen geben. Ob das Gesundheitsamt dabei sein wird?

Schlamperei auf Kosten der Gesundheit?

Indessen stellt sich die Frage, wie sehr bei Bau und Entwurf der Turnhalle eigentlich geschlampt wurde, wenn neben dn Formaldehyd-Wänden auch noch ein Lüftungssystem eingebaut wurde, das unabhängig von einer Schadstoffbelastung der Räume zur Gesundheitsgefährdung beiträgt. Denn eines stellt das Gesundheitsamt im Schreiben vom 25. Januar ebenfalls klar: „Um eine gesundheitliche Beeinträchtigung von Sportlerinnen und Sportlern in einer Mehrfach-Turnhalle zu vermeiden muss (…) eine ausreichende Lüftung sichergestellt werden.“ Diese Lüftung musste die Stadt in Eigenregie nachrüsten, nicht der verantwortliche Bauträger. Fortsetzung folgt (mittlerweile wurde die Halle gesperrt; hier gibt’s die Infos).
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