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Archiv für 27. Mai 2011

Dem Schweizer Schriftsteller Jürg Amann fielen bei einer Theaterarbeit in Wien die Aufzeichnungen von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz, in die Hände. Höß hatte in der Krakauer Untersuchungshaft, zwischen seiner Verhaftung durch die britische Militärpolizei und seiner Verurteilung zum Tod, etwa 300 Seiten beschrieben; Amann hat diese strukturiert und verdichtet, ohne Nennenswertes hinzuzufügen. Entstanden ist ein schmales Bändchen, vom Arche-Verlag, der für hochwertige Bücher im Schweizer Layout bekannt ist, schön gestaltet. Der Inhalt ist ein „Monolog“ im Originalton, ursprünglich für Bühne und Hörspiel geschrieben, der aber auch in Textform seine Wirkung nicht verfehlt. Glatt und leicht, strukturiert und wohlgeformt spricht der Berichtende seine Leser an, und doch ist der Inhalt im Grunde unverdaulich.

Erinnert unweigerlich an Eichmann

Höß berichtet von seiner etwas lieblosen, aber insgesamt unauffälligen Kindheit im katholischen Milieu. Er sollte Priester werden, fühlte sich aber zum Militär hingezogen und schmuggelte sich mit 16 an die Front des ersten Weltkriegs, wo er stark geprägt wurde. Nach Krieg, Fememord und Zuchthaus trat Höß den nationalsozialistischen Artamanen bei, wollte eigentlich ein völkischer Bauer werden und seine Kinderschar großziehen, als ihn Himmler 1934 zur SS nach Dachau holte. Höß beschreibt seine Arbeit in Dachau und später in Auschwitz so nüchtern und sachlich, dass es unweigerlich an Eichmann erinnert; er führte in seinen eigenen Augen einfach Befehle aus und organisierte die Judenvernichtung möglichst effizient. Er weist den Vorwurf der Grausamkeit weit von sich, er habe die Gräuel nie gebilligt und Misshandlungen und Quälerei nie geduldet.

Eben kein Monster

Gleichzeitig rückt er auch nach dem Zusammenbruch des 3. Reichs nicht von seinen nationalsozialistischen Überzeugungen ab: Zwar hält er die Judenvernichtung im Nachhinein für falsch, aber deshalb, weil sie der Sache des Antisemitismus geschadet und das Judentum seinem Endziel näher gebracht habe. Er beschuldigt sogar die aus jüdischen Häftlingen bestehenden Sonderkommandos, die die Todgeweihten in die Gaskammern führen mussten, dass sie mit Eifer oder aber mit einer „stumpfen Gleichmütigkeit“ dabei gewesen seien – ohne zu bemerken, dass beide Vorwürfe ausgezeichnet auf ihn selber passten. Gleichzeitig sorgte er sich stets um seine Familie, die er im Lager bei sich hatte, bemühte sich, möglichst viel Zeit mit den Kindern zu verbringen, und hatte Probleme, die „schaurigen Bilder“ der Vernichtungsmaschinerie aus dem Kopf zu bekommen, bevor er zur Familie heimging. Gerade dieser Kontrast, gerade dass Höß nicht als blutrünstiger Gewalttäter, nicht als grausames Monster erscheint und dennoch für den Tod vieler Hunderttausender direkt verantwortlich ist, sorgt für die verstörende Wirkung seines Berichts. Es ist Amanns Verdienst, diesen durch seine Bearbeitung lesbar und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Jürg Amann: Der Kommandant. Arche, Zürich und Hamburg, 2011.
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