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Archiv für 5. März 2013

Elly Maldaque war das erste Nazi-Opfer in Regensburg? Ein kürzlich erschienenes Buch räumt mit dieser Legende auf und zeichnet ein vergessenes Stück Regensburger Stadtgeschichte nach.

der-fall-maldaqueEine Lehrerin wird bespitzelt. Dabei arbeiten die Staatsorgane mit Nazis zusammen. Und schließlich wird die junge Frau wegen vermeintlich bewiesener kommunistischen und damit demokratiefeindlichen Gesinnung entlassen. Nein. Wir befinden uns nicht im Hier und Heute und es geht nicht um den Verfassungsschutz. Wir befinden uns im Regensburg der 30er Jahre und die Frau, um die es geht heißt Elly Maldaque.

Ungeklärter Tod in Karthaus

Die Lehrerin ist am 20. Juli 1930 unter mysteriösen Umständen in der Irrenanstalt Karthaus gestorben. Zuvor wurde sie von einer Bürokratie unter dem Einfluss der heraufdämmernden Nazi-Zeit systematisch fertig gemacht. Sie wurde im Auftrag der Polizei von Nazis bespitzelt. Weil sie bei Kommunisten Klavier gespielt und sich für deren Ideen begeistert hatte, flog sie aus dem Staatsdienst und schließlich – nach einem Nervenzusammenbruch – erklärte ein Amtsarzt sie für „selbst- und gemeingefährlich” und ließ sie nach Karthaus verfrachten. Nach neun Tagen war die bis dahin körperlich völlig gesunde 36jährige Frau tot.

In der breiten Wahrnehmung und zuletzt auch in einer Vortragsankündigung von Altoberbürgermeisterin Christa Meier (SPD) wird Maldaque gerne als das erste Opfer der Nazis in Regensburg bezeichnet (Update: Am Dienstag hat Christa Meier diese Position bei ihrem Vortrag zurückgenommen und korrigiert.)

Dass man es sich damit sehr einfach macht, einen Gutteil der Stadtgeschichte ausblendet und die Umstände von Maldaques Tod verharmlost, legt das kürzlich erschienene Buch „Elly Maldaque – ein Willkürakt mit Todesfolge“ in beeindruckender Klarheit und gestützt durch einen umfangreichen Anhang dar. Erstmals wir darin auch das Tagebuch der „Lehrerin von Regensburg“, wie Ödön von Horvath Maldaque in einem ihr gewidmetem Theaterstück bezeichnete, komplett veröffentlicht.

Die BVP: Ein Kind Regensburgs

Dabei legen die Autorinnen Waltraud Bierwirth, Luise Gutmann, Klaus Himmelstein und Erwin Petzi auch ein Stück vernachlässigter Regensburger Stadtgeschichte offen. Sie erinnern daran, dass es die hier 1919 gegründete Bayerische Volkspartei (BVB) war, die damals in Bayern regierte. Unter der Ägide dieser klerikal-konservativen Vorläuferin der CSU wurde Maldaques Entlassung durchgedrückt – übrigens im Widerspruch zur Weimarer Reichsverfassung, gegen den Widerstand von Lehrerverbänden und Schülereltern. Im Gegenzug paktierte die BVP mit der NSDAP und beließ nationalsozialistische Lehrer im Staatsdienst, während gleichzeitig zur Hatz auf Kommunisten und Freidenker geblasen wurde.

Über 90 Zeitungsartikel erschienen seinerzeit deutschlandweit zum „Fall Maldaque“. Das Buch beschäftigt sich insbesondere mit den Regensburger Veröffentlichungen. Es zeichnet die Berichterstattung und das Verbot kommunistischer und sozialdemokratischer Blätter nach, denen zuvor schon die BVP das Leben schwer gemacht hatte. Und es zeigt die Karriere eines Journalisten, der sich vom Hofschreiber der Nazis zum anerkannten Redakteur im Nachkriegs-Regensburg der 70er wandeln konnte. Interessant sind auch die Reaktionen von katholischer und evangelischer Kirche in Regensburg, die Maldaques Entlassung in ihren Publikationen ausdrücklich begrüßten.

Altburschenschaftler, Vizekanzler, Denunziant

In einem eigenen Beitrag beschäftigt sich Waltraud Bierwirth am Beispiel der Regensburger Universität mit der Kontinuität der Gesinnungsschnüffelei in den 70er und 80er Jahren. Dort sorgte der „ewige Vizekanzler“ Jörg Wiesner dafür, dass mancher Akademiker und Lehrer ob seiner zu linken Einstellung Berufsverbot erhielt. Trotz Widerstand von der Universitätsleitung und obwohl ihm später ein Gericht „Zweifel an seiner Verfassungskonformität“ bescheinigte, tat Wiesner dies mit dem Wohlwollen und tatkräftiger Unterstützung der bayerischen Staatsregierung und war bis 2008 als Vizekanzler der Universität tätig. Der Altburschenschaftler ist nur ein Beispiel dafür wie ein Staat im Zuge des Radikalenerlasses Spitzeln und Denunzianten eine Plattform bot, um so vorgeblich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten.

Warunung vor Vertrauen in den Obrigkeitsstaat

In diesen Zusammenhang gestellt wird der „Fall Maldaque“ zu einer Warnung vor einer all zu unkritischen Haltung gegenüber einem und Vertrauen in einen Obrigkeitsstaat, der für sich in Anspruch nimmt, die alleinige Definitionshoheit über das gesellschaftliche Gemeinwesen, die Grundwerte der Demokratie und vor allem der Identifizierung ihrer vermeintlichen Feinde zu haben.

Elly Maldaque war nicht Opfer der Nazis, sondern einer herrschenden politischen und gesellschaftlichen Haltung, in der aktive Gegner der Nationalsozialisten bekämpft wurden, so dass deren Machtübernahme zumindest beschleunigt, wenn nicht gar erst ermöglicht wurde.

Waltraud Bierwirth, Luise Gutmann, Klaus Himmelstein, Erwin Petzi: Der Fall Maldaque. Ein Willkürakt mit Todesfolge. Verlag Friedrich Pustet. Regensburg 2013.

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