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Archiv für 8. März 2014

Kulturverdrängung in Regensburg

Ist Kultur überhaupt erwünscht?

„Liebe Regensburger, kämpft um eure freie Kultur!“, heißt es in einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks. Leider geschieht das kulturelle Ausbluten der Stadt nicht abrupt, sondern schleichend, schon seit Jahren. Und hat mehr Gründe als ein paar böse Regionalpolitiker.

Von Thomas Spitzer

Kulturverdrängung - oder Unerwünschtheit von Kultur? Foto: Thomas Spitzer.

Kulturverdrängung – oder Unerwünschtheit von Kultur? Foto: Thomas Spitzer.

Am 28. Februar wurde im Bayerischen Rundfunk ein Beitrag zum Thema Kultur in Regensburg ausgestrahlt, welcher letzte Woche bei facebook die Runde machte. In dem siebenminütigen Clip „Regensburg: Kultur muss draußen bleiben?“ geht es um Gentrifizierung, das Verbot von Kulturveranstaltungen durch das Ordnungsamt und die Schließung studentischer Kneipen und Kulturstätten.

In einer emotionalen Szene wird Achim Hofbauer, der Betreiber des Ostentorkinos, welches in einem Jahr schließen muss, mit Tränen in den Augen gezeigt. Es heißt, Regensburg habe eine schöne Altstadt. „Doch unter der Oberfläche brodelt es gewaltig.“ „Die junge Kultur hält die Stadt lebendig.“ Und schließlich: „Liebe Regensburger, kämpft um eure freie Kultur!“

Der Poetry Slammer Stefan Dörsing im W1 - Zentrum für junge Kultur. Foto: Consuela Codrin.

Der Poetry Slammer Stefan Dörsing im W1 – Zentrum für junge Kultur. Foto: Consuela Codrin.

Natürlich ist das alles relativ schade. Jedoch wäre es falsch, die Gründe für das kulturelle Ausbluten der Stadt ausschließlich bei bösen Reichen, korrupten Regionalpolitikern und fiesen Spießbürgern zu suchen. Tatsächlich gibt es im Hinblick auf junge Kultur viel mehr Probleme als es dem Regensburger lieb sein kann. Im Folgenden sollen fünf genannt werden.

1. Kultur ist nichts wert – vor allem Studierenden

Vielen Studierenden sind schon 8 Euro für einen Theaterbesuch zu viel. Aber wenn der Kumpel ein Gitarrenkonzert gibt, versuchen sie sich mit allen Mitteln, um die 4 Euro Eintritt zu drücken. („Kannst du mich auf die Gästeliste schreiben?“) Nach dem Motto: Der kann ja froh sein, dass überhaupt jemand kommt.

In Berlin oder Köln ist es eine Frage der Ehre, befreundete Kulturschaffende mit einer Aufwandsentschädigung zu entlohnen. Es gibt Poetry Slams, bei denen der Eintritt bei 12 Euro liegt. (Wieso auch nicht? Ein Kinobesuch im 3D-Film mit Popcorn und Cola kostet mittlerweile etwa 20 Euro.) In Regensburg herrscht da eine teils unerträgliche Knauserigkeit. (Auch in dem im Beitrag vertretenen ArtClub hatten Musiker zwar eine Möglichkeit zu spielen, mussten danach aber einen Klingelbeutel herum reichen. Kulturelle Förderung sieht anders aus.)

Foto: Thomas Spitzer.

Foto: Thomas Spitzer.

Kostenlose Kultur-Events wie der Science Slam im Audimax (zuletzt mit weit über tausend Besuchern) und das Campusfest der FH hingegen können sich vor einem Ansturm kaum retten.

2. Auf den Bühnen fehlt der Nachwuchs

Nicht nur Sport-, sondern auch Musikvereine beklagen zunehmend einen Mangel an gutem Nachwuchs. Schuld daran sind wohl das G8-System und die geringe Freizeit.

Das hohe bayerische Bildungsniveau tut sein Übriges. In anderen Städten wie Marburg oder Kiel gibt es zum Beispiel eine große U20-Poetry-Slam-Szene. In meiner Heimatstadt Ulm gab es vor zehn Jahren über 40 regelmäßig spielende Schul-, vor allem Metal-Bands. Ich behaupte jetzt mal, dass es in Regensburg auch junge Wilde gibt, die unbedingt auf die Bühne wollen… Nur wo?

3. Auch im Publikum fehlt der Nachwuchs

Heutzutage empfiehlt man seinen Freunden nicht mehr Kinofilme, sondern online gestreamte HBO-Serien. Der Kneipenbesuch wich einer Übungseinheit im Fitnessstudio. Ein Drittel aller Paare lernt sich im Internet kennen. Nur wenige Studierende hören in ihrer Freizeit Jazz und klassische Musik. Kurz: Die Zeiten haben sich geändert.

In anderen Städten versucht man, dieser Entwicklung gezielt entgegenzuwirken. Zum Beispiel mit einer Theater-Flatrate in Bochum für 1 Euro pro Semester. In Regensburg scheint man sich vielerorts mit einem immer älter werdenden Publikum abgefunden zu haben.

4. Kaum ein Austausch mit anderen Städten

Kleinkünstler und Musiker, die in Regensburg auftreten wollen, müssen die Stadt gezielt ansteuern. Ein Zwischenstopp auf einer Durchreise ist kaum möglich. Und die nächsten Städte Passau, Ingolstadt, Straubing und Landshut gelten auch nicht gerade als kulturelle Epizentren.

Die geografische Lage begünstigt kleine Kulturveranstaltungen also nicht. Ganz zu schweigen von der Anbindung durch öffentliche Verkehrsmittel. Wenn ich in Köln wohne und in Wuppertal auftrete, komme ich auch nachts um zwei noch nach Hause. Und muss für die Fahrt (als Student, der in ganz NRW kostenlos Regionalbahn fahren kann) nicht einmal etwas bezahlen. Das macht einen Riesenunterschied. Vor allem, wenn es vor Ort kaum eine Szene für junge Kultur gibt (siehe Punkt 2) und man nicht bereit ist, eine gewisse Summe für eine Kulturveranstaltung (mit entsprechender Anreise und Unterkunft) auszugeben (siehe Punkt 1). Kultureller Inzest ist da beinahe die logische Konsequenz.

5. In einer kapitalistischen Welt ist auch junge Kultur den Gesetzen des Kapitalismus unterworfen

Das ist traurig. Aber die Wahrheit. Auch junge Kultur muss – sofern nicht gefördert – sich finanziell rechnen. Oder zumindest möglich sein. Hier gibt und gab es – auch in Regensburg – Positivbeispiele: Die Loop-Sessions und der Poetry Slam in der alten Mälzerei, bei denen monatlich 50 Besucher weggeschickt werden müssen. Überregional bekannte Electro-Trash- und Dubstep-Abende in der SCALA. Oder Konzerte in der ehemaligen Heimat. Auch das Theater an der Uni mit seinen über zwanzig Gruppen erfreut sich eines großen Publikums.

Ebenfalls eine Kulturinstitution in Regensburg: Das Theater an der Uni. Foto: Alexander Urban.

Ebenfalls eine Kulturinstitution in Regensburg: Das Theater an der Uni. Foto: Alexander Urban.

Wenn ein Pachtvertrag ausläuft und der Pächter nicht verlängern will oder wenn ein anderer Mieter mehr Geld bietet, ist nun mal Schluss. Bei jedem Startup-Unternehmen oder Großraumbüro in der Innenstadt würde man sagen: Pech. Und bei Kulturstätten soll es gleich Hochverrat sein?!

Versteht mich nicht falsch. Natürlich läuft es auch mir kalt den Rücken herunter, wenn Oberbürgermeister Hans Schaidinger inbrünstig, fast beschwörend sagt: „Das Problem ist nicht, dass es bei uns zu viel Reiche gibt.“

Aber das Problem ist eben auch nicht nur der Mangel an Auftrittsmöglichkeiten. Es ist ein Mix aus mangelnden Auftrittsmöglichkeiten, mangelndem Interesse und mangelnder Zahlungsbereitschaft. Und der ausbleibende Nachwuchs verbunden mit der Abgeschiedenheit Regensburgs erleichtert die Situation nicht gerade. Also: 1. Mehr Geld für junge Kultur ausgeben. 2. Den Nachwuchs suchen und fördern. 3. Offen bleiben, auch was Hochkultur anbelangt. 4. Auftretenden entgegenkommen, zum Beispiel indem man Musiker privat unterbringt. (Das Angebot von Hostels und Herbergen in der Innenstadt ist denkbar schlecht.)

5. Optimistisch bleiben. Die Aussage, die ehemalige Alte Filmbühne würde ab jetzt als Fahrradkeller genutzt werden, ist zum Beispiel schlichtweg falsch. Und im W1 – Zentrum für junge Kultur gibt es nach wie vor die Möglichkeit, sich im Herzen der Innenstadt vor einem kleinen Publikum auszuprobieren.

Kultur ist nicht etwas, das vom Himmel fällt. Jeder Bürger kann die Szene aktiv mitgestalten. Und wenn es eine große, wilde Szene gibt, die zusammenhält, wird diese kein Ordnungsamt der Welt aufhalten können. Eine Sperrstunde ist nervig, keine Frage. Genau wie die GEMA. Oder manchmal das Wetter. Aber trotzdem noch keine Bücherverbrennung. Und wenn illegale Underground-Partys die einzige Möglichkeit für Jugendliche sind, sich kulturell auszutoben, dann ist das eben so. In anderen Städten hat man sich längst damit abgefunden. Leider.

Der Autor

Thomas Spitzer studierte Mathematik an der Universität Regensburg. Seit 2009 tritt er erfolgreich bei Poetry Slams auf. Sein Buch “bunt und kühl” erschien im April 2013 beim ConBrio-Verlag. Am 12.3. geht seine Lesebühne “Irgendwas mit Slam” im W1 in die nächste Runde. Alle Infos: facebook.com/thomasespitzer

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