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Erst kaserniert, dann hoch verschuldet

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Kurz nachdem sie angekommen war, wurde ihr – nach peinlichen Befragungen und dem Ausfüllen jeder Menge Formulare – ein 60-Quadratmeter-Zimmer in einem Wohnheim zugewiesen. In dem Zimmer wohnten bereits fünf andere Frauen. Klo und Dusche musste sie sich mit bis zu 60 anderen Personen teilen. Ausziehen durfte sie aus diesem Zimmer nicht; selbst dann nicht, als sie Gelegenheit gehabt hätte, bei Freunden unterzukommen. Nach acht Jahren wurde ihr schließlich gestattet, das Heim zu verlassen. Der Start ins neue Leben gestaltete sich jedoch schwierig. Kurz nach ihrem Umzug erhielt sie eine Rechnung über rund 18.000 Euro. Denn auch zwangsweise wohnt es sich nicht umsonst.

Diese fiktive Geschichte ist für viele Flüchtlinge Realität. Insbesondere in Bayern. Noch gilt hier strikte Lagerpflicht: Wer keinen festen Aufenthaltsstatus hat, muss in einer sogenannten „Gemeinschaftsunterkunft“, auf engstem Raum mit mehreren anderen Menschen leben. Oft über Jahre. Selbst wenn sie Arbeit haben und eine eigene Wohnung finden: Ausziehen verboten! Das ist nicht nur schikanös, es ist auch teuer.

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Seit 1993 gibt es die so genannte „Unterkunftsgebühr“. Derzeit beläuft sie sich auf 192,67 Euro inklusive Strom. In Regensburg sind derzeit 135 Flüchtlinge im Sammellager an der Plattlinger Straße untergebracht. Zwangsweise und kostenpflichtig.

Bei einigen von ihnen haben sich laut Marion Puhle vom Regensburger Flüchtlingsforum und Gotthold Streitberger (BI Asyl) inzwischen Schuldenberge von 20.000 Euro und mehr angehäuft. In einer gemeinsamen Pressekonferenz fordern sie: „Lagerpflicht abschaffen.“ Ebenso die Unterkunftsgebühr.

In den 80ern wurde die zwangsweise Unterbringung in den „Gemeinschaftsunterkünften“ eingeführt, an der insbesondere Bayern bislang noch strikt festhält. Als Begründung wurde schon 1978 vom Landkreisverband Bayern angeführt: „Die unerwünschte Integration in die deutschen Lebensverhältnisse ist durch bewusst karge lagermäßige Unterbringung zu verhindern.“ 24 Jahre später, 2002, hört sich das kaum anders an. Ziel dieser Unterbringung sei es, „die Bereitschaft zur Rückkehr ins Heimatland zu fördern“, heißt es in einer entsprechenden bayerischen Durchführungsverordnung. So lange Flüchtlinge keinen festen Aufenthaltsstatus haben, heißt es: Lagerpflicht. Sobald eine Arbeitserlaubnis vorliegt, bedeutet das: zahlen!

In den 56 Quadratmeter großen Zimmern in der Unterkunft Plattlinger Straße sind bis zu sieben Personen untergebracht. Knapp 1.400 Euro kassiert der Freistaat bei dieser Belegung an Unterkunftsgebühr für ein Zimmer. Ein stolzer Preis. Vor allem für Zustände, wie sie im Vorgängerlager an der Straubinger Straße geherrscht haben, wo Schimmel, Dreck und ein Spielplatz direkt bei den Mülltonnen das Bild geprägt haben. Im – mittlerweile geschlossenem – Flüchtlingslager Wiesau (bei Tirschenreuth) war es ähnlich. Herr Esmael, ein ehemaliger Bewohner, berichtet von „Zuständen wie im Tierheim“. Ein brüllender „GU-Leiter“ (GU = Gemeinschaftsunterkunft), der die Bewohner schikanierte, eine Toilette für 60 Personen, Toilettenwasser, das durch die Decke ins Zimmer tropfte. Macht 192,67 Euro pro Monat. Verdient hat Esmael sich das Geld unter anderem bei Straßen- und Friedhofsarbeiten für die Gemeinde. Stundenlohn: etwa zwei Euro.

„Es ist der blanke Hohn, dass Flüchtlinge, die zwangsweise kaserniert werden, dafür auch noch zur Kasse gebeten werden“, ärgert sich Marion Puhle. Bis vor kurzem gab es immerhin im Regierungsbezirk Oberpfalz ein Modell, um Asylbewerber vor der Schuldenfalle zu bewahren. Der zuständige Beamte, Regierungsdirektor Arnulf Merk, legte letzten Sommer ein Entschuldungsprogramm auf, an dessen Ende die Flüchtlinge nur noch ein Viertel der Kosten zahlen sollten; in kleinen Raten, ohne Zeitauflage. Puhle: „Er war es auch, der auf einen respektvollen Umgang mit den Flüchtlingen Wert gelegt hat.“ Vor kurzem wurde Merk versetzt; das Entschuldungsprogramm auf Eis gelegt. „Man kann nur spekulieren, weshalb Herr Merk versetzt wurde“, so Puhle. Auch der Umgangston scheint seitdem wieder etwas rauer geworden zu sein. Noch ist kein Nachfolger für Merk benannt.

Fordern: Lager abschaffen! Gotthold Streitberger, Herr Abdulrahman, Herr Esmael und Marion Puble. Foto: AignerGotthold Streitberger, seit den 80ern in der Flüchtlingsarbeit aktiv, ist aber dennoch „relativ optimistisch“. Streitberger: „Es ist Bewegung in die Debatte gekommen.“ Insbesondere, seitdem die CSU ihre absolute Mehrheit in Bayern verloren hat, gibt es neue Töne. Sozialministerin Christine Haderthauer hat kürzlich bekundet, dass sie für Flüchtlinge „eine adäquate Wohnqualität“ gewährleisten wolle. Der CSU-Landtagsabgeordnete Oliver Jörg hat nach einem Besuch in einer „Gemeinschaftsunterkunft“ die dortigen Zustände als „untragbar und menschenunwürdig“ bezeichnet. Das jahrelange Leben in solchen Unterkünften „tötet jedes Gefühl für gemeinschaftliches Leben, für Solidarität und das Gefühl dafür, ein Mensch zu sein“, so Jörg gegenüber der Mainpost. Es werde auf jeden Fall Verbesserungen geben, verspricht er.

Auch die Kommunen gehen der restriktiven bayerischen Flüchtlingspolitik nach und nach von der Fahne. In den Städten München und Würzburg gibt es mittlerweile einstimmige Beschlüsse, mit denen die Stadträte die Staatsregierung zur Abschaffung der Sammelunterkünfte auffordern. Ebenso im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen. „Wann folgt ein solcher Beschluss vom Regensburger Stadtrat?“, fragt Streitberger, der nun den Kontakt zu den Fraktionen intensivieren will.

Für Kinder gilt: Mund halten und nicht auffallen. Sonst wird die Familie verlegt. Ein Aushang in der „Gemeinschaftsunterkunft“. Foto: AignerAm 23. April soll im Bayerischen Landtag eine Anhörung zur Lagerpflicht stattfinden. Doch selbst wenn sich die bayerische Staatsregierung dazu entschließen sollte, diese abzuschaffen, bleibt die Frage, offen, was mit den – zum Teil hoch verschuldeten – Flüchtlingen geschieht, die bereits Rechnungen von der Regierung bekommen haben. Einer von ihnen ist Herr Abdulrahman. Er hat, nach elf Jahren Wartezeit, mittlerweile dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland bekommen. Er hat eine Arbeitsstelle, eine eigen Wohnung – und 10.000 Euro Schulden, die er nun für die zwangsweise Unterbringung der letzten Jahre bezahlen soll. Kein guter Start ins neue Leben ….

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Kommentare (4)

  • Joachim Datko

    |

    Ich stehe mit den Behörden auch auf Kriegsfuß.

    Welche Sozialleistungen stehen den Betroffenen zu? Das die Betroffenen für das Wohnen selbst aufkommen müssen, kann ich mir nicht vorstellen.

  • Armin

    |

    Es ist eine Schande, Menschenwürde so zu behandeln!

    Schreiben wir den Stadtoberen und fordern wir gemeinsam die Abschaffung dieser Lager und ein menschenwürdiges Leben für alle.

    Kontaktdaten unter:
    http://www.regensburg.de/mail/index.shtml

    armin

  • jean partout

    |

    @armin

    Ich wünsche mir Deutschkurse für alle. Aber bis dahin behandeln wir ein bisschen die Menschenwürde!

  • Armin

    |

    @ jean:

    grins, deutsch is a schwere sprach!
    Du weißt doch, was ich schreiben wollte…
    Ich ward ein wenig aufgebracht, ob der Zeilen die ich las. Beim Verfassen der Meinigen an die Brügermeister dieser Stadt lies ich mehr Sorgfalt walten!

    Greez

Kommentare sind deaktiviert

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