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„Uni brennt!”

Proteste an der Uni Wien/ Bericht einer vierköpfigen Regensburger Delegation Wien_ein_Traum_Christoph_LiebenrittAus der Vokü dringt der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee durch die Flure vor dem besetzten Wiener Audimax. Eine Putzeinheit beseitigt die Spuren der letzten Nacht. Ihr voraus wird der Boden von einem halben Dutzend Menschen mit Wischmobs grob vorgereinigt. Müde Gesichter, noch vor kurzem feiernd oder arbeitend, suchen ihren Weg zu den besetzten Hörsälen, die als Schlafsäle deklariert wurden. Währenddessen läuft im Audimax schon das Morgenplenum, in dem gerade grundsätzliche Strukturfragen der Bewegung debattiert werden. Es ist Samstag, Tag elf Proteste an der Uni Wien. Seit knapp zwei Wochen halten hunderte Studierende das dortige Audimax besetzt. Mit ihnen solidarisierte sich eine Vielzahl von Professoren, Vereinen und Bürger aller Altersschichten. Mehr Geld für Forschung und Bildung, mehr Mitbestimmung, mehr Lehrpersonal, lauten die Forderungen. Das Bachelor-Master-System lehnen die Studierenden in seiner jetzigen Form mit seinen verschulten und ausschließlich auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnittenen Abschlüssen ab. Die Wiedereinführung von Studiengebühren und Zulassungsbeschränkungen für „Numerus-clausus-Flüchtlinge” aus Deutschland lehnen sie ab. TU_wien_Banner_Mario_HabenbacherAm Samstag gibt es zahlreichen Solidaritätsbekundungen. Eine ganze Gruppe verschiedener Gewerkschaftsfunktionäre sichern ihre praktische Unterstützung zu. Sie lassen ihre Kontaktdaten vor Ort, um im Bedarfsfall auch spontan den BesetzerInnen zur Seite stehen zu können. Die Welle des Zuspruchs aus dem In- und Ausland macht den Protestierenden Mut zum Durchhalten. Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, an fast allen Unis in Österreich gibt es befreite Hörsäle. Befreit wurden sie von den starren Zeit- und Lehrplänen, welche deren Nutzung bisher vorgeschrieben haben. Mit dem Protest halten Kultur, Demokratie sowie selbstbestimmtes Leben und Lernen Einzug in die eroberten Räumlichkeiten. Allein an der Uni Wien organisieren sich die Leute in über hundert Arbeitsgruppen. Dieses erstaunliche Ausmaß an Aktivität wird möglich durch die Masse der Besetzer. Zwischen ein paar hundert und mehreren tausend Menschen halten sich rund um die Uhr im Gebäude auf. Nach den österreichweiten Großdemonstrationen letzten Mittwoch mit zehntausenden Teilnehmerinnen wurde nun bereits die nächste Protestwelle für kommenden Donnerstag angekündigt. Kindergartenaufstand, SchülerInnenstreik, Sternmarsch der Studierenden, sie alle haben sich vorgenommen gemeinsam mit Arbeitnehmer_innen und Lehrenden die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Am gleichen Tag ist zudem der Warm-Up Day der Global Week of Action – Education is NOT for $A£€. So gibt es auch in Deutschland einen Aufruf zu dezentralen Protesten. In den frühen Morgenstunden von Tag elf scheinen diese Zusammenhänge weit entfernt. Zu dieser Zeit sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die die Besetzung besonders bereichern und der bildungspolitischen Bewegung einen gesamtgesellschaftlichen Anspruch verleihen. Denn neben all der ernsthaften Arbeit kommt auch das Miteinander nicht zu kurz. Große Konzerte, Diskussionsveranstaltungen oder Filmvorführungen finden im Audimax ihren Platz. Die Drumsession heizt die Stimmung am Infopunkt und in der Volksküche an. DJs geben ihre elektronische Musik im Arcadenhof unter freiem Himmel zum Besten. Absoluter Höhepunkt ist es aber, wenn sich drei Musiker mitten in der Nacht spontan dazu entscheiden die Akustik eines Raumes auszutesten. Auf dem Treppenplateau in der Mitte eines riesigen Aufganges sitzen sie musizierend auf einer Decke oder tanzen unter den steinernen Blicken Kaiser Franz Josef I. durch die angrenzenden Hallen. Alle Anwesenden fühlen sich wie im Traum: der Traum von einer besseren Welt. Es scheint so, als stünde uns ein heißer Herbst bevor. Fotos: Christoph Liebenritt
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Kommentare (7)

  • Josef

    |

    Ich nehme mal an diese erwähnte “Putzeinheit” bestand nicht aus Studenten ?!
    Sich mit DJ`s zu “sessions” zu treffen und Party zu machen ist echt eine super Art des Protestes, da würde ich mich auch “wie im Traum fühlen”.

  • Der Besserwisser

    |

    Josef, ich weiß ja nicht, was Sie für ein Bild von Studenten haben, aber nach Studentenparties an der Uni Regensburg ist es immer die Fachschaft mit ihren Mitgliedern, die die Räumlichkeiten – selbstverständlich – wieder sauber macht.
    Was Sie darüberhinaus gegen Musik während eines Protestes haben erschließt sich mir auch nicht so ganz… Um`s Lagerfeuer setzen ist da im Audimax glaub ich eine weitaus schlechtere Alternative…

  • Josef

    |

    @ Der Besserwisser
    nun ich habe den Artikel nur aufmerksam und gründlich gelesen und mir so meine Fragen gestellt …..

  • armin

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    Lieber Josef,

    nachdem wir an diesem Tag von 10 uhr morgens bis nachts 22 uhr gerödelt, sprich gearbeitet haben, denke ich ist nichts verwerfliches daran auch mal Spaß am Protest zu haben. Bitte machen sie sich selbst ein bild davon auf http://www.unibrennt.at Hier wird richtig viel gearbeitet, damit sich in Zukunft die Bildung wieder mehr am Menschen und nicht an deren Rentabilität orientiert!

  • Joachim Datko

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    Auch Tagträumer können stolpern!

    Zitat : “Alle Anwesenden fühlen sich wie im Traum: der Traum von einer besseren Welt. Es scheint so, als stünde uns ein heißer Herbst bevor.”
    ========
    Manch ein Traum von einer besseren Welt endet in einer schlechteren Welt. Viele politische Tagträume endeten in Katastrophen.

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