Entdecke Veranstaltungen in Regensburg Alle Kultur Oekologie Soziales Kino
Übersetzungsfehler an der Tagesordnung

Asylprozesse und die Makellosigkeit des Rechtsstaats

Der Bruder der Frau? Der Mann der Schwester? Die Schwester der Frau? Auf Basis halber und falscher Übersetzungen und Grundlage verfälschter Protokolle entscheiden Gerichte über Menschenleben. Am Montag wurden erneut mehrere Asylanträge vor dem Regensburger Verwaltungsgericht abgehandelt. Daneben ging es um die Frage, was denn der Würde eines Rechtsstaats entspricht…

Wie schon in den letzten Wochen kamen mehrere Unterstützerinnen und Unterstützer zu den Asylverhandlungen am Verwaltungsgericht.

Wie schon in den letzten Wochen kamen mehrere Unterstützerinnen und Unterstützer zu den Asylverhandlungen am Verwaltungsgericht.

Von Naima Blum

WERBUNG

Am Montagmorgen, noch vor der ersten Verhandlung, sammeln sich etwa 40 Personen vor dem Eingang des Regensburger Verwaltungsgerichts zu einer Kundgebung. Die betroffenen Asylsuchenden betonen, „dass ihr uns nicht mit euren Gerichtsurteilen einschüchtern könnt, da wir das System kennen, von welchem die Existenz eurer Gerichte abhängt“. Es werden Slogans gerufen, es wird Beifall geklatscht. Dennoch wird die Kundgebung kurz gehalten. Alle wollen pünktlich den Gerichtssaal erreichen.

Heute werden fünf Asylanträge verhandelt, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuvor abgelehnt wurden. Vier Geflüchtete kommen aus Pakistan. Ihre Verhandlungen finden im großen Saal statt. In einem anderen Raum wird parallel der Antrag eines Geflüchteten aus dem Iran verhandelt.

„Ich spreche Panjabi, der Dolmetscher sprach Urdu. Er hat mich einfach nicht verstanden.“

Als erstes sitzt Ali H. auf der Klägerbank, ohne Anwältin, neben sich den Dolmetscher für Panjabi, ihm gegenüber der Vertreter des BAMF. H. wird aufgefordert, seine Fluchtgeschichte darzulegen, und beginnt von seiner parteipolitischen Arbeit zu erzählen. Von den Konflikten mit der gegnerischen Partei, die schließlich eskalierten. Es kam zu einem Tötungsversuch, Flucht in eine andere Stadt, wo sie ihm erneut auf die Spur kamen.

Bei den Erzählungen werden längere Redebeiträge von H. meist mit nur wenigen Worten ins Deutsche übersetzt. Eine Rückübersetzung an ihn, vor allem von dem, was der Richter der Protokollantin diktiert, gibt es nicht. Und was in das Protokoll kommt, ist wiederum häufig eine erneute Verkürzung von dem, was der Dolmetscher wiedergibt. Dieses Vorgehen wird sich durch alle fünf Verhandlungen ziehen.

Später fragt der Vertreter des Bundesamtes, warum H. „diese Geschichte“ nicht schon bei der Erstanhörung erzählt habe. Der Dolmetscher übersetzt H.’s Antwort: „Ich spreche Panjabi, der Dolmetscher sprach Urdu. Er hat einfach nicht verstanden, was ich gesagt habe.“ Unter der Zuhörerschaft schütteln einige fassungslos den Kopf, andere nicken sich scheinbar wissend zu. Auf die Aussage geht das Gericht jedoch nicht ein. Der Vertreter des BAMF sagt abschließend, die Ausführungen seien nicht glaubhaft, da sie nicht aus dem Protokoll der Erstanhörung hervorgingen. Nächster Fall.

„Das können Sie in Pakistan so machen. Eines Rechtsstaats ist das nicht würdig.“

Dieses Mal wird Muhamed M. ausführlich auf die politische Lage in Pakistan eingehen. Er erklärt, das BAMF behaupte seit 1997, Pakistan sei sicher, und warum diese Aussage falsch sei. Insbesondere vom Problem der verbreiteten Korruption erzählt er, beendet schließlich seine Rede mit der Aussage, er könne noch tagelang so weiter reden. Auch hier werden längere Wortbeiträge mit nur zwei oder drei Sätzen übersetzt. Obwohl M. in seinem Schlussbeitrag noch etwas sagen möchte, beendet der Richter nach einer Übersetzungs- und Protokollierpause vorschnell die Sitzung.

In der Pause werden Beschwerden über die mangelhafte Übersetzung laut und der Dolmetscher wird angesprochen. „Are you sleeping?“, wirft ihm jemand vor. Zu Beginn des nächsten Verfahrens trägt dieser die Kritiken vor, er fühle sich von den Anwesenden bedrängt. Der Richter ermahnt daraufhin die Zuhörenden: „Das können Sie in Pakistan so machen. Eines Rechtsstaats ist das nicht würdig.“

Der Richter geht wieder zur Tagesordnung über. Es folgt eine sehr kurze Verhandlung von Ijaz A.: Ein medizinisches Gutachten belegt dessen Reiseunfähigkeit. Er erhält Abschiebeverbot nach Art. 60,7 des Aufenthaltsgesetzes. Damit bleiben seine Rechte in Deutschland zwar weiterhin eingeschränkt, zumindest aber droht ihm nicht mehr die Abschiebung.

Nächster Fall.

Ein altes Protokoll zum Verhängnis, ein neues Protokoll mit Verfälschungen

Gleich zu Beginn dieser Verhandlung fordert der Kläger Naeem M. den Dolmetscher neben sich explizit auf, alles zu übersetzen, was er sagt. Eine Rückübersetzung des Protokolls bleibt weiterhin aus. Auch M. berichtet von Problemen, die durch seine parteipolitische Aktivität in Pakistan entstanden sind. Ein für die Flucht wichtiger Schlüsselmoment wird plötzlich mit einer Verdrehung der Perspektiven ins Protokoll aufgenommen. Das eigentlich Gesagte wird so nicht mehr nachvollziehbar sein. Das Protokoll wird M. im Nachhinein, sollte es zu einer weiteren Verhandlung kommen, wohl noch als widersprüchlich und somit erlogen vorgehalten werden.

Dieser Gedanke wird im nächsten Schritt der Verhandlung bestätigt: Das erste Protokoll vom Bundesamt nämlich enthalte gar nicht, was er eben hier erzählt habe, wird M. erklärt. Warum? Der Dolmetscher übersetzt die Antwort von M.: „Erstens: Ich war unter Druck. Zweitens: Ich hatte keine Beweise dabei.“

Ein Freund habe ihm schließlich doch noch ein Beweisstück schicken können, das M. nun dem Gericht vorlegt: das englische Original einer Anzeige, die er damals nach einem überlebten Tötungsversuch bei der Polizei stellte. Anstatt nach dem Täter zu fahnden, ermittelte die Polizei daraufhin gegen ihn selbst. „Warum?“, fragt er das Gericht, offenbar um erneut auf das Korruptionsproblem hinzuweisen, dem er bei einer Rückkehr ausgeliefert sein würde. Der Vertreter des BAMF erklärt in seinem abschließenden Statement, er halte auch die Ausführungen dieses Klägers für das „klassische“ Vorhaben, eine Sachlage zu konstruieren, der vorgelegten Anzeige komme kein Beweiswert zu.

„Ich weiß, dass das im Protokoll steht. Aber ich habe das nicht gesagt!“

Die parallel stattfindende Verhandlung im anderen Raum bietet ein ähnliches Szenario. Azizollah K. ist mit seinem Anwalt gekommen. Es ist kein Vertreter des Bundesamtes anwesend. Der Anwalt spricht selbst fließend farsi und deutsch, ist oft sichtlich verärgert über die Übersetzung und erlaubt sich hin und wieder, bei dieser einzuhaken.

K. erklärt, dass er bei der letzten politischen Aktion vor seiner Flucht erwischt wurde. Er hatte regimekritische Slogans an Hauswände geschrieben, zuvor habe er aber schon zahlreiche andere Aktionen durchgeführt. Wieder die Frage, diesmal von der Richterin selbst: In der Anhörung beim Bundesamt habe er nichts von weiteren Aktionen gesagt, das gehe aus dem Protokoll nicht hervor. K. erklärt, er habe gar keine Gelegenheit gehabt, von seinen weiteren Aktivitäten zu erzählen. Er sei explizit nur nach seiner letzten Tätigkeit vor der Flucht gefragt worden. Die Richterin erwidert, laut dem Protokoll sei ihm zum Ende noch die Möglichkeit gelassen worden, frei zu reden. Die übersetzte Antwort von K.: „Was mir übersetzt wurde, war, dass ich nichts mehr zu sagen brauche.“

Der Bruder der Frau? Der Mann der Schwester? Die Schwester der Frau? Egal?

Später werden K. gezielte Fragen zu seiner Flucht gestellt. Unter anderem: „Wer hat seine Flucht bezahlt?“ Die Richterin formuliert übrigens alle Fragen in der dritten Person. Der Dolmetscher übersetzt: „Der Bruder meiner Frau.“ Er wechselt einige Worte mit Herrn K.. „Nein, der Mann meiner Schwester“, sagt er diesmal. Von den Zuhörenden kommt ein Rumoren. Einer ruft aufgebracht dazwischen: „Schwester, hat er gesagt“ – und wird von der Richterin sofort ermahnt.

Nun sagt auch der Anwalt, dass die Übersetzung „Schwester“ lauten müsse. „Ja, die Schwester meiner Frau“, sagt der Dolmetscher schließlich. Doch damit ist die Richterin nicht zufrieden: „Im Protokoll von der Erstanhörung steht aber, dass Sie das Geld selbst gezahlt hätten.“ „Nein, das habe ich aber nicht gesagt“, lautet die Übersetzung der Antwort. Die Richterin darauf: „Das steht aber so im Protokoll.“ Herr K: „Ich weiß, dass das im Protokoll steht, das wurde mir später übersetzt. Aber ich habe das nicht gesagt.“

Verhandlungen sind klarer Beweis für Fehler und Verfälschungen

Um 12:30 Uhr sind schließlich alle Sitzungen beendet. Vier der fünf Kläger werden das Urteil schriftlich zugesandt bekommen. Die Zuhörerschaft wird mit Bauchschmerzen entlassen, die Betroffenen selbst mit noch ganz anderen Gefühlen: In drei von fünf Verhandlungen mussten sich Asylsuchende für das rechtfertigen, was in den Protokollen ihrer Erstanhörungen stand oder fehlte. Und gleichzeitig waren eben diese Verhandlungen die klarsten Beweise dafür, dass zwischen dem Gesagten in der Muttersprache und dem, was im Protokoll steht, oft ein gewaltiger Unterschied besteht.

Dies schien weder die Richterin, noch den Richter, noch den Vertreter des Bundesamtes zu stören.

Später erinnern sich vielleicht manche an einen Satz in der Rede, die am selben Morgen noch vor dem Gericht verlesen wurde: „Wie könnt ihr von uns erwarten, im Bewusstsein über all die genannten Strukturen dennoch eure Gesetze als Basis für Verurteilungen über uns und euch in einer Position anzuerkennen, diese Urteile zu fällen?“

Ja, wie eigentlich?

Print Friendly, PDF & Email

SUPPORT

Ist dir unabhängiger Journalismus etwas wert?

Dann unterstütze unsere Arbeit!
Einmalig oder mit einer regelmäßigen Spende!

Per PayPal:
Per Überweisung oder Dauerauftrag:

 

Verein zur Förderung der Meinungs- und Informationsvielfalt e.V.
IBAN: DE14 7509 0000 0000 0633 63
BIC: GENODEF1R01

Kommentare (7)

  • Marion Puhle

    |

    Wenn man diesen Artikel liest, macht sich blankes Entsetzen breit.
    Eigentlich hätten die Verhandlungen zum Abbruch führen müssen, bis das Gericht einen DolmetscherIn bestellt, der der/die Sprache Urdu mächtig ist. Ich möchte nicht wissen, wie viele negative Entscheidungen auf falsche Übersetzungen durch Dolmetscherinnen zurückzuführen sind.

    Marion Puhle

  • Kuno Küfer

    |

    @ Marion Puhle: “Ich möchte nicht wissen, wie viele negative Entscheidungen auf falsche Übersetzungen durch Dolmetscherinnen zurückzuführen sind.”

    Der Gedanke ging mir auch gleich durch den Kopf, nachdem ich den Artikel gelesen habe. Wenn da wegen falscher Übersetzungen falsche Fakten geschaffen werden, die nix oder nur sehr wenig mit dem zu tun haben, was Betroffene vor Gericht äußern, dann ist das nicht mehr rechtsstaatlich. Will man dort nicht mehr (sehr) genau zuhören? Was ist los mit unseren “Richtern”? Was und wie wird hier “gerichtet”?

    In dieses Muster von “Oberflächlichkeiten” passt dann auch – zugegeben auf anderer Ebene – was Markus B.v.Hohenau zum Treiben der Anwälte in Sachen “Porno-Abmahner” zu sagen hatte:
    “Schuld daran scheint insbesondere die Formulierung des Antrags gewesen zu sein, mit dem um Auskunft ersucht wurde. „Das muss ein Richter schon sehr genau lesen, um zu merken, dass es sich bei Redtube nicht um eine Tauschbörse handelt“, sagt der Regensburger IT-Rechtler Markus Baron von Hohenau.”
    http://www.regensburg-digital.de/wie-die-porno-abmahner-rechnen/10122013/

    “Sehr genau lesen”?!? – und zuhören?!? Wenn nicht mehr bei Gericht, wo sonst? Ist das jetzt die letzte verbliebene Domäne der Plagiatsjäger geworden? Was ist los mit unseren Richtern?

  • Juanito

    |

    Das eigentlich Schreckliche an dieser Verfahrensweise ist meiner Meinung nach folgendes: Die Befragungen finden (in Bayern) recht bald nach der Aufnahme der Flüchtlinge in den Sammelunterkünften statt (München und Zirndorf). Sie haben vorher i.d.R. nicht mit einer Anwältin gesprochen, sind u.U. traumatisiert und haben wahrscheinlich oft den Glauben ‘jetzt wird mir endlich geholfen’. Was in diesen Befragungen herauskommt, wird protokolliert (oder auch andere Inhalte) und dieses Protokoll hat dann unendliche Gültigkeit. Es kann nie wieder widerrufen werden. Das ist für mich der eigentliche Skandal.

    Jeder Mörder, der ein Geständnis ablegt, kann dieses jederzeit widerrufen. Was einem traumatisierten Flüchtling, ohne Sprachverständnis, mit zweifelhaften ÜbersetzerInnen endlockt und protokolliert wird, ist unumstößlich. Dies widerspricht meinem Rechtsverständnis.

    In §290 ZPO heißt es z.B.: “Der Widerruf hat auf die Wirksamkeit des gerichtlichen Geständnisses nur dann Einfluss, wenn die widerrufende Partei beweist, dass das Geständnis der Wahrheit nicht entspreche und durch einen Irrtum veranlasst sei. In diesem Fall verliert das Geständnis seine Wirksamkeit.” Eine falsche Übersetzung durch einen von der Behörde gestellte Übersetzerin ist für mich mindestens ein ‘Irrtum’.

  • Nora

    |

    @ Juanito: Genau das ist der Punkt. Was sich in öffentlichen Gerichtsverhandlungen beobachten lässt ist schon skandalös, aber die Tatsache, dass hier noch öffentlicher Druck herrscht, solange weitere Personen mit im Saal sitzen, macht einem schnell klar, dass es noch viel schlimmer abgehen muss, wenn halt einfach keine einzige außenstehende Person dabei ist: nämlich bei den Anhörungen beim Bundesamt.
    Und vor diesem Hintergrund glaube ich jeder Person, die mir erzählt, der Dolmetscher beim Bundesamt hätte ne andere Sprache gesprochen und nicht übersetzt. Außerdem hört man das auch von vielen anderen Leuten (außerhalb des Gerichts wohlgemerkt).

    @ Marion Puhle: Der Dolmetscher bei der Verhandlung sprach Panjabi, genauso wie die “Kläger” auch Panjabi sprachen. Das Problem war, dass das vorliegende Protokoll von einer Anhörung beim BAMF stammte, in der der Dolmetscher nur Urdu, und eben nicht Panjabi, gesprochen hatte.

  • Marion Puhle

    |

    @Nora
    Ich habe das schon bemerkt, sorry, aber es ändert ja nichts an der Tatsache, dass Dolmetscherinnen eingesetzt werden, die falsch übersetzen oder nur die Hälfte übersetzen und dass dann auch noch falsch.

    Vor kurzem habe ich Ähnliches bei einer amtsärztlichen Untersuchung erlebt. Obwohl die betroffene Person nur mäßig Deutsch spricht, wurde kein Dolmetscher bestellt.
    Die Gesundheitsbehörde gab an, von der Ausländerbehörde nicht informiert worden zu sein.
    Dem Betroffenen wird somit das Recht verwehrt, sich über seinen Gesundheitszustand umfassend zu äußern. Hier ging es um die Feststellung der Reisefähigkeit.
    Es lag ein alter Bescheid des Bundesamtes aus dem Jahre 2001 vor. Bei seiner Anhörung gab er an, dass seine Eltern noch leben. Mittlerweile sind diese verstorben.
    Der Arzt selbst sagte, er müsse sich an das halten, was ihm die Ausländerbehörde vorlegt. Es ist davon auszugehen, dass die Behörden, die Eltern weiter leben lassen, obwohl diese längst verstorben sind.

    Marion Puhle

  • Lilo

    |

    Wer hatte diesen Artikel nochmal geschrieben?

Kommentare sind deaktiviert

drin