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Norbert Hartl, der Held der Haushaltssitzung.                                                  (Foto: Bianca Haslbeck)
Was ist bei der Plenums-Debatte des Stadtrats zum Haushalt am spannendsten? Nein, nicht mögliche Antworten auf dringende Probleme der Stadtpolitik. Was alle umtreibt, sind Jahr für Jahr die gleichen Fragen: Wann redet Norbert Hartl? Worüber redet er? Und vor allem: Wie lange redet er? Der Rest ist austauschbar: Der städtische Haushalt ist gut, aber wir müssen weiter sparen (regierende Parteien), der städtische Haushalt setzt zum Teil falsche Schwerpunkte, ist aber im Großen und Ganzen zustimmungswürdig (zahmer Teil der Opposition), der Haushalt setzt zum großen Teil falsche Schwerpunkte, ist aber nicht ganz schlecht, nur unsere Zustimmung kriegt er nicht (revolutionärer Teil der Opposition). Viel bedeutender als die Sachfragen waren beim Haushalt schon immer die Nebenkriegsschauplätze. Wer zieht wem welche Keule drüber? Fallen Fäkalausdrücke oder Beleidigungen? Man denke an das geschickt platzierte „Charakterschwein“ im letzten Jahr. Immer ähnlich, aber faszinierend ist die Dramaturgie. Die Haushaltsdebatte ist ein Stück mit Variationen in neun Akten. Zugegeben etwas ausgedehnt im Vergleich zum klassischen Fünfakter. Doch die Entsprechungen sind frappierend.

Prolog: Der Chor singt einstimmig

Es beginnt mit dem Prolog. Die Besetzung findet sich langsam ein, Oberbürgermeister Hans Schaidinger, im Originalskript (= Bayerische Gemeindeordnung) als eigentlicher Held des Stücks vorgesehen, eröffnet. Es folgen: Stiftungen. Katholische, evangelische, musikalische. Noch singt (stimmt) der Chor (der Stadtrat) einstimmig.

Erster Akt: Hans Schaidingers UMTS-Haushalt

Im ersten Akt scheint sich Hans Schaidinger – wider besseres Wissen dank langjähriger Erfahrung – als Held zu wähnen. Mit Stolz, aber auch mit Bescheidenheit lobt er den städtischen Haushalt und das Investitionsprogramm. Die fortschreitende Tilgung der Schulden und die „solide Finanzierung“ der Ausgaben gäben Anlass zu Optimismus, aber nicht zu „satter Selbstzufriedenheit“. Einen „UMTS-Haushalt“ habe man geschaffen: UMTS steht dabei für „unerwartete Mehreinnahmen zur Tilgung von Stadtschulden“. BMW sei Dank. Auf seine Stadt sieht er Großes zukommen: Bald wird es über eine Million Übernachtungen pro Jahr geben. Das Museum der Bayerischen Geschichte wird Regensburg zu einem der profiliertesten Museumsstandorte in Süddeutschland machen. Nach 18 Minuten tritt er ab. Zwei Minuten kürzer, als es die freiwillige Selbstverpflichtung erlaubt. Applaus!

Zweiter Akt: Damingers harmonische Fortsetzung

Im zweiten Akt stimmt Schaidingers unauffälliger Helfer und „Superminister“ Dieter Daminger in die gemäßigten Frohgesänge seines Vorredners ein. 240 Millionen Euro Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer – das ist „schwindelerregend“. BMW sei Dank! Den Dreiklang Schaidingers übernimmt er: Schulden reduzieren, Rücklagen bilden, das Investitionsprogramm solide finanzieren. Abtritt nach zwölf Minuten. Acht Minuten unter Soll. Bravo!

Dritter Akt: Artingers Monolog der Vernunft

Die Exposition ist geschafft. Langsam steigert sich nun der Konflikt. Wie lang kann sich Schaidinger noch als Held des Dramas halten? Hoffnungsvoll blickt das Publikum auf Ludwig Artinger (Freie Wähler), dem der Monolog des dritten Akts zusteht. Heldenposen erwartet man sich von ihm (noch) nicht. Doch als Held der Ratio ist er angetreten, nicht an parteipolitischen Scharmützeln interessiert, sondern an „vernünftigen Ergebnissen für unsere Bürgerinnen und Bürger“. Und so kam er nicht umhin, den „Gemischtwarenladen“ namens Investitionsprogramm unter die Lupe zu nehmen. Artinger zeigte sich als tapferer Schütze und schoss die ersten Pfeile in die Richtung des sich noch heldenhaft wähnenden Hans Schaidinger ab: Über die Presse von städtischen Beteiligungen am neuen Museum zu erfahren, hält Artinger für wenig stilvoll. Und unkooperativ sei es von CSU und SPD obendrein, wenn sie beim „Mega-Thema“ Wohnungsbau eigene Wege gehen. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass der Freie-Wähler-Dauerbrenner „Tunnel statt Donaubrücke“ immer noch nicht auf parteiübergreifende Anerkennung gestoßen ist! Dennoch… Artinger ist Vernunftmensch genug, um dem Haushalt zuzustimmen. Zum ersten Mal in dieser Stadtratsperiode. Knapp 19 Minuten bis Auftrittsende. Eine Minute unter Soll. Klatschen!

Vierter Akt: Jürgen Mistols ökologisches Kreuzfeuer

Der vermeintliche Protagonist Hans Schaidinger gerät immer mehr ins Kreuzfeuer. Der als besonnen geltende Jürgen Mistol (Grüne) setzt im vierten Akt Artingers Feuer fort und schießt ebenfalls auf Schaidinger. Selbstverständlich mit umweltverträglicher Munition. Wiederverwertbar, höchstwahrscheinlich. Wie das bei politischer Munition eigentlich schon immer war. Wankt Schaidinger schon? Schließlich habe sein Politikstil zu einer Entfremdung zwischen Bürgern und Politik geführt, unterstelle er doch Andersdenkenden viel zu schnell Bosheit oder Dummheit. Außerdem seien Elektromobilität im ÖPNV und die Integrationsarbeit noch nicht weit genug fortgeschritten. Dennoch: Haushalt und Investitionsprogramm sind offenbar grün genug, um zuzustimmen. Knapp 23 Minuten. Knapp drei Minuten überzogen. Trotzdem: Applaus! Gerade noch!

Fünfter Akt, Höhepunkt: Hartl, der strahlende Held

Die Spannung steigt. Fünfter Akt. Schon rein formal muss hier das Drama seinen Höhepunkt erfahren. Norbert Hartl (SPD) betritt die Bühne. Und tatsächlich: Mit einem Wisch ist Schaidingers Heldentum passé. Noch bevor er überhaupt richtig das Wort ergreift, hat der Chor Hartl zum Helden erhoben. Selbst aus feindlichen Reihen erfährt Hartl Zustimmung – wenn nicht für die Inhalte, dann zumindest für seine humoristischen Darbietungen. Einen „Haushalt der Superlative“ habe man geschaffen, auf den „ganz Deutschland neidisch“ ist. Dass etwas anderes als Zustimmung möglich wäre, kommt dem lang ersehnten wahren Helden des Dramas gar nicht in den Sinn. Und wie es sich für einen charakterstarken Helden geziemt, stellt er sogleich den nächsten Helden aus den eigenen Reihen vor: Joachim Wolbergs wird der nächste Oberbürgermeister sein. Dass der CSU-Kreisverband sowieso keine Chance hat, versteht sich von selbst. Und die verbleibenden Schaidinger-Getreuen, allen voran Christian Schlegl, müssten noch „schwer an der Verbesserung ihres Ergebnisses arbeiten“. Das neue Stadion, der baldige Baubeginn bei der FOS/BOS, ein Impulse gebender Kulturentwicklungsplan, das modellhafte Altenheim Kumpfmühl, Ganztagsschulen für mehr Chancengleichheit und ein Ratsbegehren zu einer welterbeverträglichen Donauquerung: Hartl, der wahre Held des neunaktigen Dramas, hat überall mitgemischt oder gedenkt es noch zu tun und ist ein bisschen wie Harald Juhnke als Frank Engelmann: ein Mann für alle Fälle. Ganz im Gegensatz zu Franz Rieger: Dass bei ihm auch nur ansatzweise so etwas wie Heldentum vorhanden sein könnte, ist für Hartl sichtlich unvorstellbar. Ironisch „dankt“ er dem Landtagsabgeordneten, die Entscheidung fürs Museum der Bayerischen Geschichte noch vor Ministerpräsident Horst Seehofer verkündet zu haben. Wenn das Museum 2018 steht, werde er dem künftigen Ministerpräsidenten Christian Ude – heute schon das dritte Exemplar aus der SPD-Helden-Galerie – Rieger als Museumsdirektor ans Herz legen. Zweimal kündigt Hartl an, seine Rede gleich beenden zu wollen. Um der Form zu genügen, hatten die Antagonisten schon vorher Protest gegen die mutmaßliche Überziehung angemeldet; doch letztlich scheinen auch sie erquickt von seiner Performance. 29 Minuten und ein paar Sekunden. Gemäßigt im Vergleich zum letzten Jahr. Applaus! Tosend, bitte!

Linkes Zwischenspiel

Ein kurzes Intermezzo sprengt den klassischen Rahmen und leitet zur fallenden Handlung über. Linken-Stadtrat Richard Spieß bemängelt, dass die Abfolge der Reden nicht bis zu ihm und Irmgard Freihoffer durchgedrungen seien. Schaidinger holt einen Teil der Exposition nach und gibt die Abfolge bekannt.

Sechster Akt: Schlegls Mega-Vision

Sechster Akt: Christian Schlegl (CSU) müht sich redlich, den Höhepunkt zu halten. Tatsächlich schafft er es noch für ein paar Minuten, den unvermeidlichen Verlauf in Richtung Katastrophe aufzuhalten. Doch dass auch er eher den kraftvollen Hartl als den zurückhaltenden Schaidinger zum Helden erkoren hat, merkt man an seiner überschwänglichen Interpretation der Haushalts-Vorlage: „Regensburg schreitet unbeirrt voran“, „von Erfolg zu Erfolg“, „ein leuchtendes Vorbild“, „ein banales Triple-A würde gar nicht ausreichen“ – konsequent ignoriert Schlegl die Ratschläge seines Parteifreunds, der zur Bescheidenheit mahnte. Statt die Zügel streng in der Hand zu halten, galoppiert er förmlich davon: Einen „Mega-Campus“ sehe er als Vision für das Jahr 2020, eine Straßenbahn, die Altstadt, neues Stadion und besagten Mega-Campus miteinander verbinde. Sorgen bereite ihm hauptsächlich die Bürokratie, die die CSU davon abhalte, ihre Bürgernähe auszuleben. 32 Minuten und eine halbe. Das hat fast Hartl-Qualität.

Siebter Akt: Dünnemachen bei Dünninger

Szenenwechsel, siebter Akt. Schon während Professor Eberhard Dünninger (ÖDP) ins Rampenlicht schleicht, lichten sich die Reihen. „Plötzlich“ dämmert vielen, dass sie unaufschiebbare Verrichtungen zu erledigen haben. Für Post-Wachstums-Ökonomie spricht er sich aus. Für mehr ÖPNV, mehr Radfahrer, mehr Fußgänger. Gegen ein neues Stadion und gegen ein Kultur- und Kongresszentrum. Und natürlich: für die Kultur. Für Denkmalpflege. Er empfiehlt zwei Bücher. Welche? Kaum jemand weiß es so genau. Irgendwann sind auch diese 30 Minuten um. Ganz im Sinne der Dramentheorie ist das verzögernde Moment nun eingetreten. Leises Klatschen.

Achter Akt: Meierhofers Unlust

Kurzweilig verspricht der achte Akt zu werden: Horst Meierhofer hat dank bundespolitischer Querelen schlichtweg keine Lust, sich auch noch in Regensburg zu streiten. Pflichtgemäß und trotzdem gut gelaunt bezeichnet er das Museum der Bayerischen Geschichte als „Höhepunkt des Jahres“ und führt den Ordnungsdienst („nicht unsere Aufgabe“) und die Kritik an der städtischen Stadion-Finanzierung als liberale Elemente auf. Neuneinhalb Minuten. Aus dem Publikum: Erstaunen. Aufatmen. Erleichterung. Dankbarer Applaus.

Neunter Akt: Die Katastrophe – „Jetzt is’ aus mi’m Kaffää!“

Und endlich: das Finale. Irmgard Freihoffer im neunten Akt. Ganz Linke (obwohl parteilos) kritisiert sie den wirtschaftlichen Erfolg Regensburgs als „Erfolg der Regierenden“, als „von Niedriglöhnern erarbeiteten Wohlstand der Kommune“. Ganz Lehrerin ruft sie die schwätzenden Stadtratsmitglieder zur Ordnung. Eigentlich sollte nun die Katastrophe langsam eintreten. Stattdessen: Ein kleiner Flirt mit Held Hartl („Sie wollten doch schon lang mit mir…“ – „Kaffee trinken“ gilt es zu ergänzen). Kritik am „Greenwashing“ der Stadtspitze in Sachen energetischer Sanierung, Tadel für den „unsinnigen Überbietungswettbewerb“ der Städte in Sachen Spitzensport, Rüffel für halbherzige Korruptionsrichtlinien. Doch dann – unvermittelt – bricht es über alle herein: Hartl mutiert vom strahlenden zum tragischen Helden, als er mit einem Zwischenruf zu verstehen gibt, dass Freihoffer seine Gunst nun verspielt hätte: „Jetzt is’ aus mi’m Kaffää!“, schallt es aus der ersten Reihe. Furcht und Mitleid läutern Held und Publikum gleichermaßen. Das Drama ist beendet. 31 Minuten für den letzten Akt.

Epilog: Einstimmigkeit fast wiederhergestellt

Was folgt, ist ein fast standardisierter Epilog: Das Haushaltspaket passiert den Stadtrat. ÖDP und Linke stimmen trotz Schnittmengen in zwei Punkten dagegen. Beim Rest singt und stimmt der Chor der Stadträte – wie zu Beginn – einstimmig. Haushaltsreden Hans Schaidinger Dieter Daminger Ludwig Artinger Jürgen Mistol Norbert Hartl Christian Schlegl Eberhard Dünninger Horst Meierhofer Irmgard Freihoffer

Schaidinger sagt nein – Brückendiskussion beendet?

Brücken sind üblicherweise ein Symbol der Verbindung. Technisch gesehen tun sie das auch. Nur wenn man Brücken nicht baut, sondern darüber diskutiert, werden sie zum Spaltpilz. Die Diskussion um Nahverkehrsbrücken zwischen Stadt und Landkreis ist nun womöglich ganz abgerissen: Oberbürgermeister Hans Schaidinger (CSU) hat den gedanklichen Ewigkeitsbaustellen Sinzinger Nahverkehrsbrücke und Kneitinger Brücke eine endgültige Absage erteilt.

Mitleid für Gloria

„Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr!“ – Hätte Fürstin Gloria von Thurn und Taxis diese Binsenweisheit beherzigt, hätte sie bei ihrem Auftritt bei „Pelzig hält sich“ zumindest noch ein Fünkchen Restsympathie abgestaubt. So blieb ihr ob des schmerzhaft misslungen Versuchs, bürgerlich zu wirken, nur das Mitleid des Publikums – und nicht mal das war echt.

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