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"Blütenträume" im Theater am Haidplatz

Entweder Tanztee oder gar nichts

In Lutz Hübners „Blütenträume“ lernt man grantelnde Rentner etwas besser kennen (Fotos: Joachen Quast).

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Unter meinen durchweg älteren Kollegen und im Bekanntenkreis gelte ich – mir eigentlich völlig unverständlich – als altersfeindlich. Das lässt man mich mitunter auch auf der Straße wissen, wenn mir beispielsweise mal wieder ein aufgebrachter Rentner mit Gehstock hinterherbrüllt, dass man doch HIER. BESTIMMT. NICHT. RADFAHREN. DÜRFE. Meine Freunde teilen mir, aus Angst vor zynischer Verachtung meinerseits, schon gar nicht mehr mit, dass sie altern. Aber das macht nichts, liebe Freunde: Ich sehe auch so, dass ihr langsam zu den halsstarrigen, intoleranten Gehstockrentnern mutiert, die nur noch ihre Galle und ihr Hass auf die Jugend am Leben erhält.

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Was liegt da näher, dachte sich meine Lieblingsredaktion, als mich in „Blütenträume“ von Lutz Hübner in der Inszenierung des auch nicht mehr unbedingt taufrischen Wolfgang Gropper zu schicken; ein Stück, das das moderne Altern aufgreift und eine Parabel über die Angst vor der Vergänglichkeit, vor Neuem und vor dem Alleinsein daraus macht.

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Das Theater am Haidplatz hat sich ja seit der Intendanz von Jens Neundorff von Enzberg langsam zu einem Geheimtipp und Juwel gemausert: Die Stücke, die für diese intime Spielstätte ausgewählt werden, sind meist ein bisschen aktueller, ein bisschen gemeiner, grausamer oder aussagekräftiger als das, was man in den großen Spielstätten zu sehen bekommt. Die in der Regel recht kurzen Laufzeiten der Inszenierungen sorgen zudem dafür, dass hier ein Liebhaberpublikum zusammenkommt. Nach Menschen am Abgrund (Bash) und Menschen im Umbruch (Die Vaterlosen) jetzt also Menschen in der Einsamkeit des Alters.

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Hier ist die Ausgangslage: Sechs Rentner und Rentnerinnen haben alle aus irgendwelchen Gründen ihre Partner überlebt oder sind geschieden, und suchen in einem VHS-Flirtkurs zaghaft wieder Anschluss an die Welt. Da ist Frieda (knochentrocken gespielt von Doris Dubiel), die ihren dementen Mann bis zu dessen Tod gepflegt hatte; der verpeilte Schreiner Ulf (Gerhard Hermann), dem seine Frau irgendwann weggelaufen ist; der bayerische, bodenständige Autolackierer Heinz (mit entsetzlichem Schnauzbart: Michael Heuberger), der nicht über das Altwerden und auch sonst nicht viel sprechen will; das Muttertier Gila (sehr herzlich von Franziska Sörensen vorgebracht); der schleimige Schuldirektor Friedrich (Werner Galas); Britta, die steife Bibliothekarin (Annagerlinde Dodenhoff) und dann – als siebte im Bunde – auch noch die am Rande der Hysterie schwankende Julia (Ulrike Requadt), die zwar vom Alter her nicht in die Seniorengruppe passt, es aber an Torschlusspanik mit den ganzen Alten zusammen aufnehmen kann.

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Kursleiter Jan (Gunnar Blume), der großartig naiv, dann mit wachsender Verzweiflung und am Ende völlig zerbrochen an seiner aussichtslosen Aufgabe versucht, die älteren Herrschaften für moderne Flirttechniken wie Annoncenschalten oder Speeddating zu begeistern, scheitert auf ganzer Linie an der Halsstarrigkeit der Alten, die entweder Tanztee oder gar nichts wollen. „Ihr seid doch nur hier, um mal wieder in einer großen Runde rechthaben zu können“, konstatiert Jan dann in einem letzten Aufbäumen, bevor die Rentner meutern und den Kurs verlassen.

Tja Jan, möchte man ihm da zurufen. Alte Leute sind speziell. Die wollen, dass man ihre Lebenserfahrung anerkennt und nicht nur das, man möge doch bitte auch einstimmen in den Chor der Reaktionäre, dass früher ja alles besser gewesen sei, dass man das ja schon immer gewusst habe, dass man das schon immer so mache. Neumodischer Kram. Braucht doch keiner. Früher hat man sich die Frau halt mit dem Pferd aus dem nächsten Dorf geholt.

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So amüsant, kurzweilig und mit pfefferigen Dialogen die erste Hälfte vorbeigeht, so melancholisch umschlagend ist dann die zweite. Ohne allzuviel zu verraten, sei doch gesagt, dass auch hier die Gruppe nicht aus ihrer Haut kann, und dass große Pläne am Ende dann doch an der Angst der Alten vor dem Neuen scheitern. Man ist zu alt, um aus seiner Haut zu fahren, scheint Autor Hübner zu resümieren. Für das große Glück, den großen Wurf und den großen Mut reicht es nicht mehr, da sind die alten Knochen zu träge. Aber das kleine Glück, der kleine Mut – dafür ist noch Lebensenergie da, das ist erreichbar. Und manchmal ist es dann vielleicht auch nur der wiedergewonnene Kontakt zu seinen Mitmenschen, zu der Welt, der das Leben für die letzten zwanzig Jahre noch einmal lebenswert macht.

Also liebe Leser, umarmt einen Grantelrentner diese Woche. Ein Rentner weniger, der wütend auf der Straße steht ist ein Rentner mehr, der noch Spaß am Leben hat. Und noch etwas: liebe Freunde, liebe Kollegen. Ich mag euch. Auch wenn ihr alt seid. Und eigentlich nur noch hier seid, um mal wieder in einer größeren Gruppe Recht zu haben. Das ist okay. Wenn ich mal so alt bin wie ihr, werd ich auch alle angranteln. Und da freu ich mich heute schon drauf.

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