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Lesung

„Exil beginnt im eigenen Land“

Schriftstellerinnen im Exil: Şehbal Şenyurt Arınlı (Türkei) und Yirgalem Fisseha Mebrahtu (Eritrea) lasen und berichteten im Evangelischen Bildungswerk, moderiert von Barbara Krohn.

Barbara Krohn sprach mit Şehbal Şenyurt Arınlı und Yirgalem Fisseha Mebrahtu über das Leben im deutschen Exil. Foto: Marcinkus

Wie sagte der windige Auftragskiller, der vor zwei Jahren den slowakischen Journalisten Ján Kuciak und dessen Verlobte Martina Kušnírová erschoss, neulich vor Gericht aus? Er habe über sein Opfer „nichts gewusst, nur dass er etwas schreibt, das er nicht schreiben sollte“. Bei Şehbal Şenyurt Arınlı dürfte es ganz ähnlich gewesen sein, als man auf sie schoss. Der entscheidende Unterschied: die Kugeln trafen die türkische Journalistin, Filmemacherin und Schriftstellerin gottseidank nicht. Weshalb sie am vergangenen Donnerstag im Alumneum sitzen und vor einem vollen Saal zwei Stunden lang Auskunft geben konnte über das Leben im deutschen Exil.

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Sechs Jahre auf vier Quadratmetern

Auch dass Yirgalem Fisseha Mebrahtu noch lebt, kann man kaum glauben, wenn man sie ihre Geschichte erzählen hört: Sechs Jahre lang war die Radiojournalistin und Dichterin in ihrem „Heimatland“ Eritrea in einer vier Quadratmeter großen Zelle eingesperrt. Doch der Terrorstaat konnte sie nicht brechen. Auf Englisch berichtete sie von den Torturen, die sie überstand, und trug in ihrer Muttersprache Gedichte vor, die von Gerd Burger in englischer und von Barbara Krohn in deutscher Übersetzung „nachgetragen“ wurden. Letztere, die Übersetzerin und Schriftstellerin Barbara Krohn, moderierte die von ihr organisierte Lesung.

Şehbal Şenyurt Arınlı: “Das wahre Exil beginnt in der Heimat.” Foto: Marcinkus

Şehbal Şenyurt Arınlı und Yirgalem Fisseha Mebrahtu gehören zu den neun glücklichen ExilschriftstellerInnen, die ein Stipendium des deutschen PEN (Poets, Essayists, Novelists) ergattert haben und sich drei Jahre lang zumindest keine Sorgen um eine Wohnung machen müssen. Wobei sich das von der Bundesregierung finanzierte Stipendium allein auf Wohnung und Unterstützung z.B. bei Behördengängen oder auch bei der Organisation von Lesungen erstreckt, nicht auf die Aufenthaltsberechtigung in Deutschland. Darüber entscheidet bekanntlich der Bundesinnenminister, und der ist von der CSU und erwartet zu seinem 71. Geburtstag vermutlich ein Geschenk in Form eines mit 71 Flüchtlingen besetzten Abschiebeflugs.

Gedichte führen zu Isolationshaft und Folter

Doch wenn man sechs Jahre in einer vier Quadratmeter großen Zelle in Eritrea überlebt hat, kann einen ein deutscher Innenminister, der die AfD bekämpft, indem er ihre Parolen befolgt („Nur ein abgeschobener Flüchtling ist ein guter Flüchtling“) nicht schrecken. In dem Gedicht „Schreibst du denn?“ von Yirgalem Fisseha Mebrahtu stehen Zeilen wie diese:

„Ihre Lüge nennen sie Wahrheit, deine Wahrheit Lug und Trug,
ihren Fanatismus nennen sie Ehre, dein Mut kostet dich das Leben.“

Und es geht darum, dass die winzige Gefängniszelle der Dichterin und Journalistin regelmäßig durchsucht wird. Nach gefährlichen Gegenständen – in erster Linie nach Papier, das ist nämlich nicht erlaubt. Der heute 37jährigen blieb nur das „Schreiben im Gedächtnis“, wie sie sagt. In dem bereits zitierten Gedicht (übersetzt von Barbara Krohn, nach der englischen Übersetzung von Ghirmai Negash) liest sich das so:

„Also los, schreib und lass es fließen.
Nur, wo ist das Papier?
Schreib es dir in die Seele, verbirg es in deinem Herzen,
dem sichersten aller Tresore,
unerreichbar für den Wind,
sicher vor jeder Flut.“

Yirgalem Fisseha Mebrahtus Karriere als Dichterin begann in der Schule. Der Lehrer, erzählt sie, habe sie gefragt: „Wo bist du in Gedanken?“ Als Antwort überreichte sie ihm am nächsten Tag ein Gedicht. Der Gedichtband, den sie 2008 der Zensurbehörde vorlegte, enthielt noch unpolitische Gedichte – er liegt heute noch bei der Zensurbehörde. Ihr 2019 in ihrer Muttersprache Tigrinya erschienener Gedichtband heißt auf Deutsch „Ich lebe noch“ (deutsche und englische Übersetzung sind angekündigt) – Isolationshaft und Folter machten aus Mebrahtu eine politische Dichterin.

Yirgalem Fisseha Mebrahtu über ihr “Heimatland” Eritrea: „Nothing gets out, nobody wants to get in.“ Foto: Marcinkus

Mebrahtu erfuhr nie, warum sie gefangengehalten oder wessen sie angeklagt wurde. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war sie Programmdirektorin eines staatlichen Radiosenders, mit ihr wurden noch dutzende andere Beschäftigte festgenommen, von verbotenem Kontakt zu ausländischen Medien war die Rede. Eritrea ist eine hermetisch abgeriegelte Diktatur. Yirgalem Fisseha Mebrahtu über das Land am Roten Meer: „Nothing gets out, nobody wants to get in.“ Oberstes Prinzip des Terrors: Schweigen. Wenn wieder jemand verschwunden ist, jemand willkürlich im Militärdienst festgehalten wird, obwohl er (oder sie: auch die jungen Frauen unterliegen dem Zwangsdienst) seine Zeit längst abgeleistet hat: man spricht nicht darüber. Den Mund aufzumachen, ist gefährlich.

Heimat? Gibt es nur für die Satten, die Sesshaften, die Selbstzufriedenen

Yirgalem Fisseha Mebrahtu:

„Viele Flüchtlinge beginnen zu zählen von dem Tag an, an dem sie die Heimat verlassen haben. Meine Zählung beginnt schon in der Heimat.“

Das Wort „Heimat“, das hierzulande fast allen so flüssig und so rundum unproblematisch, ja: leuchtend positiv über die Lippen geht – aus dem Mund der beiden Exilschriftstellerinnen, die an diesem Abend im Alumneum auf dem Podium sitzen, hört es sich fast gleichbedeutend an wie „Exil“. Şehbal Şenyurt Arınlı:

„Das wahre Exil beginnt in der Heimat. Wenn du siehst, dass niemand mehr dich und Leute wie dich hören will. Wenn man dich ignoriert. Danach kommt, was der Wind zerstreut…“

Die erste Frau in der Türkei hinter der Kamera

Şehbal Şenyurt Arınlı ist die erste Frau, die in der Türkei hinter der Kamera stand. Sie drehte Filme über Frauen in der Türkei, über ökologische Themen, die Kurden, die Armenier, die Griechen – sie tat schon immer das, was in der Türkei gar nicht gern gesehen wurde, nicht erst unter Erdogan. Şehbal Şenyurt Arınlı zerriss sich immer für die anderen: „Ich habe immer über andere geschrieben, jetzt“ – im deutschen Exil – „schreibe ich auf einmal über mich selber.“

Was das für die türkische Schriftstellerin bedeutet, versteht man erst, wenn man den Briefwechsel zwischen ihr und der Büchner-Preisträgerin Terézia Mora liest (Zwei Autorinnen im Transit – Ein Dialog, deutsch/türkisch, binooki Verlag, Berlin 2019). Da schreibt Şehbal Şenyurt Arınlı:

„Die Kultur, in der ich aufgewachsen bin, tendiert dazu, den Ich-Begriff soweit möglich zu streichen oder zumindest verblassen zu lassen. Sie ist eine Kultur, in der belächelt wird, wer ständig mit ‘Ich…Ich…Ich’ auf den Lippen herumläuft; die uns lehrt, dass es Millionen von Ich‘s und Du‘s gibt, die mich zu mir machen…“

Man denkt sofort an Nâzım Hikmet (1902-1963) und seine Verse:

„Leben wie ein Baum, einzeln und frei, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.“

Nâzım Hikmet war sein ganzes Dichterleben lang auf der Flucht, im Exil, wurde eingesperrt und ausgebürgert. Erst 2009, in den ersten Jahren der Regierung Erdogan, wurde Nâzım Hikmet posthum die türkische Staatsbürgerschaft zurückgegeben.

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Kommentare (3)

  • XYZ

    |

    Die überlebenden Exilantinnen haben es menschlich und leidvoll begriffen: schreib es dir in die Seele und gebe es weiter – trotz geduldigem Papier der Machthaber. Wenigstens wurden sie nicht sogleich umgebracht, auch dank der Allgemeinen und Europäischen Deklaration der Menschenrechte der UN und der EU, bei deren Verletzung Gerichtsverfahren drohen. Insoweit ein kleiner Fortschritt gegenüber Theresienstadt.

  • Eingeborener

    |

    In Deutschland ist es gerade imgekehrt: Vor lauter ,ICH!’ der Schichten, die es sich leisten können, ist das ,wir ‘ auf der Strecke geblieben.

  • Piedro

    |

    @XYZ
    Nix für ungut, aber Gerichte befürchten diese Machthaber bestimmt nicht. Gedichte schon eher.

    Und so beschämend es ist: diese Frauen sind auch bei uns nicht sicher – vor Abschiebung in die nächste Zelle. Und wenn jemand dabei gequält wird interessiert das auch nur am Rande. Das Anti-Folter-Komitee des Europarats kritisiert dann im Nachgang, wenn es denn Zeugen gibt, aber Einschreiten halten auch dessen Vertreter nicht für nötig.
    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/abschiebungen-europarat-kritisiert-deutschland-bericht-des-anti-folter-komitees-cpt-a-1266507.html
    Es wurde empfohlen das zu unterlassen, und die Bundespolizeit hat diese Empfehlung angeblich “aufgegriffen”. So weit sind wir schon.

Kommentare sind deaktiviert

drin