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... so etwas wie Freiheit und Democracy

Nachts im Theater

Mit „Nachtdienst“ versucht das Junge Theater einmal im Monat, Menschen zu später Stunde von der heimischen Couch oder der Kneipentheke zu holen. Ein Abend von Voltaire bis Hansi Hinterseer.

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Von Judith Werner

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Ein bisschen sieht es aus, als wäre man in eine Mischung aus Hipsterwohnzimmer und Kreativwerkstatt geraten. Ein großer Tisch, ein paar Stühle, eine Europalette, die an der Wand lehnt, dazwischen Bücher und Zeitungen. Vom Duden über die Mittelbayerische bis zur angestaubten Periklesausgabe ist alles dabei.

Mit und es war so etwas wie Freiheit und Democracy schaffen es die Dramaturgen Meike Sasse und Daniel Thierjung die Tribüne im Jungen Theater Regensburg fast komplett zu füllen – und das zur Spätvorstellung um 22 Uhr. Das Format „Nachtdienst“ versucht einmal im Monat, was man sonst nur vom Kino kennt: Menschen zu später Stunde von der heimischen Couch oder der Kneipentheke zu holen. Wie bei einer Sneak Preview wissen die Zuschauer nicht, was sie zu sehen bekommen werden. Schauspiel, Musik, Tanz – das wirkt mitunter reichlich zusammengewürfelt.

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Und in der Tat hetzt der Abend bisweilen von einem Zitat zum nächsten. „Da war doch was zwischen der Antike und Charlie Hebdo?! – Ach ja, Revolution!“ Die Darsteller kramen aus Hosen- und Jackentaschen Zettelchen im Glückskeksformat hervor. Was sie da verlesen, reicht von Voltaire bis Hansi Hinterseer, von Ulrike Meinhof bis Franz Josef Strauß. Zur Orientierung werden einzelne Titel und Zwischenüberschriften auf ein Plakat an der Wand gemalt. Manches ist stimmig, anderes nicht. Und genau darum geht es – um Vielfalt. Ob auf der Bühne oder im wahren Leben: Nicht immer passt alles zusammen. Mit dieser Herausforderung muss eine plurale Gesellschaft umgehen. 

Zwischen Haider, Hubbard und Stalin kann man nur verlieren

Dabei geht es allerdings nicht immer fair zu. Kandidat 1,2 oder 3 – das Publikum darf per Handzeichen abstimmen, welches anonymisierte Statement zur Demokratie es am besten findet. Die Auflösung macht klar: Bei der Wahl zwischen Jörg Haider, L. Ron Hubbard und Josef Stalin können alle nur verlieren.Demokratie als Streitkultur und Wettbewerb – auch das hat an diesem Abend Platz. Frerk Brockmeyer bekommt Szenenapplaus für seinen kurzen Monolog „Pizza Apocalypse“ über politische Korrektheit, unverbindliche Solidarität und ein verpasstes Abendessen. „Siehst du, Vera, und ich hab noch nicht mal gesungen!“, ruft er der Maria Magdalena aus der aktuellen „Jesus Christ Superstar“-Inszenierung Vera Semieniuk entgegen. Die nimmt die Herausforderung an und kontert in gewohnt perfekter Stimmlage mit Brecht-Liedern. Das Hin- und Herspielen der Bälle funktioniert.

Fragen werden aufgeworfen: „Warum hatten wir in Deutschland nie eine Revolution? … Man müsste ja den Rasen betreten.“ Doch wo sind die echten Antworten? Die Freiheit des Andersdenkenden einer Rosa Luxemburg, der Schutz der Meinungsfreiheit durch Artikel 5 des Grundgesetzes, Schillers Glaube an das Geborensein zur Freiheit – vieles kommt zur Sprache in der einstündigen Vorstellung. Victor Hugos Ausspruch, dass die Freiheit mit der Ironie beginne, wirkt treffend mit Blick auf die aktuelle Debatte um Satire und was sie darf. Und schiene gleichzeitig doch unendlich bitter, wenn das die einzig verbliebene Bastion im Ringen um die Freiheit wäre.Da ist die Loslösung von allen Fesseln, die sich Simone Elliott ertanzt, dann schon fast tröstlich.

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Während das Tanzensemble auf der anderen Seite des Bismarckplatzes in der aktuellen Spielzeit „Gefangen im tRaum“ ist, schaffen Ballettmeister Christian Maier und Elliott mit ihrem Auftritt Momente, die zwischen Zartheit, Gewalt und eben Befreiung oszillieren.

Das Spiel mit verschlungenen Bewegungen geht weiter, auch als die Klarinette von Michael Wolf schon schweigt. Es ist so still im Raum, dass der Atem der Tänzer deutlich zu hören ist. Das ist intensiv und unmittelbar – eine Nähe, die die neue Spielstätte bietet, und mit der Darsteller wie Zuschauer erst einmal klarkommen müssen. Die Spannung der Szene löst sich, als Elliott überraschend zur Gitarre greift und scheinbar mühelos vom getanzten zum gesungenen Wort wechselt – Alice in Wonderland. Das verzaubert und stimmt nach all den kritischen und oft auch desillusionierten Blicken des Abends auf und es war einmal so etwas wie Freiheit und Democracy sogar ein bisschen versöhnlich. Oder um es mit Semieniuk zu sagen, die mit Eislers Moldau den Abend beschließt:

„Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne / der Mächtigen kommen am Ende zum Halt. / Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne / Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.“

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Kommentare (3)

  • cz

    |

    “Die riesigen Pläne / der Mächtigen kommen am Ende zum Halt. / Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne” … wenn es doch nur so wäre im Theater. Mache gerade die Erfahrung, dass die Mächtigen, meint die Theaterleitung, auch noch anfangen zu tricksen und mir Steine in den Weg legt, wenn es gilt, bei auslaufendem Vertrag ein Engagement an einem anderen Haus vorzubereiten.

    KünstlerInnen und Künstler! Regensburg ist eine schöne Stadt, aber haltet Euch vom Stadttheater fern! Dort zählt Mensch nichts – egal was auf den Bühnen so erzählt wird.

    cz

  • Ich

    |

    Liebe/Lieber CZ!

    Mir erging es ähnlich. Vielleicht treffen wir uns unter günstigerem Lichte an einem anderen Haus wieder.

    Nur nicht unterkriegen lassen!

    + liebe Grüße

  • eckbert

    |

    Erst lesen, dann unterschreiben!

    Der mir vorgelegte Vertrag hatte einen anderen Inhalt als das, was vorher mit dem Intendanten abgesprochen war. Leider ist mir das erst später aufgefallen – ich hatte längst unterschrieben.

    Ein Schelm, wer das für gezielte Trixerei hält. Oder nicht?

Kommentare sind deaktiviert

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