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Staat erhöht Druck auf Flüchtlingsproteste

„Wir lassen uns keine Ketten anlegen“

Am Samstag startet von Würzburg aus ein Protest-Marsch von Flüchtlingen nach Berlin. Die Staatsgewalt hat heute bereits erste Duftmarken gesetzt und einen Iraner verhaftet, der seit bald einem halben Jahr auf der Straße demonstriert. Der Vorwurf: Verstoß gegen die Residenzpflicht. Er sagt: „Wir lassen uns keine Ketten anlegen. Die Mehrheit steht hinter uns.“

Spontan-Demo: Gegen die Verhaftung eines Flüchtlings gingen am Mittwoch in Regensburg rund 50 Menschen auf die Straße. Foto: as

Die Staatsgewalt beginnt nervös zu werden. Für den kommenden Samstag haben die Flüchtlinge, die in mehreren Städten seit Monaten und Wochen für mehr Rechte demonstrieren, einen Protestmarsch von Würzburg nach Berlin angekündigt, um so ihren Forderungen weiter Nachdruck zu verleihen. Nun gab es eine erste Verhaftung wegen Verstoß gegen die sogenannte „Residenzpflicht“. Der Iraner Arash Dust Hossein – er demonstriert bereits seit dem 19. März und war unter anderem mehrere Monate im Protest-Camp in Würzburg – wurde am Mittwoch in Würzburg von der Polizei festgenommen. Er dürfe sich nur in Nordrhein-Westfalen aufhalten, so die Begründung.
Die Residenzpflicht ist ein deutsches Sondergesetz, das europaweit einmalig ist. Asylbewerber dürfen den Bezirk bzw. Landkreis aufhalten, in dem sie (ebenfalls zwangsweise) in einer „Gemeinschaftsunterkunft“ untergebracht sind, nicht verlassen. Wer dagegen verstößt, kann mit einer Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Die deutsche Bundesregierung arbeitet seit geraumer Zeit daran, die Residenzpflicht europaweit einzuführen. Zurück geht diese Regelung auf eine Regelung aus dem Jahr 1938. In der von der NSDAP eingeführten „Ausländerpolizeiverordnung“ wurde so die Bewegungsfreiheit sämtlicher Ausländer eingeschränkt. Die Strafe bei Verstößen war dieselbe wie bei der heute gültigen Residenzpflicht.
In mehreren Städten kam es daraufhin zu Protesten. In Regensburg gingen am Abend spontan rund 50 Menschen auf die Straße und forderten Hosseins sofortige Freilassung. Die Verhaftung sei eine Schikane im Vorfeld des Protest-Marschs (Zur Seite des Regensburger Protest-Camps).

Grüne: Versammlungsfreiheit vor Residenzpflicht

Auch die Grünen im bayerischen Landtag kritisierten die Festnahme. Die Residenzpflicht sei unmenschlich und gehöre abgeschafft, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. Die Würzburger Polizei verfrachtete Hussein schließlich zwangsweise nach Düsseldorf, wo er am Abend freigelassen wurde. Beim Auftakt des Protestmarschs in Würzburg darf er nicht dabei sein. Die Polizei erteilte ihm einen Platzverweis.
Das Recht auf Bewegungsfreiheit ist in Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt: „1. Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. 2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“
Bei dem Protest-Marsch, der am Samstag in Würzburg beginnt, werden zig Flüchtlinge gegen die Residenzpflicht verstoßen. Es bleibt abzuwarten, wie die Ordnungsmacht darauf reagieren wird. Die Landtagsgrünen haben heute an die Polizei appelliert, Verstöße gegen die Residenzpflicht nicht zu ahnden. Das Recht auf Versammlungsfreiheit sei höher zu bewerten.

„Die Lager sind für uns gestorben“

Im Juli haben wir einen Flüchtling bei seiner „Reise gegen die Residenzpflicht“ von Regensburg nach Düsseldorf begleitet. Dort haben wir ein längeres Interview mit Arash Dust Hossein geführt, das wir hier in Auszügen veröffentlichen.

Arash Dust Hossein (hier vor dem Landtagsgebäude in Düsseldorf): „Wir lassen uns keine Ketten anlegen“. Foto: Archiv

Sie demonstrieren seit über drei Monaten auf der Straße gegen eine Abschaffung der Residenzpflicht, gegen den Lagerzwang für Flüchtlinge und für das Recht zu arbeiten. Geht Ihnen nicht langsam die Kraft aus? Natürlich waren wir in den Camps immer Repressalien ausgesetzt. In Würzburg mussten wir mit unserem Zelt immer wieder umziehen. Immer wieder wurden die Auflagen durch die Polizei willkürlich verschärft. Sechs Flüchtlingen wurden nur zwei Schlafplätze genehmigt. In Düsseldorf hat uns die Polizei per Auflage verboten, zu schlafen und kontrolliert das alle halbe Stunde. Aber jedes Mittel, das die Behörden gegen uns einsetzen, zeigt mir, dass unser Protest gerechtfertigt ist. Wir wissen alle, dass es schwer sein wird, unsere Forderungen durchzusetzen. Aber wir werden kämpfen, bis wir es geschafft haben. Als wir im März auf die Straße gegangen sind, sind die Lager für uns gestorben. Dorthin werde ich nicht zurückgehen.

13 Quadratmeter Deutschland: Ein Zimmer für drei Personen im Flüchtlingslager Aub bei Würzburg. Foto: Archiv

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Abgesehen von Ihrem Protest und Ihrer Kritik an Regierung und Behörden verstoßen Sie durch Ihr Herumreisen gegen derzeit noch geltende Gesetze (Für Hossein gilt Residenzpflicht in Düsseldorf, er war aber zuletzt mehrere Monate im Protestcamp in Würzburg. Anm. d. Red.). Rechnen Sie nicht damit, dass der Staat irgendwann zurückschlagen wird, sie verhaftet und unter Umständen sogar abschiebt? Das kann sein. Aber wir haben im Iran den Kampf gegen eine Diktatur hinter uns und wir haben nicht dort dafür gekämpft, unsere Ketten abzulegen, um uns hier wieder neue anlegen zu lassen. Wir wollen, dass sich viele Flüchtlinge unserem Protest anschließen, dass sie sagen: Wir nehmen uns das Recht, dorthin zu gehen, wo wir wollen. Was macht der deutsche Staat dann mit diesen Leuten? Will er sie alle einsperren? Es ist keine Frage der Hoffnung, ob dieser Protest erfolgreich sein wird. Ich sage: Es geht. Man muss es nur machen.

„Ich glaube, die Mehrheit steht hinter uns.“

Ihre Forderungen sind nicht neu. Seit 20 Jahren fordern Flüchtlinge und Unterstützerorganisationen die Abschaffung von Residenzpflicht, Essenspaketen oder der zwangsweisen Unterbringung in Sammelunterkünften. Erfolglos. Und die Mehrheit der Bevölkerung haben sie damit auch nicht auf Ihrer Seite. Glauben Sie, dass Ihr Protest daran etwas ändern wird? Das waren andere Zeiten und andere Proteste. Außerdem glaube ich nicht, dass die Menschen in Deutschland so ignorant und gleichgültig sind oder dass sie uns ablehnend gegenüberstehen. Der deutsche Staat hatte bisher eine unsichtbare Mauer um uns herum aufgebaut. Wir werden in Lager gesteckt. Wir dürfen uns nicht frei bewegen. Wir dürfen nicht arbeiten und können uns keine Sprachkurse leisten, um mit den Menschen Kontakt zu bekommen. Jetzt sind wir auf der Straße. Jetzt sehen uns die Menschen und können mit uns reden. Ich glaube, dass die Mehrheit der Menschen hinter uns stehen wird, wenn sie unsere Forderungen und unsere jetzige Situation kennt. Wir führen unseren Kampf jedenfalls so lange, bis die Regierung die Gesetze ändert oder darüber ein Referendum durchführen lässt. Wir lassen uns nicht zum Spielball von Behörden machen. Wir schreiben unser Schicksal selber. Und seit ich auf der Straße protestiere, geht es mir trotz aller Repressalien und allem Ärger einfach super.
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Kommentare (11)

  • Gondrino

    |

    Ich unterstütze den Protest der Asylbewerber gegen diese Lebensbedingungen vorbehaltlos. Jeden Tag wird die Menschenwürde in Deutschland von deutschen Behörden mit Füßen getreten und der Bürger schaut zu oder findet es auch noch gut (a la “das Boot ist voll”). Dabei verkennt er, dass Menschenwürde nicht teilbar ist. Menschenunwürdige Verhältnisse und staatliche Willkür treffen nicht nur Asylbewerber und Ausländer, sondern auch andere Bürger,
    vor allem HartzIV-Empfänger, aber z. B. auch Arbeitnehmer allgemein (Steuerrecht, Verteilung von unten nach oben) und Rentner.

  • Fred FRENZEL

    |

    Artikel 13 “FREIZÜGIGKEIT” der HUMAN RIGHTS mit
    Absatz 1 : …Freizügigkeit…innerhalb eines Staates;seit dem
    10.Dezember 1948 weltweit gültig(1/2 Jahr länger als unser
    GRUNDGESETZ vom 23.Mai 1949-auch im Freistaat Bayern
    gültig!

  • Sebastian Wild

    |

    Dieser Kommentar gibt lediglich meine persönliche Meinung wieder!

    An sich unterstütze ich den Protest ebenso wie mein Vorredner!
    Leider ist die regensburger Antifa allerdings auf dem besten Weg sich Support und Sympathien zu vergraulen in dem sie auf ihren Demos zensurähnliche Maßnahmen anwenden :(

    Unterstützenden NGOs wird auf Antifa Demos nur das tragen einer einzelnen Fahne erlaubt während die Antifa selbst mit etlichen Fahnen und riesigen Transparenten aufmarschiert.
    Angeblich würde das sonst einen falschen Eindruck erzeugen.

    Für mich ist das eine Einschränkung meiner Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Wenn ich etwas unterstütze dann möchte ich das auch zeigen dürfen. Als Privatperson ebenso wie als Organisation.
    Leider war das auch nicht die erste Demo der Antifa auf der diese Vorgehensweise angewendet wurde.

    Wenn ich meinen Support nicht zeigen darf, liebe Antifa, dann ist er offenbar nicht erwünscht. Gleiches gilt auch für Organisationen. Dann sollte man sich Gedanken machen ob man (obgleich des unterstützenswerten Zieles) noch weiter mitmarschiert. Und ich kenne zumindest eine Organisation, die gestern immerhin ca. 10% der Demonstranten stellte die genau das gerade tut.

    Ich finde das sehr schade das man sich Unterstützung for ein so wichtiges Thema mit solch unsinnigen Dingen zerstört.

    Gruß
    wastl

  • D.B.H

    |

    Anmerkung: Nach der Demo gestern ist die Meldung eingegangen, das Arash nach Düsseldorf gebracht und dort wieder freigelassen wurde.

  • Nicht die Antifa

    |

    @Wastl: Hier handelt es sich wohl um ein Missverständnis. “Die Antifa” hat hier keine Anweisungen gegeben, vielmehr entspricht es dem allgemeinen, in den Plenas vereinbarten Demonstrationskonzept, dass keine Organisationsfahnen etc. die Demo dominieren sollen.
    Die meisten Transparente und Fahnen waren die der Streikenden oder Transparente mit allgemein anti-rassistischer Aussage, ich habe eine Antifa-Fahne und ein themenbezogenes Transparent gezählt.

  • Zopfmare

    |

    Was wollt ihr denn immer mit euren Scheiß-Fahnen? Das ist doch 19. Jh. Fahnen machen nichts als den Wind sichtbar. Entweder man geht auf die Straße mit den Flüchtlingen und den anderen oder nicht. Dann sich zu beschweren, dass man seine Fahne nicht schwenken darf, die anderen aber schon, geht doch wohl an der politischen Sache vorbei und die heißt: Solidarität mit den Flüchtlingen und deren Forderungen. Scheiß auf die Fahnen!

  • Dubh

    |

    wastl: “Dann sollte man sich Gedanken machen ob man (obgleich des unterstützenswerten Zieles) noch weiter mitmarschiert. ”

    Ich denke, da solltest DU dir Gedanken machen – hoffentlich tatsächlich nur privat – ob es DIR wichtiger ist die Fahne deiner Organisation zu schwenken, oder den Flüchtlingsprotest zu unterstützen bzw. für die Einhaltung von Menschenrechten zu demonstrieren.

    Wenn DIR die Fahne wichtiger ist, es DIR also nur darum geht PR für deine Organisation zu machen – dann bleib zu Hause!

    Leute die sich nur zeigen um Werbung für sich oder ihre Organisation zu machen, und denen die Sache an sich egal ist bzw. beliebig austauschbar, gibt es nämlich insbesondere im politischen Bereich bereits überreichlich!

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