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Rechtsanwalt Wächtler über die Rindermarkt-Räumung

„Rettung von Menschenleben war nur Propaganda“

„Der Polizeieinsatz hatte ganz andere Ziele, als Leben zu retten“, sagt Rechtsanwalt Hartmut Wächtler.  Foto: Archiv

„Der Polizeieinsatz hatte ganz andere Ziele, als Leben zu retten“, sagt Rechtsanwalt Hartmut Wächtler. Foto: Archiv

Die Gerichtsprozesse zur umstrittenen Räumung des Durststreiks am Münchner Rindermarkt dauern an. Im Sommer 2013 protestierten dort rund 50 Geflüchtete für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Am Ende wurde das Protestcamp von der Polizei gewaltsam geräumt. Seit geraumer Zeit laufen Verfahren gegen mehrere Beteiligte. Wir sprachen mit dem Anwalt von Houmer Hedayatzadeh. Er war einige Monate beim Protestcamp in Regensburg aktiv. In Zusammenhang mit der Räumung des Rindermarkts wird ihm Widerstand gegen Vollzugsbeamte vorgeworfen. Aus Sicht von Rechtsanwalt Hartmut Wächtler war die Räumung des Camps illegal. Und es gibt weitere Ungereimtheiten.

Das Gespräch führte Naima Blum

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Herr Wächtler, Sie vertreten Herrn Hedayatzadeh vor Gericht. Wie laufen denn die Verhandlungen bisher aus Ihrer Perspektive?

Nun, es gibt da zwei Komplexe. Das eine ist der unmittelbare Vorwurf, dass Herr Hedayatzadeh sich gegen seine Festnahme gewehrt haben soll, durch Strampeln. Es ist natürlich niemand verletzt worden dabei, trotzdem ist Strampeln eben als Widerstand angezeigt. Die interessantere Frage war aber die der Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes. Widerstand ist nämlich nur dann strafbar, wenn auch der Einsatz rechtmäßig war. Das haben wir von vornherein angezweifelt und zwar aus zwei Gründen: Erstens: Nach allem, was wir wissen und in den Beweisvideos gesehen haben, hat die Polizei keine Auflösungsanordnung vor der Räumung gemacht. So hatten die Leute gar keine Chance zu gehen, selbst wenn sie gewollt hätten. Das ist ein schwerer formaler Fehler nach der Rechtsprechung und führt an sich schon zur Rechtswidrigkeit.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund? 

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 Was noch wichtiger ist, ist die inhaltliche Frage: Das Kreisverwaltungsreferat und das Polizeipräsidium haben sich darauf berufen, sie hätten räumen müssen, weil mangels ärztlicher Versorgung Lebensgefahr für die Hungerstreikenden bestanden hätte. Jetzt hat sich nach Einvernahme verschiedener Ärzte herausgestellt, dass dem nicht so war. Die Hungerstreikenden waren rund um die Uhr ärztlich betreut. Wir haben einen Vertrauensarzt der Protestierenden gehört, einen hochqualifizierten Notarzt mit viel Erfahrung. Er sagte, es bestand zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Gefahr. Wenn es Hungerstreikenden schlecht ging, wurden sie auf seine Veranlassung hin in die Klinik gebracht, wurden dort behandelt und sind danach regelmäßig wieder zurück gekommen. Auch zu Beginn des Polizeieinsatzes habe keine Gefahr bestanden. Das wurde auch bestätigt durch die Aussage eines weiteren Notarztes. Damit ist die Behauptung des Kreisverwaltungsreferats und der Polizei in sich zusammengefallen.

Der mutmaßliche Grund für die Räumung ist also bereits von zwei Ärzten vor Gericht widerlegt worden?

Ja, es ist dabei auch bemerkenswert, dass sich im Grunde keiner für die Gesundheit der Streikenden interessiert hat. Der eine Notarzt sprach davon, dass er mit dem polizeilichen Einsatzleiter geredet habe. Der habe ihn aber mitnichten gefragt, wie es den Leuten denn gehe. Derselbe Einsatzleiter hat als Zeuge ausgesagt, dass die Polizei aufgrund der Lebensgefahr hätte eingreifen müssen. Das wirkt nicht sonderlich glaubwürdig, wenn er sich mit dem zuständigen Notarzt nicht mal über den Gesundheitszustand unterhält.

Durststreikende von Polizei abgeführt – anstatt von Notärzten. Nach eigenen Angaben blieben sie danach bis zu sieben Stunden ohne ärztliche Versorgung in Polizeigewahrsam. Foto: koernerfresser, flickr.com

Durststreikende von Polizei abgeführt – anstatt von Notärzten. Nach eigenen Angaben blieben sie danach bis zu sieben Stunden ohne ärztliche Versorgung in Polizeigewahrsam. Foto: koernerfresser, flickr.com

Erklärte denn dieser Einsatzleiter, wie er in anderer Form auf den Gesundheitszustand der Betroffenen eingegangen ist?

Nein. Er sagte nur, ein anderer Arzt habe berichtet, es bestünde eine Gefahr. Diesen Arzt haben wir noch nicht gehört, das soll am kommenden Verhandlungstag geschehen. Allerdings: Das war eine Person, die nur ganz flüchtig dort war und keineswegs in die regelmäßige ärztliche Versorgung eingebunden war.

Verstehe ich das richtig: Diese ganzen Informationen über fehlende ärztliche Versorgung gingen ursprünglich von diesem Arzt aus, der kaum Einblick hatte, und der wird nun in der nächsten Verhandlung am 14. Januar aussagen?

Ganz genau.

Das macht ja dann auch politisch ein riesen Fass auf. Es ging ja auch durch die Medien und wurde durch den damaligen Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) mehrfach betont, dass Ärzte nicht zu den Hungerstreikenden durchgelassen worden seien.

Ja, man muss schon sagen, dass das eine allgemeine Propaganda war, die verbreitet wurde und die, nach dem, was wir bis jetzt in Erfahrung gebracht haben, durch die Tatsachen nicht gedeckt ist.

Nochmal zur Räumung: Zu Beginn des Verfahrens haben Sie ein Video gezeigt, das Ihre These zum Ablauf der Räumung bestätigt. Hat nicht auch die Polizei Aufnahmen vom Einsatz gemacht?

Ja, mittlerweile ist das in die Beweisaufnahme eingeführt. Die Polizei hat aber keine einzige ihrer Aufnahmen vorgelegt. Wir denken, sie wissen schon, warum: Weil es ihre These erschüttern würde, dass die Auflösungsanordnung noch vor der Räumung gewesen wäre. Das haben alle polizeilichen Zeugen bisher ausgesagt, aber wir haben erhebliche Zweifel, ob das zutrifft. Ihre Aufnahmen können ja auch nichts anderes zeigen als die der freien Filmer, die dort waren. Es war ja immerhin derselbe Einsatz.

Und wie sieht es generell mit polizeilichen Unterlagen aus? Werden die für den Prozess verwendet?

Da gibt es eine ganze Reihe von Widersprüchen. Erst wurde behauptet, die Auflösung sei nur mündlich von der Landeshauptstadt an die Polizei übermittelt worden. Inzwischen haben wir aber die Abschrift des schriftlichen Bescheids. Das heißt, es gibt sehr wohl einen schriftlichen Bescheid, der ist aber dem Versammlungsleiter des Protests niemals gezeigt worden.

Am 14. Januar wird nun der sechste Verhandlungstag stattfinden, viele der Zeugen sind auf Ihre Initiative hin vorgeladen worden.

Wir haben nur mit dem Gericht diskutiert, wen man noch hören müsste, um der Sache mit der Räumung auf den Grund zu gehen. Die Kammer ist sehr sorgfältig und hat diese Zeugen alle anmaschieren lassen, was vollkommen sinnvoll war. All diese Zeugen wurden ursprünglich von der Staatsanwaltschaft nicht benannt, weil diese den ganzen Umständen überhaupt keine Bedeutung beigemessen hat. Für sie war nur wichtig: Wenn er strampelt, ist das Widerstand. Das hat allerdings mit der aktuellen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nichts zu tun, das klipp und klar gesagt hat: Es muss in jedem dieser Fälle nachgeprüft werden, ob der betreffende Polizeieinsatz rechtmäßig war, sonst kann nicht verurteilt werden. Diese Rechtsauffassung hat die Staatsanwaltschaft glatt negiert.

Anwendung eines schulmäßigen Polizeigriffs oder nicht? Festnahme von Hedayatzadeh am Münchner Rindermarkt Juni 2013.

Anwendung eines schulmäßigen Polizeigriffs oder nicht? Festnahme von Hedayatzadeh am Münchner Rindermarkt Juni 2013.

Wie sehen Sie den weiteren Verlauf des Verfahrens?

Für mich hat sich Stück für Stück ergeben, dass der Polizeieinsatz ganz andere Ziele hatte, als Leben zu retten, dass das in erster Linie wohl ein Image-Problem war und dass man München diesen Image-Schaden nicht zumuten wollte. Das ist natürlich kein legitimes Ziel.

Falls das Verfahren nicht in Ihrem Sinne ausgehen sollte, wie ginge es dann weiter?

Wir haben grundsätzlich noch die Möglichkeit der Revision gegen das Urteil, da werden aber nur Rechtsfehler geprüft. Natürlich könnten wir auch Verfassungsbeschwerde einlegen. Ich hoffe aber, dass wir das alles nicht mehr brauchen und dass das Gericht der Staatsanwaltschaft deutlich vor Augen führen wird, dass das Vorgehen der Polizei eben nicht richtig war. Dann wäre es natürlich sinnvoll, wenn daraus auch Konsequenzen für die anderen Verfahren gezogen werden.

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Kommentare (8)

  • Gericht kostet Geld

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    Liebe Leser_innen,
    gute Anwält_innen, regelmäßige Fahrten nach München zu den Verhandlungen, am Ende möglicherweise die ganzen Prozesskosten – das alles frisst viel Geld. Daher würden wir uns sehr über die eine oder andere Spende auf folgendes Konto freuen:

    Kontoname: Residenzpflicht abschaffen!
    Bank: GLS Gemeinschaftsbank eG
    IBAN: DE81 4306 0967 8219 9171 00
    BIC: GENO DE M 1 GLS

    Hier gibts nen Spendenaufruf dazu: http://strikeregensburg.wordpress.com/2014/07/02/solidaritat-gegen-repressionen-rassismus-und-polizeigewalt/

  • Gerd-Bodo Dick

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    Solche Erlebnisse sind leider nicht schön. Polizeigewalt ist auf dem Bild nicht erkennbar. Die Beamten versuchen eine Person die sich hartnäckig widersetzt weg zutragen. Nicht besonders aufregend. Für Sitzblockaden ein normaler Vorgang. Solche Verfahren kosten viel Geld und bereichern nur Rechtsanwälte.
    Querdenker

  • Veronika

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    Es war kein anderes Ergebnis und keine andere Grundlegung zu erwarten!
    Geht es in Bayern wirklich nicht, dass man sich vielleicht mal eher um die Dinge kümmert, welche die Kath. Kirche so treibt, anstatt den Frust und die Wut die man hat immer wieder repressiv an den Flüchtlingen/ Asylbewerbern auszulassen?
    Wer seine politische Wählerklientel jetzt über 70 Jahre nach den schrecklichsten Dingen welche die Welt durch Deutschland jemals erlebt hatte, immer noch nicht auf demokratischen Kurs gebracht hat, der muß es eben jetzt tun.

  • Veronika

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    Ich ergänze: Etwas sehr überspitzt formuliert bekommt man zunehmend den Eindruck, dass in Bayern jede Person irgendwie mißbraucht werden soll, weil die RKK bereits vor Jahrzehnten in deren Einrichtungen damit begonnen hatte.

  • Noname

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    Wer steckt hinter der Homepage bzw Bankkonto?

  • Gericht kostet Geld

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    Hinter der Homepage steckt die Regensburger Solidaritätsgruppe, die seit dem Sommer 2012 das damalige Protestzelt in Regensburg unterstützt hat bzw. bis heute die bundesweiten Proteste, insbesondere jedoch in Bayern. In dieser Unterstützergruppe hatten sich zahlreiche unterschiedliche politische Gruppen und Einzelpersonen zusammengefunden.
    Hinter dem Bankkonto stecken die damals in Regensburg streikenden Geflüchteten, in Zusammenarbeit mit ihren Unterstützer_innen. Über dieses Konto ist u.a. auch der Residenzpflichtprozess von Herrn Kalali (einer der Regensburger Streikenden) finanziert worden, der mittlerweile dem Verfassungsgericht vorliegt.

  • Gericht kostet Geld

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    Ergänzung zum Konto: Mittlerweile sind neue Menschen dazu gekommen, sodass sich eine Arbeitsgruppe gebildet hat, die an der Eindämmung der Repressionen im Rahmen einzelner Ereignisse innerhalb der bayernweiten Refugee Proteste arbeitet.

  • Gerd-Bodo Dick

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    Man sollte das sehr ernste Thema Hungerstreik von Menschen in NOT und den Polizeinsatz befohlen von der Stadt München nicht verunsachlichen. Die Aufarbeitung sollte unter Berücksichtung aller vorliegenden Beweismittel erfolgen. Sonst wird man auch in bester Absicht für die Menschen in NOT keine brauchbare Verbesserung finden. Leider handeln Menschen in NOT oftmals auch gegen die vorherrschende Gesetzgebung. Den Menschen kann man am besten helfen wenn eine breite Zustimmung der Bürger erreicht wird. Leider erreicht man in einer modernen Welt mit ausgewogenen Ansicht nich sehr viel. Mann muss nach gutem Vorbild auf den Tisch hauen oder auf die Straße gehen. Die Verrohung der Gesellschaft schreitet mächtig voran. Da helfen auch flotte Bibelsprüche nicht. Am wenigsten den Menschen in NOT die Gutmenschen willkommen heißen. Es werden Runde Tisch und Willkommencenter in Hülle und Fülle zur Beschäftigung von Bevorzugeten Bürgern mit viel Geld aus Brüssel gegründet. Wenn die Menschen dann hier sind weis oft nicht wie man menschenwürdig mit Ihnen und den Kindern umgehen soll oder muss. Nicht nur in Bayern. So manche Asylunterkunft ist eine Schande für ein zivilisiertes Land. Für exportierte Rüstungsgüter müsste man eine Wiedergutmachungssteuer für ermordetete und vertriebene Menschen einführen. Wenn eine Nation mit Kriegsgerät zur Verteribung von unschuldigen Menschen beiträgt sollte diese auch für menschwürdige Versorgung verpflichtet werden. Wo bleiben die vielen Christen und Politiker. Das ganze Dilemma ist für den Normalbürger, ich zähle mich auch dazu, nicht mehr zu verstehen. Weiter helfen ist angesagt für eine kulturreiche und friedliche Zukunft.
    Querdenker

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