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Neutraublinger Gymnasium: Unterschleif weiter ungeklärt

Strafrunde für Schüler

In einem Fall von schwerem Unterschleif bei der Abiturprüfung dauern die Ermittlungen nach wie vor an. Fraglich bleibt, wie der betroffene Schüler an die Musterlösung kam.

abi

Wer je eine Schulklasse wiederholen musste, wusste in der Regel, dass dies mit dem eigenen Desinteresse und mit fehlenden Leistungen im vergangen Schuljahr zu tun hatte. Anders bei einem bisher namenlos gebliebenen Schüler des Neutraublinger Gymnasiums. Da ihm im vergangen Schuljahr sein eigentlich bestandenes Abitur wegen angeblichen Unterschleifs nicht anerkannt wurde, bleibt dem Schüler zunächst nichts anders übrig, als eine „Strafrunde“ anzutreten. Laut Auskunft des Staatsministeriums für Bildung und Kultus kann er im aktuellen Schuljahr ein Regensburger Gymnasium besuchen, um ein endlich ein Abiturzeugnis zu bekommen.

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Hintergründe immer noch ungeklärt

Wie der BR bereits Ende Juni 2016 berichtete, hatte das Bayerische Kultusministerium einen Schüler des Neutraublinger Gymnasiums von den Abiturprüfungen 2016 ausgeschlossen. Der Schüler, so die Begründung, habe im Abiturfach Deutsch von einer „Musterlösung“ abgeschrieben.

Ins Rollen kam die Affäre, da einer korrigierenden Lehrkraft eine große Ähnlichkeit mit der „Musterlösung“ auffiel. Daraufhin schaltete der Neutraublinger Schulleiter Steffan Gutzeit das zuständige Ministerium ein und dieses erstattete nach weiteren Überprüfungen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Zugleich verfügte das Kultusministerium, dass dem in Verdacht stehenden Schüler kein Abiturzeugnis für die absolvierten und formal auch bestandenen Prüfungen ausgehändigt wird. Gegen diese Entscheidung will der Schüler vor das Regensburger Verwaltungsgericht ziehen und ein Abiturzeugnis sozusagen einklagen. Ein sehr seltsamer, vermutlich jahrelang andauernder Vorgang, der noch einige Überraschungen bereit halten dürfte.

Erwartungshorizont ist keine Musterlösung

Anders als in mathematischen Abituraufgaben gibt es im Prüfungsfach Deutsch keine „Musterlösung“. Während bei ersteren das Ergebnis eindeutig benannt wird, wird für ein Deutsch-Abitur nur ein so sogenannter Erwartungshorizont vorgegeben. So Schulleiter Steffan Gutzeit gegenüber unserer Redaktion. Ein „Erwartungshorizont“ umschreibt Inhalt, Länge und Form dessen, was vom Abiturienten erwartet werden kann. Das, was vom Prüfling angesprochen, ausgeführt oder diskutiert werden soll.

Naturgemäß beantworten verschiedene Abiturienten die Aufgaben unterschiedlich, drücken sich je nach Neigung und Können anders aus. Der des Unterschleifs verdächtige ehemalige Neutraublinger Schüler benutzte aber offenbar weniger eigene Worte und Gedankengänge, sondern hielt sich stattdessen an die Ausführungen des Erwartungshorizonts. Dies wurde ihm zum Verhängnis, so war er den prüfenden Lehrkräften aufgefallen. Nicht nur im Fach Deutsch.

Erwartungshorizont für das Prüfungsfach Französisch

Im Fach Französisch fiel der Schüler mit seinen Antworten ebenso auf. Auch hierbei gab es eine weitreichende Deckungsgleichheit zwischen Erwartungshorizont und Ausführungen des Prüflings. Das heißt, auch für dieses Fach geht das Kulturministerium davon aus, dass dem Neutraublinger Pennäler der entsprechende Erwartungshorizont vorgelegen haben muss.

Wie Oberstaatsanwalt Theo Ziegler auf Anfrage von regensburg-digital erklärte, gab es Auffälligkeiten nicht nur im Prüfungsfach Deutsch, sondern auch im Französisch-Abitur. Ziegler: „Es wird jeweils ermittelt.“ Das Ermittlungsverfahren richte sich allerdings „nach wie vor gegen unbekannt.“ Als Tatvorwurf komme „die Verletzung eines Dienstgeheimnisses“ infrage, als Täter nur ein Amtsträger. Denkbar sei auch, „dass der Schüler auch Straftatbestände verwirklicht haben könnte. Diese vage Vermutung rechtfertigt noch keinen Anfangsverdacht, da ja der Unterschleif an sich nicht strafbar ist.“ So Theo Ziegler.

Ende Juli hieß es noch, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien voraussichtlich in zwei Wochen beendet. Der Mittelbayerischen Zeitung gegenüber sprach die Staatsanwaltschaft vor wenigen Tagen schon von einer möglichen vorläufigen Einstellung des Verfahrens: Der Schüler könnte die „Musterlösung“ rein theoretisch auch „zufällig gefunden“ haben.

Irgendwie bleibt der Eindruck, dass die Ermittlungsbehörden der Angelegenheit keine allzu große Bedeutung beimessen.

Undichte Stelle im Kultusministerium?

Nimmt man wie das Kultusministerium an, dass dem Prüfling zumindest die Erwartungshorizonte für Deutsch und Französisch vorgelegen haben müssen, stellt sich die Frage wie dies möglich sein könnte. Wie ein ehemaliger Oberstudienrat und langgedienter Regensburger Deutschlehrer unserer Redaktion bestätigte, gehört der Erwartungshorizont zusammen mit der Prüfung selbst zu den bestgehüteten Geheimnissen des Schuljahres. Nur im Kultusministerium selber wisse man wenige Wochen zuvor, was für die Abiturprüfungen ausgewählt worden ist. Erst Tage vor dem eigentlichen Abiturtermin werden die Prüfungsunterlagen der jeweiligen Fächer in versiegelten Umschlägen an die bayerischen Gymnasien verteilt und dort im von der Schulleitung versperrten Tresor gelagert.

Am eigentlichen Prüfungstag hole der Schulleiter die Unterlagen aus dem Tresor und öffne den versiegelten Umschlag im Beisein der jeweiligen Fachschaft. Für das Fach Deutsch etwa enthalte der Umschlag für jeden Schüler eine Prüfungsaufgabe und je einen Erwartungshorizont für die korrigierenden Fachlehrer. Schließe man eine undichte Stelle innerhalb des Ministeriums und zwei zufällig zeitgleich auftretende Pannen bzw. Manipulationen bei der Verteilung der Abituraufgaben für die Fächer Deutsch und Französisch aus, käme im Grunde nur noch ein illegitimer oder illegaler Zugang zu den tresorgesicherten Unterlagen der Gymnasien infrage. So der pensionierte Oberstudienrat gegenüber unserer Redaktion.

Ermittlungen gegen Eltern?

Laut wiederholten, aber bislang unbestätigten Presseberichten handelt es bei den Eltern des Schülers um Gymnasiallehrer. Ob diese bei den derzeitigen Ermittlungen gegen unbekannt auch ins Visier genommen werden, mag die Staatsanwaltschaft Regensburg aus „Datenschutzgründen“ weder bestätigen noch dementieren. Die Regensburger Gerüchteküche brodelt deshalb.

In Elternrunden von jetzigen und herannahenden Gymnasiasten wird die Unterschleif-Affäre ausführlich, teils spekulativ erörtert. In der Szene zirkuliert, dass der Vater des ausgeschlossenen Neutraublinger Schülers nicht nur Lehrer, sondern auch Leiter eines Regensburg Gymnasiums sei.

Klage des Schülers zielführend?

Ob der ehemalige Neutraublinger Schüler vor dem Verwaltungsgericht je wird beweisen können, dass er nicht von Erwartungshorizonten abgeschrieben hat, darf stark bezweifelt werden. So wie die Dinge stehen, wird das Bayerische Kultusministerium gewiss auf seinem Befund des Unterschleifs beharren und die Deutungshoheit in dieser, ihr ureigenen Sache wohl behalten. Dass im Zuge des Verwaltungsgerichtsverfahrens weitere Details ruchbar werden, wird nicht im Interesse des klagenden Schülers und seiner Eltern liegen.

Wer je ein Prozess vor dem Verwaltungsgericht verfolgen durfte (oder führen musste), weiß, dass dieser lange dauern kann. Endlich ein Abiturzeugnis in der Hand zu halten, dürfte dem Schüler nach dem erfolgreichen Abschluss einer Strafrunde schneller gelingen als über den Weg des Verwaltungsgerichts.

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Kommentare (9)

  • Magnus

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    Kann mich mal bitte jemand aufklären, was “Unterschleif” ist?

  • joey

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    @Magnus
    so hat man früher Spickzettel bezeichnet.

    Der Abiturient kann machen, was er will: sein und seiner Eltern Name wird bekannt, außer er macht seine Extrarunde in einer fernen Stadt, der Fernuni Hagen oder dergleichen.

  • Lothgaßler

    |

    Es gäbe ja noch die Möglichkeit, dass der Erwartungshorizont zufällig mit ausgeteilt worden ist. Das zu widerlegen dürfte auch nur schwer möglich sein. Ich würde mich darauf berufen ;-)))
    Ansonsten finde ich es das Vorgehen falsch. Einfacher, gerechter und schneller wäre es den Prüfling kurzfristig nochmals zu den beiden beanstandeten Prüfungen einzubestellen. Die bestandenen Prüfungen wären nicht verloren und das erlernte Wissen (Deutsch und Französisch) noch nicht vergessen. Der Zeitverlust für den Schüler und der Zusatzaufwand für die Prüfer wäre minimal. Das Abitur soll als Nachweis der Studienreife dienen, nicht als Existenzberechtigung.

  • joey

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    @Lothgaßler
    Ihre Milde ehrt Sie.
    Man kann aber hier Verdachtsmomente bzw eine Wahrscheinlichkeit für Verbrechen sehen. Entweder ist jemand in den Schultresor eingebrochen oder der Direktor (bzw jemand vom KuMi) hat seine Dienstpflichten schwer verletzt.

    Gerecht ist, wenn alle die selben Aufgaben haben und Söhne von irgendwem das Abi nicht geschenkt bekommen.
    Recht und Gesetz ist auch eine soziale Frage.

  • Fritz Maier

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    @Lothgaßler
    Ja, das ist schon mal vorgekommen, dass der Erwartungshorizont versehentlich ausgeteilt wurde. Wer davon so offensichtlich abschreibt, dass er erwischt wird, ist selten doof und gemäß der Schulordnung mit Unterschleif bzw. nicht bestanden zu bewerten.

    Dass sogar zwei Erwartungshorizonte (Deutsch und Franz.) versehentlich ausgeteilt werden und beide beim Sohnemann eines Gymnasialdirektors landen, das glauben Sie doch nicht ernsthaft oder?
    Vielleicht hat der verdächtige Schüler die Datenbank des KuMIs gehackt oder den Zugang des Vaters benutzt?

  • Lothgaßler

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    @Joey und @Fritz Maier:
    Meine Milde gilt allein dem Schüler, der hat nun erst einmal mehr Schaden als nötig. Die Folgen müssten so nicht sein, auch wenn er mit seiner Nähe zur Musterlösung/ dem Erwartungshorizont sich erwiesenermaßen deppert angestellt hat.
    Ich glaube nicht daran, dass der Schüler etwas gehackt oder ausspioniert hat. Irgendjemand mit Zugriff hat sich zu einer Riesendummheit verleiten lassen. Womöglich geschah das auch nicht zum ersten mal, womöglich geschah das punktgenau bei der Austeilung der Aufgaben (das würde die zu große Nähe der Prüfungsleistung zum Erwartungshorizont erklären; der Prüfling hatte keine Zeit mehr eigen zu formulieren). Ich befürchte nur, dass dieser Irgendjemand nicht zu ermitteln ist, weshalb alleine der erwischte Schüler die Suppe auslöffeln muss.
    Ansonsten beruhigt euch: Bei der Fächerkombination führt das geradewegs in ein Pädagogikstudium. Ob diese Pädagogenkinder-werden-wieder-Lehrer anderen eine Chance verbauen kann heute keiner sagen.

  • joey

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    @Lothgaßler
    “der Prüfling hatte keine Zeit, eigen zu formulieren” ach der Arme. Die Anderen konnten auch nur noch schnell ihre mitgebrachten Arbeiten abschreiben?

    Spicker sind ja nichts Neues, beim Selberschreiben hat man sogar einen gewaltigen Lerneffekt.
    Wörtliches Abschreiben der Lösung in zwei Fächern kann man aber als dummdreist bezeichnen. Der hat das Abitur schon intelligenzmäßig nicht verdient, wie auch Guttenberg zu wenig Geld in die Fälschung seiner Doktorarbeit investiert hat und die anderen Fälle ebenso gemeint haben, ihnen (mit ihren Beziehungen) wird schon nichts passieren – da fragt ja schon gar keiner nach…

    Guttenberg hat die Wehrpflicht abgeschafft – das war mutig zu seiner Zeit. Den Doktor brauchte er dazu nicht, der war nur für seine verwerfliche Eitelkeit. Der Abiturient braucht seinen Abschluß? Möge er ihn ehrlich und genauso mühsam wie die Anderen erwerben und dabei auch moralische Reife erhalten.

    Der Beamte aber gehe in die Hölle: Korruption ist der schlimmste Sand in einer Gesellschaft und führt zu einem massiven Vertrauensverlust – Regensburg hat gerade viel Erfahrung damit.

  • Fritz Maier

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    Die SZ berichtet heute über die Sache und weiß von dem Vater des Schülers, der tatsächlich Schulleiter an einem bayerischen Gymn. ist, nennt aber seinen Namen nicht. Wer wird denn da geschützt?

    Die SZ hat die Theorie, dass die versiegelten Unterlagen illegal geöffnet oder danach verbreitet wurden. Schulleiter mit abiturscheibenden Kindern sind offenbar ein Sicherheitslücke.
    http://www.sueddeutsche.de/bayern/bildung-mit-krimineller-energie-zum-abitur-1.3171688

  • Abi-Affäre: Vater des Schülers unter Beschuss » Regensburg Digital

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    […] am Neutraublinger Gymnasium gerät der Vater des betroffenen Schülers zunehmend ins Zwielicht. Wie berichtet, wiesen die Lösungen des Schülers in den Fächern Deutsch und Französisch große Ä… Als einer korrigierenden Lehrkraft die Sache auffiel, verfügte das Kultusministerium, dass dem […]

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drin