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Kolumne: Liebes Regensburg!

Teil 1 – Der Beginn einer wunderlichen Freundschaft

Regensburg ist eine schizophrene Stadt. Bewohner und Besucher schwanken in ihren Bewertungen zwischen Enthusiasmus und Dauermotzerei, zwischen quasireligiösem Stolz auf ihre Stadt und tiefster Verachtung. Etwas unentschlossen steht unsere Autorin Bianca Haslbeck zwischen diesen Polen. Deshalb hat sie sich dazu entschieden, ab heute alle zwei Wochen eine Regensburg-Kolumne zu veröffentlichen. Grundsätzliches, Offensichtliches und Abseitiges wird hier zur Sprache kommen. Natürlich in aller Subjektivität und persönlichen Voreingenommenheit, die einem Journalisten zur Verfügung stehen. Heute: Teil 1 – Der Beginn einer wunderlichen Freundschaft. liebes_regensburg

Liebes Regensburg!

wir haben heute einen Grund zu feiern: Wir haben das verflixte 13. Jahr überstanden! So lange bin ich jetzt schon hier. Und heute ist unser Jahrestag. Der Tag, ab dem ich endgültig mehr Zeit hier als sonst irgendwo verbracht habe. Ich erinnere mich noch gut an unsere ersten Tage. Wir kannten uns kaum, als ich mich für dich entschieden habe. Ich war nur ein paar Mal da. Meistens mit der Schule auf den üblichen Ausflügen. Am besten kannte ich wahrscheinlich die Folterkammer. Die steht nämlich immer auf dem Programm; offenbar finden niederbayerische Gymnasiallehrer, dass man Schüler nicht oft genug dort hinführen kann. Dann hab ich dich noch zwei-, dreimal einfach so besucht. Ich habe versucht, shoppen zu gehen, fand aber außer einem verwaisten Neupfarrplatz nicht viel vor und bin dann doch wieder in den Zug Richtung München gestiegen. Warum ich mir hier einen Studienplatz und eine Wohnung gesucht habe, weiß ich gar nicht mehr genau. Die Wohnungen waren billiger als in München. In meiner Heimatstadt redete man von deinem interessanten Kulturleben. Von Deutschlands größter Kneipendichte. Und man sagte mir, dass die Musikwissenschaft hier ziemlich gut sei. Zwei oder drei meiner besten Freundinnen sind auch hierher gezogen. Also ließ ich das Abwägen irgendwann bleiben und entschied mich mit vielen kleinen Gründen, aber ohne großen Anlass, mich hier niederzulassen. Und dann war ich da. Der 16. Oktober war im Jahr 2000 ein Montag. Vorlesungsbeginn. Also stapfte ich erstmal ein paar Stunden durch die Uni. Ich hatte sie mir vor der Einschreibung gar nicht angesehen. Ich kannte die Universitäten in Passau und München und ging in meinem jugendlichen Leichtsinn davon aus, dass die Regensburger Uni denen schon irgendwie ähnlich sein würde. Mit Kübeln in den Hörsälen zur Überschwemmungsprävention habe ich nicht gerechnet. Auch nicht damit, dass man an der Regensburger Universtiät tatsächlich campusweit auf architektonische Ästhetik verzichten muss. Aber es gab ja noch die Stadt. Die Altstadt, um genau zu sein. Von der man sich ja weithin erzählt, sie sei einer der schönsten, wenn nicht DIE schönste Altstadt Deutschlands. Und auch wenn ich auf meinen Ausflügen dorthin noch vergeblich den pulsierenden Platz im Herzen der Stadt suchte, wo sich große Geschäfte und kleine Tändler, Cafés, Kneipen, Straßenkünstler und Sehenswürdigkeiten (was man sich als Kleinstadtkind eben so erwartet) stapelten, wo das in Niederbayern viel gepriesene Kultur- und Kneipenleben kumulierte, steuerte ich hoffnungsfroh vom Uniberg in die Stadt hinab. Und ich tappte im nebligen Oktober durch diesige Gassen, uneben gepflastert, gesäumt von Häusern mit bröckelnden Fassaden und bunten Müllsäcken. Ja, das irritierte mich tatsächlich. Mir war wirklich nicht begreiflich, warum man in Regensburg seinen Müll am Straßenrand platzierte und nicht ganz konventionell in der Tonne entsorgte. Diese öffentlich zur Schau gestellte Müllentsorgung mutete in meinen Augen mittelalterlicher an als der Dom oder die Steinerne Brücke. An unserem ersten Abend hier beschlossen wir, mit der Erkundung der legendären Kneipenszene zu beginnen. Mit drei, vier Leuten fielen wir erlebnishungrig in der Banane ein. Wahrscheinlich nicht die schlechteste Wahl. Die traf ich lediglich, als ich mir einen giftgrünen Cocktail einverleibte. Fortan wurde ich zum Biertrinker. Und ich suchte alle paar Jahre nach Wohnungen in München, Berlin oder Wien. Doch die Krake Regensburg hat mich festgehalten. Trotz gestapelter Mülltüten am Straßenrand, grauer Gassen und einem Straßenbelag, den neben Denkmalpflegern wohl nur die Schusterinnung gutheißen kann. Wenn ich heute nach Niederbayern fahre, sage ich in Regensburg immer noch: “Ich fahre heim.” Wenn ich in Niederbayern aufbreche, um nach Regensburg zu fahren, sage ich mittlerweile auch: “Ich fahre heim.” Irgendwie und irgendwann, liebes Regensburg, hast du es geschafft, mir diesen Satz abzuringen. Und ihn auch so zu meinen. Manche meiner naiven Kleinstadtkindhoffnungen haben sich zerschlagen. In mancherlei Hinsicht bist du, hochgeschätztes Regensburg, ganz schön provinziell. Außerdem zu klein, um wirklich Großstadt zu sein. Aber was erträumt man sich nicht alles, wenn man in eine Stadt zieht, die sieben Mal so groß ist wie der Heimatort. Dafür hast du andere Qualitäten. Die Zurschaustellung deines Mülls gehört nicht dazu. Der Überzeugung bin ich bis heute. Und weil ich nicht mal wirklich sagen kann, warum ich hier geblieben bin und sogar einigermaßen gern hier bin – weil ich dich, liebes Regensburg, seit 13 Jahren gleichermaßen liebenswert und eigenartig finde, widme ich dir fortan alle zwei Wochen eine Kolumne. Dafür wirst du mich nicht immer mögen. Aber wenn man sich schon so viele Jahre kennt, muss man auch mal sagen dürfen, was man voneinander hält.  
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Kommentare (9)

  • Thomas Jahn

    |

    da bin ich schon gespannt zu welchen Erkenntnissen du gekommen bist. Mit ähnlichem Werdegang denk ich mir auch öfter: naja, der große Wurf war’s nicht nach Regensburg zu kommen – aber andererseits war’s immer eine sympathische, provinzielle… aber dennoch eine Stadt aus der man irgendwie auch nicht mehr weg will. Und das trotzdem sich vieles für das man die Stadt lieb gewonnen hat in Rauch auflöst und man über die Jahre auch z.T. wenig ermutigende Einblicke z.B. in die mögliche kul-tour-rell-istische Entwicklung der Stadt bekommen hat. Angesichts der in meinen Augen unerquicklichen Verbindung zwischen Kultur und Tourismus kann man sich aber über die unbekümmerte Zurschaustellung von Müllsäcken tatsächlich nur wundern. ;)

  • tobias

    |

    haha, wunderbarer einstieg in jedem fall schon mal! freu mich auf mehr!

  • StuhloderSessel

    |

    Sehr schön! Aber lasst mir bitte meine Müllsäcke in Ruhe. Die passen da ganz wunderbar hin und sind eines der letzten Anzeichen von realem Leben in my Hometown.

  • erik

    |

    Regensburg, eine Stadt in der reich bzw. sehr reich und arm und sehr arm versammelt sind! Nur durch eine Mietpolitik von hohen Mieten und knappen Mietraum wird versucht die Armut zu bekämpfen, indem diejenigen mit weniger Geld aus der Stadt vertrieben werden und dadurch der Durchschnitt bzw. die Statistik der Beteiligten am wirtschaftlichen Wohlstand auf einem erträglichen Maß gehalten wird! Von einer schizophrenen Situation kann man durchaus sprechen.

  • Twix Raider

    |

    Wer den Fehler im 1.Satz findet, kommt aus der Klapsmühle frei. Nee, umgangssprachliche Definitionen sind für den Boulevard.

  • Aborigine

    |

    Hi,

    als “Aborigine” sag ich allen, denen es hier nicht gefällt, ihr könnt ja gehen.

    Es ist wie beim Essen im Wirtshaus, wenn´s mir dort zu laut, das Essen zu kalt, das Bier zu warm und die Stimmung zu öde ist, geh ich raus und such mir was anderes.

    Regensburg war schon schön, als ihr noch nicht da wart und wird es auch nach eurem Auszug bleiben.

    Ihr könnt aber auch bleiben und daran mitarbeiten, dass Regensburg für uns alle noch schöner wird.

  • Dubh

    |

    @ Aborigine

    Sie gehen noch Essen in dieser Stadt? Und finden gar ein anderes Wirtshaus, wenn Ihnen das Essen in einem nicht passt?
    Na ja, wenn der Gipfel des Anspruchs ans Essen in “nicht kalt” besteht, wundert einen das nicht.

    Die Gastronomie hier wäre mittlerweile ja einer der ersten Gründe um umgehend zu fliehen: Überwiegend Touristenpuffs mit Einheitsfraß, nicht selten aus der Tüte, aber mit Preisen wie im 3 Sterne Restaurant – Mahlzeit!

    Ein Spiegel für Allerlei in dieser Stadt………

    Aber wenn man nichts anderes mehr kennt, gell……..und natürlich keineswegs nur beim Essen.

    Ihre Argumentation im Stil von “dann geht doch mal rüber”
    ist ja ohnehin schon sowas von originell dass Ihre Vorstellungen von “Gut und Schön” auf der Hand liegen.
    Ganz wie dem Hansi seine halt.

    Si iss holt, wenn ma ausm Provinznest stammt, wo’s d’Leit erst vorgestern aus der Leibeigenschaft entlassen ham, wie der amtierende Alleinregent.

    Woher nehmen und nicht stehlen, den Sinn für Kultur, wenn als Kind deren Gipfel ein Eisenbahnmuseum war.

    Darunter muss eine ehedem internationale freie Reichsstadt freilich sehr leiden.

    Manche “Eingeborene” hingegen passen sich dem Banausentum offensichtlich problemlos an, zumal wenn der Zeitgeist nicht Kultur, sondern nur noch Konsum und Kommerz heißt, und im Lande Bayern sich eine Gruppe schon so lange durchgehend an der Macht hält, dass sie an Dauer weltweit jede existierende Diktatur der Nachkriegszeit längst überholt hat.

    Aber dene wenn ma scho im Kindergartenalter beitretn is, dann werd ma woas, a wenn ma net bloß dumm geborn is, sondern a nia wos dazua g’lernt hot.

    Mei, und wos anders kennas dann boald hoalt nimma………manche Leit.

    Arms Rengschburg!

  • norbert e. wirner

    |

    dubh: also, nö!

    überwiegend touristenpuffs mit einheitsfrass…?

    ja, gibt es hier und da, aber in der hauptsache ist der kulinarische pool in regensburg aussergewöhnlich gut.

    wir haben jahrzehntelang einen stammtisch gepflegt, der sich monatlich jeweils in queerbeet einem anderem lokal traf. neun von zehn lokalen waren qualitativ, preislich und ebenso im service brilliant.

    sie tun denen, die sich wirklich mühe geben unrecht.

    das einzige, was ich bemängele ist das vegane angebot. da ist diese stadt weit hintendran.

  • Lenzerl

    |

    Freue mich auf mehr! und auf Kontroversen mit offenem Visier. Gegen Disneyfizierung und Leben von & und mit den Touristen. Geht nämlich! Man muss nur wollen …

Kommentare sind deaktiviert

drin