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Unter falscher Flagge

Der größte bayerische Raucherclub VEBWK verfügt über umfangreiche Mittel und macht damit verstärkt Wahlkampf. Foto: Markus FeilnerDer kleine Pirat mit der Augenklappe grinst. Das fünfzig Zentimeter große, gelb-blaue Kickermännchen steht in einer für Heiligenfiguren vorgesehenen Nische über der Eingangstür der Musikkneipe „Klappe“. Vielleicht lacht es sich eins, weil es die langen Diskussionen im Nikotiondunst und Teernebel vor der Tür mitbekommen hat, vielleicht amüsiert es sich über das Bauerntheater, das den bayerischen Landtagswahlkampf dominiert. Raucher gegen Nichtraucher, die CSU gegen den Rest der Welt, und ein Raucherverein soll helfen, die bayerische Einheitspartei abzulösen. Das Rauchergesetz hatte auch die Regensburger Kneipe in die typische Zwickmühle gebracht, in der sich viele Wirtshäuser im Freistaat wiederfanden. Rauchfrei? Unvorstellbar, schon wegen den vielen Bikern und Studenten. Raucherclub werden? Dann fehlen Einnahmen von Nichtrauchern und die Laufkundschaft, die zweimal im Jahr von der nahen Regensburger Dult hereinströmt. Im gesetzlich vorgeschriebenen Aufsichtsrat der einzigen Genossenschaftskneipe Bayerns diskutierten die Raucher und Nichtraucher unterschiedlichster politischer Couleur, bis der Verein zum Erhalt der Bayerischen Wirtshauskultur (VEBWK) wie ein Silberstreif am ansonsten rauchfreien weiß-blauen Horizont ins Spiel kam. Mit einem bayernweit gültigen Ausweis sollen dessen Mitglieder überall in teilnehmenden Wirtschaften einkehren und ihre Sucht genießen können. Dass mit dem Beitritt die Probleme erst richtig anfangen würden, konnten die neun Wirte der Klappe ja nicht ahnen. Jetzt mussten sie sich richtig was anhören von ihren Gästen, und auch im Aufsichtsrat wuchs der Widerstand: „Wär ich nicht im Urlaub gewesen, wären wir niemals diesem Sch…verein beigetreten!“, schimpft Wirt, Koch und turnusmäßiger Aufsichtsratsvorsitzender Ritchie. Die Beschwerden häuften sich, der VEBWK mache massiv Parteipolitik, hieß es. Vor allem aber sei nicht nachvollziehbar, warum er so viel teuerer sei als alle anderen Raucherclubs. Zwölf Euro Jahresbeitrag zahlt jeder Gast, und die Gaststätten müssen 96 Euro überweisen. Auf Anfrage gibt der Geschäftsführer Heinrich Kohlhuber, selbst Gastronom und ehemaliger Betreiber mehrerer Diskotheken, stolz an, dass der „nach dem ADAC und dem FC Bayern drittgrößte Verein Bayerns“ mittlerweile weit über 79.000 Mitglieder hat, 2.000 Kneipen sollen Vollmitglied sein. Das ist eine Menge Holz, es stehen schon im ersten Jahr weit über eine Millionen Euro zur Verfügung. Ob die Tabaklobby dem Verein ebenfalls finanziell unter die Arme greift, ist unklar, auch wenn die Plakate von der Webseite mit „Ihr Tabakwarenhändler“ unterschrieben sind. So kritische Anfragen von Journalisten lässt Kohlhuber gerne gleich von seinem Anwalt beantworten, auch nach der Verwendung der Gelder gefragt kommt er erst widerwillig auf den Punkt: „Die geplanten Protestveranstaltungen in Bayern und die Anzeigen, Flyer und so weiter für den Landtagswahlkampf sind mit ca. 250.000 Euro budgetiert. Die Mitgliederverwaltung kostet pro Jahr und Mitglied 8,60 Euro. Wir sind froh, wenn wir am Jahresende kostendeckend gearbeitet haben.“ Kohlhuber tritt für die FDP bei der Landtagswahl an, auf einem Augsburger Bierdeckel hat er kürzlich den Mitgliedsantrag unterschrieben. Der 1. Vorsitzende Franz Bergmüller steht auf der Liste der Freien Wähler. Man gibt sich politisch, redet vom Ziel 50 Prozent minus X für die schwarze Regierung. Es geht darum, denen da oben eins auszuwischen, „die Arroganz der CSU zurechtzustutzen“, sagt Kohlhuber, da stört es niemanden, wenn die eigenen politischen Ziele „zu 90 Prozent mit denen der CSU übereinstimmen“. Das haben viele Gäste in der Klappe durchschaut, und sich vehement beschwert. Nach den verärgerten Nichtrauchern und den zahlungsunwilligen Rauchern blieben jetzt auch noch die politisch Interessierten fern, und der Umsatz war wieder im Keller. „Ich unterstütz doch mit meiner Stammkneipe keinen Wahlkampf!“, so der Tenor. In ihrer Existenz bedroht, suchten die Genossen eine Alternative und fanden sie im Raucherclub Regensburg. Der erste Rauchverein Deutschlands kommt mit einem Euro Jahresbeitrag aus, erwirtschaftet damit sogar Gewinn und ermöglicht den Zutritt zu vielen Kneipen in der 2000 Jahre alten Weltkulturerbestadt. Vor allem aber macht er keine Politik. Das ist genau nach dem Geschmack von Siegfried Gallus, dem Präsident des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (BHG). Im Münchner Merkur sagt er über den VEBWK: „Ein solcher Verein sollte politisch neutral bleiben.“ Kohlhuber aber sah sich Ende 2007 vom BHG nicht ausreichend gegen das neue Gesetz vertreten und betreibt seitdem den Raucherverein mit offensichtlich politischen Zielen. Neben fragwürdigen Zahlen aus umstrittenen Studien, die Vereinsanwalt Dr. Scheele veröffentlicht, rückt der Verein die weiteren Pläne der Staatsregierung ins rechte Licht. Da heißt es, in Bayern sei ein Alkoholverbot geplant, nach der Landtagswahl drohe das Ende für alle Ausnahmen beim Raucherschutz und man befürchte sogar ein Schweinsbratenverbot, wegen der negativen gesundheitlichen Folgen. Das ist gut gemachter Populismus, schürt Angst und bringt Stimmen. Die Taktik scheint vertraut, so funktioniert Wahlkampf in Bayern halt. Nur dass die meisten Mitglieder überhaupt nicht mitbekommen, dass sie mit dem Geld, dass sie abends im Wirtshaus zahlen, zur Ablösung der CSU beitragen sollen. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel des Raucherclubs Regensburg. Gründer Stephan Schießl, Besitzer der Bar „13“, berichtet von mittlerweile knapp 35000 Mitgliedern. Obwohl er eine vorher arbeitslose Sekretärin dafür bezahlt, dass sie die Namen, Geburtstage und Mitgliedsnummern in eine Datenbank eintippt, bleibt dem Verein noch Geld übrig. „Es sollte möglichst einfach für den Gast sein. Ein Mindestbeitrag ist vorgeschrieben, und 50 Cent hätten nicht gereicht. Deshalb ein Euro. Der Kohlhuber hat am Telefon mal gefragt, wie wir das machen. Ich hab’s ihm erklärt, dann hat er gemeint, er sollte mal bei uns einen Kurs belegen. Da hab ich gesagt: Ja, offensichtlich“, lacht Schießl. Wie viele andere Wirtshäuser hat auch die Klappe einige Gäste verloren. Die Hightech-Schnitzeljäger vom Geocacher-Stammtisch verzichten jetzt auf die berühmten Klappe-Schnitzel. Lautstark protestierend suchten sie sich eine andere Kneipe, auch die flugs eingeführten Nichtrauchertage konnten sie nicht zur Umkehr bewegen. Und Arthur, der Schöpfer des Kickermännchens, hat seine Vitrinen mit den schmiedeeisernen Kunstwerken aus der Klappe wieder mitgenommen. „Ich brauch’ doch keinen blöden Club, bloß weil ich mit meinen Freunden mal ein Bier trinken will.“ „Und schon gar keinen Club, der hinter meinem Rücken mit unserem Geld Politik macht“, fügt ein älterer Biker vom Nachbartisch hinzu. Das scheinen immer mehr Mitglieder zu bemerken. Zur medienträchtigen Gründung im Dezember 2007 kamen noch gut 2000 Wirte in den Münchner Hofbräukeller, aber bei der von Mitgliedern finanzierten, Plakat- und Flyer-unterstützten Großkundgebung im Juni, vom VEBWK vollmundig mit Parolen wie “Alles unter 1000 Besuchern ist eine Enttäuschung!” angekündigt, erschienen nur gut 300 Interessierte. Lautstark und motiviert haben die dann allerdings alle Äußerungen der zur Podiumsdiskussion eingeladenen CSU- und Grünen-Politiker mit Pfiffen und Buh-Rufen bis zur Unverständlichkeit übertönt. Argumente scheinen egal, im Herbst wählt Bayern einen neuen Landtag und einen Teil des Wahlkampfes haben die Raucher im VEBWK bezahlt. Spannend bleibt, wie viele Mitglieder der Verein nächstes Jahr hat. Stephan Schießl vom Regensburger Raucherclub grinst: „2009 fangen wir alle wieder bei Null an, und da ist keine Landtagswahl.“ Aber Kohlhuber und Bergmüller wollen ja nach der jüngsten Entscheidung des Verfassungsgerichtes mit dem VEBWK bundesweit an den Start gehen. Weil auch Ministerpräsident Beckstein den anderen Bundesländern zum bayerischen Gesetz rät, wird das Erfolgsmodell dann noch mehr Geld in die Kassen des Vereins spülen. Nächstes Jahr ist schließlich Bundestagswahl. Der Autor Der Regensburger Journalist und mehrfache Buchautor Markus Feilner ist beim Linux-Magazin in München beschäftigt. Mit seinem Consulting-Unternehmen Feilner-IT ist er seit einem guten Jahrzehnt ein fester Bestandteil der Regensburger IT-Landschaft. Obiger Artikel entstand als Abschlussarbeit an der Akademie der bayerischen Presse.
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Kommentare (1)

  • Bernhard Segerer

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    Ist doch gar keine so schlechte Idee beiden Gruppen (Rauchern & Nichtrauchern) was zu bieten! Ich geh inzwischen jedenfalls öfter in die Klappe – und schau halt vorher nach was grad für ein Tag ist.

Kommentare sind deaktiviert

drin