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Verdi im Theater Regensburg

Palermo in der Oberpfalz

Die Verdi-Oper „Un Ballo in Maschera“ macht das Theater am Bismarckplatz zum Spielplatz für üble Mafiosi.

Erst Freunde, dann Feinde: Riccardo (Yinjia Gong) und Renato (Lucian Petrean). Bild: Juliane Zitzlsperger / Theater Regensburg.

Erst Freunde, dann Feinde: Riccardo (Yinjia Gong) und Renato (Lucian Petrean). Bild: Juliane Zitzlsperger / Theater Regensburg.

Ein muskulöser junger Mann, der Oberkörper tätowiert und nur mit einem weißen Tanktop bekleidet. Lässig fischt er die letzte Zigarette aus der Pappschachtel, setzt sich vor die für Industrie- und Scherbenviertel charakteristische Wellblechfassade. Aus einer kleinen Kiste holt er einen Revolver. Spielerisch – oder doch ernst? – hält er ihn sich an die Schläfe, drückt ab. Klick. Keine Kugel. 

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So lässt Regisseur Matthias Reichwald seine Version von „Un Ballo in Maschera“ (zu deutsch: „Ein Maskenball“) beginnen, die am Sonntag im Theater am Bismarckplatz Premiere feierte. Die beherrschende Idee der Inszenierung wird schnell deutlich: Die Geschichte, die in Antonio Sommas Libretto im Boston des 17. Jahrhunderts spielt, wird in ein zeitgenössischeres Setting verlegt; die Gesellschaft der Protagonisten wird zur waschechten „Familia“; die sich abspielende Tragödie zum Mafia-Drama. 

Eher Refn und Fincher als Coppola und Scorsese

Dabei erinnert dieser Regensburger „Maskenball“ visuell und stimmungsmäßig weniger an Francis Ford Coppola oder Martin Scorsese als vielmehr an Nicolas Winding Refn oder David Fincher. Es ist eine düster-trostlose und von jedweder Ganovenromantik befreite Welt, in der Protagonist Riccardo, Gouverneur von Boston (in Regensburg eher Junior-Pate: Yinjia Gong), sich nach seiner Amelia (eher Grand dame als Gangsterbraut: Theodora Varga) verzehrt, die unglücklicherweise die Frau seines Sekretärs und Vertrauten Renato (erinnert an Marcellus Wallace: Lucian Petrean) ist. 

Als Renato erfährt, dass ihm die Hörner aufgesetzt wurden, schwört er Blutrache an Riccardo und verbündet sich mit einer Clique Verschwörern, die es schon lang auf den Gouverneur abgesehen haben. Der Mordanschlag soll beim titelgebenden Maskenball verübt werden – jedwede Konsequenz wird in Kauf genommen.

Amelia (Theodora Varga) und Page Oscar (Anna Pisareva) kurz vor dem titelgebenden Maskenball. Bild: Juliane Zitzlsperger / Theater Regensburg.

Amelia (Theodora Varga) und Page Oscar (Anna Pisareva) kurz vor dem titelgebenden Maskenball. Bild: Juliane Zitzlsperger / Theater Regensburg.

Zwei Stunden über Tod, Liebe und Rache

Konsequenz, das ist ein gutes Stichwort bei dieser Produktion. Konsequent, aber eben auch recht naheliegend ist die Regieentscheidung für ein Mafiasetting. Immerhin handelt es sich um eine Oper, in der sich ein verschworener Klan zwei Stunden lang auf italienisch über Tod, Liebe und Rache ansingt. Aber auch darüber hinaus geht es in diesem „Maskenball“ um Konsequenzen.

Für Renato gibt es keine andere Konsequenz, als dass Riccardo sterben muss. Und das, obwohl dessen Techtelmechtel mit Amelia zumindest keine (biologischen) Konsequenzen hat, ja, Riccardo versichert sogar, er habe Amelia gar nicht angerührt (obwohl er es vorgehabt hatte).

Renato selbst hingegen wird immer wieder von einem schwangeren Mädchen aufgesucht, das ihn zur Rede stellen will. Doch nie kommt es zur direkten Konfrontation, immerfort wird die Frau von einem Handlanger der Familia (ein kongenialer Warboy: Tamás Mester) zurückgedrängt, weggeschickt, schließlich sogar niedergeschlagen. 

Eine Glanzleistung des gesamten Ensembles

Das ist die brutale Logik, die Konklusion dieses Stoffs, die das Regieteam um Reichwald nicht allzu aufdringlich, aber doch unumdeutbar betont: Die außerehelichen Abenteuer des mächtigen Vaters Renato, obgleich mit unbestreitbaren Konsequenzen in Form eines ungeborenen Kindes, scheinen eben keine weiteren Folgen nach sich zu ziehen; die der Mutter, obwohl nicht über ein keusches Treffen im Wald hinausgekommen, müssen mit dem Tod gesühnt werden.

Was diesen „Maskenball“ letztlich so sehenswert macht, ist aber weniger die Regie als vielmehr die – in Produktionen des Regensburger Theaters zur Regel werdende – Glanzleistung des gesamten Ensembles. Besonders hervorgehoben werden muss Lucian Petrean, der den Renato in einem dermaßen raumgreifenden, dermaßen resonierenden Bariton singt, dass man ihm einen Kuss auf die Glatze drücken möchte. Yinjia Gong singt den Riccardo nicht minder gut, läuft vor allem gegen Ende der Oper zu hervorragenden Leistungen auf. 

Der Trunkenbold (Matthias Wölbitsch) und der Ausputzer (Tamás Mester). Bild: Juliane Zitzlsperger / Theater Regensburg,

Der Trunkenbold (Matthias Wölbitsch) und der Ausputzer (Tamás Mester). Bild: Juliane Zitzlsperger / Theater Regensburg,

Frenetischer Applaus zur Premiere

Die Damen sind nicht minder hörenswert. Ihren vergleichsweise kurzen Auftritt als Wahrsagerin Ulrica im knallroten Jumpsuit meistert Vera Egorova routiniert. Theodora Varga singt die Amelia mit viel Hingabe, steht letztlich aber etwas im Schatten der herausragenden Anna Pisareva. Die wird für ihre freche, leichtfüßige, manchmal geradewegs hedonistische Interpretation des Pagen Oscar zurecht mit frenetischem Applaus bedacht.

Mit Verdis „Maskenball“ und der kürzlich zur Premiere gekommenen „Salome“ von Richard Strauss kann man in Regensburg derzeit beinahe die ganze Bandbreite der Opernmusik erleben – von für sich stehenden, mal schmachtenden, mal herzhaft donnernden Arien bis zum durchkomponierten Werk der wagnerischen Tradition. Es bleibt zu hoffen, das auch die neue Spielzeit ähnlich vielversprechend wird. 

Und letztlich ist es ja auch ganz schön, dass man das geflügelte Wort „Palermo in der Oberpfalz“ mal in einem anderen, ganz und gar künstlerischen Kontext hört.

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Kommentare (1)

  • Achim Hubel

    |

    Die Rezension von David Liese gefällt mir sehr; sie entspricht genau dem Eindruck, den ich von dieser hervorragenden Inszenierung hatte. Im Bereich der Oper ist das Ensemble zu einer Einheit zusammengewachsen, die schon bei der “Salome” überzeugte und sich nun erneut bestätigte. Ich war gestern in der Vorstellung und habe als den Pagen Oscar nicht Anna Pisareva erlebt, sondern Martina Fender. Wenn schon – der Rezension folgend – Frau Pisareva in der Rolle überzeugen konnte, dann gilt dies mindestens genauso für Frau Fender. Sie ist nicht nur eine wunderbare Sängerin, der die schwierigsten Partien und die kühnsten Koloraturen scheinbar mühelos gelingen, sondern auch eine faszinierende Schauspielerin und Tänzerin. Sie spielte den Pagen Oscar in einer großartigen Intensität: den schlaksigen, hoch aufgeschossenen Halbwüchsigen, halb Frau, halb Mann, mal kindlich, mal frühreif, frech und übermütig, aber auch unsicher und kontaktbedürftig, der leichtfüßig tanzend über die Bühne wirbelte, den ganzen Mafia-Clan aufmischte und dem Ensemble einen lockeren Schwung verlieh. Gegenüber der sentimentalen Schwermut des Stoffs war das eine erfrischende Bereicherung. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren: Frau Fender war alles andere als eine Zweitbesetzung!

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