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Verschämte Verlegung

Seit dem 23. April in Stadtamhof: Eine Bodenplatte vor dem Colosseum.
Einen offiziellen Termin gab es nicht, auch keine Mitteilung der Stadt Regensburg und selbst die Stadträte wurden nicht informiert. Trotzdem ist sie da: Die Bodenplatte vor dem ehemaligen KZ-Außenlager Colosseum in Stadtamhof. Im September 2009 beschloss der Kulturausschuss, dass „entweder mit einzelnen Metallplatten oder in einer größeren Bodenmetallplatte im Bürgersteig der umgekommenen Opfer gedacht werden“ sollte. Vorausgegangen war eine jahrelange Debatte um eine Gedenktafel am Gebäude selbst, die letztlich am Widerstand des Eigentümers scheiterte. Betrachtet man diese Debatte, die den Stadtrat, die Medien oder die alljährlichen Teilnehmer des Gedenkwegs für die Opfer des Faschismus beschäftigte, verwundert es, dass die Platte in aller Stille verlegt worden ist. Ebenso erstaunlich ist es, dass der Kulturausschuss, in dem die Stadträte dieses Thema mehrfach diskutiert haben, nicht über die Verlegung der Platte informiert wurde.

„Hätte gern noch über den Text geredet“

Der Beschluss vom September 2009 ist der letzte Termin, anlässlich dessen sich der Kulturausschuss mit der Bodenplatte befasst hat. Über den Text, für den laut Auskunft der Stadt das Amt für Archiv- und Denkmalpflege verantwortlich zeichnet, wurden die Stadträte denn auch nicht vorab informiert. Margit Kunc (Grüne) und Margot Neuner, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sind beide ziemlich überrascht, dass es nun diese Platte gibt – und zwar schon, wie die Stadt auf Anfrage mitteilt, seit dem 23. April. Darüber habe es nie eine irgendeine Information oder einen Bericht des dafür zuständigen Kulturreferenten gegeben, sagen beide übereinstimmend.
„Stadtamhof 5. Im Rückgebäude des ehemaligen Gasthauses Colosseum waren in den letzten Wochen der nationalsozialistischen Diktatur, vom 19. März bis zum 23. April, Häftlinge des Konzentrationslagers Flossenbürg untergebracht. Vor dem Haus mussten die Häftlinge, durch Unterernährung und Demütigungen geschwächt, zum Appell antreten.“ Text auf der Bodenplatte in Stadtamhof
Und während Margot Neuner zwar noch gern im Kulturausschuss über den Text geredet hätte, ihn aber nach dem ersten Vorlesen „gar nicht schlecht findet“, ist Margit Kunc nicht wirklich glücklich mit der Inschrift. „Was lange währt, wird doch nicht gut“, so ihr Kommentar.

Das Colosseum: „Verheerende Todesrate“

Etwa 400 Menschen waren in dem Außenlager des KZ Flossenbürg untergebracht. Der Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg, Dr. Jörg Skriebeleit, bezeichnet das Colosseum angesichts von mindestens 90 Außenlagern zwar als „eher unbedeutend“. Lebensbedingungen und Todesrate seien aber „verheerend“ gewesen. Die Gefangenen wurden hauptsächlich am Regensburger Hauptbahnhof als Zwangsarbeiter eingesetzt, insbesondere zum Bomben räumen. In nicht einmal sechs Wochen wurden mindestens 65 Menschen getötet. Am Ende des Todesmarsches, zu dem die Gefangenen in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 aufbrechen mussten, wurden am 2. Mai weniger als 50 Menschen von den Alliierten befreit.
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Kommentare (12)

  • Neuromancerr

    |

    Was für ein Bärendienst den die Stadt den Opfer erwiesen hat. Persönlich finde ich diesen Text sehr subtil geschrieben: Zwar weist man auf die Leiden der Opfer hin, das Wort KZ-Außenstelle wird aber nicht benutzt.
    Man fürchtet wohl, ähnlich dem Eigentümer, einen Imageverlust.
    So nicht! So ganz gewiss nicht, meine lieben anonymen Bodenplattenanbringer.
    Der Text ist eine verharmlosende Unverschämtheit und ein Schlag ins Gesicht der Opfer.
    Ausgetauscht muss er werden – und wage man es ja nicht über Mehrkosten zu jammern!

  • Neuromancerr

    |

    Ist für diese Tafel, ähnlich wie bei der Pylonen-Tor Inschrift, nicht die Untere Denkmalbehörde zuständig?
    Das wäre ja dann der Kulturrefrent Klemens U.
    Aber nein, dem würde so ein verbaler Ausrutscher sicher nicht zweimal, in Stadtamhof, passieren.

  • sven

    |

    wg. Facebook, “gefallen” tut mir das ganze natürlich garnicht, aber außer “gefällt mir” gibts ja keine option, willkommen i.d. der ” Wir-finden-alles+wunderbar-Gesellschaft”… Traurigess Bild das regensburg i.d. öffentlichkeit (wieder mal) von sich abgibt…
    Wie Hr. schlingensief schon zu Rgbg. sagte: Rgbg. ist nicht tod, es kann sich nur nicht bewegen… (sic!)

  • Ratisbonicus

    |

    Tja, in Regensburg ist Kultur halt ein Unger – scheind wohl ein neues Schimpfwort zu sein.

  • Erich Tolli

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    Laut Beschluss sollte „entweder mit einzelnen Metallplatten oder in einer größeren Bodenmetallplatte im Bürgersteig der umgekommenen Opfer gedacht werden.“

    Was aber sind die Aussagen der eingelassenen Tafel?
    Im genannten Rückgebäude seien in den letzten Wochen der NS-Diktatur (19.3-23.4. 1945) Häftlinge des KZ-Flossenbürg untergebracht gewesen, die (geschwächt durch Unterernährung und Demütigung) zum Appell antreten mussten.

    Wer aber – so könnte man fragen – waren die Häftlinge, wie viele waren sie, was geschah mit ihnen nach dem 23.4.?

    Warum mussten Sie zum Appell antreten, warum werden sie als „Häftlinge“ bezeichnet, was war ihr „Vergehen“?

    Gab es andere „Strafen“ als Appell, oder vielleicht sogar Tote? Wie viele? Welche?

    Zeichnet sich die nationalsozialistische Diktatur dadurch aus, dass sie „Häftlinge“ zum Appell antreten lies?

    Wie schon bei der sog. Napoleon-Unger-Inschrift im Pylonentor, wurde der Kulturausschuss auch hier bei der inhaltlichen Ausführung übergangen.
    Wenigstens brauchen die Damen und Herren des Ausschusses nicht den irreführenden und gedenkpolitisch aussagelosen Text verantworten.
    Wer trägt die Verantwortung für diese gedenklose Gedenktafel, die eher verwirrt als benennt und erinnert?

  • peter sturm

    |

    “demütigungen”?! ist wohl regensburgerisch für folter und mord.

    wer für diese art von geheimaktion verantwortlich ist, würde mich schon interessieren.
    bei jedem “ozapft iiis” tummeln sich kulturverantwortliche dieser stadt aber beim opfergedenken wird gekniffen.
    oh mei.

  • grace

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    Margit Kunc (Grüne) und Margot Neuner (SPD) und alle anderen Stadtraete sollten mal bei W. Kick nachlesen:

    Wilhelm Kick (1985): Sag es unseren Kindern – Widerstand 1933-1945, Beispiel Regensburg.

    S.47 – 49:
    auch S.192-193
    auch S.256
    auch S.335

    Vielleicht -da habe ich aber wenig Hoffnung- kann man sich dann dazu durchringen, die Platte mit diesem ungeheuerlichen, verharmlosenden und verdrehenden Inhalt unverzüglich entfernen zu lassen und mit einer Platte mit einem angemessenen und nichts unterschlagendem Text zu ersetzen.

    Thematisch geht es um Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und nicht um die Dokumentation eines Freizeitarrest.

  • peter sturm

    |

    der text wurde in einer referentenrunde bei anwesenheit aller drei bürgermeister entwickelt.(angeblich)

  • Cowboys im Vollrausch | Regensburg Digital

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    […] plötzlich – im vergangenen April – war sie da, diese Platte. Klammheimlich verlegt, ohne dass der Stadtrat irgendetwas davon erfahren hätte. Mit einem Text, dessen Verfasser nicht […]

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    […] Heftige Kritik gab es seitdem auch bei jedem Gedenkweg an der misslungenen Platte, die dort vor vier Jahren in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der Stadt im Boden eingelassen […]

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    […] Gutachtens über die Bodenplatte vor der ehemaligen KZ-Außenstelle Colosseum fiel eindeutig aus. Klammheimlich war sie zwei Jahre zuvor verlegt worden, mit einem, so die Gutachter, verschleierndem Text, in dem die Gräuel und die mindestens 53, […]

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