Bunte Stühle im Schwarzbuch: Eine fragwürdige Lobbyorganisation schreibt ab
Der „Bund der Steuerzahler“ sieht sich gern als finanz- und steuerpolitisches Gewissen der Nation. Ganz abgesehen davon, dass das eine sehr eigenwillige Sicht der Dinge ist, hat der Verein kein Gewissen, wenn es um das Abschreiben von Recherchen und Texten anderer geht.

Die bunten Stühle beim Luxusklo am Schwanenplatz finden sich im aktuellen Schwarzbuch des Bund der Steuerzahler. Foto: Archiv
Das Schwarzbuch des „Bund der Steuerzahler“ (BdSt) kann für Journalisten eine dankbare Quelle sein. Wer berichtet nicht gern darüber, dass das „steuer- und finanzpolitische Gewissen der Nation“, das vermeintlich für die Gesamtheit der steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger spricht, einen Skandal in der eigenen Gemeinde aufgedeckt hat. Regensburg scheint in dieser Hinsicht besonders dankbar zu sein.
Das neue Fußballstadion, die Sanierung der Tiefgarage an der Universität, das neue Vorklinikum der Uni und natürlich das Luxusklo am Schwanenplatz. Gleich zwei Mal in Folge schaffte es die mondäne Toilette ins Schwarzbuch. Da gibt es immer schön was zu berichten.
Maßlose Übertreibung
Wen interessiert es da, dass die Behauptung, man sei mit etwas mehr als 200.000 Mitgliedern die „größte Organisation der Welt“ (der BdSt über den BdSt) maßlos übertrieben ist. Dazu muss man gar nicht in die weite Welt hinaus.
Der ADAC beispielsweise hat rund zehn Mal so viele Mitglieder. Unter dem Dach des Deutschen Fischereiverbands sind mehr als drei Mal so viele Mitglieder organisiert wie beim BdSt. Und auch der Lohnsteuerhilfeverein überholt den BdS mit über 300.000 Mitgliedern deutlich.
Lobbyorganisation für Besserverdienende
Auch vertritt der BdSt bei weitem nicht die Mehrheit oder den Durchschnitt der Steuerzahler, sondern in erster Linie gut Betuchte mit seinen Forderungen. Steuerhinterziehung, Steuerflucht und Steuervermeidung sind für die neoliberale Lobbyorganisation kein Thema. Stattdessen: schlanker Staat, Gegnerschaft zu Vermögens- und Erbschaftssteuer, Forderungen im Sinne Besserverdienender und gegen den Sozialstaat.
Das deckt sich mit den Interessen eines engen Kooperationspartners: der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, einer vielfach kritisierten Lobbyorganisation, die sich aus Töpfen der Arbeitgeberverbände speist (mehr bei Lobbypedia).
Das Schwarzbuch: ein Kessel Abgeschriebenes
Fraglich ist auch, ob es sich bei den Skandalen, die das alljährlich erscheinende Schwarzbuch auflistet, tatsächlich um solche handelt. Und selbst wenn: Es ist ärgerlich, wenn diese Skandale entgegen der Behauptungen des BdSt nicht durch eigene Recherche „aufgedeckt“ werden, sondern inhaltlich meist von anderen Medien oder den Rechnungshöfen abgeschrieben werden, die das tatsächlich aufgedeckt haben – ohne Quellenverweis.
Medien wiederum, auch wir, zitieren das Schwarzbuch und verschaffen dem als gemeinnützig anerkannten Verein eine mediale Aufmerksamkeit, die er nicht verdient.
Reichlich aus einer Glosse bedient
Fast schon amüsant ist der aktuelle Text im Schwarzbuch zu den neuen Stühlen bei der Luxustoilette am Schwanenplatz in Regensburg. Wir berichteten darüber letzten November. Maria Ritch, ihres Zeichens Autorin für den BdSt, schreibt hier gleich passagenweise wortwörtlich von uns ab.
Das fällt vor allem deshalb auf, weil es sich bei dem Text, aus dem sich Frau Ritch so reichlich bedient um eine naturgemäß nicht völlig ernst gemeinte Glosse handelt und beispielsweise die Bezeichnung der neuen Stühle als „futuristisch und zeitlos“ sich ausschließlich dort wiederfindet.
Immerhin: Am Ende kündigt Frau Ritch an, dass man gespannt sei, wie die Sache weitergeht. Und vielleicht steht dann mal wieder etwas im Schwarzbuch – sofern MZ oder Regensburger Zeitung oder regensburg-digital darüber berichten und der BdSt es abschreiben kann.





Mr. T.
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Der “Bund der Steuerzahler” ist also eher so eine Selbsthilfegruppe für Steuergeschädigte.
Schubidu
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Danke für die Information, war mir so nicht bewusst.
Wilfried Süß
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Vor Jahren habe ich Reiner Holznagel einmal angeschrieben und ihm unseriöses Agieren vorgehalten. Er antwortete prompt (sinngemäße Wiedergabe), ja, um maximale Wirkung zu erzielen, würde er sich auch kleinere Fälle herauspicken, mit denen er dann spektakulär überzeichnen und bewusst provozieren kann. Soweit zum Geschäftsprinzip. Ich sehe nicht ein, warum man mit öffentlichem Geld nichts Schönes und Zweckmäßiges nach aktuellem Standard schaffen darf. Da sitzen dann z. B. Polizeikräfte in trister Arbeitsumgebung mit billigster, abgewohnter Ausstattung. Wird ein Rathaus eingerichtet, moniert man den hohen Preis für den repräsentativen Schreibtisch des Bürgermeisters. Leute, der ist Gemeindeoberhaupt, sozusagen der CEO eines Unternehmens, verantwortet Umsätze im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich und repräsentiert tausende von Menschen! Dieser Schreibtisch steht u. a. gesellschaftlich für den kulturellen Level einer Kommune. Was Holznagel aber anprangern könnte: Da schlagen Architekt:innen für Behörden z. B. gute, nicht ganz billige Bürostühle aus deutscher Produktion als Erstausstattung vor. Zeigen die Stoffbezüge nach fünf Jahren Spuren von Verschmutzung, werden sie nicht gereinigt, weil im laufenden Etat hierfür keine Mittel eingestellt sind. Man wartet dann noch zwei oder drei Jahre, bis zusätzlich eine gewisse Abnutzung eintritt und beantragt dann eine Ersatzbeschaffung. Die guten Stühle werden gegen billigste aus Nicht-EU-Staaten ausgetauscht. Das freut dann den BdSt. Dass der Hersteller der Originalstühle diese hätte für weitaus weniger Geld aufbereiten können, ist weder bekannt noch erwünscht.
Dominik Müller
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Ach, welch investigatives Meisterwerk! Endlich jemand, der sich mutig dem ganz großen Skandal widmet: ein Verein, der jedes Jahr auflistet, wie das Steuergeld der Bürger verprasst wird. Unfassbar! Wo kämen wir denn hin, wenn man Verschwendung beim Namen nennt – noch dazu in Regensburg, dieser Oase der makellosen Verwaltung.
Aber zum Glück hast du das wahre Verbrechen aufgedeckt: Abschreiben. Ja, man höre und staune! Eine Autorin des Bundes der Steuerzahler soll Formulierungen aus einer Glosse übernommen haben. Glosse! Welch Sakrileg. Wenn das keine Staatsaffäre ist, was dann? Vielleicht sollten wir sofort einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur „Copy-Paste-Krise“ einberufen.
Natürlich bleibt dabei unbeachtet, dass der Bund der Steuerzahler jedes Jahr unzählige Missstände dokumentiert, die sonst niemand anspricht – aber sei’s drum. Hauptsache, man kann das Ganze als „neoliberale Lobbyorganisation“ brandmarken. Eine bequeme Schublade spart schließlich Recherche.
Und wie elegant du dich durch Zahlen turnst: Der ADAC hat mehr Mitglieder! Der Fischereiverband auch! Ja, wunderbar. Weil ein Angelverein natürlich die bessere Vergleichsgröße für eine steuerpolitische Vereinigung ist. Wenn das dein Maßstab ist, dann sollte der Bund der Steuerzahler vielleicht auch noch Boote verleihen oder Motoröl verkaufen, um mitzuhalten.
Dann die große Empörung: Der Verein setze sich für „Besserverdienende“ ein. Wie unerhört, dass jemand fordert, der Staat möge effizient wirtschaften. Fast schon unsolidarisch, dass man nicht noch ein paar neue Behörden gründet, um über die alten zu wachen. Und Steuererhöhungen für alle – das wäre doch mal was!
Doch der eigentliche Coup de grâce: Der Vorwurf, das „Schwarzbuch“ sei „abgeschrieben“. Ja, klar – weil sich Fakten nun mal schwerlich jedes Jahr neu erfinden lassen. Und wenn der Bund der Steuerzahler aufgreift, was vorher ein Rechnungshof oder ein Medium meldete, dann ist das natürlich „dreist“. Nur wenn Medien voneinander abschreiben, nennt man es „Presseschau“.
Zum Schluss dann der Triumph: ein paar Stühle am Luxusklo. Welch Symbolik! Wo andere über Milliardenverluste schreiben, da spürt der echte Journalist den wahren Nerv der Nation – den Plastikstuhl in der öffentlichen Toilette.
Also bitte, lieber Herr Aigner, bleib dran. Der Steuerzahlerbund wird es verschmerzen, von dir als moralisch verwerflich und intellektuell minderbemittelt bezeichnet zu werden. Aber vielleicht, nur ganz vielleicht, wäre es einen Gedanken wert, dass man Bürgerinteressen auch vertreten kann, ohne sich dafür zu entschuldigen. Und dass Effizienz kein Verbrechen ist.
Oder um es in deinem Duktus zu sagen: Das Schwarzbuch mag „ein Kessel Abgeschriebenes“ sein – aber immerhin eines mit Substanz. Im Gegensatz zu manch journalistischem Kommentar, der schon am eigenen Spiegelbild genug Material findet.
tom lehner
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Danke für diesen Artikel.
Der BdSt, die “Familienunternehmer e.V. etc. und viele andere Vereinigungen sind reine Lobbyinstitutionen die sich der Verhinderung sozialer Gerechtigkeit verschrieben haben.
Wetten das das auch die AfD nicht ändern wird?
Studi
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@Dominik Müller
10. Oktober 2025 um 11:09
Wenn ein Text nahezu wortwörtlich übernommen wird, ohne Quellenangabe, ist das kein Kavaliersdelikt, sondern schlicht Urheberrechtsverletzung, und damit prinzipiell eine Straftat.
Zudem ist der BdSt nicht neutral, sondern ein privater Lobbyverband, der wirtschaftspolitische Positionen vertritt, die klar neoliberal geprägt sind–also inhaltlich nahe bei CDU, FDP und vor allen Dingen AfD liegen. Hinter Schlagworten wie “Entbürokratisierung“ oder “Steuersenkung“ verbirgt sich in der Praxis oft eine Politik, die staatliche Handlungsfähigkeit schwächt, öffentliche Leistungen abbaut und Vermögende entlastet, während der gesellschaftliche Ausgleich auf der Strecke bleibt.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist gut belegt, dass solche angebotsorientierten Konzepte (Steuersenkungen und Deregulierung für Investitionsschübe) nicht nachhaltig funktionieren. Sie führen im Gegenteil sogar oft zu Investitionszurückhaltung, weil Nachfrage und öffentliche Infrastruktur vernachlässigt werden.
Der BdSt vertritt damit nicht die Interessen der “einfachen Bürger”, sondern vor allem “Familienunternehmer”, Mehrfach-Immobilienbesitzer und andere Privatiers, die von einem schwachen Staat und niedrigen Steuern profitieren.
Das Problem ist also die Scheinneutralität und die politische Agenda.
Dominik Müller
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Hier war am Freitag zum zweiten Mal ein anderer Dominik Müller am Werk. Zur Unterscheidung verwende ich künftig Dominik Müller_alt als Name und hoffe, dass nicht auch dies nachgeahmt wird.