Dünne Personaldecke, Überforderung, Depression: Regensburger Polizeibeamter hortete beängstigendes illegales Waffenarsenal
Nach einer Durchsuchung vor drei Jahren musste sich ein leitender Polizeibeamter am Montag vor dem Amtsgericht Regensburg verantworten. Waffen fanden die Ermittler in seinem Auto, einer Garage und seinem Büro.
Der Angeklagte mit seinem Strafverteidiger Georg Karl. Foto: as
Fast ein Zentner Munition, ein halbes Kilo Schwarzpulver, Dutzende Handfeuerwaffen, Schlagringe, Totschläger, Wurfsterne und über 100 teils verbotene Messer. Was Polizeibeamte bei einer Durchsuchung vor drei Jahren im Büro eines Kollegen, seinem Pkw und einer angemieteten Garage sicherstellten, klingt verstörend. Das Waffenarsenal des heute 55-Jährigen beinhaltete sogar panzerbrechende Munition, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt.
Am Montag musste sich der Mann vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Daniel Killinger verantworten. Neben illegalem Waffenbesitz wirft ihm die Staatsanwaltschaft den Besitz von verbotenen Gegenständen in 150 Fällen sowie Unterschlagung in 89 Fällen vor.
Großes Waffenarsenal: „In Qualität und Quantität war das sehr breit aufgestellt.“
Über die Jahre hatte der frühere stellvertretende Kommissariatsleiter der Kripo Regensburg Briefe an seine Lebensgefährtin zurückbehalten und in Kartons verstaut: Rechnungen, Mahnbescheide, Vollstreckungsankündigungen.
Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft spricht von einer „beängstigenden Mischung“ an Waffen, die der Angeklagte gehortet habe. „In Qualität und Quantität war das sehr breit aufgestellt.“
Doch anstelle eines verhinderten Preppers oder heimlichen Reichsbürgers mit Umsturzphantasien erleben die Zuschauer im Sitzungssaal 103 einen Mann, der über die Jahre immer weniger mit den Belastungen seines Arbeits- und Privatlebens klarkam. Einer, der Rechnungen nicht mehr bezahlte, Briefe nicht mehr öffnete und sich um nichts mehr kümmerte – bis es schließlich zum Totalabsturz kam.
Jahrelange Depression bis zum Totalabsturz
Kurzzeitig war der Polizeibeamte sogar obdachlos, schlief in seinem Pkw und übernachtete heimlich im Büro, während sein Auto mit einem Platten und abgelaufenem TÜV in der Tiefgarage des Polizeipräsidiums stand. Monate hatte es gedauert, bis das Kollegen auffiel.
Es habe wohl schon 2013 angefangen, erzählt der Angeklagte in seiner umfänglichen Einlassung. „Das sehe ich jetzt im Rückblick so.“ Als stellvertretender Leiter des Kommissariats habe er seine ohnehin in Arbeit erstickenden Kollegen nicht noch mehr belasten wollen. „Die Personaldecke war damals sehr dünn.“
Er habe stattdessen die Fälle auf seinen Schreibtisch geholt, wo sie sich stapelten und auch er sie nicht oder nur schleppend zum Abschluss brachte. „Damals habe ich aber noch nicht gemerkt, dass ich ein Problem habe. Ich hab mir gedacht, das krieg ich schon hin.“
Wohnungsräumung drohte
Über die Jahre aber verschärften sich seine psychischen Probleme. Die psychiatrische Sachverständige Dr. Susanne Lausch spricht von einer depressiven Phase von zunehmend schwerwiegendem Ausmaß. „Irgendwann habe ich mich um nichts mehr gekümmert.“ Er stellte die Mietzahlungen ein, leerte den Briefkasten, um das Ganze vor seiner Lebensgefährtin zu verheimlichen.
Die ungeöffneten Schreiben in teils einschlägigen Farben wanderten in Kartons. „Ich nahm mir vor, mich später darum zu kümmern, habe es aber nicht gemacht, aber dann hatte ich das erstmal aus dem Kopf.“ Kurzzeitig wären er und seine Partnerin mit ihren Kindern fast aus ihrem Haus geflogen – trotz eines mehr als auskömmlichen Einkommens.
Angeklagter kümmerte sich um nichts mehr
Die Mutter des Angeklagten starb, kurz darauf auch sein Vater. In der Arbeit hatte er mit disziplinarrechtlichen Problemen wegen der angehäuften Akten zu kämpfen. Der Mann, der seit Kindesbeinen im Schützenverein war, ließ seinen Jagdschein und seine Waffenbesitzkarten nicht verlängern. Kümmerte sich nicht darum.
Alte Munition, die er bei der Wohnungsauflösung seines Vaters fand und die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt, packte er einfach in einen Karton und verstaute ihn zwischen der unterschlagenen Post und anderen Gegenständen.
Eine Kurzzeittherapie, die der Mann auf Anregung seines Vorgesetzten machte, brachte nur geringfügig Besserung. „Glücksmomente“ habe es ihm noch beschert, wenn er sich mal wieder ein neues Messer gekauft habe. Weit über hundert wurden sichergestellt – Butterfly, Spring- und Faustmesser.
„Es war immer das Gefühl da, dass das irgendwann in der Katastrophe endet.“
„Es war, als würde ich einen Fremden beobachten“, erzählt der Polizist. „Es war immer das Gefühl da, dass das irgendwann in der Katastrophe endet.“ Diese Katastrophe kam auch. Die Beziehung mit seiner Lebensgefährtin zerbrach endgültig.
Er flog aus der Wohnung. Irgendwann fiel Kollegen auf, dass er heimlich im Büro schlief – und die Sache mit dem maroden Auto in der Tiefgarage. Er kam ins Bezirksklinikum. Bei der Durchsuchung von Büro und Pkw im September 2022 fanden Kollegen des Mannes die ersten Waffen und Munition. Auf die Bestände in der Garage machte er sie selbst aufmerksam. Anders wären die Ermittler wohl nie darauf gekommen.
„Erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit“.
Bei der Verhandlung am Montag kommt heraus: Hätte der Mann sich um die Verlängerung von Jagdschein und Waffenbesitzkarte gekümmert, wäre der Besitz vieler bei ihm aufgefundenen Waffen wohl legal gewesen. Das gilt auch für einen Großteil der Munition, abgesehen von den Beständen die er bei der Wohnungsauflösung seines Vaters mitnahm anstatt sie zu melden.
Die psychiatrische Sachverständige Dr. Susanne Lausch sieht bei dem Angeklagten aufgrund seiner schweren Depression eine „erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit“. Kein Antrieb, keine Motivation, Pflichtvernachlässigung, die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Damit liege mit hoher Wahrscheinlichkeit eine verminderte Schuldfähigkeit (§21 StGB) vor.
Zehn Monate und zwei Wochen auf Bewährung: „Das ist kein mildes Urteil.“
Das bewahrt den 55-Jährigen am Ende vor einem sofortigen Verlust seiner Pensionsansprüche, der mit einer Verurteilung zu zwölf Monaten Haft automatisch einher gegangen wäre. Doch das Gericht sieht aufgrund der gutachterlichen Einschätzung einen minderschweren Fall und kommt zu einem Strafmaß von zehn Monaten und zwei Wochen – ausgesetzt zur Bewährung.
Zusätzlich muss der Mann, der derzeit bei vollen Bezügen vom Dienst freigestellt ist, 5.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. „Das ist kein mildes Urteil“, betont Richter Killinger. Es bewegt sich bei einem Drittel des maximal möglichen Strafmaßes von drei Jahren.
Disziplinarverfahren folgt
Denn einerseits werte man zwar das vollwertige Geständnis des Angeklagten und sein kooperatives Verhalten im Vorfeld der Durchsuchung als strafmildernd. Ebenso geht das Gericht mit weitgehender Sicherheit von einer verminderten Schuldfähigkeit aus. „Ihre Depression hat Auswüchse angenommen, die sprachlos machen und die mit normalen Kategorien nicht mehr erklärbar sind.“
Andererseits aber sehe man das beängstigende Waffenarsenal, das der Mann angehäuft war, insbesondere die Kriegsmunition aus Beständen des Vaters. Neben den angeklagten Schusswaffen besaß der Mann auch noch 90 legale Waffen. Sie werden mit seinem Einverständnis ersatzlos eingezogen. Ob der Mann seine Pensionsansprüche tatsächlich behält, entscheidet das nun anstehende Disziplinarverfahren.
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Mediator
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Beim lesen des Berichts ist mir irgendwie klar geworden, dass so etwas ähnliches wohl jedem von uns geschehen kann, wenn da nicht rechtzeitig ein Netzwerk auf Freunden und Bekannten aufmerksam wird. Wenn kleinste Verrichtungen unendlich schwer werden, dann geht es schnell bergab.
Die Sache mit den Waffen ist eine andere Nummer. Hier merkt man deutlich, dass nicht wirklich effektiv kontrolliert wird, sowohl im Vorfeld beim Bedarf als auch im Nachgang bei der Lagerung und Nutzung. In diesem Fall war der Waffenbesitzer depressiv, aber es soll auch andere Formen psychischer Erkrankungen geben, bei denen ein halber Zentner Munition durchaus problematisch sein kann.