„Antisemitismus ist ideologische Klammer der AfD.“
In seinem neuen Buch analysiert der Publizist und Gewerkschafter Stefan Dietl den Antisemitismus in der AfD. Der sei zentral für die ideologische Ausrichtung der Partei. Für Dietl ist klar: Antisemitismus dient innerhalb der AfD als verbindendes Element verschiedenster Strömungen. Er sei kein Nebenschauplatz. Wir haben mit Dietl über sein Buch, ein mögliches Verbotsverfahren und Antsemitismus jenseits der AfD gesprochen.
In seinem Buch beschäftigt sich Stefan Dietl mit Antisemitsmus in der AfD, aber auch bei Islamisten und (vermeintlichen) Linken. Fotos: privat
Herr Dietl, zuletzt war ja viel über ein mögliches Verbot der AfD und die Einstufung durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextreme Partei die Rede. Wie haben Sie die Debatte wahrgenommen?
Zunächst einmal ernüchternd. Obwohl immer wieder zigtausende Menschen für ein Verbot der AfD auf die Straße gehen, obwohl die Demonstrationen für die Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens zu den größten der vergangenen Jahre gehörten, hat es der Bundestag nicht geschafft ein Verbotsverfahren wenigstens in die Wege zu leiten. In Regensburg waren kurz vor der Bundestagswahl mehr als 20.000 Menschen auf der Straße.
Die Ängste „besorgter“ Bürger scheinen aber in der politischen Debatte nur dann eine Rolle zu spielen, wenn sich damit Asylrechtseinschränkungen und Grenzkontrollen rechtfertigen lassen.
Das klingt, als seien Sie etwas ernüchtert, was das Verbotsverfahren angeht. Inzwischen hat die AfD-Spitze ihren Leuten neue „Verhaltensregeln“ auferlegt. Man will sich offenbar gemäßigter geben. Wie bewerten Sie das?
Die AfD ist in ihrer Mehrheit heute eine völkisch-nationalistische, teils offen faschistische Partei. Ihre Mitglieder träumen vom Umsturz. Dabei wollen sie sich den Mitteln der liberalen Demokratie bedienen: Mit Hilfe von Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Pressefreiheit soll eben diese Demokratie beseitigt werden. Die AfD propagiert den Kampf gegen Emanzipation, Individualismus, Pluralität, und Universalismus. Sie steht gegen die Idee von Gleichheit und eines selbstbestimmten Lebens.
Kein Anlauf für AfD-Verbotsverfahren – „ein historisches politisches Versagen“
Wenn das alles so offensichtlich ist, und in den letzten Jahren auch regelmäßig herausgearbeitet wurde, warum tut sich die Politik dann so schwer mit einem Verbotsverfahren?
Die Abgeordneten des Bundestages, wie auch der Bundesrat und die Bundesregierung – das sind ja die drei Stellen, die so ein Verfahren einleiten könnten – hätten meiner Einschätzung nach geradezu die Pflicht, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der AfD dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Dass dies nicht geschieht, ist ein historisches politisches Versagen.
Sind die Bedenken, das Verbotsverfahren könne scheitern und der AfD sogar in die Karten spielen, denn völlig unberechtigt?
Ich sehe nicht, das die AfD daraus einen größeren Nutzen ziehen könnte. Die Opferrolle beherrscht die Partei schon heute perfekt. Daran würde sich also unabhängig vom Verfahren nichts ändern. Auch die NPD konnte vom gescheiterten Verbotsverfahren nicht profitieren. Das grundlegende Problem lässt sich aber im Übrigen leider auch mit einem Verbot der AfD nicht lösen
Das da wäre?
Das menschenverachtende Denken, das die Grundlage dafür ist, sein Kreuzchen bei der AfD zu machen. Das bleibt ja vorhanden, auch wenn die Partei formal nicht mehr existiert. Und natürlich würde sich mit der Zeit eine neue Partei herausbilden die in die Fußstapfen der AfD tritt.
„Ein AfD-Verbot verschafft uns Zeit.“
Nichtsdestotrotz halten Sie ein Verbotsverfahren für notwendig. Widerspricht sich dass nicht?
Ein Verbot würde der AfD ihr Geschäft der Hetze erschweren und der extremen Rechten die Mittel entziehen. Zum anderen würde es uns Zeit geben, politisch wirkungsvolle Strategien gegen die AfD und gegen die Verankerung extrem rechten Denkens zu entwickeln. Ein Zeitgewinn, der dringend notwendig ist – vergegenwärtigt man sich, dass die AfD in mehreren Bundesländern davor steht nicht nur stärkste Kraft zu werden, sondern auch die Regierung zu übernehmen.
Wenn ich Ihr aktuelles Buch richtig verstehe, dann steht zum Beispiel in Thüringen mit einem Björn Höcke nicht nur eine völkisch-nationalistische Partei womöglich bald in Regierungsverantwortung. Sie sagen, ein Grundelement der AfD ist gerade auch ihr Antisemitismus. In der Auseinandersetzung mit der Partei ist davon sonst kaum die Rede. Ist die Debatte falsch oder Ihr Buch?
Ich finde es tatsächlich bezeichnend, dass Antisemitismus in der öffentlichen Wahrnehmung der AfD kaum eine Rolle spielt. Immer wieder attackiert die Partei unter Rückgriff auf antisemitische Stereotype prominente Vertreter jüdischen Lebens. Führende AfD-Funktionäre teilen antisemitische Verschwörungserzählungen oder relativieren die Verbrechen des Nationalsozialismus. Trotzdem kommt der Antisemitismus in der Debatte um die AfD kaum vor.
„Antisemitische Bilder prägen die Programmatik der AfD.“
In Ihrem Buch nennen Sie mehrere Beispiele, die den Geschichtsrevisionismus und die Relativierung der Shoa als prägend für die AfD aufzeigen. Können wir das vertiefen?
Ich analysiere die Verschwörungsmythen der AfD, in denen immer wieder vermeintliche Vertreter des „Weltjudentums“ als Strippenzieher weltweiter Krisen, Kriege und Katastrophen ausgemacht werden. Ich zeige die tiefe Verankerung antisemitischer Stereotype und Ressentiments in der AfD auf. Dabei lässt sich feststellen, dass gerade antisemitische Bilder die Programmatik der AfD prägen. Das zeigt sich in politischen Kampagnen und durchzieht die Veröffentlichungen der Partei, insbesondere auf sozialen Medien.
Regelrecht berühmt ist heute Höckes Dresdener Rede 2017, in der er das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnete. Sie haben aber doch sicher noch weitere Beispiele?
In meinem Buch gehe ich unter anderem auf einen Fall aus Bayern ein. Die AfD-Fraktion hatte mit einer Anfrage an den Landtag für Aufsehen gesorgt, in der die Ausgaben der oberpfälzer Gedenkstätte KZ Flossenbürg aufgeschlüsselt werden sollten.
Das ist vielleicht keine übliche Anfrage, aber doch noch kein antisemitischer Vorfall.
Interessant ist der Inhalt der insgesamt sieben Fragen. Da geht es zum Beispiel konkret um das Treffen der ehemaligen KZ-Häftlinge zum 75. Jahrestag der Befreiung. Verlangt wurde eine genaue Kostenaufstellung. Im Landkreis Nürnberger Land stellten sich die Kreisräte der AfD gegen die Finanzierung eines Schulprojekts, das sich mit dem KZ-Außenlager Hersbruck beschäftigte. Begründung: Es gäbe Menschen, die sich dadurch „gedemütigt“ fühlten und die „keinem Tätervolk“ angehören wollten. Die Liste ließe sich fortsetzen.
„In Deutschland gibt es kaum ein Verständnis von Antisemitismus.“
Wenn das alles so offensichtlich ist, stellt sich erneut die Frage, warum das keine größere Rolle spielt?
Dass der Antisemitismus trotz der zahlreichen einschlägigen Skandale in der Partei kaum Beachtung findet, sagt für mich viel über die Unwissenheit und Ignoranz aus. Entgegen der eigenen Wahrnehmung als „Aufarbeitungsweltmeister“ gibt es in Deutschland kaum einen Begriff von Antisemitismus, kaum ein Verständnis seiner gesellschaftlichen Funktion, Wirkung und Genese.
Dann nutzen Sie doch einmal die Gelegenheit und erklären uns: Was ist Antisemitismus?
Der Antisemitismus ist nicht einfach nur ein Vorurteil unter vielen. Es geht nicht nur um eine Form der Diskriminierung. Der moderne Antisemitismus ist ein Welterklärungsmodell.
Ob wirtschaftliche Krisen, Feminismus, Liberalismus oder Kommunismus – als universelle Verschwörungserzählung beansprucht der Antisemitismus, alle gesellschaftlichen Verwerfungen zu erklären. Mit ihm werden unverstandene gesellschaftliche Verhältnisse rationalisiert, um Sinn aus einer als halt- und sinnlos empfundenen Welt zu gewinnen.
Sämtliche Zwiespältigkeit und Komplexität der schwer zu durchdringenden gesellschaftlichen Verhältnisse werden im antisemitischen Weltbild beseitigt. Er macht die Welt übersichtlich, greifbar und liefert einen eindeutigen Schuldigen: Und das ist am Ende dieser Erzählungen stets „der Jude“. Dabei funktioniert der Antisemitismus heutzutage unabhängig von konkreten historischen Erfahrungen oder der realen Präsenz von Jüdinnen und Juden.
Stefan Dietl bei einer Solidaritskundgebung vor der Synagoge in regensburg nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober.
In der Antisemitismusforschung hierzulande ist doch genau das, was Sie nun ausgeführt haben, mittlerweile herausgearbeitet.
In der Antisemitismusforschung ja. Darüber hinaus herrscht aber ein völlig unzureichendes Verständnis für die Genese des Antisemitismus und seine Funktion als Welterklärungsmodell. Das betrifft nicht nur den Umgang mit der AfD. Das haben wir während der Corona-Pandemie gesehen, als Verschwörungserzählungen schnell zu einer ganzen Protestbewegung geführt haben. Wir sehen das auch bei den antisemitischen Ausschreitungen und Protesten seit dem 7. Oktober 2023.
Sie meinen den Angriff der Hamas auf Israel.
Genau. Blickt man in die Medienlandschaft, aber auch auf Justiz und Polizei, scheinen die Erkenntnisse der Antisemitismusforschung der vergangene Jahrzehnte auch an diesen scheinbar spurlos vorbeigezogen zu sein. Und wenn man Antisemitismus nicht identifizieren kann, kann man ihn natürlich auch nicht benennen oder gar kritisieren.
„Nur in den wenigsten Fällen gab es innerparteiliche Konsequenzen.“
Sie sagten bereits, der Antisemitismus sei prägend für die AfD. Sehen Sie das schon in der frühen Phase der AfD, also etwa zur Lucke-Zeit? Oder kam das erst später auf?
Antisemitische Ressentiments und Stereotype werden von Vertretern der AfD seit ihrer Gründung transportiert. Es gab ja auch schon früh entsprechende Skandale auf die ich im Buch verweise. Der Antisemitismus ist im Denken der AfD strukturell angelegt. Es hat einen Grund, warum auch die Protagonisten vergangener Antisemitismusskandale in der deutschen Parteienlandschaft schon früh in der AfD eine neue politische Heimat gefunden haben.
Wilhelm von Gottberg zum Beispiel, der als vormaliger langjähriger CDU-Politiker immer wieder durch die Relativierung der Shoa von sich reden machte. Dank der AfD hat er es im hohen Alter noch zum Bundestagsabgeordneten gebracht. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann wurde 2004 aus der Union ausgeschlossen. Dank der AfD konnte auch er wieder im Bundestag Platz nehmen.
Schadet all das, was Sie in Ihrem Buch ja noch viel ausführlicher beschreiben einzelnen AfD-Politikern gar nicht? Gibt es innerhalb der eigenen Partei keinerlei Aufschrei?
Nein, eigentlich nicht. Nur in den wenigsten Fällen gab es innerparteiliche Konsequenzen. In fast allen Beispielen die ich im Buch beschreibe, taten entsprechende Äußerungen der weiteren Parteikarriere keinen Abbruch.
Mit Ausnahme des baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon.
Na ja. Dass der nach Jahren endlich aus der Partei ausgeschlossen wurde, ist darauf zurückzuführen, dass hier massiver Schaden angesichts einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu befürchten war.
„Mit der Israel-Solidarität der AfD ist es nicht weit her.“
Die AfD gibt sich gerne als besonders solidarisch mit Israel. Wie bewerten Sie das?
Tatsächlich ist es, wie ich in meinem Buch zeige mit der Israel-Solidarität der AfD nicht weit her. Nach dem 7. Oktober 2023 forderte die AfD schnell einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel. Diese Waffenlieferungen sind aber ein wesentlicher Aspekt, das Überleben des einzigen jüdischen Staates zu garantieren. Übrigens kollaboriert die AfD auch eng mit dem islamistischen Regime im Iran, das Israel mit der Vernichtung droht.
Das iranische Atomprogramm war durch die Angriffe der USA zuletzt wieder großes Thema. Vielleicht bleiben wir kurz bei diesem Punkt. Was hat die AfD mit Iran zu schaffen?
Immer wieder stellte sich die AfD in der Vergangenheit an sie Seite des Mullah-Regimes. Noch als die Machthaber in Teheran die Proteste nach der Ermordung von Jina Amini im Herbst 2022 gewaltsam niederschlug, forderte die AfD die Bundesregierung zu Verhandlungen über Gaslieferungen mit dem Iran auf.
Die AfD fordert eine Ende der Sanktionen gegen das antisemitische Regime im Iran und engere Wirtschaftsbeziehungen, bis hin eben zu einem Gasdeal mit den Mullahs. Ergänzt wird das durch verschiedene Verschwörungsmythen, die in Bezug auf den schon erwähnten Angriff der Hamas 2023 in der AfD und ihrem Umfeld kursieren. Von einer angeblichen Inszenierung des Massakers bis zur Behauptung, der Mossad oder die USA steckten dahinter.
Brandmauer: „Mein Vertrauen in die Standhaftigkeit der Konservativen ist begrenzt.“
Wenn ich Sie richtig verstehe, ist die vorgegebene Solidarität mit Israel rein instrumentell. Auch das scheint mir aber kaum diskutiert zu werden.
Dass die Inszenierung der AfD als israelsolidarische Partei so selten hinterfragt, sondern für bare Münze genommen wird, ist ein Versagen sowohl der Politik als auch der Medien. Lars Rensmann und Nikolai Schreiter von der Universität Passau haben den Mythos der Israel-Solidarität in der AfD erst kürzlich in einer empfehlenswerten Studie für das Centrum für Antisemitismus- und Rassismusstudien (CARS) an der Katholischen Hochschule Aachen entzaubert und anschaulich widerlegt.
Sagen Sie gerne kurz etwas zu deren Ergebnissen.
Sie kommen zum treffenden Schluss: „Von einer pro-israelischen Position bleibt bei der AfD seit dem 7. Oktober fast nichts übrig, vielmehr wird die allgemeine Radikalisierung der Partei deutlich, die auch mit einer gesamtgesellschaftlichen Verschiebung von Sagbarkeitsgrenzen im Feld des Antisemitismus, aber auch etwa bei Rassismus, Fragen von Migration und Geschichts-, Familien- und Geschlechterpolitik oder (selektiven) Kürzungen des Sozialstaats in Wechselwirkung stehen.“
Kommen wir einmal auf die viel diskutierte „Brandmauer“ zu sprechen. Abgesehen davon, wie hoch und stark sie tatsächlich ist, insbesondere von der Union aus: Antisemitismus kann doch selbst für einen Jens Spahn und schon gar nicht für Friedrich Merz zu tolerieren sein? Scheitert eine engere Zusammenarbeit also spätestens an diesem Punkt?
Ein Blick in die Vergangenheit, aber auch in unsere Nachbarländer, zeigt, was Konservative gegebenenfalls alles bereit sind, zu tolerieren. Der Antisemitismus war für die Konservativen in Österreich zumindest kein Hindernis für eine Koalition mit der FPÖ. Mein Vertrauen in die Standhaftigkeit eines Jens Spahn oder Friedrich Merz hält sich diesbezüglich auf jeden Fall in Grenzen.
„Eine Brandmauer existiert doch schon jetzt nicht mehr.“
Erneut zeigen sie nur wenig Optimismus.
Es bleibt natürlich zu hoffen, dass eine solche Kollaboration scheitert und es bleibt natürlich auch zu hoffen, dass sie nicht nur am Verhältnis der AfD zum Antisemitismus scheitert. Eine Regierungsbeteiligung der AfD, sei es in den Ländern oder im Bund, hätte ja nicht nur aufgrund des Antisemitismus fatale Folgen.
Die nächsten Monate werden zeigen, welche Lehren die Konservativen aus ihrer eigenen Geschichte gezogen haben. Der Versuch, völkische Nationalisten in der Regierung „einzuhegen“ oder gar zu „entzaubern“ hatte schon mal fatale Folgen.
Am Ende wird es aber nicht nur auf die Unionsparteien ankommen. Zuletzt ließ auch eine Sahra Wagenknecht aufhorchen. Zumindest auf Länderebene könnte ihr BSW, nimmt man die Politikerin ernst, ein Türöffner werden.
Natürlich wäre es verfehlt, nur mit dem Finger auf die Union zu zeigen. Eine Brandmauer existiert doch schon jetzt nicht mehr. Allerorts gibt es in Kommunalparlamenten und auch in Landesparlamenten gemeinsame Abstimmungen und Zusammenarbeit verschiedenen Zuschnitts mit der AfD – und eben nicht nur von den Unionsparteien.
Beinahe alle Parteien übernehmen die von der AfD verbreiteten rassistischen Narrative und zunehmend auch die entsprechenden politischen Forderungen. Die AfD dominiert den politischen Kurs und verschiebt ihn zunehmend nach rechtsaußen. Das halte ich in der aktuellen Situation für die größte Bedrohung.
Zudem kann sich die AfD so auch gegenüber ihren Wählern als erfolgreiche politische Kraft präsentieren. „AfD wirkt“ ist die Botschaft, die die Partei in sozialen Medien nach jeder Asylrechtsverschärfung sofort wieder verbreitet.
„Antisemitische Vorstellungen reichen weit in die Mitte der Gesellschaft.“
Eine von AfD-Mitgliedern seit Jahren in diesem Zusammenhang immer wieder verbreitete antisemitische Erzählung behauptet, es gäbe einen bewusst herbeigeführten „großen Bevölkerungsaustausch“. Die seit den Correctiv-Recherchen bekanntgewordene, aber schon länger bestehende „Idee“ der „Remigration“ spielt da mit hinein. Hat das der Partei denn überhaupt nicht geschadet?
Scheinbar nicht, blickt man auf die Wahlerfolge und die Umfrageergebnisse der AfD. Tatsächlich beschreibe ich in meinem Buch eine regelrechte Renaissance des Antisemitismus im politischen Raum, vor allem seit der Corona-Pandemie und dem antisemitischen Massaker der Hamas und ihrer Verbündeten vom 7. Oktober 2023.
Das ist natürlich nicht auf die AfD begrenzt, aber die AfD ist einer der Träger dieser Entwicklung. Gerade antisemitische Verschwörungsvorstellungen sind bis weit in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hinein anschlussfähig.
Die Vorstellung, eine „globalistische Elite“ regiere die Welt und sei für Krieg, Krisen und Pandemien verantwortlich, oder lenke eben bewusst Flüchtlingsströme, ist weit verbreitet. Angesichts einer immer komplexer werdenden Welt und den multiplen gesellschaftlichen Krisen gewinnen antisemitische Erklärungsmuster, die einen eindeutigen und fassbaren Schuldigen präsentieren, an Attraktivität.
Inwieweit müsste der Antisemitismus für ein mögliches Verbotsverfahren eine Rolle spielen? Oder wird das letztlich unter dem Punkt Meinungsfreiheit verhandelt? Bleibt es also eine Frage, wie gesellschaftlich damit umgegangen wird?
Antisemitismus ist natürlich keine Meinung und auch nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Es ist eine menschenverachtende Ideologie mit potenziell tödlichen Folgen. Das zeigen leider immer wieder rechtsextreme Attentate, wie etwa 2019 in Halle, deutlich auf. Es wäre aber ein Fehler, sich beim Kampf gegen die AfD auf Justiz und Behörden zu verlassen – oder auf ein Verbotsverfahren.
Am Ende bleibt Antifaschismus Handarbeit. Beim Kampf gegen die AfD sind wir alle gefragt. Das gilt auch für den Antisemitismus im allgemeinen, dessen Träger ja nicht nur die AfD ist. Die antisemitische Schmierereien die aktuell in Regensburg immer mehr werden, stammen ja nicht unbedingt von AfD-Wählern, sondern von Leuten die sich für links halten.
Die Hassdemonstrationen gegen den einzigen jüdischen Staat in Regensburg werden ebenfalls nicht von AfD-Anhängern initiiert, sondern von vermeintlichen Linken und von islamischen Gruppen. Am Ende ist die Frage, was wir als Gesellschaft entgegensetzen.
„Ich vermisse bei vielen Linken eine Brandmauer gegenüber islamistischen Gruppen.“
Wie bringen wir antisemitische Mythen und Vorstellungen aus den Köpfen?
Das ist unser aller Aufgabe und kann nicht an Polizei, Justiz oder Behörden ausgelagert werden. Wir müssen darüber sprechen, welche gesellschaftlichen Bedingungen den Antisemitismus hervorbringen und wie wir eine Gesellschaft ohne Antisemitismus erreichen.
Auch in Ihrem Buch gehen sie über die AfD hinaus.
Mein Buch ist ein Plädoyer gegen jeden Antisemitismus. Folglich beschäftige ich mich auch ausführlich mit dem islamischen Antisemitismus und natürlich auch mit dem Antisemitismus von links, der nicht zuletzt im Hass auf den jüdischen Staat seinen Ausdruck findet.
Vor allem aber, beschäftige ich mich mit der Ignoranz und unzureichenden Auseinandersetzung, auch in der liberalen Öffentlichkeit und der offiziellen Politik mit dem islamistischen Antisemitismus.
In zahlreichen Untersuchungen zeigt sich die Frustration vieler Jüdinnen und Juden in Deutschland über die Ignoranz der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber dem islamistischen Antisemitismus und die Sorge vor einer weiteren Radikalisierung des politischen Islam. Sie fühlen sich verständlicherweise von der etablierten Politik und von uns allen im Stich gelassen.
Damit wagen Sie sich an ein heißes Eisen heran.
Entschuldigung, aber es sagt doch einiges, wenn kurz nach dem 7. Oktober – nach dem größten antisemitischen Massaker seit der Shoa – antisemitische Angriffe auf Synagogen, jüdische Einrichtungen und Geschäfte in Deutschland stattfinden und gerade mal ein paar hundert Menschen hier in Regensburg auf die Straße gehen, um sich solidarisch zu zeigen mit Jüdinnen und Juden hierzulande.
Statt sich für den Schutz jüdischen Lebens stark zu machen demonstrieren Teile der Linken sogar gemeinsam mit Islamisten gegen den jüdischen Staat. Ich vermisse gerade bei vielen Linken eine Brandmauer gegenüber islamistischen Gruppen.
Antifaschismus muss heißen: Gegen jeden Antisemitismus. Egal, ob sich dieser aus dem völkisch-nationalistischen Denken der AfD speist, aus einem immer noch virulenten christlichen Antijudaismus, ob er sich mittels des Islams legitimiert oder – wie in Teilen der Linken – einer gefährlichen Mischung aus regressivem Antikapitalismus und postkolonialen Theorien.
Danke für das Gespräch.
Stefan Dietl: Antisemitsmus in der AfD. Verbrecher Verlag Berlin. 2025.
Trackback von deiner Website.
Mr. T.
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Die auffällige Zurückhaltung der entsprechenden Stellen bei der Einleitung der Prüfung eines Parteiverbots für die AfD ist ein Verrat an unserem Grundgesetz. Wer sich nicht aktiv dafür einsetzt ist zumindest ein Steigbügelhalter des Faschismus – oder noch viel mehr.
Warum sind Konservative da so dagegen? Bei einigen in der Union mag sicherlich die Angst umgehen, dass dann festgestellt wird, dass auch Teile von ihnen den Kriterien für ein Parteiverbot genügen würden. Dabei würden sie wohl eher profitieren wenn ihnen ein großer Teil der Stimmen zufallen würde, die jetzt von fremdenfeindlichen Wählern, denen nichts wichtiger ist, als Deutschland wieder “deutscher” zu machen, an die AfD gehen.
Die Gründe der vielen Gegner eines Verbotsverfahrens in der SPD mag ich mir gar nicht näher vorstellen – die Resultate meiner Überlegungen würden mich wohl noch mehr beunruhigen.
Noch ein interessantes Detail am Rande: Frauke Brosius-Gersdorf, die eigentlich von der Koalition ans Verfassungsgericht hätte berufen werden sollen, aber kurz vorher von Rechtskonservativen mit aller Gewalt in der Öffentlichkeit zerrissen wurde, hätte an eine Kammer berufen werden sollen, die u.a. mit Parteiverbot befasst wäre, und z.B. nicht an die Kammer, die mit der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten 12 Wochen befasst wäre. Wegen ihrer Haltung dazu, die übrigens ähnlich dem breiten Konsens in der Bevölkerung ist, wurde sie aber von rechtschristlichen bis stammrechten Kreisen abgeschossen. Warum nur sollen Richter*innen, die nicht zumindest rechtskonservativ sind, an dieser Kammer verhindert werden? Nicht rechtskonservativ zu sein, ist wohl alles, was man zur Haltung der Kandidatin aussagen kann, “links” ist sie sicherlich nicht – außer vielleicht in der Positionierung auf dem Hufeisen von bestimmten Leuten aus gesehen.
Dominik Müller
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Mr.T., glauben Sie, Frauke Brosius-Gersdorf würde die Leitsätze in die Tonne treten, welche das Verfassungsgericht beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren aufgestellt hat? Die Diskusdion hatten wir schon mal, rechtsextreme (alternativ oder kumulativ antisemitische oder menschenverachtende) Gesinnung allein reicht für das Parteiverbot nicht, es braucht auch ein planvolles Handeln. Und das ist im Verbotsantrag gerichtsfest zu belegen. Dafür hat weder Faeser noch in den 2 Monaten Amtszeit Dobrindt noch irgendein Länderinnenminister genug Fakten gesammelt, auch das 1000-seitige Verfassungsschutzgutachten kann allenfalls Grundlage dafür sein, endlich auch zu diesem planvollen Vorgehen genug Daten zu sammeln. Ein Verbotsantrag ohne die Belege würde scheitern und nur der AfD nutzen, hier geht es nicht darum, wer als erster oder lautester das Verbot auf dünner Basis gefordert hat und möglichst viele in die rechte Ecke stellt. “Rechtschristlich”? Geht’s noch?