„Kein einfaches Gut-Böse-Schema“: Linke Demo zum Hamas-Pogrom nimmt linken Antisemitismus in den Fokus
Ein Zeichen gegen jeden Antisemitismus wollte eine Demonstration in Regensburg am Montagabend setzen. Anlass: der Jahrestag des Hamas-Überfalls am 7. Oktober. 80 Menschen bekundeten ihre Solidarität mit Jüdinnen und Juden genau so wie mit der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Etwa 80 Menschen versammelten sich am Montag am Schwanenplatz.
Da steht dieser junge Mann auf dem Schwanenplatz. Er spricht gerade im Namen der Anarchistischen Gruppe Regensburg. Staaten sind demnach nicht seine erste Wahl, wenn es um die Form menschlichen Zusammenlebens geht.
Weil aber „die Realität noch nicht unsere Utopie ist“, gebe es auch aus anarchistischer Sicht Ausnahmen. Israel sei als Schutzraum für jüdisches Leben nicht verhandelbar. Das sei eine direkte Konsequenz aus der Geschichte. Ein Schutzraum der vor nun mehr zwei Jahren durch den Terrorangriff der Hamas tief erschüttert wurde. Eben jener Angriff ist am Montagabend Anlass der Demo, auf der der junge Anarchist seine Rede hält.
Kritik am Antisemitismus und der israelischen Regierung
Etwa 80 Menschen stehen auf dem Schwanenplatz. Es sind etwas weniger als ein Jahr zuvor. Damals hatten sich mehrere linke Gruppen sowie Personen aus dem gewerkschaftlichen und parteipolitischen Kontext anlässlich des ersten Jahrestags des Hamas-Überfalls zusammengeschlossen. Ein Zeichen „gegen jeden Antisemitismus“ wollte man in Regensburg setzen – und hatte dabei insbesondere andere linke Gruppen im Fokus. Daran hat sich in der Sache auch an diesem Montag, am Vorabend des zweiten Jahrestags, nichts geändert.
„Als Linke, als Antifaschistinnen und Antifaschisten ist die Kritik des Antisemitismus ein zentrales Element unserer politischen Haltung“, sagt Tobias Emmerling zu Beginn der Demo. Ja, die rechte Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanyahu müsse kritisiert werden. Ja, eben diese Regierung sei Teil des aktuellen Problems, lautet aber die andere klare Positionierung.
Israelische Demokratie als Geisel der Regierung Netanyahu
Ein Redebeitrag von Ronen Katz Wird eingespielt. Der Unternehmer lebt in Israel, er ist Nachfahre von Holocaust-Überlebenden und Linker. Der Überfall der Hamas habe alles verändert – und jedem gezeigt, „wie zerbrechlich das Leben in diesem Land“ ist. Für Katz ist die israelische Demokratie derzeit Geisel der Regierung von Benjamin Netanyahu. Katz spricht von „messianischen Führern“, die „das Land über das Leben“ stellen.
Katz sei als Sohn eines Holocaust-Überlebenden mit einer Vision aufgewachsen, wie er selbst sagt. Die israelische Unabhängigkeitserklärung stehe seit 1948 für das Versprechen auf „Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden, unabhängig von Religion, Herkunft oder Geschlecht. Doch dieses Versprechen ist vergessen worden.“
Nun befinde sich die Region in einem „Krieg ohne klare Ziele, ohne Gewinner und mit endlosem menschlichem Leid“. Doch Katz will die Hoffnung nicht aufgeben, dass der Albtraum des 7. Oktober überwunden werden kann und gemeinsam ein friedliche Zukunft aufgebaut werden kann.
„Die Hamas schert sich nicht um die Zivilbevölkerung.“
Allerdings könne das nicht geschehen, so lange die Hamas in Gaza das Leiden der eigenen Bevölkerung instrumentalisiere, schließt später Martin Oswald im Namen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) an Katz´ Bewertung an. „Das Hamas-Pogrom hat eine groß angelegte Vergeltungsoffensive Israels in Gang gesetzt“, sagt Oswald. Diese mache die Situation für Hunderttausende Palästinenserinnen und Palästinenser unerträglich.
„Neben gezielten Schlägen gegen die terroristischen Führer im Gazastreifen – und in Palästen in anderen Ländern – legt das israelische Militär ganze Viertel und Städte in Gaza in Schutt und Asche, tötet Zivilisten, zerstört ihre Häuser und macht sie zu Binnenflüchtlingen“, fasst Oswald zusammen. Die Versorgungslage sei katastrophal, die Bevölkerung leide unter prekärsten Bedingungen.
Eliminatorischen Antisemitismus der Hamas klar benennen
Die Hamas preise all das mit ein und schere sich überhaupt nichts um die palästinensische Bevölkerung, sagt Oswald. „Zum Leben von Palästinenserinnen und Palästinensern hat die Hamas ein allenfalls funktionales Verhältnis. Die Menschen in Gaza sind ihr Faustpfand und ihr nur auf Todesstatistiken, die durch die Nachrichten der Welt gehen, etwas wert.“
Anstatt – wie Teile der Linken es vermehrt täten – die Hamas als Freiheitskämpfer zu verklären, müsse deren eliminatorischer Antisemitismus klar benannt werden. Die Hamas ziele auf die Vernichtung von Jüdinnen und Juden und die Zerstörung Israels.
Wie brutal die Hamas und ihre verbündeten Milizen am 7. Oktober 2023 vorgegangen sind, schildert die feministische Gruppe Eben.Widerspruch anhand mehrerer Personen. So wird unter anderem das Schicksal von Shirel Golan geschildert.
Viele Suizide nach dem Pogrom
Golan war auf dem Supernova-Festival. Ein Name, der heute stellvertretend für den Terror der Hamas steht. Golan konnte sich mit Freundinnen zunächst verstecken. Sie schafften es sogar zu ihrem Auto und konnten losfahren. Ein Stück weiter stieg Golan aus, versteckte sich – und überlebte diesen Tag. Ihre Freundinnen wurden kurz darauf von der Hamas ermordet.
Golan sei nach diesem Tag ein anderer Mensch gewesen, schildert es ihre Familie. Die einst lebensfrohe junge Frau habe sich komplett zurückgezogen. Am ersten Jahrestag des Angriffs, ein Tag vor ihrem 22. Geburtstag nahm sich Shirel Golan das Leben. Auch weil der israelische Staat versagt habe, wie im Redebeitrag erklärt wird. Den Überlebenden des Hamas-Angriffs sei psychologisch keine Unterstützung zugekommen. Und so ist Shirel Golan kein Einzelfall.
Laut einem Bericht der Tagesschau Ende 2024 gab es unter den Besuchern des Supernova-Festivals um die 50 Suizide. Viele weitere Menschen haben mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen.
Ein Störer wird der Demo verwiesen
Dass der Krieg in Gaza schnellstens enden muss, auf dem Schwanenplatz besteht darüber kein Zweifel. Die 48 Geiseln, die noch immer von der Hamas verschleppt sind und von denen aktuellen Schätzungen zufolge nur noch 20 am Leben sein sollen, müssten endlich freigelassen werden. Den Menschen in den palästinensischen Gebieten müsse endlich ein Leben in Freiheit ermöglicht werden. „Free Gaza from Hamas“ steht auf einem der wenigen Transparente, die hochgehalten werden.
„Free Gaza“ und „Free Palestine“ lautete die letzten Wochen auch auf anderen Protesten in Regensburg immer wieder die Forderung. Proteste, die vor allem bei Israel die Schuld an der derzeitigen Lage im Nahen Osten sehen und denen jedwede Solidarität mit den Menschen in Israel verdächtig ist. Und so kommt es am Schwanenplatz zu einer kurzen Störaktion durch eine Person. „Antizionismus ist kein Antisemitismus“, ruft ein junger Mann ein paar Mal, ehe er der Demo verwiesen wird.
Juden werden weltweit in Haftung genommen
Man müsse gerade als Antifaschisten, als Linke komplexe Sachlagen genau analysieren. Die Welt sei komplexer als ein einfaches Gut-Böse-Schema, heißt es weiter am Schwannenplatz. Israel komme als Staat eine besondere Funktion zu. Umgekehrt sei es eine verheerende Entwicklung, dass weltweit Jüdinnen und Juden für das Handeln der israelischen Regierung in Haftung genommen werden.
„Der 7. Oktober 2023 hat auch das Leben von Jüdinnen und Juden weltweit in der Diaspora, im Vereinigten Königreich, in den USA, in Deutschland und vielen weiteren Ländern dramatisch verschlechtert“, sagt Oswald. Jüdische Einrichtungen, Lokale, Schulen, Synagogen, Sportteams und nicht zuletzt jüdische Menschen selbst seien teils akuten Gefährdungen und Gefahren ausgesetzt.
Das zeigt sich aktuell im Radsport. Bei der Spanienrundfahrt kam es vor einigen Wochen zu massiven Protesten gegen das Radsportteam Israel Premier Tech. Das entscheidende Rennen musste vorzeitig abgebrochen werden. Das Team hat diese Woche bekannt gegeben, sich umzubenennen „um sich von seiner derzeitigen israelischen Identität zu lösen“.
Weltweites Netzwerk glorifiziert den Hamas-Terror
Laut aktuellen Zahlen von Rias, der bundesweiten Meldestelle für Antisemitismus, haben die Vorfälle seit dem 7.Oktober deutlich zugenommen. Einer aktuellen Studie der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes zufolge nehmen Jüdinnen und Juden inzwischen ein Gefühl existenzieller Unsicherheit in Deutschland war.
Das liege auch daran, dass die antisemitische Propaganda der Hamas auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden falle, heißt es im Redebeitrag der Gruppe Anita F. „Die Hamas agiert eingebettet in ein weltweites Netzwerk der Muslimbruderschaft, das den antisemitischen Terror glorifiziert, relativiert und ihn auf der Weltbühne als gerechtfertigten Widerstand inszeniert.“
Solidarität statt Einseitigkeit gefordert
Dadurch werde der Diskurs über den Nahostkonflikt, über Israel und über Jüdinnen und Juden seit vielen Jahren schon stark beeinflusst. Anstatt die Hamas als Teil des Problems zu anzuerkennen, verfange „gerade in linken Kreisen die global orchestrierte Inszenierung dieser hochgradig bewaffneten, gewaltbereiten und global vernetzten Terrororganisation als kleine, um Gerechtigkeit kämpfende Widerstandsgruppe“.
Dabei sei eigentlich Solidarität das Gebot der Stunde. Das meint der junge Anarchist, der bereits eingangs erwähnt wurde. „Kein entweder oder. Kein Wählen einer Seite.“ Schließlich hätten alle Menschen, egal ob jüdisch, israelisch oder palästinensisch, ein Leben in Freiheit und Sicherheit verdient. „Solidarität ist nichts, das es sparsam zu verteilen gilt. Ganz im Gegenteil. Sie muss genau dorthin, wo Menschen allein gelassen werden.“
Das seien weltweit in diesen Tagen in besonderem Maße auch Jüdinnen und Juden. Deshalb müsse jedem Antisemitismus entschieden entgegen getreten werden. Deshalb sei – neben einem Staat Palästina – auch weiterhin ein jüdischer Staat als Zuflucht eine „bittere Notwendigkeit“.
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Paul
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Servus
Die Aussagen der Demonstranten sind nicht von der Hand zu weisen.
Toll Herr Aigner das sie so berichten,
ich wünschte die Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Mainstream Medien würden so darüber berichten.
Danke
Jules
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Gut das Stellung genommen wird gegen Terroristen und linksradikaler Ideologien. Antisemitismus das hatte vermutlich keiner geglaubt das das in Deutschland von vielen Linksradikalen gut geheißen wird.
yzb_89
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Bitte, jemand soll mich aufklären. Netanjahu redet ständig von Antisemitismus im Mittelalter und vom Holocaust. Was ich nicht verstehe: Warum müssen der Nahe Osten und die Muslime für den Antisemitismus des christlichen Europas im Mittelalter und in der Neuzeit bezahlen??!! Warum fragt das eigentlich niemand??!!