Mammutprozess in Regensburg gegen „Handwerker-Engel“: Gericht erstickt in Problemen
Im Prozess wegen mutmaßlicher Abzocke mit Handwerker-Notdiensten kämpft das Gericht mit der Fülle an Zeugen und deren großflächiger Verteilung über ganz Deutschland. Die Verteidiger von Thomas M. wollen einen Freispruch.
Im Gerichtssaal ist es einsam geworden um Thomas M. Doch es scheint gut für ihn auszusehen – das Gericht kämpft mit dem Umfang des Verfahrens. Foto: as
Thomas Zenger schwankt zwischen Fatalismus und Verzweiflung. Er möchte ein „Potpourri“ dessen präsentieren, was zuletzt auf seinem Schreibtisch gelandet ist und was diesen Prozess so kompliziert macht, erklärt der Vorsitzende Richter der fünften Strafkammer am Landgericht Regensburg. „Wir haben ja etwas Luft – mal wieder.“
Dienstag, neun Uhr. Ein weiterer von vielen Verhandlungstagen gegen den „Handwerker-Engel“ Thomas M. Dem 56-jährigen Regensburger wird gewerbsmäßige Abzocke über Notdienste vorgeworfen. Seit Februar läuft der Mammutprozess. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Verfahren gegen seine vier Mitangeklagten wurden eingestellt, teils gegen Geldauflage.
Zeugen sagen ab oder kommen einfach nicht
Die Staatsanwaltschaft kämpft darum, dem Unternehmer die Betrugsabsicht nachzuweisen und den Vorwurf zu belegen, dass er der führende Kopf hinter all den Internetseiten und Telefonnummern ist, über die angebliche Handwerker vermittelt wurden, die horrende Preise für Rohrreinigung, Schlüsseldienst, Elektrik und andere Notdienste verlangten.
Neben dem „Handwerker-Engel“ ist auch die mittlerweile insolvente Seibel GmbH Gegenstand der Vorwürfe. Über 200 Fälle aus dem ganzen Bundesgebiet waren ursprünglich angeklagt. Mit der Fülle an Fällen und der großflächigen Verteilung ringt Richter Zenger. Er verliest mehrere Schreiben, die er kürzlich erhalten hat.
Ein Zeuge aus Norddeutschland teilt ihm mit, dass er nicht erscheinen werde. Ein Attest will er nachreichen. Der gesetzliche Betreuer eines mutmaßlich Abgezockten lässt wissen, dass sein Mandant mittlerweile im Pflegeheim lebt und nicht in der Lage sei, anzureisen.
Richter betont Grundsatz der Prozessökonomie
Eine geladene Zeugin erklärt, dass das doch schon Jahre her sei, dass sie sich kaum noch an etwas erinnere – und überhaupt: die weite Anreise. „Ich habe den Eindruck, dass von den Anzeigenerstattern selten einer Lust hat, hier zu erscheinen“, fasst Thomas Zenger zusammen.
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft regt an, Vernehmungen per Video durchzuführen. „Wissen Sie, wie schlecht die Tonqualität da ist“, entgegnet Zenger. Dann eben eine Vernehmung durch einen anderen Richter am Wohnort, schlägt die Staatsanwaltschaft vor. „Dann kann ich gleich sagen, ich mach mit der Kammer nichts anderes mehr“, erwidert Zenger. „Da sitzen wir Mitte nächsten Jahres noch hier.“ Doch weiter im Text. „Ich möchte mal darlegen, warum ich immer wieder auf Prozessökonomie verweise.“
Zeit, die „völlig nutzlos verstreicht“
Ein weiterer Zeuge sagt brieflich ab. Er wisse nichts mehr. Das sei zu lang her. Ein anderes Schreiben ist gespickt mit Rechtschreibfehlern. Eine Zeugin, offensichtlich mit psychischen Problemen, teilt mit, sie könne nicht kommen. „Ich habe Angst, dass ich verfolgt werde.“ Über eine Zeugin aus Osnabrück erfährt man, dass sie eine kranke Mutter und einen Hund hat, die sie nicht allein lassen könne und eine weitere, dass sie gar nicht wisse, um was oder wen es gehe.
„Es ist immer interessant, dass Zeugen meinen, sie entscheiden, ob sie kommen können oder nicht“, merkt Zenger an. Er kämpft mit zerpflückten Sitzungstagen und kann kein anderes größeres Verfahren anpacken, während hier die Zeit „völlig nutzlos verstreicht“.
So auch jetzt wieder. Ein Zeuge, der geladen war, ist nicht gekommen. Ganz ohne Absage. Zenger lässt ihn anschreiben. Die Staatsanwaltschaft beantragt ein Ordnungsgeld. Dann ist erst einmal eine halbe Stunde Pause. Thomas M., der einzig verbliebene Angeklagte im weitläufigen Sitzungssaal 104, holt sich im Erdgeschoss einen Kaffee.
Ein Zeuge kommt – und sagt nicht aus
Dann, um 10.20 Uhr, ist es endlich so weit. Der für diese Uhrzeit geladene Zeuge ist erschienen. Ein mittlerweile arbeitsloser Kraftfahrer aus Gelsenkirchen, der über die Hotlines aus Regensburg Aufträge erhalten haben soll. Nach ausführlicher Belehrung durch Richter Zenger teilt er mit, dass er „mit der Sache abgeschlossen“ habe und von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht, um sich nicht selbst zu belasten.
Damit endet der Sitzungstag und der morgige beginnt erst um 10.15 Uhr. Der erste geladene Zeuge hat nämlich abgesagt.
Geschäft läuft weiter – unter anderem Namen und anderer Verantwortung
An ein Geständnis denken weder Thomas M. noch seine beiden Verteidiger Michael Haizmann und Philipp Roth. Sie beharren auf der Unschuld ihres Mandanten. Die Staatsanwaltschaft denkt derweil darüber nach, die Zahl der angeklagten Fälle von über 200 auf lediglich zwölf zu reduzieren. Es gehe schließlich in erster Linie darum, nachzuweisen, dass die Geschäftspraxis strafbar gewesen sei.
Zwischenzeitlich gibt es immer wieder Beschwerden von Betroffenen über überhöhte Rechnungen von Handwerkern, die über ein namensähnliches Unternehmen aus Regensburg vermittelt wurden (zwei Fälle hier und hier). Das heißt nicht mehr Seibel GmbH, sondern Seibel GmbH & Co. KG. Mit diesem Unternehmen hat Thomas M. nichts zu tun – nur seine Ehefrau.
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Thilo B.
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Warum ist eigentlich der Vermittler dieser Handwerker angeklagt und nicht die Handwerker selbst? Schließlich waren es doch die Handwerker, welche diese Wucherrechnungen gestellt haben?
Und was ist in dem Zusammenhang Wucher? Gestern war ein Gutachter zu hören, der beauftragt war, für diese Dienstleistungen “ortsübliche Preise” zu finden. Doch wie findet er diese? Umfragen unter örtlichen Handwerkern? Schwierig, weil sich diese bestimmt nicht in die Karten schauen lassen? Welche Preise empfehlen die zuständigen Handwerkerinnnungen? Keine, weil sonst das Kartellamt wegen illegaler Preisabsprachen kommt. Und was kann man eigentlich für NAcht/Wochenenddienst verlangen? Auch schwierig. Anreise? Was kostet ein Taxi auf dieser Strecke? Wesentlich mehr, als der Handwerker in seiner Wucherrechnung berechnet hat? Hm, blöd…