Sie wussten nicht, dass wir Bäume waren
Die Regensburger Autorin Barbara Krohn präsentierte zwei Dichter im deutschen Exil: Behnaz Amani aus dem Iran und Ariel Maceo Tellez aus Kuba lasen im Akuso. Beide mussten ihr Heimatland verlassen, weil sie verfolgt und bedroht wurden.

ehnaz Amani, Barbara Krohn und Ariel Maceo Tellez (v.l.). Foto: Marcinkus
Es ist ja einfach so: Man spaltet das von sich ab. Natürlich weiß man, dass die ganze Bevölkerung des Iran systematisch eingeschüchtert wird. Unter anderem dadurch, dass regelmäßig jemand hingerichtet wird, erhängt, teilweise öffentlich, mitten in der Stadt. Auch wenn man es nicht wissen will, wird man damit konfrontiert, weil in irgendeiner Bar, wo man gerade gemütlich einen Cocktail schlürft, auf dem Bildschirm irgendeine Nachrichtensendung läuft.
„Frau Leben Freiheit“
Und obwohl es nur kurze Bilder sind, ohne Ton, versteht man doch so viel: Die Mullahs haben wieder zwei hingerichtet. Zwei Männer, die sich mit den Frauen solidarisiert hatten. Mit der Bewegung „Frau Leben Freiheit“. Und sofort schiebt man das entsetzliche Geschehen von sich weg. Hinein in die Schublade „Sachen, die nicht passieren dürfen, aber trotzdem passieren“. Die auch die Aufschrift haben könnte: „Irgendwo ganz weit weg und deswegen nicht wirklich wahr“.
Freundlicher Bericht aus der Finsternis
Und dann sitzt man auf einmal dieser Frau gegenüber. Dieser noch ziemlich jungen Frau, die das blühende Leben selber ist. Die fast redet wie ein Wasserfall, immer freundlich, ihr Blick wird nie düster. Und dabei redet sie über ihre Vergangenheit im Iran. Die sie nur durch ein sogenanntes Wunder überlebt hat. Genauer gesagt: Man erfährt nach und nach, dass diese Frau die eine Katastrophe, die Mullahs, durch die andere Katastrophe, den Krebs, überlebt hat.
Schriftsteller im Exil
Die Frau heißt Behnaz Amani, und es sind etwa 30 Zuhörer, die ihr gegenübersitzen. Das hier ist eine Veranstaltung des Evangelischen Bildungswerks im Akuso in der Roten Hahnengasse in Regensburg, eine Lesung des PEN-Zentrums Deutschland (PEN ist eine internationale Schriftstellervereinigung: Poets, Essayists, Novellists, also Dichter, Aufsatzschreiber, Geschichtenschreiber), das mit seinem Programm „Writers in Exile“ Schriftstellern im Exil den Weg nach Deutschland ebnet und ihnen hier unter die Arme greift.
Eine iranische Dichterin und ein kubanischer Dichter
Die Regensburger Schriftstellerin Barbara Krohn präsentiert seit Jahren Exilschriftsteller aus diesem Programm bei einer Lesung. Diesmal also Behnaz Amani aus dem Iran und Ariel Maceo Tellez aus Kuba. Beide lasen aus ihren Gedichten, Behnaz Amani auf Englisch und Persisch, Ariel Maceo Tellez auf Spanisch, Barbara Krohn trug die deutsche Übersetzung vor und stellte den beiden Fragen, wobei Birgit Honikel Spanisch-Deutsch dolmetschte.
Der Sprache beraubt?
Viele Schriftsteller fallen im Exil in ein Loch, weil sie die Sprache des Landes, in dem sie gestrandet sind, nicht sprechen oder jedenfalls nicht gut genug, um sich darin literarisch auszudrücken. Die Frage von Barbara Krohn an die beiden Dichter, wie es ihnen in der Hinsicht gehe, brachte jedoch Erstaunliches zutage.
Englisch: die nötige Distanz
Behnaz Amani ist im Iran zweisprachig aufgewachsen, neben ihrer Muttersprache Persisch spricht sie fließend Englisch. Das erweist sich jetzt im Exil als ihre Rettung. „Sprachlich habe ich kein Problem“, sagt sie, „ich tue mich sogar leichter, auf Englisch zu schreiben.“ Das große Thema ihrer Gedichte ist ja das Exil. „Auf Englisch zu schreiben, gibt mir die nötige Distanz.“ Behnaz Amani erklärt es genauer: „Würde ich auf Persisch schreiben, würden mir andauernd die Tränen kommen.“
Exil heißt, aus der Welt zu fallen
In Behnaz Amanis Gedicht „Exil“ heißt es am Ende: „Nirgends geht mehr die Sonne auf, / Und du bleibst auf Wanderschaft, auf dich / Wird nie ein Ankunftsort warten…“ (Übersetzung: Barbara Krohn und Gerd Burger)
Gerettet – und verpflichtet
Sie könne, sagt Behnaz Amani, auf Englisch freier denken. Es fällt ihr im Exil auch offensichtlich leichter, auf Englisch ihre Stimme zu erheben. Sie habe vor der UNO als Zeugin gegen die Islamische Republik Iran ausgesagt. „Gerettet worden zu sein“, bedeute für sie „die Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen für alle anderen, für die Nichtprivilegierten“, das sei auch in der persischen Geschichte verankert.
Dolmetscher Computer
Bei Ariel Maceo Tellez liegt die Sache ganz anders. Obwohl das kubanische Bildungslevel immer gelobt werde, habe er kein Englisch gelernt. Und Barbara Krohn ergänzt, sie habe mit ihm anfangs schriftlich kommuniziert und erst nach einer Weile bemerkt: „Die KI hatte geholfen, Übersetzungs-Tools hatten die Verständigung möglich gemacht.“
Die kleine Tochter ist die Rettung
Ein ernsthaftes Problem mit der Sprache hat Ariel Maceo Tellez dennoch nicht in Deutschland. Seine Frau und seine mittlerweile elfjährige Tochter seien schon vor ihm aus Kuba geflohen, mit ihnen lebe er nun in Deutschland. Seine Tochter spreche bereits fließend Deutsch, er hat also eine Dolmetscherin an der Hand.
Das „Dekret 349“
Im Akuso präsentiert sich Ariel Maceo Tellez als Dichter, laut PEN ist er auch Fotograf, Journalist und Verleger. Er selbst nennt das „Dekret 349“ als seinen Hauptangriffspunkt; mit dieser Verfügung habe die kubanische Regierung 2017 „alle Formen künstlerischen Ausdrucks verboten“.
Polizeibesuch bei der Dichterlesung
Er habe die San-Isidro-Bewegung (benannt nach einem Viertel in Havanna) unterstützt, die gegen das „Dekret 349“ aufbegehrte, „immer wieder mit kleinen Aktionen“. Doch auch bei diesen kleinen Aktionen („wie in diesem Rahmen hier“, sagt Tellez, er meint die Lesung im Akuso) sei regelmäßig die Polizei erschienen, habe Teilnehmer verhaftet und dadurch Angst verbreitet, sodass immer weniger kamen.
Verhören, denunzieren, bedrohen
Er selbst sei unter anderem verhört, im Fernsehen an den Pranger gestellt, immer wieder festgenommen und mit dem Tod bedroht worden. Bis sie ihn eines Tages rausgelassen hätten. Über Nicaragua und Mexiko sei er aus Kuba geflohen, sagt Ariel Maceo Tellez.
Rapper – und Trump-Fan
Was er nicht sagt: Einer der bekanntesten Vertreter der San-Isidro-Bewegung ist der Rapper Denis Solis, der sich für Donald Trump stark machte. Für den manisch-aggressiven Antikommunisten Trump, der die von Barack Obama verkündete (und von Papst Franziskus miteingefädelte und nachdrücklich unterstützte) Beendigung der seit 130 Jahren andauernden Feindseligkeiten der USA gegenüber Kuba widerrief und nun wieder munter weitermacht mit der alten Kolonialherrenpolitik. Derzufolge die einzig wahre kubanische Regierung diejenige ist, die dem amerikanischen Präsidenten die Stiefel leckt. Oder sich gleich willig als amerikanischer Bundesstaat annektieren lässt.
Der Dichter, der in mir lebt
Nächstes Jahr wird Ariel Maceo Tellez 40. In dem Gedicht „Der Dichter, der in mir lebt, ist tot“ geht er die verschiedenen Barrieren durch, die ein Kubaner überwinden muss, um die Insel verlassen zu können. Gleich zu Beginn heißt es: „Der Dichter, der in mir lebt / ist tot. / Er fiel im Kampf. / Ist irgendwo im Gestrüpp beerdigt. / Er ist in der Guantánamo Bay auf eine Landmine getreten / oder hat sich an seinen so sehr vermissten Sabritas-Süßigkeiten überfressen.“ (Übersetzung: José Oliver)
Guantánamo Bay: die USA auf Kuba
Guantánamo Bay, das ist die Bucht am südöstlichen Ende von Kuba, deren Name 2002 weltbekannt wurde durch das dort durch die USA errichtete Foltergefängnis. Guantánamo ist über 800 Kilometer Luftlinie von der Hauptstadt Kuba entfernt und ist ein Relikt der US-amerikanischen Besetzung Kubas um 1900.
Wenn man sich als Kubaner Guantánamo nähert, hat man dann kubanische Minen zu fürchten oder amerikanische? Oder beides?
Ruhe und Würde – und weniger schwitzen
Deutschland ist für Ariel Maceo Tellez auf jeden Fall „ein Land, in dem man in Ruhe und Würde leben kann“. Angesprochen auf die für ihn ungewohnte Novemberkälte und die Finsternis der Jahreszeit, antwortet er, er genieße das angenehme Klima in Dortmund, in dem man nicht so viel schwitzen müsse.
Ruhe in Dortmund, Ruhe in Berlin
Ja, Ariel Maceo Tellez lässt sich zu dem Satz hinreißen: „Die Ruhe in Deutschland ist unbezahlbar.“ Worin er sich mit Behnaz Amani einig ist. Auch die persische Dichterin genießt die Ruhe in Berlin. Im Vergleich zu vorher, fügt sie hinzu.
„Diese Katastrophe von einem Leben“
In ihrem Gedicht „Exile IV / Distortion“ klagt sie über den Verlust, über all das Leben, das ihr (und allen Frauen des Iran) die Mullahs gestohlen haben (allen Frauen? Natürlich auch allen Männern! Wie könnten die Männer frei sein, wenn die Frauen geknechtet sind!). Da heißt es in der letzten Strophe: „I sat there crying / … / For the woman that is me, / But it is not me. / For the life that is mine, / Yet it is not mine. // For this hurly burly of a Being.“ – „Ich saß da weinend / … / Um die Frau, die ich bin, / Und die ich doch nicht bin. / Um das Leben, das meins ist, / Und doch noch nicht meins ist. // Um diese Katastrophe von einem Leben.“ (Übersetzung: Marcinkus)
„Wenn die Schlacht verloren und gewonnen ist“
„Hurly burly“ ist natürlich schwer zu übersetzen. Man denkt an Shakespeare, die Eingangsszene von „Macbeth“ mit den drei Hexen: „When shall we three meet again?“ fragt die erste, und die zweite antwortet: „When the hurlyburly’s done, / when the battle’s lost and won.“ Barbara Rojahn-Deyk übersetzt das so: „Wenn sich der Aufruhr gelegt hat, / wenn die Schlacht verloren und gewonnen ist.“ Sie merkt aber an, das lautmalerische „hurlyburly“ entspreche dem deutschen „Wirrwarr“, bedeute zu Shakespeares Zeiten jedoch „speziell ‚Aufruhr‘ im Sinne von Empörung, Aufstand.“
Womit man eigentlich wieder mitten in Teheran ist. Auch wenn die Schlacht dort nach wie vor weder verloren noch gewonnen ist.
Den Mullahs nicht in die Hände spielen
Aber was kann man schon tun gegen die Mullahs, hier in Deutschland? Naja, man kann zum Beispiel die Iraner, die es schaffen, den Mullahs zu entkommen, wie Menschen behandeln. Und nicht am Stammtisch und in den Talkshows über sie (wie über alle Flüchtlinge) reden, als rede man über Ungeziefer, wie es seit Jahrzehnten hierzulande gang und gäbe ist, beileibe nicht nur bei den Rechtsextremen wie der AfD.
Der Klang der persischen Sprache
Man kann, wenn man die seltene Gelegenheit hat, zwei Stunden lang zuhören, wie eine Iranerin ihre Klage vorträgt, in poetischen Worten. Auch wenn es schwer erträglich ist, und auch wenn es gottseidank nur auf Englisch ist. Behnaz Amani sagt, sie kann nur auf Englisch Gedichte schreiben, weil sie auf Persisch keinen Satz zu Papier brächte vor weinen? Das geht einem ja als Zuhörer schon fast so. Ein einziges kurzes Gedicht trägt Behnaz Amani an diesem Abend auf Persisch vor. Man versteht kein Wort. Und die Musik dieser Sprache haut einen fast um.
Man wird auf einmal gemieden
Distanz! Jawohl: Distanz. Nicht in Gefühlsduselei versinken, sondern zuhören. Behnaz Amani berichtet, wie sie den Oberst, der sie verhaftete, der sie verhörte, später zufällig wiedersah. Als Straßenverkäufer, das war sein Zweitjob. Dass sie auf der Abschussliste stand, merkte sie auch daran, „dass die Leute auf einmal Angst hatten, mit mir Kontakt zu haben“.
Beobachten, zersetzen, auslöschen
Und ständig die Spitzel, das permanente Gefühl: Wir sehen dich, wir beobachten dich. Das System der Verängstigung, das sei nach wie vor das gleiche. Alles versuche man auszulöschen, die Werke von Schriftstellern, von Wissenschaftlern, die ganze Person.
Die Sicherheit der Mullahs
Behnaz Amani ist promovierte Literaturwissenschaftlerin, sie war an der Teheraner Azad-Universität Assistenzprofessorin für englische Literatur und hatte internationale Forschungs- und Lehraufträge. Sie schwieg nicht, als Studenten verhaftet wurden, wurde daraufhin selbst vom Sicherheitsdienst der Universität verhört und unter dem Vorwurf „Geheime Versammlung und Absprachen gegen die nationale und internationale Sicherheit“ angeklagt. Darauf steht die Todesstrafe.
„Sie wussten nicht, dass wir Bäume waren“
Wegen einer Krebserkrankung wurde sie auf Kaution freigelassen und schaffte es 2024 nach Deutschland. In ihrem Gedicht „Prison Notes / Qarchak / Quarantine Ward“, also „Gefängnisnotizen aus der Quarantänestation“ heißt es: „They fancied that they had cut off our hands and feet and had ripped our tongues from our throats. / But they didn’t know that we were trees, and the more we were lopped off, the greener and more robust we would grow.“ – „Sie bildeten sich ein, sie hätten uns Hände und Füße abgeschnitten und uns die Zunge aus dem Hals gerissen. / Aber sie wussten nicht, dass wir Bäume waren, und dass wir, je mehr sie uns stutzten, umso grüner und kräftiger wachsen würden.“ (Übersetzung: Marcinkus)
Der unvermeidliche Weihnachtskitsch an der Wand
Irgendein Gemütsmensch hat an der Wand große Farbfotografien von Weihnachtskrippen aufgehängt. Sie bilden die Kulisse der beiden Exilschriftsteller sowie ihrer Mentorin Barbara Krohn und der Übersetzerin. Passt wie die Faust aufs Auge. Ich wurde jahrelang von der Polizei in Kuba gejagt. Holder Knabe im lockigen Haar. Morgen früh wird in Teheran ein Freund von mir gehängt. Schlahaf in himmlischer Ruhu.
Romantischer Heuchelmarkt
Achso. Das ist kein blödes Versehen, sondern eine richtiggehende Ausstellung: „Gesichter der Krippe – Fotografien von Gerald Richter“, die am Tag nach der Lesung im Akuso eröffnet wurde (und bis 23. Dezember geht). Man kommt sich vor wie bei der Kolpingfamilie. Oder wie am „Romantischen Weihnachtsmarkt“: Jeden Tag ein Dutzend Flüchtlinge ertrinken lassen. Und abends einen Glühwein deluxe im Schlosspark. Die stade Zeit halt. In der man von sich selbst ergriffen ist.
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