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Gedanken zum Gedenken

Sonntag, 18 Uhr. Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus kamen hunderte von Regensburgerinnen und Regensburgern in die Neupfarrkirche.	Fotos Staudinger Bis an die hinterste Wand voller Menschen ist die Neupfarrkirche bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus zu der die Jüdische Gemeinde, Stadt und Kirchen eingeladen haben. Vorne sitzen die Honoratioren und Stadträte, Vertreter von Kirchen und Religionsgemeinschaften. Hans Rosengold und Ilse Danzinger von der Jüdischen Gemeinde. Sie wird später ihre Besorgnis über den zunehmenden Rechtsextremismus äußern, aber auch ihre Freude über das gute Verhältnis zu den Kirchen, der Stadt und den Behörden. Und sie redet darüber, wie wichtig „ein friedliches Zusammenleben” einerseits und „ein wehrhaftes Bündnis zum Schutz vor Terror, Massenmord und Diktatur” andererseits sind. Zuvor hat Hans Schaidinger eine – ungewöhnlich lange – Rede gehalten. Er zitiert Wolfgang Thierse, seine Vorgänger Friedrich Viehbacher und Christa Meier, beschäftigt sich mit der Notwendigkeit des Erinnerns („Ein Zuviel kann ebenso problematisch sein wie erst recht ein Zuwenig.”). Er hebt die Rolle von Otto Schwerdt hervor, dem Ende Dezember verstorbenen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde. Der die Konzentrationslager überlebte und mit seinem Buch „Als Gott und die Welt schliefen” Generationen von Schülern das Erinnern näher gebracht. Schaidinger redet von den lebhaften Erzählungen von Otto Schwerdt, der sich bis an sein Lebensende an eine russische Soldatin erinnert, die im bei der Befreiung sagte: „Jetzt sind wir da. Jetzt ist alles gut.” Dass Schwerdt erzählt hat: „Ich dachte, ich wäre im Himmel.” Davon, dass Schwerdt den Schülern immer auch seine lebhaften Eindrücke von den großen Brüsten der Soldatin schilderte, redet der Oberbürgermeister nicht. Vielleicht gehört das auch nicht in eine Kirche, an so einem Tag. Es ist auch eines der wenigen Male („Ein Novum”, sagt einer der Anwesenden.), dass der Oberbürgermeister in seiner Rede nicht nur auf die Opfer der Nazis eingeht, sondern auch Täter in Regensburg benennt. Den NS-Oberbürgermeister Otto Schottenheim, der seiner Feuerwehr verboten hatte, die brennende Synagoge zu löschen und der bei der Ausstellung „Blut und Rasse” Adolf Hitler mit den Worten zitierte „Der Jude ist ein Parasit und wird es bleiben.” Ein späterer Oberbürgermeister Regensburgs, Hans Herrmann, war unter Schottenheim Bürgermeister. Nach ihm ist eine Schule benannt. Schaidinger erzählt – ohne Namen zu nennen – von einem Regensburger aus gutbürgerlicher Familie, der „an vorderster Front beim Holocaust dabei”, an der Ermordung von 30.000 Juden in der Babijar-Schlucht bei Kiew beteiligt war. Er redet davon, dass keiner wirklich behaupten konnte, nichts gewusst zu haben, nachdem die Juden aus Regensburg 1938 durch die Stadt getrieben worden waren – 250 Menschen, die in den Konzentrationslagern umgebracht wurden. Und er redet von den Profiteuren. Den Regensburgerinnen und Regensburgern, die sich die Wertsachen ihrer Nachbarn aneigneten. Von den 44 jüdischen Geschäften und Betrieben, die zwangsarisiert wurden. Namen nennt er nicht. Nachdem der OB seine Rede beendet hat, geht er zurück zu seinem Platz, dort, wo auch Hans Rosengold sitzt und beide umarmen sich herzlich. Dann wird das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen” gesungen. Gegen Ende der Veranstaltung in der Neupfarrkirche stehen Schülerinnen und Schüler der Regensburger BOS im Altarraum. Die Schüler der BOS sind dafür bekannt, dass sie sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Dafür wurden sie schon als Schule mit Courage ausgezeichnet. Heute verlesen Sie die Namen und Schicksale von ermordeten Regensburgern. Manchmal wird ein wenig gegrinst, wenn sich einer verspricht. Sie sind die einzigen, die erwähnen, dass auch 600 Behinderte aus dem Raum Regensburg vom NS-Regime ermordet wurden. Am Ende zünden sie im Altarraum eine Friedenskerze an. Dann verlassen alle die Neupfarrkirche und gehen, allen voran viele Jugendliche, mit der Kerze im Schweigemarsch zur Synagoge. Dabei wird auch gelacht und miteinander gesprochen. Es werden Hände geschüttelt. Ein kleines Mädchen singt ein Kinderlied. An der Synagoge entsteht noch einmal kurz ein Auflauf, weil viele Menschen hineindrängen, um ihre Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde zu bekunden. „Das Gedenken soll sichtbar werden”, hat Dr. Thomas Rigl vom Arbeitskreis Religionen in der Neupfarrkirche gesagt. Sein Gedenken ist auch ein ganz persönliches. Sein Großvater Johann Igl wurde 1945 gehängt, weil er gesagt hatte: „Wann haut dem Hitler endlich jemand ‘s Messer rei.”
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