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„Ich vermisse mein unschuldiges Herz“

In seinem Dokumentarfilm „Camp 14 – Total Control Zone“ bringt Regisseur Marc Wiese dem Zuschauer mit teils drastischer, aber immer berührender Klarheit das Leben eines politischen Häftlings aus Nordkorea näher.

Geboren in der Total Control Zone: Shin Dong-Hyuk. Fotos: RealFiction Filmverleih

Er verriet seine Mutter und seinen Bruder für eine Extraration Reis und das Amt des Klassensprechers. Beides erhielt er nie. Stattdessen wurde Shin Dong-Hyuk sieben Monate lang in eine winzige Zelle gesperrt und gefoltert. Mutter und Bruder wurden später vor seinen Augen öffentlich hingerichtet. Das alles erzählt der mittlerweile 29jährige Shin mit versteinerter Miene und leiser, immer wieder gebrochener Stimme. Er flüchtete vor sechs Jahren aus einem der Arbeitslager der Überwachungsstufe „Total Control Zone“, deren Existenz Nordkorea leugnet. Inzwischen lebt er in einer kleinen Wohnung in Südkorea, wo ihn der Filmemacher Marc Wiese mit seinem Team besucht und zu seinem Lebensweg befragt hat.

Der Hinrichtungsplatz: Szenen aus dem Lager werden als Animation gezeigt.

Entstanden ist ein Portrait nicht nur über die Art von Arbeitslagern, in denen Nordkorea seine politischen Gefangenen in ständiger Todesangst und völliger Isolation inhaftiert, sondern vor allem über die Menschen, die dieses System hervorbringt und prägt. Denn Wiese lässt in seinem aus Gesprächssegmenten und Animationen bestehenden Film nicht nur Shin zu Wort kommen, der im Camp 14 geboren wurde und bis zu seiner Flucht nie mit der Welt jenseits des Stacheldrahts in Kontakt gekommen war. Auch zwei ehemalige Offiziere ähnlicher Lager, die mittlerweile selbst im südkoreanischen Exil leben, nehmen zum Interview Platz.

Töten für Fleisch und zwei Flaschen Alkohol

Dabei unterscheiden sich Hyuk Kwon und Oh Yangnam in ihren Personen und dem Umgang mit ihrer Vergangenheit als Folterknechte des repressiven Systems durchaus. Während ersterer ganz unbeeindruckt in der Ich-Form davon erzählt, wie er Frauen vergewaltigt oder Häftlinge für ein Stück Fleisch und zwei Flaschen Alkohol getötet hat, spricht letzterer distanzierter und mit deutlichem Unbehagen von den Praktiken des Lageralltags. Die beiden markieren unbewusst zwei typische Tätertypen, wie sie bei jeder Form organisierter Unterdrückung und Misshandlung zu finden sind: Der Ideologe, der kein Unrecht in seinem Handeln erkennen kann, und der Technokrat, dem es schlicht und ergreifend egal ist, welchen Werten er seine Fähigkeiten in Dienst stellt.

Tötete für Alkohol und ein Stück Fleisch: Hyuk Kwon.

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So scheint sich Oh Yangnam durchaus im Klaren darüber zu sein, welches Glück er hatte, auf der „richtigen“ Seite der Gewehre zu stehen. Die Arbeit für die nordkoreanische Geheimpolizei war sein Weg, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Heute möchte er am liebsten den Mantel des Schweigens über seine Taten hüllen, hat Angst davor, irgendwann einstige Folteropfer wiederzutreffen. Ganz anders Kwon, der der Kamera freimütig sein heutiges Leben als Bauarbeiter und Familienvater präsentiert. Auf die Frage, ob seine Kinder von seinem Tun im Straflager wüssten, antwortet er gelassen, er werde ihnen ganz sicher alles erzählen, wenn sie nur alt genug wären.

Die Sehnsucht nach der Unschuld

Für Shin Dong-Hyuk macht das alles freilich keinen Unterschied. Ihm gelang die Flucht aus dem Camp nur durch einen Zufall – er kletterte über den Leichnam eines Freundes, der im elektrischen Stacheldraht hing, aus dem Lager heraus. Seine Sehnsucht, sich einmal im Leben richtig satt essen zu können, konnte er zwar stillen. Doch für den Zuschauer durchaus überraschend kommt sein Fazit der Freiheit: Die Allmacht des Geldes und der tägliche Kampf um die eigene Existenz machen ihm zu schaffen. Er wünscht sich eine Rückkehr in seine Heimat Nordkorea, wo er als Selbstversorger in Frieden leben möchte. Und etwas vermisst er sogar, so abwegig es nach seinem Lebens- und Leidensweg auch scheinen mag, an der Gefangenschaft: Die Unschuld des eigenen Herzens und das feste Gefüge des Lageralltages. Bis zum Tage, an dem Nordkorea seine Grenzen öffnet, wird er warten. Bis dahin lebt, so sagt er, seine Seele weiter in Gefangenschaft. Marc Wieses intensiver und häufig erschreckend konkreter Film, der seine Premiere beim internationalen Filmfest von Locarno 2012 feierte, kommt am 8. November in die deutschen Kinos.
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