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Buchbesprechung

Wer A sagt…

…muss auch einen Kreis drum machen: Eva Demski und ihr „anarchistisches Album“.

Den kennen Sie sicher: Wer mit zwanzig kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit dreißig immer noch Kommunist ist, hat keinen Verstand. Einer der Standardsprüche aus dem riesigen Repertoire der Arrivierten und Reichen, bei passender wie unpassender Gelegenheit ausgespuckt aus Gründen der Besitzstandswahrung. Der Kommunismus wird als Kinderkrankheit vom Tisch gefegt, aber der Anarchismus? Gegen den muss man gar nicht erst Stellung beziehen, über den muss man doch kein Wort verlieren. Anarchos, Punks und ähnliche Außenseiter, die disqualifizieren sich selbst.

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Soweit der Stand der gleichgeschalteten, festgezurrten Meinung. Und dann kommt Eva Demski daher, die erfolgreiche, vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin. Im Mai wird sie neunundsiebzig. Und schwärmt einem auf 220 Seiten vom Anarchismus vor. Nicht auf schlechtem Papier in einem abseitigen Winzlingsverlag, sondern sauber und edel gedruckt, im renommierten Insel Verlag, mit vielen, teils farbigen Fotos von Ute Dietz, die auf gemeinsamen Stadtexpeditionen mit der Autorin die verschiedensten anarchistischen Mementos und Menetekel in Graffitiform dokumentiert hat.

Nichts für Verfechter einer sauberen Stadt…

An dieser Stelle schon mal eine rein optische Triggerwarnung:

Achtung! Ordnungsliebende Verfechter einer sauberen Stadt werden in diesem Buch durch den Anblick von wüstem Vandalismus in ihren heiligsten Gefühlen verletzt!

Schon der Schutzumschlag macht seinem Namen keine Ehre und liefert den Betrachter schutzlos der Detailansicht einer abblätternden giftgrün-orangen Wandschmiererei mit dem teuflischen A im Kreis aus!

Und das sind nur die Fotos. Eva Demskis Text hätte vor jeder Seite eine Triggerwarnung verdient: Verharmlosung, keinerlei Distanzierung, stattdessen unverhohlene Sympathie mit Insubordination und Eigensinn! Offene Ablehnung von Konformismus, Duckmäusertum und Autoritätshörigkeit! Ja liebe Frau, was bleibt denn dann noch übrig von unserem heiligen Deutschland und seinen Tugenden!?

Persönlich gefärbt, selektiv, undogmatisch

Oskar Lafontaine, als er noch einigermaßen bei Trost war, hat mal das Nötige gesagt zu den deutschen Tugenden: mit ihnen kann man auch ein KZ betreiben. Bei dem bösen Wort Kadavergehorsam denkt zwar niemand an das Deutschland der Gegenwart, und auch Eva Demski drückt es diplomatischer aus, sie spricht von „einer Gesellschaft, die Unselbständigkeit für selbstverständlich, ja geradezu für wünschenswert zu halten scheint“.

Aber schön ist das ja trotzdem nicht, wenn einem andauernd klargemacht wird, dass man das Denken den Pferden überlassen sollte.

Deshalb war das schon lang mal fällig: ein historischer Streifzug durch die Geschichte des Anarchismus, persönlich gefärbt, selektiv, undogmatisch. Eva Demski geht davon aus, dass der libertäre Funke auch in der antilibertär beherrschten Welt an jeder Ecke lauert – und zuweilen auch ein wärmendes Feuer entfacht. Gleich auf der ersten Seite findet sie es „interessant, wie viele Denkelemente des Libertären in der sogenannten guten Gesellschaft herumgeistern, ohne dass sich ihre Mitglieder dessen auch nur im geringsten bewusst sind.“

Bakunin, Lagerfeld, Lindenberg

Was Eva Demski hier abliefert, ist keine Doktorarbeit. Sie habe ihre Anarchistensammlung „aus reinem Vergnügen zusammengetragen“, stellt sie klar, „ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder Vollständigkeit“. Aus ihrem „anarchistischen Album“ grüßen nicht nur amtlich beglaubigte Anarchisten wie Michail Bakunin, Peter Kropotkin und Erich Mühsam, sondern auch so fröhliche Dilettanten wie Karl Lagerfeld, Marcel Reich-Ranicki und Udo Lindenberg.

Den letztgenannten drei Herren, gemeinhin nicht als anarchismusverdächtig gebrandmarkt, ist ein eigenes Kapitel gewidmet, vielleicht nicht das überzeugendste, aber ganz abwegig ist es dann doch nicht. Immerhin kann man die drei als leuchtende Vorbilder dafür sehen, dass Konventionen manchmal konsequent ignoriert werden müssen, damit man zu was kommt. Damit man zu sich kommt. Es ist „das Bei-sich-Bleiben“, das Eva Demski an den drei Herren imponiert.

Anarchisten, „die nicht wussten, dass sie das waren“

Wenn Eva Demski über Anarchisten schreibt, dann auch und gerade über solche, „die nicht wussten, dass sie das waren“. Und natürlich über solche, die heute nicht wissen, dass sie das sind; in einem Nebensatz auf Seite 122 unten verleiht sie der Fridays-for-Future-Bewegung anarchistische Weihen, während sie Ernst Jünger „den Begriff des Anarchen“ in einem anderen Nebensatz auf Seite 153 „erst einmal entschlossen wegnimmt“.

Was heißt „erst einmal“, der notorische Kriegsverherrlicher und pedantische Insektenaufspießer, wegen seines Drogenkonsums von manchem Wirrkopf zum Anarchen hochgejubelt, wird gottlob kein zweites Mal erwähnt.

Das klingt, bis auf Fridays for Future, bis jetzt ausgesprochen männerlastig. Ist es auch. Doch Eva Demski wäre nicht Eva Demski, wenn sie nicht gehörig gegensteuerte. Der geneigte Leser kriegt erst mal zwei lange Kapitel über Emma Goldman und Bertha Boxcar vorgelegt, bevor Michail Bakunin und Pjotr Kropotkin überhaupt in Erscheinung treten. Und das sind keine Alibikapitel, sondern das Herzstück des Buches.

Von Emma Goldmann zum Phänomen Banksy

Emma Goldman, „russische Jüdin oder jüdische Russin“, geboren in Litauen, aufgewachsen in Königsberg/Kaliningrad und Petersburg, wandert als Jugendliche nach Amerika aus und wird dort praktisch mit den Haymarket Riots empfangen. 1886 wollen die Arbeiter in Chicago den Achtstundentag erzwingen, der Streik wird niedergeschlagen, die Anführer werden gehängt – der Ursprung des 1. Mai als Kampftag der Arbeiterklasse.

Emma Goldman spricht auf dem Union Square (21. Mai 1916).

Für Emma Goldman ist es der Beginn eines bedingungslosen politischen Lebens, immer wieder wird sie für ihre freiheitlich-anarchistisch-feministischen Ansichten eingesperrt, 1919 wird sie nach Russland abgeschoben. Dort lernt sie die Bolschewiki, mit denen sie eigentlich sympathisiert, kennen – und fürchten. Und bei all den politischen Kämpfen bleibt sie bei ihrer ketzerischen Ansicht, „es sei politisch durchaus nichts Falsches, wenn man schöne Dinge liebe, die Musik, das Theater“.

Emma Goldman ist in diesem anarchistischen Album wohl Eva Demskis Lieblingsstück, denn auch sie verweist zurecht auf die „brandgefährliche Verachtung alles Schönen im Marxismus“ (S.21) und widmet der anarchistischen Ästhetik ein ganzes Kapitel („Punk-Prunk“), bevor sie dem Phänomen Banksy ihre Huldigung erweist („Der Künstler ist abwesend.“): Wenn das, was sich Banksy nennt, nicht Anarchismus ist, was dann?

„Mein Album ist voll, aber vieles fehlt.“

Auf Seite 141 kommt sie endlich auch auf den Monte Verità zu sprechen, jene im Jahr 1900 von München aus gegründete Aussteiger- und Anarchistenkommune, hoch über Ascona am Lago Maggiore in der Schweiz. Letzterer, der Schweiz, ist übrigens ein eigenes Kapitel gewidmet, über die anarchistischen Uhrmacher, die es dort im 19. Jahrhundert gab. Und über das sogenannte Weltwirtschaftsforum in Davos, auf dem Jahr für Jahr eben jene Welt gerettet wird, die, wie es Eva Demski schneidend ausdrückt, „unter tätiger und hochdotierter Mitwirkung der anwesenden Gäste zuvor versaut, vergiftet, verbrannt und verkauft worden ist“.

Aber wo bleibt Fanny Reventlow? Naja, es gehen ja auch noch so viele andere ab (zum Beispiel der Punker-Mike), und Eva Demski sagt am Ende selbst: „Mein Album ist voll, aber vieles fehlt.“ Doch auf Seite 186 taucht sie dann doch endlich auf, die Fanny Reventlow, die immer (so auch bei Eva Demski) fälschlich Franziska genannt wird. Die unsterbliche Fanny Reventlow, die so göttliche Romane geschrieben hat wie „Herrn Dames Aufzeichnungen“ (1913), und die so draufgängerisch war, dass sie es geschafft hat, sich im Sommer 1918 mit 47 Jahren am Lago Maggiore mit dem Radl zu derrennen.

Ansonsten hat sie neben unglaublich witziger und intelligenter Literatur noch tausende von unglücklichen Männern hinterlassen. Und hunderte von glücklichen. Wenn man das Foto sieht, wo sie um die Jahrhundertwende mit 30 nackt am Strand von Samos liegt, könnte man heute noch auf der Stelle den Verstand verlieren.

Fanny Gräfin zu Reventlow – um 1900.

Kurzum: eine Frau, die tat, was sie konnte. Eine Anarchistin der Tat, der in Regensburg immerhin ein schönes Denkmal gesetzt wurde, durch ein Hörbuch vom LOhrbär Verlag (Franziska zu Reventlow: „Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel“, elf Kurzgeschichten, vorgelesen von verschiedenen Sprechern, 1 USB-Stick und 1 mp3-CD, 250 Minuten, LOhrbär Verlag, Regensburg 2020, 19,90 Euro, als Download 13,95 Euro).

Das Bayernkapitel darf natürlich nicht fehlen

Aber zurück zu Eva Demski. In der illustren Schar von Anarchen und Anarchisten darf natürlich das Bayernkapitel nicht fehlen. Es heißt „Das echte Schwarz“ und präsentiert Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller, jene vier Herren, die sich alles andere als einig waren und dennoch 1918/19 gemeinsam den Freistaat Bayern aus der Taufe hoben, der im Mai 1919 in Grund und Boden geschossen wurde.

Denn nur deshalb, weil dem Freistaat, kaum dass er begründet worden war, gleich wieder der Garaus gemacht wurde, kann sich die CSU, diese zutiefst reaktionäre Dumpfbackenpartei, heute als Wahrerin eines „Freistaats“ gerieren, den sie als ihre Erfindung hinstellt.

Nicht nur der Freistaat, also der echte jetzt, wurde niederkartätscht, auch seine Ausrufer bezahlten diese ihre mutige Tat allesamt mit dem Leben: Kurt Eisner wurde am 21. Februar 1919 in München auf offener Straße erschossen, Gustav Landauer am 2. Mai 1919 in München-Stadelheim erschlagen, Erich Mühsam wurde am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg ermordet, Ernst Toller erhängte sich am 22. Mai 1939 in New York aus Verzweiflung über den Sieg des Faschismus in Europa.

Eva Demski: „Aber das echte Schwarz hat überlebt. Und Achternbuschs anarchistischer Leitsatz wird immer weitergegeben werden: Du hast keine Chance, aber nutze sie!“

In blasphemischer Abwandlung eines Buchtitels von Jesus Ratzinger nennt Demski den Anarchismus „das Salz der Erde“, und im Gegensatz zum verblichenen Machtmenschen J.R. versteht sie was anderes darunter: „Niemals beherrschend, das wäre ein Widerspruch in sich, aber immer notwendig.“ Und dann setzt sie nach: Anarchismus? „Er war immer da. Er wird immer da sein. Er wird niemals siegen.“ Eva Demskis Buch über den Anarchismus, über die immer wieder abgewürgten menschlichen Freiheitsregungen und -bestrebungen, ist ein Buch des Bedauerns.

Eva Demski: Mein anarchistisches Album. Insel Verlag, Berlin 2022, 220 Seiten, 24 Euro

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Kommentare (4)

  • Julian86

    |

    Zwei kleine Aspekte kann und will ich nur herausgreifen.

    Aus dem Album der Autorin grüßen u.a. Karl Lagerfeld, Marcel Reich-Ranicki und Udo Lindenberg. Imponiert haben ihr deren “Bei-sich-Bleiben“. Was sie erfolgreich machte. Solches kann man bei Markus Söder nicht behaupten. Ist er demnach “außer-sich”? Er wechselt ja die Fähnchen, was der Erhalt der Macht halt gerade so verlangt. Und gleichwohl: Wenn die Grünen mit ihrem frisch herausgebrachten, 85 seitigem “Regierungsprogramm” nicht mit “20% plus einem sehr großen X” durch Landtagswahl-Ziel marschieren, wird es mit dem “Opfelsaft” ein “dumpfbackiges” Weiter-so geben.

    Soweit im Schlusssatz “über die immer wieder abgewürgten menschlichen Freiheitsregungen und -bestrebungen” zu lesen ist, sei auf das Kooperationsmodell “TOP DOWN” / “BOTTOM UP” hingewiesen, wovon dieser Essay kündet:

    “Es geht dabei darum, alte Konflikte oder Widersprüche aufzuheben – etwa den von Top down versus Bottom up. Diese beiden Ansätze für Veränderung, die einerseits von oben, also vom Staat, der Unternehmensführung, der Behördenleitung vorangetrieben wird, und andererseits von unten, von Bürgern und Bürgerinnen, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Beamten, schließen sich nicht aus, im Gegenteil, im Idealfall ergänzen sie sich zu einem umfassenden Konzept von Wandel.”
    https://www.rnd.de/wirtschaft/gastbeitrag-zur-ampel-fortschrittskoalition-ohne-innovationen-geht-es-nicht-KPOMBTSNCZA33N2YLXDBRWFU4Q.html

    Den letztgenannten drei Herren, gemeinhin nicht als anarchismusverdächtig gebrandmarkt, ist ein eigenes Kapitel gewidmet, vielleicht nicht das überzeugendste, aber ganz abwegig ist es dann doch nicht. Immerhin kann man die drei als leuchtende Vorbilder dafür sehen, dass Konventionen manchmal konsequent ignoriert werden müssen, damit man zu was kommt. Damit man zu sich kommt. Es ist „das Bei-sich-Bleiben“, das Eva Demski an den drei Herren imponiert.

  • fritz

    |

    Danke, genau so flockig muss das rüber kommen, nur ein bisserl konstruktiver hätte die Selbstorganisation rüber kommen können, als charmanter Versuch der Beziehungen: Denn von „einer Gesellschaft, die Unselbständigkeit für selbstverständlich, ja geradezu für wünschenswert zu halten scheint“ ist keine Gnade für neue Lebensstile zu erwarten, aber allmählich wachere Aufmerksamkeit …

  • xy

    |

    Ein stolzer Preis für so wenig Buch in einem aufplusternden Großdruck, der jedem 100-jährigen den Gang zum Matt erspart.

  • Julian86

    |

    Zu @ Fritz´ Meinung, es sei von unserer Gesellschaft keine Gnade für die neue Lebensstile zu erwarten, ein Literatur- und Erfahrunghinweis: ´Wer nicht hören will, muss fühlen.`

    Pablo Servigne und Raphaël Stevens
    Wie alles zusammenbrechen kann
    Handbuch der Kollapsologie
    22,- EUR

    “Eine größer werdende Anzahl von Autor:innen, Wissenschaftler:innen und Institutionen kündigt das Ende der industriellen Zivilisation an, das heißt das Ende der Bedingungen für ein Leben, wie wir es bis jetzt gekannt haben.”

    Verlag
    https://www.lehmanns.de/shop/naturwissenschaften/59248916-9783854769200-wie-alles-zusammenbrechen-kann

    P.S.

    Der bekannte Politologe Ulrich Brand hat zu diesem Buch ebenfalls ein Vorwort geschrieben — > freitag.de

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