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Kriegsende in Regensburg

Widerlegte Geschichtsklitterung

Peter Eiser und Günter Schießl haben Ende April 2012 mit „Kriegsende in Regensburg. Die Revision einer Legende“ das verdienstvolle Ergebnis ihrer langjährigen Recherchen bzw. Forschungen vorgelegt. Die Autoren untersuchen und – um es vorweg zu nehmen – dekonstruieren die bislang gültige Darstellung der letzten Kriegstage in Regensburg. Diese fußte auf dem Bericht des Zeitzeugen Robert Bürger, der sich im April 1945 als Major der deutschen Wehrmacht in Regensburg aufhielt, aber erst im Jahr 1984 öffentlich in Erscheinung trat.

Teil I unserer dreiteiligen Serie zum Kriegsende in Regensburg (hier eine kurze Zusammenfassung). Der komplette Text von Robert Werner als PDF.

US-Truppen am fürstlichen Park in Regensburg. Alle Fotos: Günter Schießl, Veranstaltung vom April 1995 im ehemaligen Kreisleiterbunker Regensburgs

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Die Angaben Bürgers als am Kriegsende Beteiligter wurden Mitte der 1980er Jahre als mittlere Sensation wahrgenommen. Skurrilerweise galt die damalige Darstellung Bürgers ihrerseits – wie die aktuelle von Eiser und Schießl – als das Ende vormals bemühter Legenden über die Rolle von Oberbürgermeister Otto Schottenheim bzw. die des Dompredigers Johann Maier. Die Revision der Revision? Mehr noch – ein Provinzskandal durch Geschichtsklitterung deutet sich an.

Angesichts der vielfältigen sachlichen Ebenen und zeitgeschichtlichen Phasen wurden die vorliegenden Rechercheergebnisse in drei Teile aufgetrennt. Diese werden nacheinander auf „regensburg-digital“ publiziert werden.

Der nachfolgende erste Teil stellt im Anschluss an Bürgers Darstellung das Buch von Eiser und Schießl bzw. deren wesentlichen Ergebnisse vor. Der zweite Teil wird sich mit dem historischen Kontext der Legendenbildung zum Kriegsende in Regensburg beschäftigen. Im letzten Teil soll den Fragen nach Wissenschaftlichkeit und Geschichtsklitterung, die sich im Zusammenhang bzw. im Gefolge mit der Publikation von Bürgers Arbeit stellen, nachgegangen werden.

„Kriegsende in Regensburg. Die Revision einer Legende“

Wer von Peter Eiser und Günter Schießl eine umfassende Darstellung des Regensburger Kriegsendes erwartet hat, wird enttäuscht sein. Ihr verständliches Anliegen ist es vielmehr, den Bericht von Robert Bürger einer wissenschaftlich gehaltenen Revision zu unterziehen.

Mit ersten Recherchen begannen sie Anfang der 1990er und rund zehn Jahre später mit konkreten Archivforschungen. Von ihren vielfältigen aufschlussreichen Ergebnissen kann leider nur ein Bruchteil besprochen werden. Der zentrale Gegenstand ihrer Recherche ist der Artikel „Regensburg in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945“ von Robert Bürger, der im Jahr 1984 in den „Verhandlungen des Historischen Vereins Regensburg und der Oberpfalz“ (VHVO Band 123, 1983) veröffentlicht wurde. Dieser wird im Folgenden Bürger (1983) genannt. Zunächst zu dessen Schilderung der Ereignisse.

Robert Bürgers Darstellung der letzten Kriegstage

Der zur Revision anstehende Aufsatz beginnt mit einem Vorwort von Werner Chrobak. Darin werden u.a. die außergewöhnlichen Hintergründe der Publikation, die Quellenlage und die militärische Lage im April 1945 eingeführt. Chrobak ist seit Anfang der 1980er Jahre Bibliotheksrat in der Bischöflichen Zentralbibliothek, deren Direktor, Msgr. Paul Mai, damals zugleich die Funktion des 1. Vorsitzenden und des Schriftleiters (der VHVO) des Historischen Vereins ausübte.

Zu Bürgers Bericht. Ihm zufolge sei er im April auf dem Weg zur übergeordneten Dienststelle zufällig bei seiner Ehefrau in der Stadt gewesen und habe sich als Ortskundiger beim damaligen Kampfkommandanten Major Hans Hüsson freiwillig gemeldet. Daraufhin sei Bürger am 24. April 1945 zum „Stellvertretenden Kampfkommandanten“ Regensburgs ernannt worden. Seinen Ausführungen nach stand die mit exakten Luftaufnahmen geplante und massive Zerstörung des mittlerweile fast vollständig durch die US-Army eingekesselten Regensburgs für den 27. April bevor. Er und die Regensburger Kampfgruppe, ergänzt mit ausgeruhten Truppen von außerhalb, seien für den vom Gauleiter angeordneten finalen Kampf bereit gewesen.

Als in der Nacht des 26. Aprils die Führung der übergeordneten „Heeresgruppe G“ angefragt habe, ob ein geordneter Auszug der Kampfgruppe aus Regensburg möglich sei, habe er, so Bürger, einen Gedankenblitz („coup d’oeil“) gehabt und einen nur ihm bekannten Schleichweg vorgeschlagen. Zur Verdeutlichung des französischen Begriffs verweist Bürger in einer Fußnote (selbstgefällig) auf „Vom Kriege“ von Carl von Clausewitz bzw. auf den daraus stammenden eigentümlichen Ausdruck. Daraus sei ein kontroverser Schlagabtausch zwischen dem Stadtkommandanten Hüsson, dessen taktischen Führungsgehilfen, Major Othmar Matzke (der sogenannte „Ia-Offizier“, den Bürger jedoch nicht namentlich nennt), und ihm entstanden. Er, Bürger, habe sich dabei durchgesetzt – gegen den „Ia“ und dessen „offensichtlichen Mangel an Kriegserfahrung“. Hüsson sei also der Einschätzung des ortkundigen Stellvertreters, und nicht der des „Ia“, der angeblich von „Wahnsinn“ sprach, gefolgt und binnen weniger Stunden habe man die Kampfgruppe, ein Regiment von etwa 1400 Mann, in Reih und Glied aus der Stadt bzw. bis zum Morgengrauen des 27. April in Sicherheit geführt. Dadurch sei eine Schlacht und die sichere Zerstörung der Domstadt verhindert worden.

Entgegen der gegebenen Befehlslage sei der Ia-Offizier, der die letzten militärischen Abwicklungen in der Stadt zu regeln hatte, jedoch nicht in die neue Stellung nachgerückt, sondern vielmehr absichtlich in die amerikanische Gefangenschaft gegangen. Dies sei als unerlaubtes Entfernen von der Truppe gemeldet worden. Neben seinem eigenen Gedankenblitz („coup d’oeil“) führt Bürger im VHVO-Aufsatz weitere Umstände für die Rettung Regensburgs an: wie eine falsche Entscheidung des Gauleiters, zufällige militärische Entwicklungen oder die Unterstützung durch ziviles Personal. Die Hauptlast habe allerdings er getragen. Die Idee und der vollzogene Regimentsauszug geraten bei Bürger zur Grundvoraussetzung bzw. zum Bestandteil eines Wunders. Den Abschluss seiner, teilweise in der dritten Person vorgetragenen Ausführungen, bildet eine religiöse Spekulation, was für einen ansonsten wissenschaftlich gehaltenen Aufsatz bzw. die VHVO eher ungewöhnlich ist.

„Soviel scheinbare ‚Zufälle‘ sind für den Gläubigen ein Beweis, daß Gott die Opfer der Märtyrer der Friedensdemonstration vom 23. 4. 1945 und die Gebete der Regensburger angenommen hat, obwohl diese Vorgänge mit keinem Wort in den militärischen Unterlagen erwähnt werden.“

Von der verwunderlichen Bezugnahme auf den angeblichen Beweis einer Gebetserhörung abgesehen, befremdet dieser Schluss Bürgers, der vor seiner Pensionierung Obersts und Schulungskommandeur an der Heeresunteroffizierschule Sonthofen (in den Gebäuden der vormaligen Adolf-Hitler-Schule) war, ungemein. Diese wohl gewählte Formulierung liest sich wie eine treffliche Empfehlung für die sogenannten Märtyrer des 23. Aprils um Domprediger Maier, um ihnen den Weg in die „Abteilung Selig- und Heiligsprechungsverfahren“ im Bischöflichen Ordinariat freizumachen. Dazu aber an späterer Stelle.

Zunächst zu den Ergebnissen der aufwändigen und weitgehend überzeugenden Arbeit von Eiser und Schießl.

Die Revision einer Legende

Bürgers zentrale Ausführungen halten der Überprüfung durch Eiser und Schießl nicht stand. Die Autoren belegen zum Beispiel, dass Bürger nicht zur regulären Dienstausübung in der Stadt war. Eigentlich hatte er bereits Anfang April 1945 den Marschbefehl zu einem Panzerregiment an die Ostfront erhalten, dem er aber nicht nachkam. Die Autoren vermuten ein absichtliches und angesichts der drohenden Niederlage ein nachvollziehbares Ignorieren des Befehls. Diese Vorgänge im Nachkrieg zu verschleiern, scheint eine zentrale Motivation Bürgers zu sein, wobei „er durchgängig manipulatorisch mit Texten und Dokumenten umgeht“ (S. 148).

Ebenso zentral: Für die von Bürger reklamierte Berufung zum „Stellvertreter des Regensburger Kampfkommandanten“ gibt es laut Schießl und Eiser keinen „unabhängigen dokumentarischen Nachweis“. Vielmehr war ein solcher Rang damals nicht geläufig, was Chrobak im Vorwort aber nicht daran hinderte, Bürger ohne Nachweis als „stellvertretender Kampfkommandant von Regensburg“ anzusprechen. Zudem wird das von Bürger geschilderte militärische Szenario in zentralen Teilen als widersprüchlich und in der Substanz aufgebläht geschildert. Dies zeigt sich z.B. an den von ihm vorgelegten und angeblich eigens kurz vor der Zerstörung und Einnahme von Regensburg aufgenommenen US-Luftaufnahmen. Tatsächlich sind solche Aufnahmen in der US-Airforce spätestens seit August 1943, dem Zeitpunkt der ersten Bombardierung, in bester Qualität verfügbar.

Des Weiteren stützt Bürger sich für seine Ausführungen auf eine teilweise geschwärzte Kopie eines von ihm abgeschriebenen Kriegstagebuchs des angeblich ausgezogenen Regiments. Dieses dubiose Schriftstück wird von Schießl und Eiser zu Recht als unzulässige Quelle bewertet. Da das Original dieses Tagebuches weder greifbar noch sekundär überliefert ist, untersuchen die Autoren in einem eigenen Kapitel die Problematik eines selbstverfassten Kriegstagebuchs. Der Befund ist verheerend.

Sie vermuten, dass Bürger diese vorgebliche Abschrift erst viele Jahre nach dem Krieg anhand von zugänglichen Faksimiles anderer Truppen verfasst hat. Durch die penible Rekonstruktion der militärischen Situation Ende April können Schießl und Eiser überzeugend schlussfolgern, dass weder der von Bürger bemühte Schleichweg noch ein ausgeruhtes Regiment mit 1400 Mann existent gewesen sein können. Die für den Regimentsrückzug benötigten Fahrzeuge, Treibstoffreserven, Verpflegungseinheiten und die unerlässlichen technischen Personaleinheiten seien nach Ansicht der Autoren schlicht nicht vorhanden gewesen.

Es gibt kaum ein von Bürger skizziertes Detail des Auszugs, das Eiser und Schießl nicht anhand von Archivrecherchen prüfen und widerlegen oder zumindest grundsätzlich anzweifeln. Dies gilt ebenso für die Zeit nach dem Rückzug aus Regensburg, in der Bürger mit „seiner Kampfgruppe“ (dem Grenadier-Regiment 713) bis zum letzten Kriegstag gekämpft haben will. Den Schlussfolgerungen von Eiser und Schießl zufolge kann das vorgeblich ausgezogene Regiment „in dieser Form nicht existiert haben“. (S. 147) Mehrfache Befragungen von Zeitzeugen an diversen Orten nach der eventuellen Beobachtung einer 1.400 Mann starken Truppenbewegung seien durchwegs negativ ausgefallen.

Eiser und Schießl attestieren Bürger Wichtigtuerei. Seine dreiste Methode: Er „verfertigte seine schriftlichen Beweismittel gerne selbst“ (S. 149).

Othmar Matzke – der eigentliche Held?

In der Darstellung der Ereignisse um die Übergabe der Stadt an die Amerikaner folgen Eiser und Schießl der Schilderung des seinerzeitigen Ia-Offiziers Othmar Matzke. Dieser habe seine Erinnerungen in dokumentierten Interviews mehrfach und gleichlautend vorgetragen. Ihm wird von den Autoren attestiert, dass seine Sicht durch andere Dokumente und Aussagen „weitestgehend bestätigt wird“ (S. 56).

Hier hätten die Autoren gut daran getan, die von ihm geschilderten Sachverhalte einer kritischeren Diskussion zu unterziehen und beispielsweise darzulegen, für welche Handlungen Othmar Matzke das mehrfach genannte „Ritterkreuz“ verliehen bekam oder wie er sich während und nach dem Krieg zum nationalsozialistischen Regime positionierte. Ebenso wenig ist die Begründung nachvollziehbar, wieso Matzke auch in der Gefangenschaft generell „ein beliebter Mann“ gewesen sein soll. Im diesem Bereich bleiben blinde Flecken in der Skizze der Autoren. Doch wie schildert Matzke die letzten Kriegstage?

Matzke gibt an, er habe, nachdem Kampfkommandant Hüsson und sein Stab von der Führung der „Heeresgruppe G“ am 26. April Richtung Landshut abberufen worden waren, die Stadt als ranghöchster Offizier entgegen dem Rückzugsbefehl nicht verlassen, sondern sich an Bürgermeister Otto Schottenheim gewandt. Mit diesem wurde einen Parlamentär, Schottenheims Schwager Generalmajor a. D. Leythaeuser, vereinbart, um den Amerikanern die Kapitulation zu überbringen. Matzkes Adjutant, Oberleutnant Schmid, habe daraufhin mit Leythaeuser den vorgelagerten US-Militärs mit weißer Fahne die kampflose Übergabe Regensburgs angeboten.

Matzke indessen sei daraufhin, drapiert als Kühlerfigur auf einem US-Jeep, durch die Stadt bzw. zu allen Kasernen gefahren worden, um den verbliebenen Soldaten bzw. den Volksturmeinheiten zu verdeutlichen: der Krieg in Regensburg ist aus, die Kapitulation vollzogen. Diese Vorgänge um die Übergabe wurden von US-Militär-Kameramännern auf einem (erhaltenen) Film festgehalten. Offenbar waren also trotz des Truppenabzugs nach Bürger (1983) noch kampfbereite Soldaten in der Stadt. Letztere nennt Matzke im Februar 1985 in einem Interview mit Bibliotheksrat Chrobak und Stadtarchivar Heinrich Wanderwitz „Durchhalteidioten“. Solche hätten ihn, so Matzke, wegen der Kapitulation der Fahnenflucht bezichtigt, wie er später in der Gefangenschaft erfahren habe.

Propagierte entgegen der Befehlslage die kampflose Ãœbergabe der Stadt: Othmar Matzke (re.).

Das Resümee von Schießl und Eiser hat unter anderem für die Lokalgeschichtsschreibung weitreichende Konsequenzen. Insgesamt gesehen gehen die Autoren davon aus, dass Bürger aus Eigennützigkeit mit subjektiven Stellungnahmen zum Kriegsende an die Öffentlichkeit ging. Insbesondere die Beobachtung, dass Bürger seine Kriegsberichte für die jeweilige berufliche Stationen in der Bundeswehr modifizierte und erst nach seiner Pensionierung, als eventuell anders aussagende Zeitzeugen bereits verstorben waren, ins Detail ging, lässt die Autoren die Frage aufwerfen, ob es ihm nicht um „die Chance auf eine Art militärischen Nachruhm“ ging.

Schießl und Eiser wollen mit ihrer Revision und Verwerfung der Darstellung von Robert Bürger auch den „ganzen Kometenschweif von ihn Zitierenden“ unterbrechen. Ob ihnen dies gelingen wird, bleibt abzuwarten. Hierbei wird insbesondere die Publikationspolitik des „Historischen Vereins“ als verantwortlicher wissenschaftlicher Verlag relevant sein, insbesondere da der „Kometenschweif“ dort seinen Anfang nahm. Dazu später ausführlicher.

Abschließend ist den Autoren Peter Eiser und Günter Schießl und ihrer sehr verdienstvollen Arbeit eine breite Aufmerksamkeit und eine vielfältige Rezeption zu wünschen. Ihre Revision könnte Ausgangspunkt für weitere Studien sein, für meine nachfolgenden Recherchen war sie unerlässlich.

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Kommentare (4)

  • Jürgen Huber

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    Offenbar wird in dieser Stadt Geschichtsschreibung nach dem Motto “Ich wünsch mir was” betrieben (siehe auch Stadtamhof).

    Bin gespannt auf die folgenden beiden Teile der Besprechung von Robert Werner.

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  • CSU-Mitlglied

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    Die Geschichtsschreibung in Regensbrug zeigt sich darn, dass die CSU-Fraktion im Regensburger Stadtrat an dem Ehrenbürger Herr Herrmann, einst CSU OB, festhält. Dieser war bekanntlich ein Vertreter der NSDAP und im Dritten Reich NSDAP Bürgermeister in Regensburg. nach 1945 offentsichtlich nach der “Ich wünsch mir was” Methode im Widerstand!

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Kommentare sind deaktiviert

drin