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Premiere im Velodrom

Woyzeck oder: Was ist eigentlich Wahnsinn?

Am Regensburger Stadttheater ist Woyzeck der einzig „Normale“ in einer Welt voller Irrer.

Egal wie schnell Plötners Woyzeck auch rennt – zum Wahnsinn der anderen kann er nicht aufschließen. Foto: Jochen Quast

Egal wie schnell Plötners Woyzeck auch rennt – zum Wahnsinn der anderen kann er nicht aufschließen. Foto: Jochen Quast

Wer in der Schule Woyzeck lesen musste, erinnert sich an Büchners unvollendetes Stückwerk: Woyzeck als armer Irrer in einer ihn unbarmherzig ausbeutenden Welt, in der er sich immer mehr verliert und in der er am Ende zum Mörder seines Mädchens wird. Katrin Plötner dreht in ihrer Sicht auf Woyzeck noch ein bisschen mehr an der Irrsinns-Schraube. Bei ihr ist Woyzeck, die arme Sau, der letzte Normale in einer Welt, die schon längst mehr als irre ist. Der Arzt? Besessen von der Idee der Unsterblichkeit und seiner eigenen Grandezza. Der Hauptmann? Besessen von Tugend und Moral und seiner eigenen Unzulänglichkeit. Marie? Besessen vom Gefühl, geliebt zu werden. Selbst Andres, der Freund, hat gepflegt einen an der Klatsche, vom testosteronstrotzenden Tambourmajor gar nicht zu sprechen.

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Woyzeck zieht die einzig ehrbare Konsequenz

Egal wie schnell Plötners Woyzeck auch rennt – zum Wahnsinn der anderen kann er nicht aufschließen. Dass er nicht aufgibt und es am Ende doch noch in die Liga der Irren schafft, ist die eigentliche Tragik dieses Regensburger Woyzecks. Wo er doch immerhin als Einziger den gesellschaftlichen Irrsinn als solchen erkennt und schlußendlich die einzige ehrbare Konsequenz daraus zieht, und sich in den nächsten Wassereimer stürzt.

Dabei bleibt die Inszenierung so fragmentarisch wie Büchners Text. Oft auf starke Bilder hin gebaut, folgt der Abend keiner stringenten inneren Dramaturgie, sondern darf als Spiegelbild des Stücks stocken, stehenbleiben, woanders wieder einsetzen. Dabei wird Katrin Plötner auch nicht müde, dem gediegenen Regensburger Theaterpublikum die Einzelheiten der menschlichen Anatomie nahezubringen, denn nackte Haut und primäre Geschlechtsteile rufen immer noch – auch im 21. Jahrhundert – in bayerischen Theatersälen ein erschrecktes Raunen hervor. Leute, in der Inszenierung ist ein Penis zu sehen. Ihr seid alle erwachsen, guckt ihr nie in den Spiegel? Kommt klar.

Kein Lösungsweg und keine Versöhnung

Ein paar der viel radikaleren Bilder in Plötners Inszenierung, zum Beispiel das Herrmann-Nitsch-Zitat gegen Ende des Stückes mit Woyzeck als büßender Jesusfigur mit den Füßen gen Himmel zeigend riefen wiederum beim Publikum nicht mal ein entrüstetes Räuspern hervor. Dabei ist die diesen Bildern innewohnende Blasphemie eine sehr augenöffnende: in einer Welt, in der man Amtsinhabern, Würdenträgern und anderen personifizierten Institutionen nicht mehr vertrauen kann, in der man sich nicht mal mehr auf das private Glück der Kleinfamilie und der Häuslichkeit zurückziehen kann, ist auch die Religion kein Trost mehr. Und wenn nicht mal mehr Beten hilft, ist die nackte Verzweiflung alles, was bleibt. Hier eröffnet sich kein Lösungsweg, kein Rückzug aus der Welt, keine Versöhnung, keine Handlungsanweisung für ein besseres, ein anderes Leben.

Dass in Regensburg der Woyzeck auf der wenig versöhnlichen Note der Geschichte des verlassenen Kindes endet, ist brutal, aber konsequent. Hoffnung und Heilung von dem Irrsinn in dieser Welt, der schon Mutter- und Vatergeneration verdorben hat, ist auch von der kommenden Generation nicht zu erwarten. Der Wahnsinn ist salonfähig geworden. Resignation, Isolation und schlußendlich Zerstörung sind die einzigen Auswege.

Woyzeck, Schauspiel von Georg Büchner

Inszenierung: Katrin Plötner, Bühne: Anneliese Neudecker, Kostüme: Henriette Müller, Musik: Markus Steinkellner. Bestzung: Woyzeck: Gunnar Blume, Marie: Pina Kühr, Hauptmann: Gerhardt Hermann, Doktor: Michael Haake, Tambourmajor: Robert Herrmanns, Andres: Sebastian Ganzert, Käthe: Franziska Sörensen, Narr: Jacob Keller

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Kommentare (1)

  • Bernhard Segerer

    |

    Dieser Woyzeck war leider ein Reinfall für mich.
    Nur ein paar Punkte:
    – Obwohl doch recht weit vorne hatte ich grosse Probleme die Schauspieler zu verstehen. Das ging auch anderen so, die das Stück insgesamt aber gut fanden.
    – Wie zum missglückten Ausgleich gab es dann dafür viel Gerenne, Gerumpel, Geturne, Gesinge und Getanze.
    – Der sozialkritische Aspekt rückte mit dem Fortgang des Stückes immer weiter in den Hintergrund – am Schluss bleibt als Mordmotiv die begehrende, sexuell aktive Frau im Kopf zurück. Auch eine mögliche Betonung des Stückes, aber die denkbar schlechteste.
    – Überhaupt schien die Sexualität das Hauptproblem der meisten Figuren gewesen zu sein. Die “Verderbtheit” – wenn man so will – der Protagonisten ist aber in meiner Lesart nicht ursächlich eine sexuelle sondern eine moralische, begünstigt durch eine zutiefst ungerechte ständische Gesellschaft. Zutreffend in diesem Artikel ist die Feststellung des Wahnsinns aller noch vor dem Wahnsinn Woyzecks – diese Interpretation enthebt aber nahezu den Einzelnen von der Verantwortung: Wenn alle schuld sind ist niemand schuld, womit die angestrebte Kritik der Verhältnisse letztlich lau wird.
    – Einige Szenen fügten sich nicht ein oder blieben gleich völlig rätselhaft. Ja, schon klar, Fragmente. Aber wenn man es nicht schafft, diese sinnvoll zu integrieren, dann lieber gleich weg damit. Diese Freiheit hat man sich und dem Publikum nicht gegönnt.
    – Entsprechend zog es sich gefühlt sinnlos in die Länge, obwohl insgesamt doch nur ca. 1 1/2 Stunden (ohne Pause) gespielt wurde. Weniger wäre mehr gewesen.
    – Die Versuche, das Stück mit Nacktheit und Chaos modern aufzupeppen wirkten eher provinziell. Dann entweder gleich den Stoff aktualisieren (dafür gäbe es wunderbare Möglichkeiten) oder eben klassisch präsentieren.
    – Einige Stellen fanden manche im Publikum anscheinenend zum Kichern. Woyzeck ist aber sicher kein lustiges Stück und braucht auch sicher keine humoristische Auflockerung. Wenn es so gewollt war, dann spricht das nicht für die Inszenierung – anderfalls auch nicht aber noch weniger für das Publikum.

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