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Stadtgeschichte

85 Jahre Bruckner-Feier: Regensburg inszeniert sich für den „Führer“

Im Juni 1937 befand sich Regensburg im Ausnahmezustand. Adolf Hitler hat sich zu einem Staatsakt angekündigt, um den Komponisten Anton Bruckner zu ehren. Tragende Rollen bei der Inszenierung für den „Führer“ spielten die NS-Karrieristen Theobald Schrems und Walter Boll.

Das Motiv aus der nationalsozialistischen Propaganda zeigt Adolf Hitler (l) bei der feierlichen Enthüllung der Anton-Bruckner-Büste in der Walhalla in Donaustauf am 6. Juni 1937, im Hintergrund der Domchor. Foto: Sammlung Berliner Verlag, Süddeutsche Zeitung Photo.

Von Robert Werner und Stefan Aigner

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Das Jahr zwischen Mai 1936 und Juni 1937 war für NS-Kreiskulturwart Walter Boll eine arbeitsame Zeit. Der „Führer“ höchstpersönlich hatte sich zu den Bruckner-Feierlichkeiten in Regensburg angekündigt. Ein mehrtägiges Ereignis, bei dem im Rahmen eines Staatsaktes am 6. Juni eine Büste von Anton Bruckner in der Walhalla enthüllt werden sollte. Boll erhielt die Aufgabe, Adolf Hitler eine angemessene Inszenierung Regensburgs zu präsentieren.

1936: Walhalla in „der Obhut des Führers“ 

1936 hatte die bayerische Landesregierung ihre Zuständigkeit über den „Ehrentempel des deutschen Volkes“ aufgegeben und, so verkündete es der Völkische Beobachter, „der Obhut des Führers“ überantwortet. Adolf Hitler nahm dies zum Anlass, um den jahrelangen Bestrebungen der „Internationalen Bruckner-Gesellschaft“ nachzugeben und Anton Bruckner als achten Komponisten mit einer Büste in der Walhalla zu verewigen.

Der 1896 verstorbene Österreicher galt wegen seiner monumentalen Sinfonien und Werken wie „Germanenzug“ oder „Helgoland“ neben Richard Wagner als Lieblingskomponist Hitlers, deutschtümelnd rezipiert und gut geeignet zur Inszenierung von Massenereignissen. Und ein solches sollten auch die Bruckner-Feiern werden.

NS-Bürgermeister Schottenheim und Reichskanzler Hitler 1937 anlässlich der Bruckner-Feier, Foto: Bildokumentation Stadt Regensburg

Erstmals nach Ludwig I. und Kaiser Wilhelm I. in den 1890er Jahren wurde die Aufstellung einer Büste in der Walhalla wieder als Staatsakt inszeniert, mit anschließendem Gautag in Prüfening, zu dem 200.000 Menschen aus ganz Ostbayern erwartet wurden. Begleitet werden sollte die Veranstaltung von mehrtägigen Feierlichkeiten mit Konzerten im Neuhaussaal, im Dom und in der säkularisierten Minoritenkirche. Allein deren Umbau ließ sich das Propagandaministerium 50.000 Reichsmark (nach heutigem Wert etwa 220.000 Euro) kosten.

Walter Boll: Regisseur der Regensburger Inszenierung

Zuständig für die künstlerische Gestaltung der Regensburger Inszenierung: Walter Boll. Unter seiner Ägide wurde die Minoritenkirche restauriert, für die Adolf Hitler eigens eine Orgel spendiert hatte. Boll war auch Hauptverantwortlicher, um Hitler eine angemessene Unterkunft zur Verfügung zu stellen.

Walter Boll mit Offiziersdolch (rechts im Bild, mit Brille), 1942 im Foyer des Ostmarkmuseums anlässlich der Übernahme des Stadtmodells ins Museum. Foto: Bilddokumentation Stadt Regensburg

Da die Unterbringung des „Führers“ in einem Hotel weder angemessen erschien noch den sicherheitsrelevanten Erwägungen entsprach, wurde der Kreiskulturwart mit der delikaten Aufgabe betraut, „eine Wohnung in den vom Vorplatz des Alten Rathaussaales zugänglichen sogenannten Kurfürstenzimmern“ einzurichten.

Für diese wurde Boll von Oberregierungsrat Rudolf Esterer vorgeschlagen. Dieser stand mit dem Kreiskulturwart „persönlich in guten Beziehungen“ und hielt ihn „hierfür für sehr geeignet“. Und so machte Boll sich daran, Dekorationsgegenstände, Teppiche, Sessel, Bücher und dergleichen aus dem Germanischen Nationalmuseum und der Münchner Residenz zu organisieren, um dem „Führer“ ein kaiserliches Ambiente zu simulieren.

„Keine Blumen werfen!“

Hitlerbesuch vorm Reichssaal anlässlich der Bruckner-Feier. Foto Stadt Regensburg

Regensburg, die Stadt der Reichstage des Heiligen Römischen Reichs, sollte sich nun, aufwändig geschmückt mit NS-Symbolen und Fahnen, als die aufstrebende Stadt des Dritten Reiches präsentieren und für Hitler und Gefolge feierlich inszenierte Zusammenhänge der Reiche erlebbar machen. Nachdem Hitler Regensburg verlassen hatte, durften Interessierte die Räume gegen Eintritt betreten und bestaunen. Ein Vorläufer des heutigen Reichstagsmuseums, das Boll nach 1945 gründete.

Während der Feierlichkeiten befand sich Regensburg mehrere Tage im Ausnahmezustand. Gesperrte und überreich geschmückte Straßen, jubelnde Volksgenossen an den Rändern und Massenaufläufe wurden erwartet. Der Regensburger Gestapo-Chef Siegfried Popp sah sich angesichts dessen zu einer Warnung veranlasst, die er am 4. Juni 1937 in der Bayerischen Ostmark veröffentlichen ließ:

„Anläßlich des Staatsaktes an der Walhalla und des Gautages am Sonntag, den 6. Juni, wird Regensburg den Besuch verschiedener Männer des Staates und der Partei erhalten. Bei solchen Anlässen glaubt die Bevölkerung immer wieder, ihre Liebe und Verehrung durch Werfen mit Blumen Ausdruck geben zu sollen, obwohl der Führer und Reichskanzler, wie auch andere leitende Persönlichkeiten schon wiederholt dem Wunsch Ausdruck gegeben haben, daß diese Unsitte, die festgestelltermaßen Gefahren in sich bergen kann, unterbleiben möge. Ich bitte dringend, an dem Festtag das Blumenwerfen zu unterlassen und mache darauf aufmerksam, daß gegen Zuwiderhandelnde mit Strafverfügung vorgegangen wird. Die Absperrmannschaften sind angewiesen, Blumensträuße wegzunehmen.“

Walter Boll vertuschte seine NS-Verdienste

Walter Boll war tragender Requisiteur und Regisseur dieser Inszenierung, zu der neben Adolf Hitler auch die übrige Führungsriege des NS-Regimes zur Walhalla und nach Regensburg kam – unter anderem Heinrich Himmler, Joseph Goebbels und Franz von Papen. Für den Zutritt zum streng abgeriegelten Rathausbereich bzw. den Führerbesuch hatte Boll drei Ausweise, einer stammt vom SS-Obergruppenführer Ernst-Heinrich Schmauser, der für die Sicherheit verantwortlich war.

Zum Bruckner-Fest waren die Straßen und Gassen in Regensburg aufwändig geschmückt. Foto: C. Lang, Stadt Regensburg, Bilddokumentation.

Doch nicht nur Boll, der es nach dem Krieg als Kulturreferent, städtischer Archivar und Museumsdirektor verstand und qua Amt in der Lage dazu war, seine Verdienste um das NS-Regime, um Arisierung und Enteignung zu verschleiern und entsprechendes Material und Fotos aus den Archiven systematisch zu vernichten und verwinden zu lassen, wurde vor, während und nach den opulenten Feierlichkeiten überschwänglich von der Presse und führenden Köpfen des NS-Regimes ob seiner Leistungen gelobt.

Domkappellmeister Schrems: NS-Propaganda mit Chor und Feder

Auch Domkapellmeister Theobald Schrems erfuhr für seine Beteiligung an den Bruckner-Feierlichkeiten regen Zuspruch. In der Minoritenkirche wurde unter Schrems’ Regie Bruckners Te Deum gegeben – mit einem Chor aus fast 500 Sängern, die sich aus allen kirchlichen und weltlichen Institutionen der Stadt Regensburg und den Domspatzen rekrutierten. „Wundervoll“ sei das gewesen, merkt Propagandaminister Goebbels in seinem Tagebuch an.

Aufführung in der Minoritenkirche mit Domkapellmeister Theobald Schrems und den Domspatzen 6. Juni 1937. Foto: Stadt Regensburg, Bilddokumentation.

Im NS-Blatt Bayerische Ostwacht steuerte der Leiter des Domchores zudem parallel zur Bruckner-Feier einen ganzseitigen Artikel zum Wirken Anton Bruckners als Kirchenmusiker bei. Dabei spart Schrems auch nicht mit lobenden Worten für die Verdienste „des Reiches und seines Führers Adolf Hitler“, der erkannt habe, dass der „Wiederaufstieg des deutschen Volkes“ nur denkbar sei, wenn auch die deutsche Kultur und Musik wiedererstehe. Schrems` systemrelevante Rolle bei den damaligen Feiern wurde bislang nicht thematisiert, auch nicht von Roman Smolorz, der in seiner Studie (Die Regensburger Domspatzen im Nationalsozialismus, 2017) exkulpierend meint, Schrems sei dem NS-Regime innerlich fern geblieben.

Festmahl der NS-Riege mit Boll und Schrems

Zum Abschluss des auch für die bayerische Naziriege enorm wichtigen Führerbesuchs lud Ministerpräsident Ludwig Siebert 230 handverlesene Gäste zum Festmahl ins Parkhotel. Eingeladen waren unter anderem der für die Sicherheit zuständige SS-Obergruppenführer Schmauser, der SA-Oberführer Croneiß (Messerschnitt), einige Gauleiter, hochrangige Militärs, der fürstliche Hofmarschall von Schirnding, die SS-Bürgermeister Otto Schottenheim und Hans Herrmann, der Rechtsrat Reinemer und Kämmerer Sailer. Und natürlich die willigen Helfer und ergebenen NS-Karrieristen Theobald Schrems und Walter Boll.

Walter Boll bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch Oberbürgermeister Friedrich Viehbacher. Foto: Stadt Regensburg, Bilddokumentation

Letzterer durfte zum Dank für seine erfolgreiche Inszenierung im November zur Weltausstellung nach Paris reisen. Ein kaum zu unterschätzendes Privileg.

Schrems: Beste Beziehungen nach oben

Die Stadt Regensburg verschuldete sich für den Umbau des Rathauses (Kosten hierfür knapp 31.000 Reichsmark) und der Minoritenkirche und bettelte daraufhin mit bedingtem Erfolg beim bayerischen Ministerpräsidenten Siebert. Für den Domkapellmeister hingegen war die Brucknerfeier ruhm- und ertragreich. Schrems stellte sogar die Kosten für die Brucknermesse im Dom in Rechnung, was bei höheren Nazifunktionären als Affront begriffen wurde.

Als die bayerische Staatskanzlei unter anderem diese Kosten nicht begleichen wollte, wandte sich Schrems direkt an SA-General und Ministerpräsidenten Siebert. Dieser ordnete daraufhin die Begleichung der gewünschten Vergütung an, was Schrems zu einem Dankschreiben veranlasste: „danke nochmals herzlich und zeichne in größter Verehrung mit Heil Hitler! Ergebenster Prof. Schrems Domkapellmeister.“

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Kommentare (7)

  • Mr Baseball

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    Tja Schrems und Boll sind für mich in einer liniezu Hans Hermann … was mich allerdings wundert, ist, dass die Regensburg diese, doch in exponierter Stellung tätigen Funktionäre, nach dem Krieg mit ihrer Vergangenheit nicht konfrontiert haben und diese somit die Möglichkeit hatten belastendes Material zu vernichten und sich reinzuwaschen !!! komisch komisch

  • Tom

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    Schön, dass hier mal von Anton Bruckner die Rede ist. Mein absoluter Lieblingskomponist!

  • Gscheidhaferl

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    …als ob es hier um Bruckner ginge.

    Vielen Dank für die Hartnäckigkeit in der Sache an r-d! Wenn es sowas wie ein Geschichtsbewusstsein hinsichtlich der NS-Zeit und der entsprechenden Verstrickungen der Stadt und Ihrer Bürger*innen gibt, dann ist das nicht zuletzt der r-d-Redaktion zu verdanken. Letztlich geht es ja immer darum, nicht zu vergessen, wie fehlbar wir alle sind. Schrems, Boll und Co sind ja auch nicht mit dem festen Vorsatz auf die Welt gekommen, Nazi-Schergen zu werden. Hoffentlich hilft es uns, entsprechenden Bestrebungen unserer Zeit nicht auf den Leim zu gehen.

  • Lenzerl

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    Eine Schau-Wohnung für Adolf Hitler in den Kurfürstenzimmern und ein Domkapellmeister, der die Messe hinterher in Rechnung stellt … es gibt doch immer wieder Kamellen aus Regensburgs “dunklen Jahren”, die zeigen, dass sich die Zeiten innerhalb einer Stadtgesellschaft nur bedingt ändern. Bemelmanns “Blue Danube” lässt grüßen!

  • Hthik

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    Was ist jetzt das für ein Artikel? Der geht gar nicht auf die schweren inneren Leiden der innerlich Distanzierten ein, wenn sie mal wieder Karrieresprünge machen mussten oder ihnen zugemutet wurde, ihre Wünsche zu erfüllen. Merke: keine echte Emmigration kann so schwer sein, wie die Innere. Kann sich das überhaupt ein Mensch vorstellen, wie das gewesen sein muss?

  • Fr. Streng

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    Es geht m.E. nicht immer darum, “nicht zu vergessen, wie fehlbar wir alle sind” – lb. Gscheidhaferl – und auch nicht darum “entsprechenden Bestrebungen unserer Zeit nicht auf den Leim zu gehen”. Es geht m.E. darum, dass es die Zivilgesellschaft Regensburgs, ihre politische Führung und Verwaltung bis heute mehrheitlich nicht wissen wollen, wie Boll und Schrems sich in der NS-Zeit verhalten haben und wie Boll und Schrems heute erinnert werden. Oder in einer Auftragsarbeit von Smolorz geschönt bzw. im Museum (nicht) dargestellt werden.
    Dank an Hthik für seinen famosen Perspektivenwechsel und den Hinweis auch die “schweren inneren Leiden”. Boll und Schrems waren aber nicht in innerer oder äußerer Emigration, sondern in erster Reihe der NS-Propaganda, für die haben sie sich verdient gemacht. Eine „Regensburg Gedenkkultur“, die auf geschönten und absichtlichen Ausblendungen basiert, ist das Papier nicht wert, auf der sie vorgestellt wird.

  • Gscheidhaferl

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    @Fr. Streng
    Stimmt natürlich. Dieses ‘Sich-der-Realität-nicht-stellen-wollen’ lässt sich zwar auch außerhalb Regensburgs beobachten. Mitunter entsteht aber schon der Eindruck, dass es in Regensburg nochmal besonders ausgeprägt ist. Leider. Zudem hab ich mich auch schon so an dieses dürftige Verhalten gewöhnt, dass es mir oft gar nicht mehr auffällt. Auch schade irgendwie. Insofern: Danke für den Hinweis/die Erinnerung!

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drin