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Wie die NS-Geschichte der Domspatzen geklittert wird

Das Buch des Historikers Dr. Roman Smolorz, Die Regensburger Domspatzen im Nationalsozialismus – Singen zwischen Katholischer Kirche und NS-Staat, wurde bei seinem Erscheinen als Pionierarbeit gepriesen. Eine Recherche in Archiven und der historischen Literatur zeigt dagegen: Autor Roman Smolorz hat wichtige Vorarbeiten und komplette Archivbestände ignoriert. Einige Quellen werden konsequent falsch angegeben. Die Rolle von Domkapellmeister Theobald Schrems wird meist geschönt.

Theobald Schrems und die "Domchor-HJ" in der Berliner Akademie November 1933. Foto: Privat

Theobald Schrems und die “Domchor-HJ” in der Berliner Akademie November 1933. Foto: Privat

Wie bereits in einer ausführlichen auf regensburg-digital veröffentlichten Buchbesprechung dargestellt, weist die kürzlich erschienene Arbeit des Osteuropa-Historikers Roman Smolorz Die Regensburger Domspatzen im Nationalsozialismus – Singen zwischen Katholischer Kirche und NS-Staat neben interessanten Details und erstmals geschilderten Zusammenhängen gravierende Mängel auf. In dem hier folgenden zweiten Teil werden konkrete Unzulänglichkeiten der Arbeit, die vom Verein Freunde des Regensburger Domchores e.V. in Auftrag gegeben wurde, anhand von Akten und Literatur, die Smolorz ignorierte, detailliert aufgezeigt und besprochen.

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Smolorz zeichnet Domkapellmeister Theobald Schrems in seiner unter Zeitdruck beendeten Arbeit als nicht gerade sympathischen, unpolitischen und opportunistischen Künstler. Als solcher habe sich Schrems ohne Berührungsängste, teils aus finanzieller Not, in die Abhängigkeit des NS-Regimes begeben, um neben seinem Ruhm und Erfolg auch den des Regensburger Domchors zu sichern und auszubauen. Seiner katholischen Kirche sei er aber letztendlich treu und dem NS-Regime innerlich fern geblieben.

Als übermächtigen Gegenspieler von Schrems stilisiert Smolorz den NS-Funktionär und Vorsitzenden des Vereins Freunde des Regensburger Domchores e.V. (Domchor-Verein) Dr. Martin Miederer. Das NSDAP-Mitglied Miederer habe die ursprünglich erfolgreiche Idee von Schrems, Hitler für den Gedanken eines Musikgymnasiums zu gewinnen, zerstört als auch den Domkapellmeister als Katholiken verfolgt und bekämpft. Ebenso sei der Geistliche Schrems von Miederer vor dem Hintergrund der sogenannten nationalsozialistischen Sittlichkeitsprozesse als Homosexueller diffamiert und zuletzt schutzlos von örtlichen NSDAP-Kreisen verfolgt worden. Nur das Kriegsende und der Einmarsch der Amerikanischen Truppen hätten die Enteignung von Schrems und die Auflösung des Domspatzen-Heims in Etterzhausen verhindert.

I. Zum Umgang mit Akten und Literatur

DomspatzenDes Eindrucks, dass die 57.000 Euro teure Auftragsarbeit des Regensburger Historikers Smolorz weniger eine unvoreingenommene Arbeitsweise aufgrund von Quellen und Akten als eine geschönte Deutung des Handelns von Chorleiter Theobald Schrems im Fokus hatte, kann man sich beim Lesen bald nicht erwehren. Eine Kostprobe für diese Tendenz gab Smolorz bereits 2016, als er in einem Aufsatz (Der Regensburger Domchor im oberschlesischen Grenzgebiet und in Polen 1936 und 1940) einen Teil seiner Ergebnisse publizierte und den Domchor eher als Opfer denn als Akteur der NS-Propaganda zeichnete.

Wer darüber hinaus auch die Fachliteratur zur Geschichte der Domspatzen in der NS-Zeit kennt, dem sticht ins Auge, dass Smolorz andere Arbeiten oftmals nur selektiv einführt und deren Ergebnisse teils willkürlich oder verdrehend darstellt. So hat er etwa den wegweisenden Aufsatz von Helmut Halter (Die „Regensburger Domspatzen“ (1924-1945), in: Winfried Becker, Werner Chrobak (Hg.): Staat, Kultur, Politik…, 1992) weitgehend vernachlässigt und ihn noch nicht einmal in sein Literaturverzeichnis aufgenommen.

Äußert problematisch ging Smolorz bei der Aktenrecherche vor. Wichtige Bestände staatlicher Archive ließ er unbeachtet. Stattdessen schenkte er oftmals, auch in der abschließenden Deutung, den parteiischen Überlieferungen und Schutzbehauptungen von Theobald Schrems Glauben, die dieser in der Nachkriegszeit verbreitet hatte. Hinzu kommen falsche oder widersprüchliche Signaturen.

Überprüft man die von Smolorz angegebenen Aktenbestände oder analysiert jene, die er ignorierte und nur willkürlich ausweidete, so muss man mehrfach eine unwissenschaftliche und offenbar interessengeleitete Vorgehensweise konstatieren.

Bevor an einigen Beispielen auf die jeweiligen historischen Ereignisse und Zusammenhängen bzw. ihre historische Deutung noch näher eingegangen wird, soll zunächst die befremdliche Praxis angesprochen werden, die Smolorz bei der Aktenrecherche und der Angabe von Signaturen an den Tag legte.

Falsche Signaturangaben

Ausweislich seiner Auflistung der benutzten Quellen im Anhang des Buches (S. 193 f.) ignorierte Smolorz überaus bedeutsame Aktenbestände, die in keiner seriösen Studie fehlen dürfen. Neben dem im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (BayHStA) liegenden ansehnlichen Akt (Signatur MK 51323) mit dem Betreff „Regensburger Domchor (Domspatzen)“ verschmähte er umfangreiche Bestände, die im Berliner Bundesarchiv (BArch) verwahrt werden. Hierbei handelt es sich etwa um Akten, die Martin Miederer als der für Musikausbildung zuständige Beamte des Reichserziehungsministeriums (REM) führte: jene mit der Signatur „R4901/ 4494, Betrifft: Die Errichtung einer Deutschen Musik-Oberschule in Regensburg (Musikgymnasium)“ und die mit der Signatur „R4901/ 4497, Betrifft: Regensburger Domspatzen“.

Überprüft man dagegen die in der Arbeit von Smolorz als Quellen genannten zwei REM-Akten, ergibt sich: Die einzige unter „Quellen“ (S. 195) für eine REM-Akte angegebene Aktensignatur „R4901/ 2579“ ist schlicht falsch und irreführend, da diese von der „Rückgliederung des Saargebietes“ und nicht von den Domspatzen handelt. Im eigentlichen Text taucht diese falsche Signatur eigenartigerweise nur in einer einzigen Fußnote auf (Nr. 741, S. 205).

In über dreißig weiteren Fußnoten gibt Smolorz den zweiten REM-Akt an, den mit der Signatur „R4901/ 7256“. Zumeist nutzt er diesen (erstmals genannt S. 25) als Belegstelle für historische Details und für von ihm dargelegte Zusammenhänge. Doch auch im Akt mit dieser Signatur sucht man vergebens nach Vorgängen, die irgendetwas mit der NS-Geschichte der Domspatzen zu tun haben – er handelt nämlich hauptsächlich von einem Partei-Verfahren der NSADP gegen einen Bielefelder Berufsschullehrer.

In den besagten über dreißig Fußnoten will Smolorz gewisse Daten, Aussagen und Zitate zur Geschichte der Domspatzen belegt wissen. Hierbei bezieht er sich meist auf den etwa 150seitigen Bericht des bereits erwähnten NS-Funktionärs Martin Miederer (Der Regensburger Domchor, 1940). Allerdings befindet sich dieser Bericht nicht, wie schon angedeutet, im Akt mit der Signatur „R4901/ 7256“ sondern im dem mit der Signatur „R 4901/ 4497“ (Betrifft: Regensburger Domspatzen), den Martin Miederer als Oberregierungsrat im Reichserziehungsministerium selber führte.

Bemerkenswerterweise benutzt Smolorz den Bericht des SS-Obersturmführers Miederer nach Belieben, aber ohne Quellenkritik. Als ob dieser eine seriöse wissenschaftliche Arbeit wäre, zieht er Miederer mehrfach heran. Andererseits stuft Smolorz Miederers Werk, das über weite Teile im sachlichen Ton eines Oberregierungsrats gehalten ist, als diffamierende Hetz- und Schmähschrift gegen Theobald Schrems ein. In seinem „Exkurs: Der Paragraph 175“ (S. 141f.) gibt er, versteckt in der verwirrenden Fußnote 567 (die übrigens ihrerseits die irreführende Seitenangabe „S. 75“ ausweist), beispielsweise wiederum die falsche Signatur „R4901/ 7256“ an.

Keine Flüchtigkeitsfehler

Sind diese fehlerhaften Signaturen „nur“ Flüchtigkeits- oder Übertragungsfehler? Wohl kaum, da Smolorz einschlägige REM-Akten und ihre richtigen Signaturen (wohl sogar ursprünglich) aus der von ihm herangezogenen wissenschaftlichen Arbeit von Werner Heldmann (Musisches Gymnasium Frankfurt am Main 1939 – 1945, 2004) gekannt haben muss. Es ist eher davon auszugehen, dass der Autor Smolorz unbedarfte Leser auf eine falsche Spur schicken und gewisse Vorgänge verdecken wollte. Die Annahme einer verschleiernden Vorgehensweise findet ihre kaum zu entkräftende Bestätigung in der Tatsache, dass Smolorz die korrekte Aktensignatur, „R4901 – Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung: 4497“ in der Druckvorlage für sein Buch (mit Stand Mai 2016) tatsächlich noch unter „Quellen“ (Druckvorlage 2016, S. 136) angeführt hatte.

Reagierte nicht auf unsere detaillierte Anfrage: Dr. Roman Smolorz. Foto: Archiv/ Werner

Reagierte nicht auf unsere detaillierte Anfrage: Dr. Roman Smolorz, 2017. Foto: Archiv/ Werner

Diese ausnahmsweise zutreffende Aktenangabe wurde also für die Druckfassung des Buches entfernt und durch die irreführende Angabe „R4901/ 2579“ ersetzt. Man kann sich der unerfreulichen Schlussfolgerung nicht entziehen, dass jemand den Zugang zu den einschlägigen Akten und darin befindlichen belastenden Dokumenten, etwa des Berichts von Oberregierungsrat Miederer, mit plumpen Methoden zumindest erschweren wollte.
Welche REM-Akten Smolorz tatsächlich eingesehen hat, ist für Außenstehende nicht nachvollziehbar, eine interessengeleitete Tendenz für eine geschönte Darstellung allerdings unverkennbar.

Auf eine detaillierte Nachfrage von regensburg-digital bezüglich der falschen Signaturen reagierte Dr. Roman Smolorz nicht.

II. Verschleierung von belastendem Material

Was genau Miederer in seinem Bericht von 1940 Schrems hinsichtlich §175 Strafgesetzbuch vorhielt, deutet Smolorz, halb nebulös halb verzerrt, nur an. Jedenfalls bleiben die wesentlichen Zusammenhänge unklar und somit gelingt es Smolorz, Theobald Schrems letztendlich als Opfer einer nationalsozialistischen Sittlichkeitskampagne darzustellen, hinter der Miederer gesteckt sein soll. Dass eine solche Sittlichkeitskampagne für die Nationalsozialisten erfolgreich verlaufen sei, glaubt Smolorz dadurch insinuieren zu können, dass „mancher doch auf Regensburgs Straßen unverhohlen (äußerte), dass der Paragraf 175 auf Schrems zutreffe“ (S.141). Wer mit „mancher“ gemeint sein könnte, verrät Smolorz nicht. Da er zu dieser vorgeblichen NS-Kampagne keine weiteren Belege angeben kann, ist sie eher im Bereich der Phantasie anzusiedeln.

Büste für den Professor von Hitlers Gnaden vor dem Domspatzen-Gymnasium in Regensburg. Foto: Werner

Büste für den Professor von Hitlers Gnaden vor dem Domspatzen-Gymnasium in Regensburg. Foto: Archiv/ Werner

Was steckte tatsächlich hinter dieser angeblichen Kampagne? Im Wesentlichen thematisiert Miederers Bericht hinsichtlich des im NS-Regime verschärften § 175 Strafgesetzbuch (“Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.”  Zur Geschichte der Aufhebung des Paragraphen)  zwei Vorgänge. Zum einen berichtet er davon, dass er Schrems unbedingt geraten habe, gegen die Andeutungen eines ehemaligen Domspatzen und Kirchenmusikstudenten gerichtlich vorzugehen. Dieser habe öffentlich in der Kirchenmusikschule angegeben, bei dem in der Auslage eines Fotographen präsentierten Lichtbild von Schrems fehle nur noch, „daß der § 175 darunter“ (S. 141) stehe. Schrems habe aber nicht geklagt (was Miederer kritisierte), weil der Student widerrufen und der Bischof ihm eine gerichtliche Klage verboten habe (S. 73).

Der zweite Vorgang ist von größerer Bedeutung. Miederer gab in seinem Bericht an, er habe Theobald Schrems erfolglos aufgefordert, einen gewissen Buchner, der seinerzeit als Männerstimme sang, aus dem Domchor zu entfernen. Dieser Buchner habe, so Miederer, bereits auf der Südamerikareise (1937) Domchorknaben sexuell missbraucht. Wie Miederer angibt, weiß er von den sexuellen Übergriffen aus einem persönlichen Gespräch mit Theobald Schrems, dem „die Angelegenheit sehr peinlich sei“ (Miederer, S. 73).

Miederer behauptet weiter, dass er Schrems aufgefordert habe, diesen Buchner (ein Johann Buchner nahm laut Passagierliste tatsächlich an der Südamerikareise teil) „unter keinen Umständen mehr im Domchor mitwirken zulassen“, was aber nicht geschehen sei. Anstatt dessen Übergriffe zu ahnden, habe Schrems sich für eine hauptamtliche Stelle als Kirchensänger zugunsten Buchners eingesetzt. Miederer bewertete das Vorgehen von Schrems in der Causa Buchner durchaus nachvollziehbar und korrekt: „Eine verabscheuungswürdige Handlung wurde damit durch Domkapellmeister Dr. Schrems gedeckt!“ (Miederer, S. 73). Obwohl Miederer seinen Bericht an mehrere staatliche Stellen schickte, wurde wegen der besagten sexuellen Übergriffe anscheinend nicht ermittelt.

Smolorz referiert die von Miederer angesprochenen Vorgänge und Vorwürfe gegen Schrems nicht. Stattdessen behaupte er, dass Schrems sich angesichts der von Miederer ab 1939 angeblich offen geführten Kampagne der Gefahr bewusst gewesen sein müsse, „sich selbst oder den Chor einem Sittlichkeitsprozess auszuliefern“. Von daher mutmaßt Smolorz abschließend ins Blaue hinein, dass Schrems den Täter Buchner schon aus Selbstschutz „entsprechend im Auge behielt“ (S. 142).

Schrems’ Täterschutz ist bekannt

Für die NS-Zeit sind mittlerweile mehrere mutmaßliche Täter (etwa der Präfekt Friederich Zeitler) bekannt. Nach Recherchen von regensburg-digital und den Aussagen eines Betroffenen kann zudem längst als gesichert gelten, dass es auch sexuelle Übergriffe gegen Dom-Sängerknaben während der Propagandareisen für das NS-Regime gegeben hat.

Da Schrems etwa den Missbrauchs-Serientäter Zeitler sogar noch lobte, als dieser eine diesbezügliche Haftstrafe (1959 bis 1962) verbüßte, sind die Angaben Miederers und seine Einschätzungen zum Missbrauch duldenden Verhalten von Domkapellmeister Schrems sachlich als glaubhaft einzustufen. Auch der Abschlussbericht von Rechtsanwalt Ulrich Weber zu sexualisierter Gewalt in den Einrichtungen der Domspatzen von Juli 2017 hat Theobald Schrems ein täterschützendes Verhalten über seine ganze Amtszeit hinweg attestiert. Als Täter aus der NS-Zeit nennt der Bericht Webers neben Friedrich Zeitler auch den Präfekten Johann L. (Löffler), der als rechte Hand und Vertrauter von Schrems gilt.

Miederers Bericht

Was war der eigentliche Anlass für Miederers Bericht von 1940? Miederer begründete in Der Regensburger Domchor – zu finden in der Akte BArch R4901/ 4497 – unter anderem seinen Rückzug aus dem Vorstand des Domchor-Vereins und forderte bei 18 Staats- und Parteistellen (darunter SS, SD, Kanzlei des Führers, Gauleiter, etc. …) einerseits, dass dem Domchor „nicht mehr die hervorgehobene Stellung eingeräumt werden darf, die ihm bisher zugebilligt worden ist“ (Miederer, S. 94). Andererseits stuft er die Domspatzen als katholischen Kirchenchor ein, will ihn aber als solchen belassen und nicht etwa auflösen, wie etwa Roman Smolorz meint.

Nach Miederers Ansicht ist Theobald Schrems ein politisch unzuverlässiger katholischer Geistlicher, der zwar die Hand zum Gruß erhebe, sich als Anhänger und Unterstützer des Nationalsozialismus ausgebe, aber keiner sei. Der SS-Mann Miederer will unterbunden wissen, dass dessen Machtposition und „die offensichtlichen Bestrebungen des Domkapellmeister Dr. Schrems nunmehr auch damit noch zu unterstützen, daß der Chor von Staats- oder Parteistellen eine weitere Förderung erhält“ (Miederer 1940, S. 92).

Miederer war jedoch mit seinem Versuch, dem Domchor und seinen Leiter als staatlich geförderten Repräsentanten des NS-Regimes absetzen zu lassen, nicht erfolgreich.

Schutz von höchster politischer Stelle

Vielmehr attestierte der Stab Der Stellvertreter des Führers etwa zeitgleich, Ende Mai 1940, hinsichtlich der politischen Zuverlässigkeit von Theobald Schrems und des Präfekten Johann Löffler: „Gegen die politische Zuverlässigkeit der Obengenannten bestehen keine Bedenken.“

 

Politische Beurteilung von Schrems, 1940: "Keine Bedenken"

Politische Beurteilung von Schrems und Löffler, 1940: “Keine Bedenken”; Quelle: Bundesarchiv R 4901/4497

 

Schutz erhielt Schrems auch aus seinen vorzüglichen Kontakten zur Wehrmachtsführung, für die er mit dem Domchor nach den üblichen Konzerten für die Mannschaften gelegentlich sogar eine kleine Adventsfeier gestaltete, wie etwa Ende 1942 für den Kommandostab des Heeres im besetzten Paris. Diese Protektion hatte Bestand. Obwohl Miederer, der auch SD-Mitarbeiter war, nicht locker lies und weiterhin bei einschlägigen Stellen die Absetzung von Schrems und Löffler einforderte, genoss Theobald Schrems von höchsten Stellen bis April 1945 politischen Schutz.

Diesen Befund und einige andere sachlich nachvollziehbare Angaben aus Miederers Bericht, die Theobald Schrems schwer belasten würden, führt Smolorz in seiner Arbeit nicht ein. Vorgänge, die nicht in das geschönte Bild vom nationalsozialistisch-verfolgten Chorleiter passen, werden einfach ausgeblendet. Es ist dies ein Merkmal der Arbeit von Smolorz, dass sie solche wesentlichen Vorgänge verschweigt und die daraus resultierenden diffizilen historischen Interpretationen schlicht und einfach nicht geleistet, sondern mit einfachen Gut-Böse-Konstruktionen umgangen werden.

Jedenfalls führt eine sachlich vorgenommene Analyse diverser Aktenbestände zu Ergebnissen, die den oftmals willkürlich erscheinenden Deutungen von Roman Smolorz diametral widersprechen. Deshalb möchte ich im Folgenden meine Interpretation weiterer historischer Vorgänge vorstellen: zu den (gescheiterten) Plänen für ein Regensburger Musikgymnasiums, zur Rolle Martin Miederers, zu der Verlagerung des Dominternats in die sogenannte Almrausch-Hütte von Etterzhausen Ende 1944 und zum politischen Schutz, den Theobald Schrems bis zum Ende des NS-Regimes durch höchste Partei- und Regierungsstellen genoss.

III. Pläne für ein Regensburger Musikgymnasium

Völlig unverständlich bleibt, warum Smolorz die stadt- und schulgeschichtlich bedeutsamen Planungen für ein Regensburger Musikgymnasium (und ihr Scheitern) nur oberflächlich und irreführend anreißt. In diesem Zusammenhang ist es ihm nicht einmal gelungen, den Stand der Forschung korrekt wiederzugeben. Er bleibt somit auf dem Niveau von identitären Festschriften des Domchor-Vereins.

Smolorz erwähnt hierzu weder die bereits genannten erhellenden Vorarbeiten von Helmut Halter (1992), noch arbeitet er den mehrere Dutzend Seiten umfassenden Abschnitt der Arbeit von Werner Heldmann (Musisches Gymnasium Frankfurt am Main 1939 – 1945, 2004) ein, der sich explizit und detailliert mit den Regensburger Planungen und der Rolle von Martin Miederer befasst. Hätte er dies getan, wären ihm abstruse Fehlinterpretationen erspart geblieben. Etwa, dass Miederer geplant habe, „den Regensburger Domchor nach Frankfurt am Main zu überführen“.

Die konkrete Idee für ein Regensburger Musikgymnasium war 1936 auf dem Obersalzberg entstanden, als Schrems nach dem Vorsingen des Domchors in HJ-Uniform Adolf Hitler auf die in seinen Augen notwendige Förderung von talentierten Sängerknaben und den Bedarf für eine solche Schule ansprach und auf Interesse stieß. Vom „Führer“ dazu aufgefordert, wurden in Regensburg daraufhin über Jahre diverse Grundstücke gesucht und geprüft und zuletzt für den Stadtpark Pläne und Modelle gefertigt. Der dafür bald zuständige REM-Beamte Miederer verfasste danach ausführliche Denkschriften.

Irreführende Deutung belegbarer Vorgänge

Dass daraus nichts wurde und stattdessen 1939 in Frankfurt ein Musisches Gymnasium eröffnet wurde, schreibt Smolorz fälschlicherweise dem NS-Funktionär Martin Miederer persönlich zu. Dieser habe den „ursprüngliche(n) Erfolg Schrems’, Hitler für den Gedanken eines Musikgymnasiums zu gewinnen“, unterminiert. Das daraufhin in Frankfurt errichtete Musische Gymnasium sei „bewusst als eine nationalsozialistische Kultureinrichtung in Konkurrenz zu den kirchlichen Musikschulen in Regensburg, Leipzig und Dresden gegründet“ worden (S. 117). Diese so platte wie irreführende Deutung erfasst die historischen Vorgänge, zu denen eine Vielzahl von Akten erhalten ist, keinesfalls.

Tatsächlich sahen die Pläne des Reichserziehungsministeriums vor, den Domspatzen-Chor ins geplante Regensburg Musikgymnasium zu verlagern, ihn umzubenennen („Knabenchor des Musischen Gymnasiums in Regensburg“) und, ohne seinen liturgischen Dienst im Dom zu unterbinden, unter Aufsicht des Reichserziehungsministeriums zu stellen. Das Ziel: Als Auslese- und Spitzenchor mit den allerbesten Knabenstimmen wäre er nach den sowohl für den Domchor als auch das NS-Regime positiven Erfahrungen der letzten Jahre dazu ausersehen gewesen, „die Kulturbelange des nationalsozialistischen Staates im In- und Ausland zu vertreten“. Von den am Gymnasium entstehenden mehreren Chören des Gymnasiums, könnte, so der Plan Miederers, „einer der Kirche auf Grund besonderer Vereinbarungen zur Verfügung gestellt werden“. Dieser hätte jedoch nach außen hin nicht in Erscheinung treten und unter Aufsicht des Staates gestellt werden sollen. So die detaillierte Gedenkschrift von Martin Miederer von 1937.

Auch die von Miederer überarbeitete Denkschrift von Mai 1938 hält wegen „der persönlichen Anteilnahme des Führers“ am Standort Regensburg fest. Generell plante Miederer für Partei und NS-Staat „ein gewaltiges, von der Kirche unabhängiges und an Leistung kaum mehr zu übertreffendes Kulturinstitut“ in Regensburg. Darin integriert hätte zudem eine Stadthalle mit aufgesatteltem großen Konzertsaal („Odeon“) errichtet werden sollen, der auch von der Stadtgesellschaft genutzt hätte werden können. Von all dem weiß die Arbeit von Smolorz jedoch nichts zu berichten. Dass Smolorz diese Denkschriften zur Kenntnis genommen hat, geht aus seinem Text nicht hervor.

Pläne scheiterten nicht an Miederer

Was Miederer im Auftrag das Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1937 indes vorschlug, war die Ausbildung der Domspatzen ins neu zu errichtende Regensburger Musikgymnasium zu verlegen. Das war der eigentliche Plan, den auch Domkapellmeister Schrems verfolgt hatte. Die Gesamtleitung des staatlichen Musikgymnasiums hätte ausdrücklich Miederer am Reichserziehungsministerium unterstellt werden sollen. Für die künstlerische hauptamtliche Leitung des Regensburger Musikgymnasiums sah Miederer keinen anderen als Dr. Schrems vor, der kurz zuvor vom Reichskanzler Hitler zum Professor ernannt worden war. Allerdings hätte Schrems für diesen Posten im Gegenzug seine Tätigkeit als Domkapellmeister und das Domkapitel die Hoheit für ihre katholische Erziehungsanstalt bzw. die Rechte an der Dompräbende aufgeben müssen, so Miederer.

So weit kam es aber gar nicht. In Regensburg ist man über das Planungsstadium nicht hinausgekommen und die von Miederer bis zuletzt für Regensburg angeforderten 2,3 Millionen Reichsmark waren vom Finanzministerium Anfang 1939 immer noch nicht genehmigt worden. Wie aus einem REM-Schreiben von Martin Miederer an das Reichs-Finanzministerium vom 27. Februar 1939 (siehe Bundesarchiv R 4901/ 4494) hervorgeht, konnte der Plan, in Regensburg ein Musisches Gymnasium zu errichten, „mangels geeigneter Gebäude vorerst“ nicht verwirklicht werden.

Zum Zuge kam stattdessen die Stadt Frankfurt a. M., weil diese die für ein Musisches Gymnasium notwendigen Immobilien und eine städtische Trägerschaft prompt angeboten hatte. Der Grund, dass Regensburg nicht zum Zug kam, lag also nicht bei Miederer, sondern an dem großzügigen Angebot der Stadt Frankfurt, wodurch der Unterricht dort schon am 1. Juli 1939 aufgenommen werden konnte. Die vom Reichserziehungsministerium für Regensburg weiterhin aufrechterhaltenen gymnasialen Pläne wurden nach dem Kriegsbeginn nicht mehr verfolgt.

IV. Zum Umgang mit der Arbeit Anderer

Theobald Schrems 1937 Foto: privat

Theobald Schrems 1937 Foto: privat

Obwohl die Planungen für ein Regensburger Musikgymnasium sogar in den Selbstdarstellungen der Domspatzen-Institution (hier mit den üblichen Lücken zur Nazizeit und gewissen Schlampereien) relevant sind, interessiert sich die Arbeit von Smolorz nicht näher für die konkreten baulichen und organisatorischen Vorbereitungen dieses Projektes. Das entsprechende Kapitel, „Das Projekt eines Musikgymnasiums und die Rolle Miederers als Vertreters seiner persönlichen Interessen“ (S. 115) ist wegen der Überwertung Miederers irreführend und endet bereits nach gut drei Seiten. Werner Heldmann hingegen rechtfertigt in seiner Arbeit, dass er die Vorgänge ums geplante Regensburger Musikgymnasium so ausführlich darstellen müsse. Die über 1.000 Seiten umfassende Arbeit von Werner Heldmann zog Smolorz dem Anschein nach nur beiläufig heran, vor allem ohne die hervorragende Pionierarbeit und ihren hilfreichen Anhang inhaltlich nennenswert einzuführen.

Erste konkrete Pläne für ein staatliches Musisches Gymnasium nationalsozialistischer Prägung gab es, so die Studie von Werner Heldmann, bereits 1935 für den Standort Berlin. Im Jahre 1938 waren neben Regensburg und Berlin auch Leipzig und Wien vorgesehen. All diese Vorüberlegungen für ein Musikgymnasium gehen im Grunde auf Leo Kestenberg zurück, der Mitte der 1920er Jahre als Referent des Preußischen Kultusministeriums für die sogenannte Kestenberg-Reform der Schulmusikerausbildung verantwortlich zeichnete. Da Kestenberg jüdischer Herkunft war, musste er bereits im Dezember 1932 seine Stellung und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 Deutschland verlassen. Heldmann legt in seiner Arbeit großen Wert auf diese Traditionslinie, die von den Nazis mit Nachdruck vertuscht worden war und von Smolorz nicht weiter beachtet wurde.

Verdrehung von Aussagen

Ebenso wenig gelang es Smolorz, die von Heldmann korrekt angegebenen Signaturen für die REM-Bestände im Bundesarchiv zu übernehmen, bzw. auf die von Heldmann dokumentierten Denkschriften Miederers zu den geplanten Musischen Gymnasien hinzuweisen (siehe Heldmann, 2004, S. 715 – 743). Heldmann wird allerdings von Smolorz herangezogen, wenn er eine existenzielle Bedrohung für den Domchor, die von antikatholischen Nazi-Funktionären ausgegangen sein soll, dubios und unkonkret andeuten will. Die ursprüngliche Aussage Heldmanns wird dabei aber faktisch verdreht. So heißt es etwa bei Smolorz auf S. 140:

„Die historische Forschung geht davon aus, dass Miederer bei der Zerschlagung des Domchores erfolgreich gewesen wäre, wenn der Zweite Weltkrieg länger gedauert hätte.“

Bei Heldmann steht aber – generell und für den Fall eines für Nazideutschland siegreichen Ausgangs des Krieges – wörtlich:

„Die Überführung der kirchlichen Musikschulen in nationalsozialistische Kultureinrichtungen wäre vermutlich dann erfolgt“ (Heldmann, S. 97).

Weiter heißt es bei Heldmann bezüglich Miederers Vorgehen gegen Theobald Schrems:

„Bei einem siegreichen Ausgang des Krieges wäre Miederers Vorgehen sicherlich erfolgreich gewesen.“

Unverkennbar hat Smolorz die Darstellungen von Heldmann falsch wiedergegeben und unterschiedliche Sachverhalte entstellend vermischt: Während Smolorz mit ominösen Bezug auf die historische Forschung behauptet, der Domchor wäre bei längerer Kriegsdauer zerschlagen worden, vermutet die historischen Forschung nach Heldmann, dass die Ausbildung an Kirchenschulen nach einem für Nazideutschland siegreichen Kriegsausgang in staatliche Einrichtungen überführt worden wäre. Zum Bestehen oder Nichtbestehen des Domchors wird von Heldman jedoch keine Aussage getroffen.

Insgesamt gesehen ein Paradebeispiel für die verdrehende Ausbeutung eines wissenschaftlichen Werkes, das auch für Smolorz grundlegend gewesen sein dürfte und generell für die vorliegende Thematik von außerordentlicher Bedeutung ist.

V. Kauf der Almrausch-Hütte in Etterzhausen

Ein weiteres Beispiel dafür, dass Smolorz die NS-Geschichte des Domchors oftmals nur oberflächlich und verdreht darstellt, greifbare Akten und Literatur bestenfalls lückenhaft, zum Teil gar nicht einarbeitet, ist der Kauf der sogenannten Almrausch-Hütte in Etterzhausen und der Umzug der 1944 noch in Regensburg verbliebenen Sängerknaben dorthin. Dieser Zeitraum und die Vorgänge sind insofern von Belang, weil mehrere Schrems-Schüler und manche Domspatzen-Chroniken diese Vorgänge fast hagiographisch bearbeitet haben und die Erzählungen von der angeblichen Rettung des Domchors über die Nazi-Zeit und nach Etterzhausen einige Stilblüten treiben. Die vorliegende Arbeit von Smolorz weicht in Sachen Almrausch-Hütte von seit Jahrzehnten anerkannten Eckdaten ab, ohne diese Abweichung irgendwie zu begründen.

Laut den immer noch gültigen Darstellungen, wie sie etwa Domkapellmeister a.D. Georg Ratzinger und der letzte Direktor der Vorschulinternats Johann Meier in ihrem Aufsatz (Die Vorschule der Regensburger Domspatzen, in: REGENSBURGER ALMANACH, 1980) ausführten, kaufte Theobald Schrems die Almrausch-Hütte von Etterzhausen im Jahre 1940. Da es dort „noch keine Wasserleitung“ gegeben habe, „mußten Trink- und Kochwasser vom Dorf den steilen Berg heraufgeschleppt werden“, für die Körperhygiene sei Regenwasser genutzt worden (S. 111). Die im Wesentlichen gleich lautenden Angaben des kürzlich verstorbenen Lokalhistoriker Josef Kible ignoriert Smolorz ebenso, obwohl er dessen Arbeit zur Kriegsgeschichte von Etterzhausen (2006) in seinem Literaturverzeichnis aufführt. Smolorz hingegen spricht von einem Kauf der Hütte erst im Jahr 1941 und davon, dass zuletzt die „Wasserversorgung des Hauses“ von NS-Behörden bedroht gewesen sei (S. 168).

Zur Frage der Finanzierung des Kaufs führt Smolorz aus, dass Domkapellmeister Schrems im Jahre 1941 seinen zehnprozentigen Anteil aus den Erträgen der außerkirchlichen Konzerte ausbezahlt bekommen haben soll. Insgesamt seien ihm von daher 20.000 Reichsmark erstattet worden. Für dieses Geld habe er, so Smolorz mit Bezug auf ein Schreiben des von Schrems dominierten Domchor-Vereins von 1947, „im selben Jahr das sog. Erholungsheim in Etterzhausen“, die Almrausch-Hütte, gekauft. Die Umstände des Hütten-Kaufs fasst Smolorz tendenziös zusammen und schildert den Domkapellmeister als privaten Investor: „Nicht zum ersten Mal investierte Schrems sein Privatvermögen zugunsten der Domspatzen“ (S. 164 f.).

Smolorz weicht ebenso unbegründet von der Chronik der vormaligen Besitzer der Hütte, des von ihm unerwähnten und 1905 gegründeten „Volkstrachtenverein Almrausch Stamm“, ab. Der Chronik zufolge kam es zum Verkauf, da der Verein befürchtete, für die Umwandlung der Hütte in ein Erholungsheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) enteignet zu werden. Schrems, vom örtlichen Pfarrer darauf aufmerksam gemacht, nutzte die Gunst der Stunde und die Ängste des Vereinsvorstands und unterbreitete sein Interesse bereits einen Tag, nachdem er von der Ankaufsgelegenheit gehört hatte. Im kurz darauf geführten Verkaufsgespräch trat der Domkapellmeister als Retter in der Not auf und stach die Konkurrenz von der NSDAP aus, obwohl er die Preis-Vorstellungen des Trachtenvereins nochmals um 1.000 Reichsmark drückte. Der Kaufvertrag zwischen der Vorstandschaft des Trachtenvereins und Theobald Schrems sei am gleichen Tag geschlossen worden. Bald darauf, bereits im Mai 1940 (und nicht erst 1941 wie Smolorz angibt), wurde die Angelegenheit notariell abgeschlossen und Schrems soll daraufhin 15.000 RM bar auf ein Sparkassenkonto des Vereins einbezahlt haben.

Das Guthaben auf dem Vereinskonto sei aber, so die Chronik weiter, eigenartigerweise über ein Jahr gesperrt geblieben. Als sich der Vorstand daraufhin im Sommer 1941 erneut an Schrems wandte, habe sich dieser überrascht gezeigt: „Was, nach so langer Zeit?“ Wie ein im NS-Regime fest Verankerter mit besten Beziehungen zu den braunen Herrn kündigte Schrems zugleich freimütig an, das Problem rasch zu lösen: „Wenn nötig durch ein persönliches Schreiben an Hitler.“ Laut Chronik wurde die Sperrung tatsächlich bald darauf aufgehoben.

Über die Hintergründe der Sperrung des Kontos und ihre Aufhebung lässt sich die Chronik nicht aus. Ebenso bleibt unklar, ob Schrems die Summe bereits im Jahr 1940 tatsächlich einbezahlte bzw. woher er die relativ hohe Bargeldsumme von 15.000 RM nahm.

Verschweigen wichtiger Hinweise

Der bereits mehrfach erwähnte Bericht des Oberregierungsrats Martin Miederer, Der Regensburger Domchor (1940) bietet zu diesen Fragen eine Erklärung an. In Miederers Bericht heißt es, nachdem es Schrems „nach jahrelangem Bemühen gelungen war, Anschluß zu den höchsten Partei- und Staatdienststellen, ja sogar zum Führer zu finden“, glaube er, „Regensburg zum tonangebenden Mittelpunkt des gesamten deutschen Musiklebens machen zu können“ (Miederer S. 88). „Die von ihm aus eigenen Konzertveranstaltungen eingenommenen Beträge werden nun nicht mehr, im Gegensatz zu früher, an die Domvereinskasse abgeführt, sondern auf ein von ihm eingerichtetes Sonderkonto [H.i.O], über das er allein nach Gutdünken“ verfügt habe.

Ende 1939 habe Schrems vom Domchor-Verein sogar gefordert, „ihm seine Studienkosten einschließlich Promotion in Höhe von 12 000 RM zurückzuerstatten“, da die künstlerische Leistung des Domchors allein von daher rühre. Insgesamt habe sich die Forderung von Schrems auf über 28.000 RM belaufen. Miederer warnt in seinem Bericht Staats- und Parteistellen davor, dass Schrems die Führung des Domchor-Vereins wieder an sich reißen wolle, um den Vorwurf seiner Kirchenbehörde zu entkräften, wonach der Regensburger Domchor „schon längst kein katholischer Kirchenchor, sondern ein ‚Parteichor‘ geworden sei“ (S. 89).

Insgesamt gesehen scheinen die Angaben von Miederer über ein für Schrems frei verfügbares Sonderkonto sehr wahrscheinlich und eine plausible Erklärung für den Barkauf der Almrausch-Hütte zu sein. Sie stehen jedenfalls nicht im Widerspruch zur Chronik des Almrausch-Trachtenvereins, wie die offenbar falsche Darstellung des Autors Smolorz. Eingedenk seiner selektiven Aktenauswahl verwundert es nicht, dass Roman Smolorz auch diesen bedeutsamen Hinweis aus Miederers Bericht in seiner Publikation verschweigt.

VI. Schutz für Schrems von ganz oben

Als weiteres Beispiel sollen die Vorgänge um den Umzug des Dominternats nach Etterzhausen von 1944 und die angeblich anstehende Beschlagnahme der Almrausch-Hütte thematisiert werden. Laut Smolorz wäre man in Berlin nicht mehr imstande gewesen, den Angriffen der hiesigen Nationalsozialisten auf Theobald Schrems und den Domchor Einhalt zu gebieten.

Auch in diesem Zusammenhang beruft sich Smolorz im Wesentlichen auf die Nachkriegsdarstellung von Schrems. Demnach habe sich dieser der drohenden Kinderlandverschickung seiner Internatsschüler widersetzt, die Sängerknaben stattdessen nach Etterzhausen verbracht und sich dabei zur Unterstützung an den Chef der NS-Reichskanzlei Lammers gewandt. Dies wäre aber erfolglos geblieben, da inzwischen „auch der Regierungspräsident Bommel und der Kreisleiter Weigert in Berlin gegen eine solche plausible Lösung“ interveniert hätten (S. 168).

Laut der Darstellung von Smolorz wäre „Schrems von Berlin aus geraten“ worden, sich den örtlichen Regierungsstellen nicht zu widersetzen, da, so die Deutung von Smolorz, „man in Berlin 1944 nicht mehr imstande war, den Nationalsozialisten in der Bayerischen Ostmark zu widersprechen“ (S. 168). Allein der Vormarsch der Amerikaner hätte den Machenschaften des NS-Regierungspräsidenten Bommel, „das Etterzhausener Privathaus Schrems` zu beschlagnahmen“, ein Ende gesetzt. So Smolorz in seiner abwegigen Fehldeutung, die sich allein auf einen undatierten Bericht von Schrems, der in der Fußnote 683 mit einer Vermutung zeitlich auf „wahrscheinlich nach Kriegsende“ eingeordnet wird, stützt.

Archivakten belegen Rückendeckung bis zuletzt

Hätte Smolorz die einschlägige Literatur und den ergiebigen Akt des Bayerischen Hauptstaatsarchivs (BayHStA) mit der Signatur MK 51323 und dem Betreff „Regensburger Domchor (Domspatzen)“ ausgewertet (was er ausweislich seiner Quellenangaben nicht tat), hätte er ein anderes Bild zeichnen müssen. Eine gründliche Auswertung dieser Akten ergibt nämlich, dass Schrems auch in Etterzhausen bis zuletzt Rückendeckung aus Berlin bekam und die ihm nicht sonderlich gewogenen örtlichen Stellen, wie etwa Regierungspräsident Bommel, wieder einmal angewiesen wurden, den Günstling des „Führers“ auch in Etterzhausen unbehelligt zu lassen.

Im Einzelnen verlief der Schriftwechsel (entnommen aus dem Akt BayHStA MK 51323) zur Protektion so:

Theobald Schrems wandte sich am 23. November 1944 schriftlich an den SS-Obergruppenführer und Chef der Reichskanzlei Hans Lammers, da er, Schrems, sich wegen der damals drohenden Schließung der Schulen und der daraus folgenden Entfernung seiner Sängerknaben aus Regensburg sorgte. Dadurch wäre, so Schrems weiter, die tausendjährige Tradition des Domchors unterbrochen und „zugleich mein Lebenswerk, das ich […] mit einziger Unterstützung des Führers aufgebaut habe, zerstört“ gewesen. Schrems bittet also Lammers „dem Führer unser Anliegen vortragen zu wollen“ und um die Erlaubnis zur Unterbringung, der schulischen Unterrichtung und der gesanglich-musikalisch Weiterbildung der Singknaben in Etterzhausen: „damit der Chor erhalten bleibt und für die größere Aufgaben noch zur Verfügung steht.“

Ständchen für den Führer: Die Domspatzen 1936 auf dem Obersalzberg. Foto: privat

Ständchen für den Führer: Die Domspatzen 1936 auf dem Obersalzberg. Foto: privat

Aus „wiederholten und längeren Gesprächen mit dem Führer“, so Schrems seine Nähe zu Adolf Hitler betonend, wisse er, „daß der Führer nicht nur die Erhaltung des Chors dringend wünscht, sondern sogar den denkbar größten Ausbau desselben.“ Reichminister Lammers leitete das Schreiben nach Rücksprache mit Schrems wenige Tage später, am 29. November 1944, an den SA-Gruppenführer und Reichserziehungsminister Bernhard Rust weiter und bittet um wohlwollende Prüfung, auch „in Hinblick auf das Interesse, das der Führer für den Regensburger Domchor stets gezeigt hat.“

Rust, dem Chor und seinem Leiter stets wohl gesonnen, schrieb in der Folge an den bayerischen Ministerpräsidenten und wies seinen Ministerialdirektor, den SS-Standartenführer Albert Holfelder, an, umgehend in Bayern zu intervenieren. Dies geschah, der großen Bedeutung und Eile wegen, in Form einer Fernschrift (Telegramm) an den politischen Stabsleiter des bayerischen Kultusministeriums, den Träger des NSDAP-Blutordens Emil Klein. Klein wies dann, in Abstimmung mit seinem Chef – dem SA-Gruppenführer, Gauleiter und bayerischen Ministerpräsidenten Paul Giesler – mit einem ausführlichen Schreiben vom 21. Dezember1944 den Regierungspräsident von Niederbayern/ Oberpfalz, den SS-Brigadeführer Gerhard Bommel an: „der Regensburger Domchor (muß) erhalten bleiben.“ Die Unterbringung der Sängerknaben in Etterzhausen müsse wie anderswo üblich in einem geschlossen in ein KLV-Lager organisiert werden und sei „unverzüglich durchzuführen“.

Am 16. Januar 1945 drückte der SA-Gruppenführer Paul Giesler in einem Brief an Reichserziehungsminister Bernhard Rust in Nachgang seinen Unmut in der Causa Etterzhausen aus. Trotz der Würdigung der chorisch-gesanglichen Leistungen des Domchors bedauere er das außergewöhnliche Zugeständnis an die konfessionelle Einrichtung Domchor, wo doch andere kulturelle Einrichtungen ebenso an den Kriegsfolgen leiden müssten. Gauleiter Giesler weiter: „Sollte der Regensburger Domchor in der nächsten Zeit wieder Gelegenheit spüren, neuerdings die Reichsstellen mit seiner Existenzfrage zu beschäftigen, dann wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie meiner Auffassung beipflichten könnten.“ Dabei blieb es. Theobald Schrems, der Präfekt Wutz, zwei Ordensschwestern und sieben übriggebliebene Sängerknaben harrten bis zum Kriegsende in Etterzhausen aus.

VII. Regensburger Netzwerke?

Aus Analyse dieser Schriftwechsel wird ein bis zuletzt funktionierender politischer Schutz für Theobald Schrems unverkennbar deutlich. Smolorz hingegen behauptet ohne Beleg und diesbezügliche Aktenkenntnis, dass es Schrems ab 1939/40 an einem „ein NS-Fürsprecher für seinen Chor in Berlin“ gefehlt haben soll (S. 118). Oder: Der Domkapellmeister Schrems habe „nicht zu den engen Vertrauten des ‚Führers‘ “ gehört (S. 140). Stattdessen sieht er für einen gewissen Zeitraum in der bayerischen Regierung und im Reichsjustizminister gewichtige Unterstützer für Schrems und den Domchor. Darüber hinaus konstruiert Smolorz Schrems schützende „Regensburger Netzwerke“, die er als „ein Desiderat in der bisherigen Fachliteratur“ bezeichnet und wohl gerne mit Drittmittel erforschen würde.

Indem Smolorz so auf „die Angriffe Miederers und die bayerische Vernetzung des Domchors in Berlin“ (so die Überschrift S. 137) abhebt, verkennt er, das (wenn man so will) große Netzwerk hinter all dem: den NS-Staat und die Nazi-Partei mit dem bis zuletzt die Hand über den Domchors und seinen Leiter haltenden „Führer“. Wie konstruiert die auf ein genuin bayerisches bzw. regensburgerisches Netzwerk basierende Erklärung ist, zeigt sich, um ein erhellendes Beispiel anzuführen, an dem 1887 im Württembergischen Betzingen geborenen Ernst Boepple.

Kriegsverbrecher war Schrems’ Fürsprecher

An Oberregierungsrat Boepple im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus wandte sich Theobald Schrems schon 1934 regelmäßig, damit dieser die Domsängerknaben für ein Konzert vom Schuldienst befreit. Boepple war Nazi der ersten Stunde und stieg später zum Leiter des Bayerischen Kultusministeriums auf. In dieser Funktion unterstützte er Schrems und den Domchor beim Reichspropagandaministerium oder bestätigte Schrems in einem Schreiben vom September 1939 an den Reichserziehungsminister (aus dem Akt BArch R4901/ 4497), dass dieser „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat“ eintrete und das „Vertrauen des Führers“ genieße, „dem er schon öfter Gesangsvorträge seiner Domspatzen dargeboten“ habe. Über die Haltung der Domspatzen und ihrer Leitung wären „in politischer Hinsicht niemals Klagen laut geworden“, sie würden „ja auch seit längerer Zeit der HJ“ angehören und der Bischof von Regensburg würde „nach den bisherigen Erfahrungen weites Entgegenkommen in dieser Richtung zeigen.“

Anlass dieses Schreiben war der Versuch des oben genannten Oberregierungsrates Martin Miederer, die Leitung der Dompräbende zu übernehmen. Boepple war aus vielfachen Gründen strikt gegen diese Übernahme, unter anderem, da ansonsten ernstlich zu befürchten wäre, „daß bei einem scharfen Vorgehen der Bischof die Einrichtung der Dompräbende auflösen würde“, was „das stärkste Aufsehen sowie mannigfache Schwierigkeiten und Weiterungen hervorrufen würde.“

Schrems und Hitler 1938 auf dem Obersalzberg. Foto: privat

Schrems, Miederer und Hitler (v.l.n.r.) 1938 auf dem Obersalzberg. Foto: privat

Im September 1941 wurde Boepple stellvertretender Staatssekretär im Generalgouvernement, wo er ranghoch das NS-Vernichtungswerk mit organisierte. Wieder zurück in München leitete der SS-Oberführer Boepple ab April 1945 noch die bayerische Staatskanzlei, bis ihn die Amerikanische Militärregierung aus dem Verkehr zog und festsetzte. Wegen seiner Beteiligung an NS-Verbrechen wurde Ernst Boepple 1947 an Polen ausgeliefert, am 14. Dezember 1949 in Krakau zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Welche Schlussfolgerung ergibt sich daraus? Der württembergische SS-Oberführer Ernst Boepple hat den Domchor und seinen Leiter Theobald Schrems primär nicht als bayerischer Verwalter oder Regensburger Netzwerker geschützt, sondern als überzeugter Nationalsozialist – im Interesse des NS-Regimes und seines „Führers“.

VIII. Geschichtsklitterung und Nachkriegslegenden

Die Propagandatätigkeit des Domchors für das bzw. die Nähe von Theobald Schrems zum NS-Regime blieb den damaligen Zeitgenossen nicht verborgen. Nach dem Krieg wurde Schrems deshalb selbst von Mitgliedern des Domkapitels für sein Verhalten scharf kritisiert, was er mit dem Hinweis, alles sei von den kirchlichen Behörden genehmigt gewesen, abzuwehren versuchte. Nachdem die Amerikanische Militärregierung von den Auftritten des Chors vor Hitler Kenntnis erlangte, verbot sie Schrems 1946, außerhalb von Kirchen aufzutreten.

Smolorz stellt diese Vorgänge der Nachkriegszeit relativ ausführlich, aber nicht unparteiisch vor, wenn er etwa davon spricht, dass Schrems von Regensburger NS-Gegnern denunziert worden sei. Was man bei Smolorz nicht erfährt, sind die frühen Versuche von Theobald Schrems sich und gewisse Mitstreiter als Gegner und Verfolgte des NS-Regimes darzustellen. Hierbei ging er sogar soweit, dass er sich für den bei den evangelisch-antisemitischen Deutschen Christen organisierten Herman-Walther Frey einsetzte, der bereits 1930 in die NSDAP eintrat und von 1936 bis 1945 als Ministerialrat im Reichserziehungsministerium wirkte.

Die Nazis waren immer die anderen

In seinem mit „Bestätigung“ überschriebenen Unterstützungsschreiben von März 1946 wünschte Schrems, dass „der hervorragende Gelehrte und Musiker“ Frey, den die Amerikanern ab August 1945 über ein Jahr lang interniert hatten, „recht bald wieder seiner wissenschaftlich-künstlerischen Betätigung“ nachgehen könne. Des Weiteren meint Schrems in seinem letztlich an amerikanische Offiziere gerichteten Schreiben, dass Frey dem Regensburger Domchor „als grosser Schützer“ gegen den „ gerade aus dem Reichserziehungsministerium immer stärker einsetzenden Vernichtungskampf“ beigestanden habe. Frey habe „uns“, also den unterzeichnenden Domkapellmeister und seinen Chor, „wiederholt über die von dort herkommenden Angriffe“ aufgeklärt und geholfen, „den Chor über die schreckliche Zeit hinweg“ zu erhalten. Pikanterweise war Frey, den Schrems wohl über den gemeinsamen Kirchenmusiklehrer Carl Thiel persönlich kannte, der Vorgesetzte von Oberregierungsrat Martin Miederer im Reichserziehungsministerium (REM), den Smolorz zum federführenden Akteur im Kampf gegen den Domchor stilisiert.

Was wollte Schrems mit seiner „Bestätigung“ erreichen? Er war offensichtlich einerseits daran interessiert, dass Leute wie Frey (ein „hochedler, geistig hochstehender und sehr christlich eingestellter Mann“ und Protestant, der auch von „katholischen Kreisen“ fürs Ministerium empfohlen wurde) alsbald wieder in einflussreiche Positionen zurückkehren konnte und andere, den katholischen Kreisen weniger nahestehende, nicht zum Zug kommen können. Andererseits zeichnet er sich gegenüber den Amerikanern als Opfer und Überlebender eines Vernichtungskampfes und gestaltet so die Nachkriegs-Erzählungen von der schrecklichen Zeit und der wundersamen Rettung des 1.000jährigen Domchors.

Nicht nur Schrems, sondern auch Bischof Michael Buchberger setzte sich für den SA-Mann Frey (seit Juli 1933) ein. In seinem als „Zeugnis“ bezeichneten Schreiben für den Ministerialrat a. D. Frey (vom 14. Januar 1947) bezeugte Buchberger „gern und dankbar“, dass sich Frey „um den Domchor Regensburg in wohlwollender und mutiger Weise angenommen“ habe, „als derselbe von nationalsozialistischer Seite schwer bekämpft wurde und um seinen Fortbestand zu ringen“ gehabt habe. Für Buchberger war Frey „ein mutiger Verteidiger gegenüber dem kirchenfeindlichen Nationalsozialismus“. Es sei „jedem Kenner der damaligen Verhältnisse klar“, so Buchberger grotesk, dass Frey „in seiner Stellung gleichwohl in die Partei eintreten mußte“. Dass Frey bereits 1930, also sechs Jahre vor seiner Tätigkeit im REM, freiwillig in die Partei eintrat, scheint den Kenner Buchberger nicht interessiert zu haben.

Kurzum: Die wirklichen Nazis waren immer die anderen und der Domchor hat den Vernichtungskampf gegen das REM nur mit Hilfe eines hochedlen, als Nazi getarnten Protestanten und Ministerialdirigenten im REM überstanden.

Smolorz ignoriert einschlägige Literatur

An den Schreiben von Buchberger und Schrems zeigt sich deutlich, wie der Versuch, ehemalige Nazis nach dem Krieg zu rehabilitieren, mit der Klitterung der eigenen NS-Geschichte einherging. Obwohl die Bemühungen von Bischof Buchberger und Theobald Schrems, Frey wieder in Amt und Würde zurückzuholen, fehlschlugen, trugen sie dazu bei, dass Frey (wie viele andere Nationalsoziasten auch) sein Spruchkammerverfahren immerhin als „Mitläufer“ abschließen konnte. In der einschlägigen Forschungsliteratur zur Musikwissenschaft im Nationalsozialismus ist das Engagement des Regensburger Bischofs und Domkapellmeisters für Herman-Walther Frey, der als einflussreicher Strippenzieher im REM gilt, längst bekannt.

Die Arbeit von Smolorz hingegen ignoriert wiederum die einschlägige Literatur, wie etwa die von Michael Custodis herausgegebene Arbeit (Herman-Walther Frey: Ministerialrat, Wissenschaftler, Netzwerker, 2014), in der auch die Schreiben von Buchberger und Schrems für den lange Zeit tonangebenden NS-Beamten Frey thematisiert werden.

Die Analyse der von Smolorz (nicht) bearbeiteten Literatur und der in München bzw. Berlin liegenden Hauptakten ergibt, dass der Regensburger Domchor und sein Leiter Theobald Schrems mit dem NS-Regime bis zu dessen militärischen Niederlage eng und einvernehmlich kollaboriert haben. Nicht nur in Friedens- sondern auch in Kriegszeiten repräsentierte der von Schrems geleitete Chor Nazi-Deutschland und folgte dessen Armeen selbst in die vom Vernichtungskriegs gezeichneten Länder und konzertierte in Orten, wie etwa 1940 in Łódź, wo etwa zeitgleich Angehörige der polnisch-katholischen Intelligenz und des polnischen Judentums von Deutschen vernichtet oder im dortigen nationalsozialistische Konzentrationslager interniert wurden.

Selbst hochrangige NS-Figuren, wie etwa der Gauleiter und SA-Gruppenführer Paul Giesler, der strikt gegen die Bevorzugung von konfessionellen Einrichtungen war, den Domchor aber nicht vernichten wollte, konnten weder die außergewöhnlichen Förderungen und Zugeständnisse an den Domchor noch den politischen Schutz für Theobald Schrems aushebeln. Das Beispiel Umzug des Internats nach Etterzhausen Ende 1944 zeigt dies deutlich auf.

Die bevorzugte Behandlung und der Schutz gingen von verschiedenen Reichsministerien bzw. Adolf Hitler persönlich aus. Somit verwundert es nicht, dass die Versuche des subalternen REM-Oberregierungsrates Martin Miederer, Domkapellmeister Schrems und seinen Präfekten Löffler absetzen zu lassen, erfolglos blieben. Das Musische Gymnasium ist in Regensburg aber nicht wegen einer Intrige des damaligen Domchor-Vereinsvorstand Miederer gescheitert, sondern weil sich die Stadt Frankfurt a.M. mit einem besseren Standortangebot zum richtigen Zeitpunkt ins Spiel brachte. Aus der Aktenanalyse ergibt sich auch mit höchster Wahrscheinlichkeit, dass Domkapellmeister Schrems bereits in den 1930er Jahren einen ihm bekannten Missbrauchstäter geschützt und unterstützt hat, und staatliche Stellen trotz vorliegenden Informationen nicht eingegriffen haben.

Theobald Schrems hat sich bis zum Kriegsende in vielen unmissverständlichen Äußerungen zum nationalsozialistischen Staat und seiner herausragenden Funktion in der Repräsentation desselben bekannt. Vor allem durch die spezielle Förderung des Domchors als prominenter Elite- und Auswahlchor des NS-Regimes kamen die Domspatzen und sein Leiter zu dem großen Ruhm und enormen Bekanntheitsgrad, auf den man in Regensburg noch heute stolz ist.

Smolorz hat sich als Wissenschaftler disqualifiziert

Vergleich man die Aussagen von Theobald Schrems von Ende 1944 als er von seinem Lebenswerk – den Domchor, den er „mit einziger Unterstützung des Führers aufgebaut“ habe – sprach, mit seinem Schreiben von 1946 – in dem er von einem „immer stärker einsetzenden Vernichtungskampf“ des REM gegen den Domchor redete, ergeben sich unüberbrückbare Differenzen. Die dazwischenliegenden historischen Wahrheit, die Geschichte des Domchors in Nationalsozialismus, lässt sich vergleichsweise detailliert und gesichert nachzeichnen, da in staatlichen Archiven relativ viele und aufschlussreiche Aktenbestände erhalten geblieben sind.

Wer die diversen Aktenbestände nicht vollumfänglich zur Analyse heranzieht, hat für eine sachliche Darstellung der NS-Geschichte schlechte Karten, oder andere Interessen im Sinn. Roman Smolorz hat sich durch seine willkürliche Auswahl von Quellen und Literatur bzw. durch sein unsägliches Vorgehen bei der Angabe von falschen Signaturen als Wissenschaftler disqualifiziert.

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Kommentare (8)

  • Angelika Oetken

    |

    Danke für die differenzierte Analyse der Vorgänge Herr Werner.

    Zur Motivation der Nazi-VIPs den traditionsreichen Knabenchor zu fördern:
    Warum sollte sie anders ausgesehen haben als die, welche andere Freunde der Domspatzen vor und nach der kurzen, aber um so destruktiveren Epoche des 12jährigen Reiches gewesen sein. Das, was von den Jungen erwartet wurde, ging selbstverständlich über “schön Singen” weit hinaus. Und mag hier und da karriereförderlich gewesen sein. Oder Biografie, Persönlichkeit und Gesundheit runiert haben. Ggf. alles zusammen, aber das müsste die weitere Aufklärung ermitteln.

    Zur doppelbödigen Ambivalenz der Homophobie hier ein Experte: http://wikis.hawk-hhg.de/wikis/fields/Maennliche_Sozialisation/uploads/Materialien/King_Flaake_M%E4nnlAdoleszenz_Pohl_Psychoananl.pdf

  • Analyse einer geschichtsklitternden Auftragsarbeit » Regensburg Digital

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    […] Doch tatsächlich ist die Arbeit durchzogen von willkürlichen Deutungen, selektiver Auswertung der Quellen, dem Ignorieren wichtiger Vorarbeiten oder kompletter Aktenbestände in den staatlichen Archiven und der Angabe falscher Quellensignaturen. Das weist regensburg-digital-Autor Robert Werner in einer ausführlichen Recherche nach, die wir am … […]

  • Michael Schmidt

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    Dass sich bei der Angabe von Signaturen schnell mal ein Fehler einschleichen kann, oder ein Aktbündel aus Zeitmangel „übersehen“ wird, das kennen alle, die komplexe Sachverhalte wissenschaftlich Bearbeiten.

    Was Werner in seiner ellenlangen Smolorz-Analyse schildert – in der Druckvorlage steht die einzige richtige REM-Signatur, die dann für den Druck in mehrere falsche verändert wurde; oder mehrere wichtige Hauptakten aus staatlichen Archiven bleiben unerwähnt und verschleiert – ist aber etwas Anderes, völlig Indiskutables.

    Wie würde wohl Prof. Spoerer mit der Arbeit eines Studenten umgehen, in der wichtige Akten/Literatur auf ähnliche Weise verschleiert und/oder falsch angegeben werden? Wenn er seine Verantwortung ernst nimmt und freundlich ist, lehnt ein Prof. die Arbeit begründeterweise einfach nur ab – ohne weitere Konsequenzen, behält den Studenten aber im Auge.

    Nach dem Stand der Dinge könnte (wenn überhaupt) wohl nur Dr. Roman Smolorz die hier vorgetragenen Vorhalte (er)klären. Reagiert er nicht, wäre dies als Schuldeingeständnis zu werten.

  • Angelika Oetken

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    Der Bewertungsmaßstab richtet sich doch danach, als was eine Veröffentlichung eingestuft wird . Mir ist nicht klar, ob es sich bei “Die Regensburger Domspatzen im Nationalsozialismus – Singen zwischen Katholischer Kirche und NS-Staat” um ein historisches Fachwerk oder Unterhaltungsliteratur handelt.

  • Robert Werner

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    Für die Sparte „Unterhaltungsliteratur“ wär´s vermutlich ein wenig zu teuer, schließlich hat der Domchor-Verein als Auftraggeber 57.000 Euro dafür ausgegeben.

    Im Domspatzen-Magazin vom Juli 2017 kündigte der ehemalige Domspatz Dr. Bernhard Lübbers (promovierter Historiker und Direktor der Staatlichen Bibliothek Regensburg) das Werk von Roman Smolorz so an:
    Ich finde die Aufarbeitung dieses Kapitels aus der Geschichte der Regensburger Domspatzen sehr wichtig. Jede Institution sollte sich seiner Geschichte, gerade derjenigen aus den dunklen Zeiten der Nazibarbarei, schonungslos und offen stellen. Dass dies nun in Form dieser Monographie geschieht, erarbeitet von einem ausgewiesenen Fachhistoriker, der das Buch auf der Grundlage sämtlicher verfügbarer Zeitdokumente geschrieben hat, ist aus meiner Sicht der absolut richtige Weg.“

    http://flippingbook.burcom.de/domspatzen_2017/sommer/#8 (S.8)
    Die Arbeit von Smolorz hat mit dieser wohlklingende Ankündigung leider kaum etwas zu tun.

  • Angelika Oetken

    |

    Ich möchte auf den Mehrwert der Investition von 57 000 Euro aufmerksam machen:

    1. Dr. Smolorz erhält einen bezahlten Auftrag
    2. Der Pustet-Verlag auch
    3. Der Domchor-Verein und Assoziierte bekommen einmal mehr die Möglichkeit, ihre Geschichten über die Domspatzen zu verbreiten

    57 000 Euro erscheinen mir da sogar als eine verhältnismäßig geringe Aufwendung. Zum Vergleich: was mag wohl der Deutsche Jesuitenorden ausgegeben haben, damit dieser Artikel veröffentlicht wird https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_lifestyle/article124690270/Mit-Gott-verheiratet.html

    Angelika Oetken

  • Angelika Oetken

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    Ich nehme an, mit “Domchor-Verein” ist “Freunde des Regensburger Domchors e.V.” gemeint. Und deshalb frage ich mich, inwieweit die Finanzierung der Smolorzschen Belletristik dem Vereinszweck entspricht und die Vorgaben der Gemeinnützigkeit erfüllt
    http://www.domspatzen.de/fileadmin/downloads/11-11-05_Satzung_Verein_Freunde_des_Regensburger_Domchors_e.V..pdf

    Fördert der Verein sonst noch was? Reisen und Treffen mit und von Ehemaligen, Projekte im In- und Ausland und dergleichen?

  • R.G.

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    Ich hatte für einen sehr alten Menschen auf seinen Wunsch die Verantwortung übernommen.
    In seinen Geschäftspapieren fanden sich seit den Jahren vor Rentenantritt bis hin ins neunzigste Lebensjahr in meinen Augen immer verwunderlichere Angebote/Aufträge.

    Er stammt aus einer politisch eindeutig zuordenbaren Familie, zumal sie im Dritten Reich lokale Bedeutung erreicht hatte.
    Dennoch wollten nun selbst weltanschaulich fremde Unternehmen ausdrücklich von ihm Expertisen erhalten.

    Rein aus persönlichem Interesse verfolgte ich bei einigen Projekten, für die er eine Arbeit abliefern hätte dürfen, was ein Kollege dann tatsächlich erbrachte.

    Dabei gewann ich den allgemeinen Eindruck, wer noch eine Karriere aufbauen möchte, ist eher zu einer umfänglichen Recherche und Quellenauswahl genötigt, als ein älterer Mensch in guter Position, der, weil er schon alles erreicht hat, als weiters erreichbares Ziel vielleicht nur mehr Wohlstand in der Pension anstrebt.

    Mit der Beobachtung im Hintergrund, sehe ich jetzt immer genau hin, in welcher Berufs- und Lebenssituation ein Autor ein Werk mit sichtlich kleinerer Quellenauswahl schrieb, als man von ihm in früheren Jahren erwarten konnte, und oft auch, als er einem seiner Studenten je durchgehen hätte lassen.

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