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Leonce und Lena am Theater am Haidplatz

„Beine hoch, das Niveau will durch!“

Der Anfang ein Ende, das Ende ein Versprechen auf einen weiteren Anfang – so eingefasst hatte Regisseur Veit Güssows Inszenierung von Büchners Leonce und Lena am 4. Februar am Haidplatz Premiere. Der Anfang verspricht viel: König Peter (Jan-Hinnerk Arnke) liest mit ehrlicher Hingabe in seinem Kleingartenkolonie-Königreich den Gartenzwerguntertanen Kierkegaard vor. Der Hofmeister (Christoph Bangerter als menschgewordener Zwerg) brät mit untertänigem Gemüt die Bratwürste für die Bieraristokratie. Lena (Julia Baukus) geht als selbstbestimmtes Powergirl nie ohne Smartphone aus dem Haus. Leonce (Daniel Tille) verlegt sich in seinem Müßiggang aufs Ukuleleklampfen. Valerio (Paul Kaiser) spielt sich von einem Gag zum nächsten. Die Figurenanlage hätte sich zu einem spannenden und zeitgemäßen Umgang mit Büchners politischer Komödie mausern können, doch dann entwickelt sich auf der Bühne etwas, das sich nur als anderthalbstündige Büchner-Verarsche umschreiben lässt.

…alles wird verwurstet…

In einer Tour de Farce durch die aktuelle Popkultur watet diese Inszenierung durch einen Assoziationsdschungel: Von Sexual-, Fäkal- und Flatulenzwitzen (von Doris Dubiel als Gouvernante heldenhaft ertragen, von Gabriele Fischer als Rosetta mit viel Fremdschämpotential dargeboten), bis hin zu Motiven aus dem Musikantenstadl, aus Trainspotting, und aus der Werbung wird alles verwurstet. Trauriger Höhepunkt des unreflektierten Umgangs mit der politischen Dimension des Stückes ist die Hochzeit von Leonce und Lena in Effigie. Hier kommen Guy-Fawkes-Masken aus der Anonymous-Bewegung zum Einsatz, deren politische Konnotationen geflissentlich ignoriert werden (Kostüme: Esther Bätschmann). Auch der Originaltext Büchners hat in weiten Teilen keine Chance gegen das Hintergrundrauschen bierseliger Zoten.

Aber mei, mir san ja in Regnschburg…

Wer heute noch Müßiggänger ist, ist allenfalls König seines Kleingartenkolonie-Gärtchens, und gehört eher in die Welt des seichten Unterhaltungsfernsehens, die dann auch postwendend auf die Bühne gehoben wird. Wie bei RTL wird in diesem Fast Food-Theater schablonenhaft und viel zu simpel das Bild des gemütlichen Bierspießertums mit der großen bösen Fremde konterkariert, in die sich Leonce und Lena retten und in der sie sich schicksalhaft begegnen: die Großstadt mit ihren Drogen, ihren Graffiti und ihren 24-Hour-Party-People (Bühne: Martin Scherm). Aber mei, mir san ja in Regnschburg. Das ist im Zweifel geistig näher an der Kleingartenkolonie als an der Großstadt, deshalb könnte man die Schablone als gekonnten Seitenhieb auf die Gutbürgerlichkeit in Regensburg durchgehen lassen. Könnte deshalb, weil die Inszenierung mitnichten soweit gedacht ist. Güssow ist kein Schlingensief, es fehlt der sich durch die Inszenierung ziehende Gedanke, es fehlt überhaupt mal ein Gedanke.

Ein Güssow ist kein Schlingensief

Dass in den ersten 30 Minuten der Inszenierung bereits mehrere Gäste gehen, hat sicherlich damit zu tun, dass Daniel Tilles Leonce Langeweile vor allem als Grausamkeit und als sexuelle Dominanz interpretiert; vor allem aber damit, dass Güssows Truppe bei den Proben offenbar sehr viel Spaß hatte – leider überträgt sich dieser Spaß so gar nicht aufs zusehende Publikum. Wir ertragen also das Voice-Over quietschender Gartentüren genauso wie das ausgelassen feiernde Licht (Wanja Ostrower, der scheinbar alle Lichteffekte durchprobiert, die der Haidplatz zu bieten hat) und die hirnrissige Idee, Vuvuzelas und laute Rasseln ans Publikum zu verteilen: Das letzte Drittel der Vorstellung verbringen die Schauspieler dann damit, gegen die Geräusche aus dem Zuschauerraum anzuspielen und das Publikum entweder zur Ruhe aufzufordern oder zu lauten Vivat-Rufen anzustiften. Beides gelingt nur mäßig.

Schlecht verdaulich und schnell vergessen

Wahre Größe gibt es an diesem Abend nur an zwei Stellen, an denen sich das Leise aus Büchners Werk fast unbemerkt in das rotzige Spektakel schleicht; zwei Stellen, an denen sich die Inszenierung auf einmal seltsam ernst nimmt und Büchners Worte für sich stehen – wo sich Leonce und Lena endlich ohne den hysterischen Hofstaat begegnen und sich erkennen dürfen, ganz menschlich, und ganz ohne die die Schrillheit des übrigen Abends. In diesen Augenblicken sind auch Tille und Baukus ganz groß, ganz da. Der scheidende Intendant Ernö Weil sagt auf der Premierenfeier später, dass diese Leonce und Lena Inszenierung keine drei Jahre überdauern wird. Eine korrektere Einschätzung ist vermutlich, dass diese Inszenierung nicht einmal die Spielzeit überlebt. Fast Food-Theater: schlecht verdaulich und schnell vergessen. Leonce und Lena. Lustspiel von Georg Büchner in einer Inszenierung von Veit Güssow. Theater am Haidplatz. Karten für ganz Mutige hier. Fotos: Juliane Zitzelsperger
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Kommentare (3)

  • kritiker

    |

    Die Kritik trifft leider zu.

  • Lena M.-Landr.

    |

    Diese Rezension trifft’s! Ich will mein Eintrittsgeld zurück! Nur Klamauk, ein Probengag am anderen. Und die größte Frechheit ist das Programmheft zu dieser Billig-Show: Texte aus Schulbüchern zu Büchner, von Büchner, zur Büchnerzeit. Ein Witzblatt wäre passender gewesen. Das Ensemble scheint aus Luschen zu bestehen, die nicht den Mut aufbringen, ihrem Regisseur zu sagen, “bis hierher und nicht weiter, bitte erst einmal ein schlüssiges Konzept!” Unerträglich: Selbstdarsteller Kaiser mit seiner manischen “Maulsperre”, die jeden Text manieristisch zerdehnt im Besonderen und seinem permanenten aufgesetzten Aktionismus generell.
    Das Schlimmste: Diese Inszenierung ist schlichtweg langweilig. Zeitvergeudung! Steuerverschwendung! Nicht die Spur mutig, kein bisschen innovativ und peinlich für Intendant Weil, der diesen Schrott durchgehen lässt.

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