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Besuch beim Donaustrudl

„Den Menschen Perspektiven schaffen“

Der Donaustrudl in Regensburg ist nicht nur eine Zeitschrift, hier kümmert man sich auch um Menschen in sozialen Notlagen. Über Armut und Wohnungsmangel in Regensburg.

Sozialarbeiterin Mareike Kleine mit Hund Shari auf dem Schoß, gemeinsam mit Verkäuferinnen und Verkäufern des Donaustrudl. Foto: Michael Stelzl

Von Michael Stelzl

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„Mensch ist Mensch, egal was ist. Egal wie es der Person gerade geht, oder ob sie einen Schlafplatz hat oder nicht. Das macht für mich keinen Unterschied.“ Mohammads Aussage fasst den Donaustrudl ganz gut zusammen, denn er ist mehr als die monatliche Zeitschrift. Er ist Sozialraum, Begegnungsort und Anlaufstelle bei Problemen zugleich.

Mohammad selbst ist 18 Jahre alt und arbeitet ehrenamtlich beim Donaustrudl. Ursprünglich landete er hier, weil er Sozialstunden wegen Schwarzfahrens ableisten musste. Danach ist er geblieben und hilft hier und da aus. Gerade ist er auf dem Weg, um den Hof zu kehren. Im September will er eine Ausbildung zum Krankenpfleger beginnen.

„Fast wie eine Familie.“

Im Donaustrudl treffen Menschen aus verschiedensten sozialen Schieflagen aufeinander. Einige sind obdachlos, den meisten reicht schlicht das Geld nicht, um den Alltag zu bewältigen. Sie alle kommen hier am großen Tisch zusammen, es gibt stets Kaffee und etwas zu essen. Man kennt sich gut, es wird viel gemeinsam gelacht. „Fast wie eine Familie“, erklärt Mohammad.

Herr der Lage ist Andreas Will. Er war selbst mehr als fünf Jahre lang obdachlos, in dieser Zeit schlief er auf der Jahninsel oder in Parkhäusern. Manchmal kam er auch bei Freunden oder Bekannten unter. Um zumindest etwas Geld zu haben, verkaufte er Zeitungen vor Supermärkten. Dabei lernte er, wie viele hier, alle menschlichen Facetten kennen.

Manche Pächter schickten ihn höflich weg, andere riefen aber auch die Polizei. Supermärkte sind Privatgelände, es gilt das Hausrecht. Doch manche Mitarbeitende rufen auch an, wenn sie ein bekanntes Gesicht länger nicht mehr vor ihrem Markt gesehen haben und erkundigen sich, ob es der jeweiligen Person auch gut gehe.

„Obdachlosigkeit ist Freiheit und Gefängnis zugleich.“

„Obdachlosigkeit ist Freiheit und Gefängnis zugleich. Es ist eine Zeit lang schön, doch man muss den Absprung finden, sonst geht man kaputt“, sagt Will. Denn man sei von jeglicher sozialen Teilhabe ausgeschlossen, nicht mehr Teil der Gesellschaft. Dies führe oft dazu, dass Obdachlose unter mangelndem Selbstbewusstsein leiden und in eine Parallelwelt flüchteten. Ohne Hilfe sei es „fast unmöglich, aus der Situation zu entfliehen“.

Will hat den Absprung geschafft. Er betreut nun gemeinsam mit der neu hinzugekommenen Sozialarbeiterin Mareike Kleine das Sozialmagazin Donaustrudl und kümmert sich auch sonst um alle Belange und Probleme.

Einmal pro Woche steht das Redaktionstreffen an, jeden Monat erscheint eine neue Ausgabe mit einer Auflage von 5.000 bis 7.000 Stück. Die Redaktion arbeitet frei ehrenamtlich. Verkäuferinnen und Verkäufer sollen dabei aktiv in den Gestaltungsprozess miteingebunden werden. Rund 70 von ihnen gibt es. Menschen in sozialen Notlagen. Altersarmut, Job- oder Wohnungslosigkeit.

Prinzipiell ist der Donaustrudl offen für alle. Längerfristig in Regensburg bleiben und sich die Stadt „zur Heimat machen“ wollen, solle man aber doch, so Will.

Der Job gibt soziale Teilhabe und Struktur

Eine Verkäuferin ist Susanne. Sie ist Ende 50 und bezieht Frührente. Zwei bis dreimal pro Woche verkauft sie abends den Donaustrudl in der Altstadt, durchschnittlich zehn bis zwanzig Stück. 1,20 Euro bekommt sie dafür pro Ausgabe, manchmal geben die Menschen zusätzlich etwas Trinkgeld: „Mal Essen gehen oder ein Konzert besuchen ist da natürlich nicht drin.“

In ihrer Freizeit liest Susanne gern, Bücher und Zeitungen leiht sie sich in der Bibliothek. Auch wenn sie nicht daran glaubt, dass sich an ihrer Zukunft noch etwas ändert, ist sie fröhlich gestimmt. „Klar, ein bisschen mehr Geld wäre nicht schlecht, damit man sich auch einmal einen Friseurbesuch leisten oder ein Geschenk kaufen kann.“ Etwa 800 Euro im Monat sollte man mindestens haben, sagt sie.

Dann ist schon wieder Aufruhr im Raum, denn Haushund Shari wuselt umher und zieht die Leute in seinen Bann. „Er ist der wichtigste Mitarbeiter im Laden, er hält das Ganze hier beisammen“, witzelt Will.

Langfristiges Ziel des Zeitungsverkaufs ist es, den Menschen eine Perspektive zu geben. Denn der Job gibt ihnen soziale Teilhabe und Struktur. Letzteres ist gerade bei Menschen mit Sucht oder anderen psychischen Problemen wichtig. Außerdem erarbeiten sich die Verkäuferinnen so ein Taschengeld, jedes Mal ein kleines Erfolgserlebnis. Als selbstständige Subunternehmer bleiben sie dabei eigentlich immer unter dem gesetzlichen Grundfreibetrag.

Zu zweit in der Einzimmerwohnung

Dass die Menschen zu viel Geld haben, ist eher die Ausnahme. Das Gespräch am Tisch dreht sich um die neue Kaffeemaschine in der Küche und um „P-Konten“. Das sind Pfändungsschutzkonten, die im Falle einer Pfändung einen monatlichen Betrag zur Verfügung stellen und der Sicherung des Existenzminimums dienen.

Mit dem Leben am Existenzminimum kennen sich die Leute hier aus. Selbst die, die eine Wohnung haben, wissen oft nicht, wie sie sich ihren Lebensunterhalt finanzieren sollen.

Klaus und seine Frau leben gemeinsam in einer Einzimmerwohnung. Etwas Größeres „können sie sich nicht leisten“. Da sie in Teilzeit als Putzkraft arbeitet, werden seine Bezüge gekürzt, denn ihr gemeinsamer Haushalt verfügt über Einkommen. So bleiben ihm für sich gesehen etwa 130 bis 140 Euro im Monat. Sozialarbeiterin Mareike Kleine stellt klar: „Die Menschen benötigen schlicht Wohnung und Geld.“ Und das mit Wohnungen ist in Regensburg so eine Sache.

Miete vom Amt: Zwischen Vorurteil und Geschäftsmodell

Zwar werden laut der Stadt Regensburg rund 5.600 Wohnungen öffentlich gefördert, doch die Nachfrage liegt um ein Vielfaches höher. Über 30.000 Studierende, die in der Regel über wenig Einnahmen verfügen, konkurrieren beispielsweise mit den Empfängern von Transferleistungen um Wohnraum. Hinzu kommt Wohnraum, der als Ferienwohnungen genutzt wird oder schlicht leer steht.

Und dann gibt es natürlich Vorurteile gegen Sozialhilfeempfänger. Sie werden oft als potenzielle Mieterinnen abgelehnt. Das würde den Wert des Hauses mindern, heißt es gelegentlich, selbst wenn das Amt zuverlässig die Miete zahlen würde.

Andere Vermieter wiederum nutzen das entsprechend aus und verlangen die maximal mögliche Miete, die das Amt zu zahlen bereit ist. Ein Geschäftsmodell. Will stellt der Stadt insgesamt ein mittelmäßiges Zeugnis aus: „Politisch wird in schon was gemacht, aber das Grundproblem der Wohnungsnot bleibt.“

„Housing First“ als Grundprinzip

Anfang 2022 waren in Deutschland etwa 263.000 Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen, in Finnland geht die Zahl gegen Null. Wie passt das zusammen? In Finnland hat jeder Mensch ein elementares Recht auf eine Wohnung. „Housing First“ wird das Prinzip genannt.

Die Menschen können dabei entscheiden, ob sie in Einzelappartements in normalen Wohnhäusern oder ihn Wohnblöcken, in denen andere ehemals Obdachlose wohnen, leben möchten. In diesen Gebäuden gibt es zusätzlich Angebote zur Suchtbewältigung, einen Pflegedienst und Sozialarbeiter.

Der Grundgedanke: Menschen können sich erst um ihr Leben kümmern, wenn sie eine Wohnung haben. „Obdachlosigkeit bedeutet, dass man sich nur um den Tag kümmert und kein langfristiges Denken möglich ist“, erklärt Will. In Deutschland wiederum steckt man oft in einem Teufelskreis fest: Hat man keine Arbeit, bekommt man keinen Mietvertrag. Hat man keinen festen Wohnsitz, ist es schwer an einen Job zu kommen.

Entgegen aller Erwartungen spart der finnische Staat sogar noch Geld mit diesem Ansatz. Laut einer Studie etwa 15.000 Euro pro Jahr und Person. Denn eine Wohnung zur Verfügung stellen kostet zwar Geld, medizinischen Behandlungen oder Gerichtsverfahren, die oft von der Obdachlosigkeit herrühren, jedoch sehr viel mehr.

Zeitungsverkauf als Gemeinschaft

Zurück im Donaustrudl. Will macht es sich auf einem Stuhl in einer Ecke des Raums bequem. Gleich geht die Verkäufersitzung los. Monatlich kommen alle zusammen und besprechen die neueste Ausgabe sowie aktuelle Regelungen innerhalb der Stadt. An diesem Tag sind etwa 20 Personen im Raum, meist sind es mehr.

Viele Verkäuferinnen stammen aus Rumänien und sind aktuell über das Osterfest, welches in der orthodoxen Kirche später gefeiert wird, in ihrer Heimat. Manchmal rufen Menschen beim Donaustrudl an und beklagen, dass ihnen „Rumänen und keine Deutschen die Zeitung verkaufen“, erklärt Kleine.

Sie und Will sind gerade dabei, vor der Versammlung Listen mit Kontaktdaten auszufüllen. Einmal jährlich bekommen alle Beteiligten einen neuen Verkaufsausweis. Ohne den dürfen sie keine Zeitungen vertreiben. Das Treffen beginnt zwar offiziell erst mittags, jedoch kommen viele bereits früher zum Reden und Kaffee trinken. Auch Shari springt wieder von einem Schoß zum nächsten.

Bei der Besprechung selbst wird unter anderem der Verkauf von Zeitungen auf der Dult – nur vor dem Eingang, nicht auf dem Gelände selbst – sowie auf dem Bürgerfest – Verkauf in der gesamten Stadt erlaubt – besprochen.

Am Ende bedankt sich Verkäufer Katalin bei allen, dass es den Donaustrudl gibt und wie sehr ihm hier geholfen werde. Will und Kleine sitzen im Hintergrund und lächeln. Im Anschluss nehmen viele neue Zeitschriften zum Weiterverkauf mit, das Geld kommt nicht von allein.

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Kommentare (1)

  • Hthik

    |

    Sozialbürgermeisterin übernehmen Sie! Da kommen sicher auch Vertreter anderer Presseorgan mit.

    Die Betroffenen sind immerhin noch in der Lage, diesen Job, der ihnen soziale Teilhabe und Struktur gibt zu machen. Es sind die, die mit Kreativität und Sparen an allen Ecken und Enden gerade so noch durchkommen. Ein bisschen mehr Geld wäre nicht nur nicht schlecht, sondern ist dringend erforderlich. VdK und SoVD wollen ja Musterklagen unterstützen. Also sie nennen das so. Im Sozialrecht gibt es schlicht Klagen. Der Einzelne, der betroffen ist muss klagen. Das ist beim Existenzsicherungrecht nicht anders, wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12 klarstellt

    “Verfassungsrechtlich ist allein entscheidend, dass für jede individuelle hilfebedürftige Person das Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ausreichend erfasst wird, …”

    Da die rückwirkende Korrektur im SGB XII von vier Jahren auf ein Jahr beschnitten wurde, sollte jeder Betroffene wissen, das er Bescheide des Sozialamts nicht rechtskräftig werden lassen darf, sondern rechtzeitig mit Widerspruch und Klage vorgehen muss. Wir will kann natürlich auch beim VdK und SoVD nachfragen, ob sie ihn unterstützen. Nötig sein darf das allerdings nicht. Die Ämter haben von sich aus zu ermitteln, ob der individuelle Bedarf gedeckt ist.

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