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„Hrabal und der Mann am Fenster“

Des Spitzels Ribislwein: Surrealismus im Schrebergarten

Ein Spiel aus Vermutungen und Annahmen: die Uraufführung von „Hrabal und der Mann am Fenster“ am Regensburger Stadttheater.

Fotos: Sarah Rubensdörffer

Fotos: Sarah Rubensdörffer

Von Judith Werner

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„Sicheres Faultier“, „Politbüro“, „barfuß“, „Brillantcollier“ – Einblendungen in Schreibmaschinenschrift erscheinen und verschwinden auf dem Gazevorhang. Sie halten Sprachfetzen der Unterhaltung fest, die die beiden Herren in Ringelhemden auf der Bühne führen. Wie Geschwister sehen sie aus. Zwei Brüder von ähnlicher Statur, etwa im gleichen Alter und mit lichtem bis keinem Haupthaar. Der eine – er trägt Schuhe – ist Dutky, der Beobachter. Der andere – barfuß, dafür aber mit Pelzmütze – heißt Hrabal. Er ist Schriftsteller und der Beobachtete. Dutky fertigt vierteljährlich Berichte an und schickt diese in die Kreisstadt, wo sie seinem Vorgesetzten Lansky und der „Firma“ vorgelegt werden. Jedenfalls glaubt er das. Lenka, das blonde Mädel vom Tourismusverein, aber weiß, dass der Observierte aus einem Haus in Prag gestürzt ist. Hrabal ist tot und Dutkys Gesprächspartner nur eine Illusion.

Handlung im versteckten Kämmerlein

Der Zuschauer soll ruhig erst mal im Dunkeln tappen. Mit diesem – ganz wörtlich umgesetzten – Credo empfängt die Uraufführung von „Hrabal und der Mann am Fenster“ das Publikum. Die Inszenierung von Bernhard Setzweins Stück beginnt als Hörspiel, wechselt zur Videoinstallation und gibt den ungehinderten Blick auf Bühne und Schauspieler erst in letzter Minute frei. Ein Spiel aus Vermutungen und Annahmen, alles indirekt und ohne Klarheiten: das sind die Leitlinien der Aufführung, die Mia Constantine bei ihrem Regiedebüt gekonnt in Szene setzt.

Hrabal und der Mann am Fenster GP

Die Handlung bleibt über weite Strecken der nur siebzigminütigen Vorstellung im Verborgenen – zumeist tatsächlich in einem versteckten Kämmerlein hinter der eigentlichen Kulisse. Dutky, überzeugend und angenehm unprätentiös gespielt von Michael Heuberger, erzählt von seinem Leben auf dem Beobachtungsposten. Ein idealer Standort sei der unscheinbare Holzschuppen in der Kleingartenanlage, um den Schriftsteller Bohumil Hrabal zu observieren, findet sein Chef von der Staatssicherheit. Und so sitzt Dutky jahraus, jahrein hinter Astlöchern und Lattenzäunen und protokolliert alles mit: von der Anzahl der getrunkenen Seidel Bier über das Verhalten der 25 Hauskatzen bis hin zum Gesichtsausdruck des mutmaßlichen Staatsfeindes, wenn er seine Post aus dem Briefkasten holt. Trotz aller Akribie hat er sein Beobachtungsobjekt irgendwann aus den Augen verloren. Ob es am exzessiven Genuss des selbstgekelterten Ribislweins liegen könnte? Schon länger jedenfalls ist Hrabal nicht mehr gesichtet worden auf der anderen Seite des Gartenzauns.

Komisch, aber auch beklemmend

All das prasselt unter den Geräuschen von Bleistiftspitzern, Stempelschlägen, Schlucken und Schmatzen aus dem Off ins Dunkel des Zuschauerraums. Das ist bisweilen komisch, aber doch auch beklemmend. Als Lenka für einen Moment durch das dunkle und minimalistische Bühnenbild von Camila Mahagoni Soldani (auch für sie ein Debüt) huscht, scheint der Bruch zu kommen. Endlich Licht, Schauspieler auf der Bühne und vielleicht wird dann dieser Vorhang, der keinen wirklichen Durchblick zulässt, gehoben. Wer darauf wartet, wird enttäuscht. Die junge Frau verschwindet hinter einer Tür und was dort dann vor sich geht, erfährt der Zuschauer wiederum nur indirekt – diesmal über eine Videoaufnahme, die hinter der Bühne stattfindet und auf den Vorhang projiziert wird.

Theater Regensburg

Als Lenka (Pina Kühr) auf ihrem Interview-Block das Jahr 1997 notiert, wird erstmals wirklich deutlich: Irgendetwas stimmt hier nicht. Der Kalte Krieg ist vorbei, Dutky ist in seinem Gartenhäuschen aber wohl irgendwie vergessen worden. Man könnte sich an Wolfgang Beckers „Good Bye, Lenin!“ erinnert fühlen. Die junge Frau ist nicht, wie der Spitzel annimmt, seine neue Vorgesetzte, sondern eine Angestellte im Tourismusbüro, das ein Museum zum Gedenken an den Dichter Hrabal errichten will. Dutky wird vom Spion zum Befragten. Plötzlich soll er lobhudelnd Gästen aus aller Welt vom großen Schriftsteller als Zeitzeuge berichten? „Haus aus Glas“ soll das Museum heißen und genau in dem Garten stehen, wohin Dutky über Jahrzehnte gestarrt hat. Was hat er wirklich gewusst, was nur vermutet, warum hat er den Schriftsteller beobachtet und vor allem was hat er dabei eigentlich gesehen?

Ein Beobachter, der sein Beobachtungsobjekt verloren hat

Die existenzielle Verwirrung, in die die Figur daraufhin verfallen muss und die im surrealen Traumgespräch mit dem verstorbenen Poeten ihren Höhepunkt erreicht, wirkt zu keinem Zeitpunkt übertrieben. Selbst die Bildsprache zur Biographie Hrabals, etwa seinem suizidalen Sturz, funktioniert: Im Hintergrund stehen zwei grüne Fensterrahmen an die Dachschräge der Datsche gelehnt. Die unfreiwillige Komik, wenn Dutky seine Beschattungsversuche schildert, betont die Tragik: Wer und was ist ein Beobachter, der sein Beobachtungsobjekt verloren hat und nicht nur nicht weiß, warum er das tut (gelesen hat er Hrabals Bücher nämlich nicht), sondern auch gar keinen Empfänger seiner Botschaften mehr hat?

Theater Regensburg

Setzweins Stück ist im besten Sinne des Wortes vielschichtig. Das hat Mia Constantine brilliant erkannt und sich weder von der Einfachheit der Sprache der Textvorlage, noch von der Frage nach der Verträglichkeit für ein Regensburger Theaterpublikum bei sommerlichem Wetter am Ende der Spielzeit abschrecken lassen. Es geht um Überwachung und um das Leben und Werk des tschechischen Autors Bohumil Hrabal. Dieser zählt zwar zu den wichtigsten Schriftstellern seines Landes im 20. Jahrhundert, dürfte aber im Rest Europas nur den wenigsten bekannt sein. Von staatlicher Repression und Zensur ist die Rede. Das ist thematisch durchaus aktuell, eingängig dargestellt und wäre allein daher schon sehenswert.

Das Publikum wird zum Spitzel

Die eigentliche Größe gewinnt die Inszenierung aber im Spiel mit dem Publikum, das selbst in die Bespitzelungs- und Mithörerrolle gerät. Das Mehr-Sehen-Wollen als die Bühne freigibt ist originell und mutig umgesetzt. Die Reflexion, was Literatur und Literaturschaffen bedeutet – der Geist Hrabals nennt Dutkys Aufzeichnungen „literarische Berichte“ – findet im Wechsel von gesprochenem und geschrieben Wort seinen Platz. Dies geschieht erfreulich subtil und ohne übertriebene Symbolik. Dass sich die Inszenierung bisweilen in der Begeisterung für das mediale Cross-Over verliert, ist dabei einer der wenigen Wermutstropfen. Sowohl der Hörspiel-Teil als auch die Filmsequenz hätten kürzer ausfallen können, ohne dem Konzept einen Abbruch zu tun. Ein wenig zu selbstverliebt fokussiert die Kamera auf Details wie Dutkys Fernglas, nur um sich dann wieder in die Unschärfe zu flüchten. Unterbrochen wird dies durch Close-Ups auf Pina Kühr, die im letzten Stück vor ihrem Neu-Engagement in Bamberg etwas zu aufgeräumt daherkommt und wieder einmal zu viel lächelt.

Theater Regensburg

Wenn dann kurz vor Ende der Gazevorhang endlich geräuschvoll zu Boden fällt, ist der Blick frei auf einen zum Reiseführer umgeschulten, ans Corporate Design des neuen Museums angepassten und völlig fehlplatzierten Dutky. Klarheit und Realismus bietet das Lüften des Schleiers also nicht. Wie auch? Leuchtet doch André Bretons Diktum in weißen Lettern auf den Kulissen: „Der Surrealismus beruht auf dem Glauben an die höhere Wirklichkeit.“

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Kommentare (6)

  • gerl frieda

    |

    leider hat sich rd von einem ernstzunehmenden kritischen politischen onlinemagazin zu einem wischiwaschi-kultimulti-pseudo-onlinebladl herausgeputzt.
    vorbei die zeiten wo regensburg-digital von spiegel & co zitiert wurde, oder das bistum zitterte?
    das wollizeitalter lässt grüßen?
    http://www.regensburg-digital.de/pressespiegel/

  • Student

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    Ich denke Kulturbeiträge/Kritiken sollten durchaus Platz haben auf regensburg-digital. Eine separate Rubrik fände ich dafür aber auch geeigneter – zumal neuerdings die Besprechungen irgendwelcher neuer CDs irgendwelcher Bands derart inflationär zugenommen haben, dass man die politischen Beiträge (und die interessieren mich – und ich glaube den Großteil der rd-Leser ganz überwiegend) dazwischen schon fast suchen muss.
    Aber wenn schon Kulturkritiken: “Woyzecks Delirium”, welches das Regensburger Studententheater grade an der Uni aufführt (allerdings nur mehr zwei Tage oder so) hätte auch eine Kritik verdient :)

  • Stefan Aigner

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    Für Vorschläge. Wie Wie anders rubrikisieren sollen, bin ich immer offen. Die CD-KRITIKEN setzen wir ja schon farblich ab.

  • Herma Tell

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    O mei Frieda, jetzt bist a bisserl zweit ganga.
    In der Kopfleiste rechts kannst du auswählen welche Themenbereiche du konkret durchblättern willst. Vielleicht könnte Hr. Aigner die Stichworte ( Nachrichten, Meinung… ) etwas besser “rubrikisieren” [echt geiles Wort :-) ] oder ggf. durch aufklappende Unterpunkte ‘ru­b­ri­zie­ren’.
    “Die CD-KRITIKEN setzen wir ja schon farblich ab” ,finde ich gut.
    Nix für ungut, vielen Dank für die vielen guten Artikel und immer viel Spaß bei der vielen Arbeit.

  • Dante

    |

    Der Text liest sich leider nicht so gut und ist stellenweise sogar zäh. Dennoch ist es gut, dass auch Kulturbeiträge veröffentlich werden.

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drin