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Die Tolerantel

Die Fürstin von nebenan

Toleranz ist eine löbliche Eigenschaft, die den meisten Menschen aber erst mühsam eingeprügelt werden muss. Froh darf man sein, wenn man in seiner Nachbarschaft einen moralischen Kompass hat, der nicht dadurch an Genauigkeit verliert, dass er über die Krümmung des Horizonts hinausweisen will.

Weite Reisen in ferne Länder unternehmen, ohne Gefahr zu laufen, geistig aus seinem Dorf herauszumüssen: Gloria von Thurn und Taxis.

Ach ja, die Fürstin. Die Gloria und ich, ich und die Gloria, was soll ich sagen – wir beide, tja, uns verbindet ja eine lange gemeinsame Vergangenheit. Wir gehen sozusagen way back, wie man so sagt. Ich wohne nämlich quasi gegenüber, ein bisschen hinter dem Emmeramsplatz, und als ich 1993 eingezogen bin, wollte ich natürlich als guter Nachbar mal kurz bei ihr vorbeischauen und mich vorstellen.

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Sie war zwar grade nicht daheim, aber meinen schönen Gruß hat sie bestimmt ausgerichtet gekriegt, und weil sie ja auch sehr auf gute Manieren Wert legt, hat das bei ihr definitiv großen Eindruck gemacht. Seither, was soll man sagen, man hat ja beiderseitig die Zeit nicht, um sich jetzt dauernd zu sehen. Aber ich hatte auch nie das Gefühl, dass unsere Freundschaft darauf beruht, andauernd was miteinander unternehmen zu müssen. Das geht einfach tiefer, da langt es auch, wenn man sich mal so alle zehn, 15 Jahre auf der Straße sieht.

Auf die Achtsamkeit kommt es an

Auf die Achtsamkeit kommt es nämlich an, auf die Rücksichtnahme, und darauf, dass man in der Not füreinander da ist. Deswegen bin ich vorgestern auch rüber zum Schloss, weil mir plötzlich aufgefallen ist, dass sie schon über eine Woche nix Peinliches mehr von sich gegeben hat. Also, sie hat ja einen Haufen Angestellte, die aufpassen. Aber nicht, dass sie in der Dusche ausgerutscht ist und keiner traut sich nachschauen, weil man da vielleicht rausfinden könnt, dass sogar eine so aufrechte Katholikin wie die Gloria beim Duschen nackert ist.

Also, an der Pforte haben’s mir dann wieder versichert, dass alles in Ordnung ist mit ihrer Durchlaucht, und für meine Fürsorge bedankt haben sie sich auch und mir als kleine Aufmerksamkeit ein Glas „Gloria Fruchtaufstrich Heidelbeer-Birne“ geschenkt. Weil, so steht’s zwischen der Fürstin und mir. Für eine Marmelade sind wir uns immer gut.

Vor ein paar Tagen dann hab ich auch gemerkt, warum die Fürstin so still war: Sie hat sich um die neuen Sponsoren für die Schlossfestspiele kümmern müssen. Also, beratend vermutlich, weil sie den Festspielen ja nur ihre Präsenz, ihren guten Namen und ihr entsprechend gutes Obdach zur Verfügung stellt. Ansonsten hat sie damit ja nix zu tun.

Eine Fürstin mit Talent zu subtiler Symbolik

Aber so ist sie, die Gloria: Sie hilft, wo sie nur kann. BMW ist weg als Hauptsponsor, und da kann man nur sagen, das hat auch nicht mehr gepasst. Ich kann mir ihre Enttäuschung ja bildlich vorstellen, als sie herausgefunden hat, dass BMW seine Autos tatsächlich auch außerhalb Bayerns verkauft, was eklatant dem dörflich-regionalen Charakter der Schlossfestspiele zuwiderläuft. Bei der Trennung war mir sofort klar: Da kommt auseinander, was auseinander gehört.

Es stand aber auch völlig außer Frage, dass die Bewerber Schlange stehen, um die Festspiele sponsern zu dürfen, und so hat das ja auch gar nicht lange gedauert, bis man genau den Richtigen gefunden hat. Ein Kranverleih ist es geworden, aus Oberschleißheim. Maschinentransporte, Hoch- und Gabelstapler, Autokrane – Dorfcharakter plus hoch hinaus; ich liebe das Talent der Fürstin zu subtiler Symbolik.

Nimm das, BMW!

Außerdem mit an Bord: eine Ziegelei. Und zwar nicht irgendeine, sondern die, die wo den WS10 Coriso Planziegel im Angebot hat. Ja, da schauen Sie, das hätten Sie nicht gedacht! Dann noch eine Brauerei, und das ist wieder ein Zeichen außerordentlicher fürstlicher Fürsorge: Nie würde es die Fürstin zulassen, dass die Gäste auf Thurn und Taxis auch das Bier von Thurn und Taxis saufen müssen. So denkt sie an uns!

Gut, dass die Brauerei ebenfalls einem Adelsgeschlecht entstammt. Da kennt man sich, und da kann der Pöbel halt auch mal ein Schlückchen Noblesse genießen. Dass die aktive Sozialismuskritik in der Historie der Familie eine Rolle gespielt haben soll, kann ich allerdings nicht bestätigen. Dementieren aber auch nicht direkt.

Wurschtegal: Nimm das, BMW! Keine Sau braucht dich hier in Regensburg, und für das Fortkommen in der Stadt langt uns im Zweifel eh ein Golfwagerl.

Ein provinzielles Landei – trotz internationaler Verbindungen

Gerüchteweise sollen beim Sponsoring noch weitere Big Player um eine Beteiligung buhlen; so wird kolportiert, dass auch die Verhandlungen mit einem der Top-Fünf-Nagelstudios des Landkreises schon kurz vor dem Abschluss stünden. Die Schlossfestspiele werden diesmal eine richtig runde Sache, glaub ich.

Wir lieben unsere Fürstin doch vor allem deshalb, weil sie trotz ihres Adels und ihrer ganzen internationalen Verbindungen immer noch ein provinzielles Landei geblieben ist – und damit eine von uns.

Wir sehen zu ihr auf und lernen von ihr, auch wenn viele von uns jetzt die Information aus ihrem Benimmbuch, wie und wo man Säbel und Orden anzieht, nicht direkt andauernd praktisch umsetzen können. Aber wer weiß, wann man’s doch noch brauchen kann. Ich hab zum Beispiel die silberne Ehrennadel für 25 Jahre Mitgliedschaft beim FC Bayern, und jetzt bin ich froh.

Eine Adlige zum Anfassen

Meistens geht’s aber um andere Sachen.

Wie war das damals, als der Bub einen teuren Audi haben wollte, ich glaub, es war ein TT, und da hat Audi doch tatsächlich ein Geld dafür haben wollen? Also, da hat sie aber auf den Tisch gehauen und den Dünnblechbiegern aus Ingolstadt klargemacht, wie froh sie sein dürfen, dass ein T&T in ihrem TT hocken täte. Da schickt man keine Rechnung, sondern bindet ein Schleiferl um den Karren und bedankt sich, dass deren Durchleuchten gnädig das Geschenk zu akzeptieren geneigt wären. So schaut’s aus.

Ich weiß es jetzt nicht mehr ganz genau, aber ich glaube mich zu erinnern, dass von den 17 Vornamen von der Gloria einer „Karen“ war. Jedenfalls ist sie für mich auch die dynastische Schutzheilige aller Menschen, die endlich den Mut finden, sich zu beschweren und einzufordern, was ihnen zweifellos irgendwie zusteht! Mariae Gloria Ferdinanda Joachima Wilhelmine Karen, speise mich Armen mit einer Extrawurst, bittgarschön!

Sie war und ist eine Adlige zum Anfassen, auch wenn man sich natürlich vorher weiße Baumwollhandschuhe anziehen sollte. Sie ist eine gern gehörte Ratgeberin in allen Lebenslagen, und nicht nur, wenn im Fernsehen irgendwo irgendein Prinz heiratet und man eine Adelsexpertin braucht. Ihre Biographie erfüllt uns alle mit der Zuversicht, auch weite Reisen in ferne Länder unternehmen zu können, ohne Gefahr zu laufen, geistig aus seinem Dorf herauszumüssen.

„Dein Leben sei ein Beichtgeheimnis allezeit.“

Vor allem erfüllt sie den Katholizismus mit Leben, macht ihn für uns erfahr- und begreifbar. Nur jemand, der Keith Haring, Freddie Mercury und Elton John persönlich kennenlernen durfte, hat schließlich den nötigen Background, um fordern zu können, dass die Leute doch ein bisschen diskreter mit ihrer Sexualität umgehen sollten – ein bisschen arabischer halt.

Überhaupt muss ja nicht ständig jede Abartigkeit offen zur Schau getragen werden. Da hat sie doch völlig recht, die Fürstin. Die Perversion an sich wird es immer geben, aber bitteschön nicht in aller Öffentlichkeit! Dafür gab und gibt es die Schlafzimmer, die Bahnhofsklos und die Sakristeien.

Auch der Rammel-Reichelt von der BILD früher, ihr guter Spezl, hat ja aus katholischer Hinsicht alles richtig gemacht. Falls man denn, ganz theoretisch, zugekokst seine Praktikantinnen bumst, dann klärt man das gefälligst im Beichtstuhl und nicht in aller Öffentlichkeit. Und wenn grad kein Beichtstuhl in der Nähe ist, reicht auch eine Erinnerung an Paulus, Brief an die Kartäuser, Apokryphen: „Dein Leben sei ein Beichtgeheimnis allezeit“.

Wo der Noah damals in der Bibel nach dem Schifferlfahren gleich mal Wein angebaut und ein bisserl über die Stränge geschlagen hat, da war das auch nicht so schlimm; bestraft wurde die Verwandtschaft, die drüber geredet hat. So war das und so ist das auch heute noch. Mein Dorfpfarrer daheim hat mir seinerzeit schon gesagt, dass schlimmer als der, der den Dreck macht, der Wurm ist, der im Dreck wühlt.

Die nächsten Schlossfestspiele werden eine runde Sache.

Gerade vor diesem Hintergrund freut es mich so, dass unsere Schlossfestspiele jetzt eine Rückbesinnung auf ihre alten Werte erfahren. Mit welchen Künstlern wird man aufwarten? Welche großartigen Barden werden unser Gemüt erfreuen? Die Gerüchteküche kocht!

Wird man die Bernhardswalder Blockflötenfreunde gewinnen können? Den Bad Abbacher Bademeisterchor? Für ein bisschen internationales Flair die Engelbert-Humperdinck-Coverband?

Kommt das Rex-Gildo-Musical hier zur Uraufführung?

Eines ist sicher: Es wird eine runde Sache werden. Das Leben in seiner irdisch gewordenen Göttlichkeit, es ist ein Kreis. Fast wie der Stammbaum einer Adelsfamilie.

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Kommentare (15)

  • Günther Herzig

    |

    Kann die Fürstin eigentlich überhaupt noch etwas tun, ohne dass sich ein provinzieller Schreiber, -manche halten ihn für einen Komiker-, über sie hermacht, um das vertraglich zugesicherte Zeilenhonorar von r-d abzugreifen. Berichtet doch mal wieder über die jungen Sozialisten, die, ohne richtige Kenntnis von irgendwas, verlangen werden, dass die Fürstin enteignet wird. Alles, was ihr vorgeworfen werden kann ist doch, dass sie so ist, wie sie ist, irgendwie doch schon authentisch, oder?
    Die sorgfältige Pflege eines Feindbilds ist wichtig. Und wichtig ist auch, dass man später sagen kann: „Ich habe es doch immer schon gesagt!“

    Wie wäre übrigens eine Untersuchung über offenen oder latenten Antisemitismus hier im Raum Regensburg? Und sage jetzt niemand, dem Thema fehle es an Aktualität!

  • naja

    |

    @ GH

    Hm?! Ist Ihnen etwa nachfolgendes entgangen? “Von Martin Stein in Kolumne, Meinung”
    Vor allem der Begriff Meinung?

    Man ist nie gezwungen eine Meinung zu teilen, man sollte aber die persönliche Größe besitzen, eine Meinung zur Kenntnis zu nehmen und zu tolerieren.

    Und falls Ihnen eine fremde Meinung gegen Ihre Lauchigkeit dermaßen mißfällt, wer zwingt Sie, diese zu lesen und auch noch zu kommentieren?

  • Klaus

    |

    Es tut gut zwischen den ganzen brodelnden Problemen etwas Humor zu verkosten.
    Danke Herr Stein.

  • Andreas

    |

    Falls Stein glauben sollte, seine bemühte Witzischkeit überböte das schrullig-provinzielle Niveau der Durchlochten auch nur ansatzweise, hat er sich getäuscht.

    “Bad Abbacher Bademeisterchor”, was für’n Schenkelklopfer!

  • Hans Jakob

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    Kommentar gelöscht. Bitte beim Thema bleiben.

  • Native

    |

    What a wonderful world
    Aber leider, so wie früher wird es nie wieder. Ist das Normal oder das Letzte?
    BILD dir selbst deine Meinung oder noch besser, Achtung Reichelt! (Ironie)
    https://www.youtube.com/watch?v=2nGKqH26xlg

  • Lenzerl

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    Genialer Text! Subversiv. Liebevoll. Danke, Martin Stein, fürs Umarmen unser Karen Mariae Gloria…

  • Giovanni Bavarese

    |

    @Herzig: Bitte nenn’ sie doch nicht Fürstin. Sie nennt sich selbst zwar so, ist aber keine (Der Adel ist abgeschafft.).

    Folgende Passage ist wunderbar und sollte zum Aphorismus werden: „Das Leben in seiner irdisch gewordenen Göttlichkeit, es ist ein Kreis. Fast wie der Stammbaum einer Adelsfamilie.“

  • Wurst Haut

    |

    Ich bin kein Gloriafan, aber im Vergleich zu Herrn Stein ist sie mir dann doch wieder sympathisch.

  • Günther Herzig

    |

    @Giovanni Bavarese
    23. Oktober 2023 um 15:34 | #
    Weil das so ist nenne ich sie so! Akrat!

  • Linda

    |

    Es gibt auch positives aus dem Hause T+T zu berichten: Albert fährt bei der 🚗Rallye-WM wieder mit. (MZ)

  • El

    |

    @ Hochwohlgeboren yes or no:

    Doch, doch, unsa Fiaschdin is scho oane
    und manche Menschen sonnen sich im Dunstkreis Ihres Adels und Ihrer Großmut:

    Vor einiger Zeit kam ich mit einem Buchhändler, der in der oberen Bachgasse seine Zelte aufgeschlagen hatte, ins Gespräch. Als wir auf die Fürstin zu sprechen kamen, und ich sie in einem kritischeren Licht sah, rückte er mir mit folgender Episode den Blick gerade:

    Eines Tages hat doch ein Hund, der sich im Besitz und in der Begleitung Ihrer Hochwohlgeboren befand, an einem Bücherstand, den besagter Buchhändler auf die Straße gestellt hatte, nicht mehr an sich halten können und das Bein gehoben.
    Die Fürstin, die wohl schon vorausgegangen war, sah das und …. man stelle sich diese unermessliche Großmut vor …. sie kam zurück und entschuldigte sich. Die Fürstin! Wegen des Pinkelns!

    Ob es zu Ausgleichszahlungen im Rahmen dieser Grenzüberpinkelung gekommen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ob meiner Verblüffung dieser charakterlichen Größe einer Hochwohlgeborenen, vergaß ich damals danach zu fragen.

  • Native

    |

    @Linda
    Albert Fürst von Thurn und Taxis fährt ehrgeizig und konzentriert bei der Rally-WM mit (siehe Bild in der MZ). Und das ganz ohne BMW, hoffentlich erfolgreich! Es wäre ihm zu wünschen, das er langsam auch bei der Sicherung der fürstlichen Erbnachfolge, mehr Gas gibt. :-)

  • thomas otto

    |

    frage: gibt es ein amtlich zugelassenes schlossgespenst auf UNSEREM schloss?
    mir dünkt: ja.
    und: hats schon mal einer von uns untertanen gesehen (vgl.: Yeti)?
    fürchtet es sich etwa so alleinig in all den leeren kalten gemäuern.
    oder im menschenleeren park.
    wo es ruhelos auf der suche nach dem sinn des lebens umhergeistert.
    steht es vielleicht samstags unerkannt im kolonialwarenladen neben uns, verzweifelt nach seinem geldtaschl suchend, derweil es ja gar keine geld hat? und die nachbarin kann ja auch nicht aushelfen, weil das schlossgespenst ja keiner sieht und sein jammern keiner hört, obwohl es ja mit allen mitteln auf sich aufmerksam machen möchte. tragisch…

    ganz was anders:
    gibts denn in ratisbona keine lichtgestalten mit weisser weste (kein betttuch), an der wir uns hochziehen könnten.
    der albrecht altdorfer. das wäre einer.
    weltberühmter maler und namensgeber für so einiges in regensburg.

    blöd nur dass er (mit anderen) die juden aus regensburg vertreiben liess.
    scheint ein schicksal regensburgs zusein, dass nix so is, wie es scheint.

  • ideenfinderin

    |

    YES! Endlich!…wieder herzhaft und laut zu lachen…
    es tut sooo gut.
    Beim Lesen sah ich auch eine ausverkaufte Kabarettbühne vor meinen geistigen Auge, was mein Grinsen noch breiter machte.

    Vielen Dank Herr Stein für Ihre piontierte Kolumne.

    WICHTIG!
    Sie haben ein herausragendes Talent, bitte weiter nutzen!

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drin