„Ohne Auto bist du verratzt.“ In diesem Stadtteil von Regensburg können sich nicht einmal Schulkinder auf den Bus verlassen
Regensburg wächst. Doch bei der Ausweisung von Baugebieten wrd der ÖPNV bisweilen nicht mitgedacht. In Regensburg Harting war die Busanbindung lange nur stündlich. Mittlerweile kommen Busse viel zu spät, wechseln eigenmächtig die Route oder kommen gar nicht. Der RVV bedauert, unternimmt aber bislang nichts.
Kommt er pünktlich, kommt er zu spät oder kommt er gar nicht? Das Warten auf den Bus in Harting ist ein Glücksspiel? Foto: privat
Es fiel Susanne Rieger eher zufällig auf, dass ein Bus der Linie 9, der sie von Regensburg Harting zur Arbeit in die Innenstadt bringen sollte, plötzlich eine andere Abzweigung nahm. Weder hatte es eine Durchsage gegeben, noch hatte ihr der Fahrer das anderweitig mitgeteilt. Als Susanne Rieger in darauf ansprach, meinte der Fahrer nur, dass er jetzt zum Betriebshof fahre – und nicht wie vorgesehen nach Burgweinting.
Eine Begründung gab es nicht. Susanne Reiter wurde an einer X-beliebigen Bushaltestelle „rausgeschmissen“. Die weitere Konsequenz: Jeder Fahrgast, der in diesem Zeitraum von Burgweinting Junkerstrasse bis zum Sallerner Berg und vom Sallerner Berg zurück nach Neutraubling wollte, hatte keine Busverbindung und musste eine halbe Stunde warten.
Eine bessere Anbindung gibt es nicht, wenn man in Harting wohnt. Ab 18 Uhr kommt nur jede Stunde ein Bus. Wenn er denn überhaupt kommt. Denn der oben geschilderte Fall ist nichts Besonderes, sondern fast die Regel.
Der Bus kommt zu spät, kommt nicht oder rauscht einfach durch
Schulkinder, die vergeblich auf den Bus warten. Rollstuhlfahrer oder Mütter mit Kinderwägen, für die regelmäßig kein Platz ist. „Der Bus rauscht auch oft einfach durch, weil er vermutlich zu voll ist“, wird uns erzählt. 20 Minuten und mehr Verspätung – gerade beim ersten Bus am frühen Morgen, mit dem viele zur Arbeit oder zum Zug fahren.
Oder besser gesagt: Gern fahren würden. „Darauf, dass die Linie 9 pünktlich kommt, kann man sch nicht verlassen“, sagt auch Marco Müller. „Man muss froh sein, wenn er überhaupt kommt.“ Wenn man in Harting kein Auto habe, dann sei man „verratzt“.
Stadtwerk räumt untragbare Zustände ein: „Es gibt nichts zu beschönigen.“
Unserer Redaktion liegt eine Reihe von Beschwerden vor, die Menschen aus Harting, die auf den Bus angewiesen sind, an den RVV gerichtet haben. Die Namen der Betroffenen haben wir geändert. „Vernünftige Antworten haben wir nicht bekommen, nur allgemeines Blabla“, sagt einer.
Vom Stadtwerk Regensburg, verantwortlich für den Betrieb der Linie 9, kommt auf Anfrage unserer Redaktion ein selten offenes Eingeständnis. „Es gibt nichts zu beschönigen“, sagt Sprecher Martin Gottschalk. Es gebe „eine Reihe von Kundenbeschwerden auf der Linie 9“. Die Leistung entspreche „in keiner Form“ dem Qualitätsanspruch des RVV und dem Versprechen der sicheren und zuverlässigen Beförderung. „Dafür können wir uns nur in aller Form entschuldigen.“
Zuständiger Subunternehmer wurde schon abgemahnt – doch es passiert nichts
Verantwortlich sei ein vom Stadtwerk engagierter Subunternehmer. Mit diesem befinde man sich im Austausch und habe diesen bereits abgemahnt. „Bei weiteren Vorfällen steht auch der Verlust des Auftrags im Raum.“ Parallel dazu prüfe man, „ inwieweit wir mit geeigneten Maßnahmen, die sehr kurzfristig umzusetzen sind, eine nachhaltige Verbesserung der Situation auf der Linie 9 erreichen können“, so Gottschalk.
Das hört sich gut an. Doch es scheint nichts Neues zu sein. „Mit der Ausrede, dass das ein Subunternehmer sei, werden wir regelmäßig abgespeist“, sagt die Hartingerin Ursula Schmidt. „Aber es passiert nichts.“ Auf eine neuerliche Beschwerde vor zwei Wochen habe sie bisher nicht einmal eine Antwort vom RVV erhalten.
Ein Stadtteil für junge Familien – deren Kinder kommen nicht sicher zur Schule
Harting, südöstlicher Stadtteil von Regensburg, ist in den letzten Jahren durch die Ausweisung mehrerer neuer Baugebiete stetig gewachsen. Im Zensus 2022 wurden über 1.500 Einwohner gezählt, es dürften mittlerweile deutlich mehr sein.
Das Baugebiet Heckstegstraße Süd ist erst vor zwei Jahren fertig geworden. Wohnen für junge Familien, lautete einer der Slogans, mit dem die Häuser dort beworben wurden. Diese Familien können sich angesichts der schlechte und unzuverlässigen ÖPNV-Anbindung aber nicht darauf verlassen, dass ihre Kinder sicher zur Schule und sie selbst zur Arbeit kommen.
Stiefmütterliche Behandlung: Baugebiet hui, ÖPNV pfui
„Wer kein Auto hat oder nicht Auto fahren kann, sollte nicht hierher ziehen“, sagt ein Familienvater der hier ein Haus gekauft hat. „Hätten wir vorher gewusst, dass wir hier eine schlechtere Busanbindung haben als in Lappersdorf, wären wir nicht hierher gezogen.“ Die Stadt habe bei der Ausweisung von Baugebieten den ÖPNV nicht mitgedacht, so seine Kritik. Im entsprechenden Bebauungsplan Heckstegstraße Süd hält die Stadt die Anbindung mit der Linie 9 für ausreichend.
Tatsächlich wird Harting sehr stiefmütterlich behandelt, was die Busanbindung anbelangt. Hier gibt es keinen Einzelhandel, nicht einmal eine Bäckerei. Wer einkaufen will, muss rüber nach Burgweinting. Doch abseits von (regelmäßig mit Verspätungen versehenen) Stoßzeiten fuhr der Bus zunächst nur stündlich. Ein Problem für Ältere, Rollifahrer, Menschen ohne Führerschein oder Pkw.
Halbstunden-Takt erst nach Protesten
Erst seit etwa einem Jahr wurde der Takt der Linie 9 zumindest bis 18 Uhr auf einen halbstündlichen Takt erhöht. Jahrelange Proteste von Anwohnern waren dafür nötig.
„Unterstützt haben uns dabei vor allem Carolin Wagner (Bundestagsabgeordnete der SPD, Anm. d. Red.) und Jürgen Mistol (MdL Grüne, Anm. d. Red.).“ Seit 2023 gibt es deshalb einen Nachtbus, seit 2024 den erwähnten Halbstundentakt. So schildert es Brigitte Meyer, die sich seit Jahren für eine bessere Busanbindung für Harting einsetzt.
Die 51-Jährige lebt seit über 20 Jahren in Harting. Sie ist schwerbehindert und darf aufgrund einer epileptischen Erkrankung nicht mehr Auto fahren. Ein Riesenproblem für die berufstätige Frau, die wegen der Verspätungen dank Linie 9 schon Probleme mit ihrem Arbeitgeber bekommen hat.
Sozialbürgermeisterin fühlt sich für Schwerbehinderte nicht zuständig
Meyer hat sich deshalb immer wieder an Regensburger Politiker gewandt hat – neben Mistol und Wagner auch an Sozialbürgermeisterin Astrid Freudenstein (CSU).
In dem Mailwechsel, der uns vorliegt, bedauert Freudenstein zwar zunächst das Problem. Als Brigitte Meyer nachhakt, gibt die Sozialbürgermeisterin aber dann zu verstehen, dass sie sich für solche Probleme nicht zuständig fühlt. Freudenstein schreibt: „Um die Belange von Schwerbehinderten kümmert sich der Inklusionsbeauftragte der Stadt Regensburg, Herr Frank Reinel. Für den Busverkehr ist der RVV zuständig.“
In Harting wollen sie jetzt eine Bürgerinitiative gründen. „Damit auch die Busanbindung dem entspricht, was man in einem Stadtteil von Regensburg erwarten können muss.“
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Harry
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Leider nichts Neues. Ich war 2005-2008 auf die Linie 9 angewiesen, auch da war es schon desolat. Die Anbindung durch die Bahn ab 2007 von Industrie-Burgweinting hat die Situation etwas verbessert, aber Harting hat davon offensichtlich nicht profitiert. Allerdings ist es in Irl (freilich kleiner, aber von der Entfernung vom Stadtkern vergleichbar) wohl noch schlimmer, nach wie vor stündlicher Takt.
HB
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Ähm, die Sozialbürgermeisterin ist nicht zuständig?
Da wäre ich auf eine konkretere Erklärung gespannt, oder haben Menschen mit Beeinträchtigungen in Regensburg, kein Anspruch auf Teilhabe, oder ist Teilhabe vielleicht einfach nicht sozial oder populär genug wenn Frau Freudenstein sich im Wahlkampf befindet?
Hartinger Bürger
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Harting – Burgweinting bahnhof wäre eine prima Strecke für den autonom fahrenden Bus, der nun getestet werden soll. ab Burgweinting gibt es zu jeder Zeit wesentlich mehr Möglichkeiten, weiter zu kommen.
auch wenn man später abends mit dem Zug in Regensburg ankommt, benötigt man bis Harting ggf noch über eine Stunde, wenn der Bus nur ein paar Minuten vorher abgefahren ist.