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Antifaschisten im VS-Bericht

„Ein Skandal, an den man sich gewöhnt hat“

Beim 65. Jubiläum der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wird der bayerische Verfassungsschutz scharf attackiert – vom Vorsitzenden des Verfassungsausschusses im Landtag.

“Verleugnete Traditionslinien beim Verfassungsschutz”. Franz Schindler zur NS-Vergangenheit des Geheimdienstes. Foto: as

„Sind das jetzt alles Juden?“ Die junge Bedienung im Hesperidengarten ist neugierig. Wer ist diese VVN – diese Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die da am Sonntagabend ihr 65jähriges Bestehen feiert? Diese älteren Damen und Herren, zum Teil in Abendgarderobe, und diese zwei Tische mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, unter die sich auch die Landtagsabgeordneten Franz Schindler, Margit Wild (beide SPD), Maria Scharfenberg (Grüne) und Altoberbürgermeisterin Christa Meier gemischt haben?

Aus Nazi-Opfern werden Staatsfeinde

Was die Bedienung – und vielleicht auch andere – nicht genau wissen, weiß der bayerische Verfassungsschutz umso besser: Linksextremisten, Sozialisten, Kommunisten – zusammengefasst: Staatsfeinde. So steht es alljährlich im Bericht des Geheimdiensts. Bayern ist neben Baden-Württemberg das einzige Bundesland, das seine Antifaschisten derart brandmarkt. Dem Landesvorsitzenden Ernst Grube, er überlebte als 13jähriger das KZ Bergen-Belsen, unterstellt der Verfassungsschutz lapidar, der VVN durch seine Auftritte einen demokratischen Anstrich zu verleihen, der nicht der Realität entspreche. Wie so häufig, gibt es für diese Behauptungen keine tatsächlichen Belege. Es läuft eine Klage der VVN. In ihrem Grußwort geht die Regensburger VVN-Vorsitzende Luise Gutmann auf dieses Gebahren der weiß-blauen Geheimdienstler allenfalls am Rande ein. Sie lässt in ruhigem, fast zurückhaltendem Ton, die 65 Jahre VVN in Regensburg Revue passieren.

Von Gestapo und SS direkt zum Verfassungsschutz

Zu lang ist die Geschichte der Verfolgung der VVN – zunächst ein ausschließlicher Zusammenschluss von Holocaust-Überlebenden – in der Bundesrepublik. Nach einer kurzen Schamfrist – im September 1950 – wurden die Mitglieder mit Berufsverboten belegt. Die SPD hatte bereits zwei Jahre zuvor einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst. Anläufe, die VVN als Organisation zu verbieten, blieben hingegen alle letztlich erfolglos. Just das Verwaltungsgericht Regensburg wies die Bayerische Staatsregierung dabei in ihre Schranken. Ein Lamento darüber hört man von Gutmann nicht. Nur, als sie von den Gestapo- und SS-Männern erzählt, die bereits 1953 wieder zum Polizeidienst und für den Verfassungsschutz rekrutiert wurden, gönnt sie sich ein „Schweinehunde“.

Rund 80 Gäste kamen zur Jubiläumsfeier der VVN. Foto: as

Es bleibt dem Vorsitzenden des Verfassungsausschusses im Bayerischen Landtag, dem SPD-Abgeordnete Franz Schindler, vorbehalten, dazu in einem spontanem Grußwort deutliche Worte zu finden. Jahrelang sei verleugnet worden, dass es beim Verfassungsschutz Traditionslinien zurück in die NS-Zeit gab, dass diese Behörde maßgeblich mit damals noch gar nicht so alten Altnazis – Gestapo und SS – aufgebaut wurde. Bis heute ist diese Vergangenheit nicht aufgearbeitet worden.

„Den Schutz der Verfassung keiner Behörde überlassen“

1945 sei die Gründung einer solchen Behörde auch aus den Reihen der CSU abgelehnt worden, so Schindler. Aus Angst davor, dass ehemalige Nazis sich zum vermeintlichen Hüter der Demokratie aufschwingen. Nicht nur die fünf Morde der NSU in Bayern zeigten, dass diese Angst gerechtfertigt gewesen sei, so der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses. Die Bezeichnung Verfassungsschutz sei ein Euphemismus, so Schindler. „Das ist ein Geheimdienst, nichts anderes.“ Den Schutz der Verfassung dürfe man keiner Behörde überantworten „und schon gar nicht dieser Behörde. Das ist Aufgabe der Zivilgesellschaft“. Dass just die VVN als wichtiger Teil dieser Zivilgesellschaft im Verfassungsschutzbericht stehe, sei „ein Skandal, ein Skandal, an den man sich gewöhnt hat“.

Erinnerungen eines bemerkenswerten Regensburgers

Als dagegen freudiges Highlight der Veranstaltung stellte der Journalist Pontus Bauknecht die Lebenserinnerungen von Walter Zauner vor, die er neu herausgegeben hat: ein Geschenk zum Jubiläum.

Neu aufgelegt als Jubiläumsgeschenk: Regensburger Erinnerungen von Walter Zauner. Foto: as

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Der 2005 verstorbene Zauner, bekanntes und weithin geachtetes VVN-Mitglied, wurde als junger Mann in den 50ern von einem amerikanischen Militärgericht zu vier Jahren Gefängnis wegen „Sabotage“ verurteilt, weil er die Sprengkammern an der Mariaorter Brücke zugemauert hatte. Sein Motiv: Pazifismus, seine Erfahrungen als Jugendlicher bei der Sprengung der Steinernen Brücke kurz vor Kriegsende. Für Zauners Freilassung engagierte sich eine internationale Solidaritätsbewegung. Mehr über dieses Buch und Walter Zauner berichten wir demnächst.
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Kommentare (13)

  • Neuromancerr

    |

    Häh, wie?
    In der MZ hieß der mit Nachnamen Baumann,
    Was stimmt jetzt da?

  • Bert

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    Sicher “Baumann”, Bauknecht kann doch nur ein Freudscher Verschreiber sein…

  • peter sturm

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    nee, baumann stimmt schon!

  • Andreas Schmal

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    Man will es dem Verfassungsschutz ja nicht allzu schwer machen:
    Eine offizielle Vertretung durch den DGB war auch da. Auf eine weitere erfolgreiche und intensive Zusammenarbeit und Traditionspflege zwischen VVN und den Gewerkschaften des DGB.

  • Jetzt reichts

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    Mal abgesehen vom stark und übertriebenen linken Hauch auf dieser Seite, stimmen nicht mal die Namen der Teilnehmer. Sehr gute Arbeit!

  • R.W.

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    @Jetzt reichts.
    Ja es reicht, sie sollten mal das o.g. Buch in die Hand nehmen und weniger belanglose Statements abgeben. Der Herausgeber heißt Pontus Bauknecht, wie es im Text richtig heißt.

  • Neuromancerr

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    @ jetzt reichts
    Mein Kommentar war ein Seitenhieb auf die miese Berichterstattung der MZ. Die VVN wird dort auch als Verein der Verfolgten des Naziregimes & nicht als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes betitelt.
    Es ist etwas faszinierend, dass Sie noch an eine korrekte Berichterstattung durch die MZ glauben.
    Ich dagegen würde eher r-digital glauben, denn egal wie links der Hauch sein mag – die Fakten stimmen!

  • peter sturm

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    ein staat der seine antifaschisten als staatsfeinde bezeichnet und auch so behandelt stellt sich ein denkbar schlechtes zeugnis aus.

  • Veronika

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    Man sollte aber vielleicht mal festhalten, dass auch das Bundesamt für Verfassungsschutz sehr oft anderer Meinung wie die bayerischen Verfassungsschützer ist. Liegt dies vielleicht daran, dass bayerische Innenminister immer aus der CSU kommen, und wie der aktuelle Innenminister letztens in ZDFlogin die “Vermissten-Plakate” des Bundesinnenministers für gut geheissen haben?

  • Sowas

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    Die MZ schafft es konsequent nicht, Namen von Organisationen, Personen, Titel oder Amtsbezeichnuen richtig zu schreiben. Das ist keine Gemeinheit sondern schlicht ein beschissenes Lektorat bzw. Fahrlässigkeit bei den Schreiberlingen.

    Auch sonst ist die MZ oft erbärmlich schlecht. Man vergleiche nur mal die Artikel zu dem Flashmob der Julis in der MZ und auf Regensburg Digital und schon weiß man wo journalistisch gearbeitet wird.

  • Tony Mach

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    Die Faschisten die vor ’45 Kommunisten verfolgt haben (“jüdisch-bolschewischtische Weltverschwörung”), die taten dies nach ’45 weiter. So ist das.

    Gut, ein paar hat man gehängt. Der Rest war aber wieder nötig um die herrschende Ordnung gegen die Bevölkerung, gegen die 99% durchzusetzen.

    Und gut, das mit den Juden sieht man auch nicht mehr ganz so.

    Aber Kommunisten – zusammen mit “Zigeunern”, Homosexuellen, arbeitsfaulen “Asozialen” und allen anderen Menschen die den Faschisten vor ’45 bereits ein Dorn im Auge waren – mussten weiter bekämpft werden in der BRD. Es gibt ja schliesslich darum das die 1% das behalten konnten nach ’45 übriggeblieben ist – und Ludwig Erhard half den 1% damit das der dafür den Tarnbegriff der “sozialen” Marktwirtschaft erfand. Mit einer Denkschrift die schon ’44 sich darum drehte wie die “Eliten” nach dem Krieg weitermachen könnten.

  • Regensburgerin weist Verfassungsschutz in die Schranken » Regensburg Digital

    |

    […] der die VVN als linksextremistisch einstuft und entsprechend in seinen Berichten erwähnt. Ein Umstand, den etwa der SPD-Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Rechtsausschusses als „Skand… Die Leitung eines Infostands der MLPD durch eine Regensburger VVN-Funktionärin scheint dem […]

  • „Die EU-Wertegemeinschaft fußt auf dem Antifaschismus“ » Regensburg Digital

    |

    […] Mit den Verfassungsschutzbehörden hat die VVN in den 70 Jahren, seit ihrer Gründung einige Erfahrungen gemacht. Erst im vergangenen Jahr musste sich die Regensburger Kreisvorsitzende Luise Gutmann gerichtlich gegen Falschbehauptungen wehren, die im Verfassungsschutzbericht über sie verbreitet wurden. Der Holocaustüberlebende Ernst Grube, Landesvorsitzender der VVN und nicht nur von seiner Heimatstadt München mit mehrere Auszeichnungen bedacht, wurde zeitweilige gar namentlich in dem Bericht als Verfassungsfeind diffamiert.  […]

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