Hiob ohne Klage
Mit einem zweistündigen Porträt des Imkers Ibrahim Gezer ist dem 50jährigen Filmemacher Mano Khalil ein Dokumentarfilm von einer unerhörten Wucht gelungen, der gleichzeitig eine spielerische Leichtigkeit atmet.
Von Nurcan Gül

„Imker ist ein schönes Hobby, aber in der Schweiz müssen Sie arbeiten!“ Die Frau am Arbeitsamt ist freundlich zu Herrn Gezer. Und Herr Gezer ist freundlich zu ihr. Er versteht zwar ihre Sprache kaum, aber er versteht, warum die gute Frau nichts versteht: „In der Schweiz ist jemand, der fünf oder zehn Bienenvölker hat, schon ein Imker. Ich hatte 500 Völker.“ In seinem ersten Leben nämlich, in der Türkei. Wohlhabend war Ibrahim Gezer da, er hatte eine Frau und einen Stall voller Kinder, wie man in Bayern sagen würde, und er war gerade dabei, ein Haus zu bauen. Doch Ibrahim Gezer ist Kurde, und er findet sich mitten im Bürgerkrieg zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Arbeiterpartei PKK wieder. Dieser Krieg zieht ihm den Boden unter den Füßen weg, jahrelang lebt er versteckt in den Bergen, er verliert seine halbe Familie, kann schließlich nur noch sein nacktes Leben retten, in die Schweiz.
Und nun sitzt er also dem Schweizer Amtsschimmel gegenüber. Der sehr freundlich und sehr bestimmt wiehert. Man meint es gut mit Herrn Gezer. Arbeiten muss er, aber man stuft ihn aus unerfindlichen Gründen als behindert ein und steckt ihn in eine Art Behindertenwerkstatt, wo er Ricola-Tüten in Kartons packen soll. Wenn hier wer behindert ist, dann sind es die Schweizer Behörden, die einen traumatisierten Bürgerkriegsflüchtling nach Schema F behandeln.

Das liegt natürlich in erster Linie an Ibrahim Gezer, dem es kaum besser geht als Hiob in der jüdischen Bibel. Nur dass er darüber nicht in lautes Wehklagen ausbricht, sondern der Welt mit einem stillen, freundlichen Lächeln begegnet. Und Mano Khalil beobachtet ihn dabei aus unmittelbarer Nähe. Lässt ihn einfach sein. Versucht nicht, irgendwas aus ihm herauszuquetschen. Lässt seine Kamera auf dem zerfurchten Imkergesicht ruhen gegen jede Filmhochschulenkonvention. Wenn der Alte nichts sagt, dann sagt er eben nichts. Sondern schaut aus dem Zugfenster. Bis man ihn auf einmal reden hört. Bis man auf einmal begreift. Das Kino weiß ja schon lang nicht mehr, wie es sich selbst noch überbieten soll an Knalleffekten. Ein Mann, der alles verloren hat – da würde sich Hollywood zwei Stunden lang überschlagen. Mano Khalil rührt sich nicht vom Fleck. Schaut seinen Mann einfach nur an. Und wird ihm gerecht.

Aber Ibrahim Gezer ist kein schlechtes Wort über die Schweiz zu entlocken. Ganz im Gegenteil: Die Bauern bieten hier ihre Produkte am Straßenrand an, ohne Verkäufer, nur mit einem Zettel, auf dem der Preis steht. Die Käufer hinterlassen das Geld. „Was für ein Vertrauen“, staunt Ibrahim Gezer. „Darauf müssen wir in der Türkei wohl noch 500 Jahre warten.“
Von einem seiner vielen Schweizer Freunde bekommt Ibrahim Gezer am Ende ein rotes Schweizer Taschenmesser mit seinem eingravierten Namen geschenkt. Er begreift die Bedeutung sofort: das ist die Einbürgerung, das Adelsprädikat, wenn es sowas in der republikanischen Schweiz gäbe.

„Ich mag es, wenn sie mich stechen. Das ist gut gegen Rheuma.“ Mitten in einem Bienenschwarm bewegt sich der frisch pensionierte mit der gleichen Seelenruhe wie in diesem bergigen Land voller aufgeregt summender Patrioten. Nein, der Vergleich tut den Bienen Unrecht. Patrioten sind dumm wie Stroh. Bienen dagegen sind schlaue Tiere. Ibrahim Gezer: „Ich wollte meine Familie immer so ordnen, wie es die Bienen tun. Die Bienen haben ein schönes, harmonisches Leben. Ich bin aber daran gescheitert. Die Biene ist noch klüger, als ich gedacht habe.“