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Archiv für 27. Januar 2014

Kritik: Wolf of Wallstreet

Gier ist geil

In ihrem neuen Film Wolf of Wall Street zeigen Schauspielerproduzent Leonardo DiCaprio und Regisseur Martin Scorsese die Verbrecher von heute. Und sich selbst von ihrer besten Seite.

Von Thomas Spitzer

01Ganz zum Schluss von Wolf of Wall Street fährt FBI-Ermittler Denham mit der U-Bahn nach Hause. Er schaut sich um. Das Abteil schäbig, die Menschen müde, schlecht gekleidet, die Luft muffig, sein Anzug verschwitzt. Eigentlich ganz normal. Die meisten Arbeitstage enden so. Doch nach einem dreistündigen cineastischen Freakout kommt einem das alles nichtig vor, ja, beinahe dreckig. Man denkt: Wo ist der Kaviar? Wo ist das Koks? Wo sind die Nutten?

Dann ein kurzes Lächeln Denhams, das alles bedeuten könnte. Zum Beispiel: Gott sei Dank ist das hier meine Realität, diese schäbige U-Bahn. Oder auch: Verdammt, ich hätte mich bestechen lassen sollen.

Keine sechzig Sekunden, die ausreichen, um eine über Stunden aufgebaute moralische Spannung zu entladen.

Am Besten ist es, wenn die Stimmung kippt

Das ist seit jeher Scorseses Spezialität, dieses Brodelnde. Wenn es knistert in der Luft. Und ein falsches Wort dazu führt, dass Frauen verprügelt und Polizisten erschossen werden. Ohne diese Spannung, das Wissen des Zuschauers, dass jeder Zeit alles passieren könnte, würden sich Taxi Driver, Wie ein wilder Stier und Goodfellas anfühlen wie Episoden einer Landarztserie. (Und Sopranos, maßgeblich von Goodfellas inspiriert und Mutter aller HBO-Serien, gäbe es so nicht.)

Auch Wolf of Wall Street ist dann am besten, wenn die Stimmung kippt. Wenn der von DiCaprio gespielte Börsenmakler Jordan Belfort und der gegen ihn ermittelnde Denham ein „scheißfreundliches“ Gespräch führen, das plötzlich damit endet, dass Belfort Denham mit Hummerfleisch und Geldscheinen beschmeißt und brüllt: „Geh doch nach Hause, zu deiner hässlichen Ehefrau!“

Doch die vorherrschende Emotion ist nicht Wut, sondern Hysterie. Es geht nicht um Heroin-, sondern Schlaftablettenmissbrauch. Pistolen werden durch Telefone ersetzt. Und Mordverbrechen durch schamlose Abzocke.

Was ist das für ein Genre?

In gewisser Hinsicht ist Wolf of Wall Street ein sehr klassischer Gangsterfilm. (Belfort selbst bezeichnet seine Angestellten als „Telefonterroristen“, seine Verkaufsstrategie als „Harpune“ und die Klienten als „Moby Dicks“.) Allerdings könnte man dann auch The Fast and the Furious als Western bezeichnen.

Generell ist es schwierig, die neue Zusammenarbeit von DiCaprio und Scorsese einem Genre zuzuordnen. Für ein Historiendrama ist der Film zu witzig, für ein Biopic zu unpersönlich, für eine Satire zu sehr Dokumentation und für eine Komödie schlichtweg zu lang. Für ein Katz-und-Maus-Spiel gibt es zu wenig Katz und für ein Lehrstück fehlt die Lehr.

Vielmehr handelt es sich um eine Art nostalgisch verklärtes Abbild einer absurden Szene, zu vergleichen mit Boogie Nights. Und das alles ist auch gut so, ist Wolf of Wall Street nicht weniger als der beste Film Börsenfilm aller Zeiten. (Und kein Vergleich zu dem 2011 erschienenen Der große Crash.) In den USA mag ein Film über Gier, der zum Schluss nicht die Moralkeule schwingt noch eine Debatte auslösen. (DiCaprio redet sich derweil in Interviews den Mund fusselig, Scorsese entschuldigte sich sogar bei einer empörten Kinobesucherin.) Doch die moralische Neutralität wird hierzulande längst als zeitgemäß empfunden. Ähnlich wie bei Trainspotting und Django Unchained.

250 Fucks, die untergehen

Während meiner zwei Kinobesuche jedenfalls sah ich keinen einzigen entrüsteten Kinozuschauer. Vielleicht sind wir ja wirklich abgeklärter, vielleicht auch einfach zu weit entfernt von der Wall Street. Vielleicht liegt es auch daran, dass alle 250 Fucks in der Übersetzung untergegangen sind.

Jedenfalls kann sich Wolf of Wall Street einen kitschigen Fingerzeig à la „Ihr seid ja selber nicht besser“ sparen. Das erübrigt sich quasi durch den Kontext. Dafür sind wir selbst zu geldgierig, zu sehr Schnäppchenjäger. Dafür haben wir die Eskapaden des Hauptdarstellers (die ich an dieser Stelle nicht spoilern will) viel zu sehr genossen und das FBI zu sehr als Spielverderber empfunden.

Es ist zweifelsohne der schauspielerischen Klasse DiCaprios zu verdanken, dass das alles so gut funktioniert. Dass wir über die Sprüche lachen und vom Adrenalin gepackt sind. Scorsese sagte einmal, DiCaprios Gesicht wäre eine „Leinwand für Emotionen“. Nicht umsonst ist das ihre fünfte Zusammenarbeit.

DiCaprio und Scosese in Bestform

Natürlich erfindet sich DiCaprio hier nicht neu. Das ist ja quasi seine Paraderolle, der sympathische Großkotz. Den gab er schon in Catch Me If You Can, Aviator oder zuletzt The Great Gatsby. Allerdings legt er hier in Sachen Derbheit noch eine Schippe drauf, schlägt seine Frau, schnieft Kokain aus den Körperöffnungen von Prostituierten, fliegt besoffen Hubschrauber usw. In keinem seiner bisherigen Filme war er geld-, drogen- und sexsüchtig zusammen. Wolf of Wall Street bietet die volle Dröhnung.

Doch auch Scorsese zeigt sich hier in Bestform. Der Altmeister, der noch immer von seinem Ruf aus den 70ern zehrt, eine Zeit, in der Robert DeNiro noch der größte Schauspieler der Welt war, zeigte sich in jüngster Vergangenheit zwar durchaus experimentierfreudig, machte Kinder- und Musikfilme. Jedoch glückten diese Experimente selten. Der Erfolg von Shutter Island hielt sich – auch wegen dem noch im selben Jahr erschienenen, sehr ähnlichen Inception – in Grenzen.

Bei Wolf of Wall Street glückt so ziemlich alles. Von der oben beschriebenen Sprengung aller Genregrenzen bis zur fehlenden Moralkeule (die nur dann gepasst hätte, hätten wir den Turbokapitalismus tatsächlich schon überwunden) oder der Besetzung des maßlos unterschätzten Komikers Jonah Hill in der zweiten großen Rolle. Zwar zieht sich die letzte Stunde des Films etwas, doch das letzte Bild, der Blick auf eine ratlos in die Kamera glotzende Menschenmenge, ist dann wieder in jeder Hinsicht genial.

Zudem steht Wolf of Wall Street momentan außer Konkurrenz. Intelligentes Hollywoodkino wie The Dark Knight oder District 9 gab es schon lange nicht mehr. Elysium und The Counsellor enttäuschten, Die Tribute von Panem 2 blieb hinter seinen Möglichkeiten. Der beste große Film 2013 war noch World War Z. Und das will nichts heißen. Gegen Wolf of Wall Street ist er weichgespülte Hausmannskost, ein kleiner Goldfisch im Großraumbüro.

Der Autor

Thomas Spitzer studierte Mathematik an der Universität Regensburg. Seit 2009 tritt er erfolgreich bei Poetry Slams auf. Inzwischen arbeitet Spitzer als Autor und Kultur-Manager. Sein Buch „bunt und kühl“ erschien im April 2013 beim ConBrio-Verlag. Die zugehörige CD wurde im Dezember an fünf Abenden insgesamt tausend Besuchern vorgestellt. Alle Infos: facebook.com/thomasespitzer

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