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Refugee Struggle Congress in München

Der gemeinsame Schmerz der Nichtbürger

Er sollte eine neue Phase der Flüchtlingsproteste einläuten: Der „Refugee Struggle Congress“ in München. 300 Menschen kamen zu dieser Zusammenkunft der „Nichtbürger“.

SaalWoran es wohl liegen mag, dass die großen Medien solches Desinteresse zeigen? Am Wochenende trafen sich über 300 Menschen zum „Refugee Struggle Congress“ in München – Flüchtlinge und Unterstützer aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland. Sie wollen zurückblicken auf die mittlerweile ein Jahr andauernden Proteste, die nach dem Selbstmord Mohammed Rahsepar in Würzburg begonnen haben, zu Protestcamps und Hungerstreiks in mehreren Städten führten und mit einem Protestmarsch nach Berlin ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht haben.

An diesem Wochenende wollen die Aktivisten nächsten Schritte planen, sich vernetzen und – abseits von Internet und Facebook – persönlich kennenlernen, austauschen, miteinander streiten, sich gegenseitig motivieren.

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Nazis und Zivilpolizei, aber kaum Medien

Diese Veranstaltung im Gewerkschaftshaus ruft zwar Rassisten auf den Plan – die NPD-Tarnliste „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ des Neonazis Karl Richter wirft ein paar Mal aus dem fahrenden Auto ihre Flugblätter vors Gewerkschaftshaus. Und der Kongress sorgt auch bei der Polizei für Verwirrung – auf ihrem Weg zu den Schlafplätzen in einer Turnhalle werden die Teilnehmer von mehreren Fahrzeugen mit Zivilfahndern gestoppt und befragt, ob es sich hier um eine nicht angemeldete Demonstration handelt.

Berichtenswert aber scheint all das nicht zu sein. Trotz anfänglicher Anmeldung bleiben Medien wie die Süddeutsche, aber auch mehrere Radiosender am Ende weg. Bei der Abschlusspressekonferenz sind sie nicht da.

Repression gegen die Organisatoren

Allein mit ihrer Anwesenheit verstoßen viele Teilnehmer gegen geltende Gesetze. Die in Deutschland gültige und europaweit einmalige „Residenzpflicht“ verbietet ihnen, je nach Bundesland, den Landkreis, den Bezirk oder – im großzügigsten Fall – das Land zu verlassen, in dem sie zwangsweise und willkürlich verteilt untergebracht sind. So rigoros wie in der Vergangenheit werden Verstöße dagegen nicht mehr verfolgt – seit der Protest auf der Straße läuft, seit die Augen zumindest eines Teils der Bevölkerung auf diese Zustände gerichtet sind, die von den „Asylanten“ normalerweise nicht allzu viel mitbekommt. Zumindest findet die Repression nicht mehr gar so öffentlich statt.

Post von Polizei, Staatsanwaltschaft und den Ordnungsbehörden bekommen aber insbesondere die Organisatoren der Proteste, jene die sich öffentlich exponieren oder die man zufällig auf Fotos erkennt. Immer wieder wird man als Fotograf beim Kongress darauf hingewiesen, Gesichter unkenntlich zu machen. Viele haben Angst. Ziviler Ungehorsam kann für Flüchtlinge weit drastischere Folgen haben als für den Normalbürger – bis hin zur Abschiebung.

Großes Plenum: Rund 300 Menschen trafen sich am Wochenende im Münchner Gewerkschaftshaus. Fotos: as

Großes Plenum: Rund 300 Menschen trafen sich am Wochenende im Münchner Gewerkschaftshaus. Fotos: as

Wie politische motivierte Asylprozesse verlaufen, konnte man anlässlich des Verfahrens des Iraners Mohammad Kalali vor dem Verwaltungsgericht Regensburg erleben. Er war von Anfang an einer der Wortführer des Protests in Würzburg, Mitorganisator des Camps in Regensburg und wurde im Rahmen der dreistündigen Verhandlung regelrecht ins Kreuzverhör genommen, um ihm vermeintliche Widersprüche nachzuweisen, die seine Ablehnung als Flüchtling rechtfertigen sollten. Entsprechend fiel das Urteil aus – Ablehnung. Auch wenn es für jeden klar denkenden Menschen auf der Hand liegt, dass ein politisch denkender und widerständiger Mensch wie Kalali unter dem Regime im Iran wohl nur geringe Überlebenschancen haben dürfte.

Auch im Vorfeld des Kongresses setzte die Staatsmacht Duftmarken. Patras Bwansi, einer der Hauptorganisatoren des Protestcamps in Berlin, hat wenige Tage vor dem Kongress seinen Abschiebungsbescheid vom Landratsamt Passau bekommen. Im Protestcamp in Wien, das über Videokonferenz mit dem Kongress verbunden ist, wird einer der Wortführer am Donnerstag zuvor in „Schubhaft“ genommen.

Der Nichtbürger hat das Maul zu halten

Non-Citizens – Nichtbürger – ist der Begriff, den die Flüchtlinge am Ende des Kongresses für ihren Status prägen. Nichtbürger: Diejenigen, die ausgeschlossen sind von dem, was für den Bürger das Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe ist. Die sich auf engstem Raum in „Gemeinschaftsunterkünften“ zurecht finden müssen, die etwa in Bayern immer noch mit (überteuerten) Essenspaketen anstelle von Bargeld versorgt werden, deren Integration explizit unerwünscht ist und die den Mund zu halten und dankbar zu sein haben dafür, dass man sie doch sowieso noch halbwegs menschlich behandelt.

Einen Tag vor dem Kongress kommt es in München in einer Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge – sie gelten bereits ab dem Alter von 16 als „asylmündig“ und werden ohne Betreuung, dafür unter Bewachung in Unterkünfte gesteckt – zu Ausschreitungen. Die Polizei verhaftet 29 Personen.

In der Flüchtlingsunterkunft Wörth an der Donau geht ein 29jähriger Iraner in der Nacht von Sonntag auf einen anderen Flüchtling los und ersticht ihn. Nach Recherchen des Regensburger Flüchtlingsforums war der Mann psychisch krank. (Das Flüchtlingsforum hat diese Angaben am 6. März korrigiert und sich entschuldigt. Es habe sich um eine Verwechslung gehandelt, so Sprecherin Marion Puhle. d. Red.)

24. Februar: Trauerfeier für den 33jährigen Mihsen Jindi Sharu auf dem Gelände der Gemeinschaftsunterkunft in Regensburg.

24. Februar: Trauerfeier für den 33jährigen Mihsen Jindi Sharu auf dem Gelände der Gemeinschaftsunterkunft in Regensburg.

Bereits einige Tage zuvor wurde in der Regensburger Unterkunft ein 33jähriger Kurde tot in seinem Zimmer gefunden. Auch er litt unter einer psychischen Erkrankung, hatte sogar einen gesetzlichen Betreuer. Einiges deutet auf Suizid hin.

Eine willkürliche Auswahl des deutschen Lageralltags an einem Wochenende.

Fortgesetzte Unterdrückung, systematisches Zermürben

„Flüchtlinge haben bereits einiges erlebt und überlebt, bis sie überhaupt in Deutschland ankommen“, sagt der Iraner Arash Dust Hossein beim Kongress. Krieg und Verfolgung, Flucht und die europäische Flüchtlingsabwehrtruppe Frontex. „Dann werden sie in Lager gesteckt, von der Öffentlichkeit ferngehalten und systematisch zermürbt.“ Das, was die Industrieländer mit Entwicklungs- und Schwellenländern praktizierten, werde hier vor Ort einfach reproduziert. Menschen, die aus Ländern flüchten, mit denen Deutschland und Europa Handel treiben, deren Machthaber die Bevölkerung mit Waffen aus deutscher und europäischer Produktion unterdrücken, würden hier erneut unterdrückt und ausgegrenzt, so Hossein.

Protestieren seit fast einem Jahr: Houmer Hedayatzadeh, Mohammad Kalali und Arash Dust Hossein (hier bei der Abschlusspressekonferenz, v.l.).

Protestieren seit fast einem Jahr: Houmer Hedayatzadeh, Mohammad Kalali und Arash Dust Hossein (hier bei der Abschlusspressekonferenz, v.l.).

Von München soll jetzt ein Signal ausgehen zu einer deutschland- und europaweiten Bewegung – mehrfach wird von „Revolution“ gesprochen – der „Non-Citizens“. Deren Forderung am einfachsten zusammengefasst und doch so fern von der Realität: „Gleiches Recht für alle“.

„Es gibt einen gemeinsamen Schmerz.“

Houmer Hedayatzadeh, der schon im Protestcamp in Regensburg dabei war, hat in Berlin mit mehreren Abgeordneten gesprochen: „Dort hat man uns gesagt: Es gibt mehrere tausend von Euch. Ihr seid nur ein paar wenige. Weshalb sollten wir Euren Forderungen nachgeben?“ Jetzt versuche man eben, diese tausenden zu erreichen, vor Ort zu besuchen, „die Leidensgenossen in jedem Lager zu aktivieren“ und zu einem selbst organisierten Protest zu bewegen. „Die Gesetze die uns zu Nichtbürgern machen, müssen weg. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.“

Es gebe sicher Konflikte innerhalb dieser neuen, selbstorganisierten Flüchtlingsbewegung, sagt Kalali. „Aber es gibt einen gemeinsamen Schmerz. Und deshalb ist das keine Hürde.“

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Kommentare (5)

  • steffi

    |

    Welche Hinweise auf eine psychische Erkrankung sind das denn, von denen das Flüchtlingsforum spricht?

  • Stefan Aigner

    |

    Das Flüchtlingsforum hat die Angaben zu einer mutmaßlichen psychischen Erkrankung am 6. März korrigiert und sich entschuldigt. Es habe sich um eine Verwechslung gehandelt, so Sprecherin Marion Puhle.

  • Protestierende Flüchtlinge: Mal Zuckerbrot, mal Peitsche | Regensburg Digital

    |

    […] Tatsächlich – das ist kein Geheimnis, sondern zahlreichen Medienberichten zu entnehmen – spielen Hedayatzadeh und Kalali im Verbund mit einigen anderen seit längerem eine herausragende Rolle bei den Protesten – zuletzt zu beobachten bei einem bundesweitem Flüchtlingskongress in München. […]

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drin