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Schenkung ans Stadtarchiv

Ein Koffer voller Schicksale

1942 wurden die jüdischen Familien Brandis und Holzinger ins polnische Piaski deportiert. Ein Koffer beschert dem Regensburger Stadtarchiv nun seltene Einblicke in das Schicksal zweier Regensburger Familien.

Thomas Muggenthaler (r.) landete bei seiner Recherche irgendwann bei Jutta Koller (2.v.r). Die übergab den Koffer und dessen wertvollen Inhalt nun dem Stadtarchivar Lorenz Baibl (l.). Auch Ilse Danziger war am Mittwoch dabei. Foto: Bothner

„Das ist wie ein Lottogewinn für ein Archiv“, freut sich Lorenz Baibl, Leiter des Amts für Archiv und Denkmalpflege. Es ist Mittwochvormittag. Im Runtingersaal der Stadt Regensburg, unweit des Alten Rathauses, haben Baibl sowie Ilse Danziger, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Regensburg und der Journalist Thomas Muggenthaler zu einem kurzen, aber nicht alltäglichen Pressetermin geladen. Hintergrund ist die Schenkung eines ganz besonderen Schatzes.

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Auf einem Tisch ist er ausgebreitet. Mehrere gerahmte Fotos unterschiedlicher Größe. Familienablichtungen und auch Porträtzeichnungen. Daneben der alte Lederkoffer der Firma M. Matt, in dem die Bilder jahrzehntelang ihr Dasein fristeten. Verstaut auf einem Dachboden, wusste niemand von der Existenz dieser Erinnerungen an die Regensburger Familie Brandis. Bis auf Familie Koller.

Preisgekrönter Journalist entdeckt Koffer in Hauzenberg

„Wir haben immer wieder überlegt, was wir mit dem Koffer anstellen sollen“, sagt Jutta Koller. Ihre Familie habe den Koffer oft angesehen und damit gehadert. „Einfach weggeben“, das konnten sie nicht. Eine Schenkung an Berlin sei mal im Gespräch gewesen. Auch vor kurzem haben die Kollers intern wieder einmal überlegt. Thomas Muggenthaler kam somit genau zum richtigen Zeitpunkt.

Der Journalist beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der NS-Vergangenheit. 2015 zeichnete ihn Polen mit der Ehrenmedaille Bene Merito aus. Für seine wichtigen Arbeiten über polnische Zwangsarbeiter in Bayern. Eher zufällig sei er in Kontakt mit Jutta Koller gekommen, erzählt er am Mittwoch kurz.„80 Jahre Deportationen war für mich der Grund, noch einmal tiefer zur Familie Brandis zu recherchieren.“

Briefe und Postkarten, ein Dauer-Reise-Pass des Großvaters und Zeitungen sowie Geschäftsbücher. Die Schenkung beinhaltet unterschiedliche Dokumente. Foto: bm

1942 machte sich ein großer Transport von München aus auf den Weg. Am 4. April 1942 wurden auch in Regensburg 200 Jüdinnen und Juden in die Waggons gepfercht. Es war die erste Deportation aus der Domstadt. Das Ziel: das Ghetto Piaski bei Lublin im Osten Polens. Mit dabei das Ehepaar Brandis, ihre vier Kinder und Oma Gisela Holzinger. Die sei „eigentlich viel zu alt für den Transport gewesen“, sagt Muggenthaler. Die Familie habe aber nicht getrennt werden wollen.

Familie Brandis war stadtbekannt

„Omama“ ist auf einer Postkarte von 1932 an ihre Enkel zu lesen. Auch sie ist Teil des Koffer-Schatzes. Ebenso Stammbäume der Familie, Geschäftsbücher und weitere kleinere Fotos. Erinnerungen an eine scheinbar unbeschwerte Zeit. Direkt daneben liegen auf dem Tisch aber auch Zeitdokumente über die Schrecken der NS-Zeit aus.

Fotos der Familien Brandis und Holzinger.

Karl Brandis, 1890 in Schweinfurt geboren, heiratete die zehn Jahre jüngere Regensburgerin Alice Holzinger. 1923 war das. Er stieg in den Textilgroßhandel in Regensburg ein, der fortan als Brandis & Holzinger firmierte. Bis zur Arisierung und Enteignung gehörte der Familie ein Haus in der Maxstraße 16. Dort betrieb man auch das Geschäft. Die Brandis seien stadtbekannt gewesen, sagt Muggenthaler. Auch deshalb sei deren Schicksal in Regensburg heute noch vielen bekannt.

Länger bekannt ist auch, dass Karl Brandis bereits am 9. November 1938 während der Reichspogromnacht gegen 1 Uhr nachts von nationalsozialistischen Kraftfahrkorps gesucht wurde. Ob „Jud Brandis“ da sei, wollten sie wissen, schrien „Du Saujud“ und schlugen den Mann dabei. Schließlich führten sie ihn vorübergehend ab.

Frühere Mitarbeiterin blieb mit Familie in Kontakt

„Auf Veranlassung des Herrn Oberbürgermeister der Stadt Regensburg am 04.11.1936 aus dem Städtischen Mädchenlyzeum ausgeschieden.“ So lautete drei Jahre vorher bereits der Vermerk in Charlottes Schulakte. Die älteste Tochter der Brandis wurde damit vom heutigen Von-Müller-Gymnasium verwiesen. Bei der Deportation 1942 war Charlotte gerade 18 Jahre alt.

Stolpersteine in der Maxstraße erinnern heute an die Familie, die Piaski nicht überleben sollte. Aus dem Ghetto heraus blieben sie aber mit Fanny Hartl in Kontakt, einer früheren langjährigen Mitarbeiterin. Die zog nach der Enteignung zurück nach Hauzenberg und sollte eine entscheidende Rolle einnehmen – für die Familie und auch den Koffer.

Der Koffer beinhaltet diverse Dokumente. Neben Briefen aus dem polnischen Ghetto, auch Geschäftsunterlagen und einen Reise-Ausweis des Großvaters Emil Holzinger.

„Liebes Fannerl“, beginnt ein im Koffer befindlicher handschriftlicher Brief, datiert vom 13. April 1942. Alice Brandis bittet Hartl darin um Hilfe: „Du wirst von Onkel Ottl gehört haben, dass wir in Piaski einquartiert sind.“ Es gehe allen soweit gut, schreibt Brandis. „Nur meine Mutter hat wieder eine Rippenfellentzündung. Es ist immer recht kalt und windig.“ Brandis bittet noch um „eingeschriebene Päckchen mit zusätzlichen Esswaren“ und wünscht Fanny zu ihrem „Geburtstag am 17. alles Gute! Stets Deine Alice Brandis“.

Wenig später erreicht Hartl erneut ein Brief. „Sehr erwünscht wären Zahnkrem, Seife, Unterwäsche, Hemden, dünne Kleider für mich und Lotte“, schreibt Alice Brandis. „Brot legt keines mehr ein, es ist völlig verschimmelt (…) Vergiss bitte nicht Seife, Tee, Stopfgarn, Strümpfe möglichst fest, Schürzen nichts Kostbares nur derbe Sache keinen Süßstoff und nicht Margarine, das nie ankommt.“

Seltene Einblicke in das Leben im Ghetto

Es sind Dokumente, die seltene Einblicke in das Leben im Ghetto gewähren. Nun mit der Übergabe des Koffers an das Stadtarchiv sollen sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. „Nicht nur für uns als Stadt hat das einen hohen Erinnerungswert“, sagt Baibl. Solche Gegenstände seien „ideal, um die Geschichte des Dritten Reichs und des jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert in Regensburg zu vermitteln.“ Der Stadtarchivar denkt hier insbesondere an die junge Generation und an die Erinnerungsarbeit in Schulen. Aber auch Ausstellungen würde man in Betracht ziehen.

Auch eine Mitteilung über die Geburt von Alice Holzinger 1900 und eine Todes-Anzeige ihrer Großmutter 1904 lagen dem Koffer bei.

Wie Baibl erklärt, seien im Bestand der Stadt bislang kaum private Unterlagen aus der NS-Zeit. Der Koffer sei deshalb ein „wahres Glückslos“ und ergänze hervorragend das Jüdische Archiv, das in Jerusalem liegt, seit letztem Herbst aber komplett digitalisiert und somit für die Regensburger Öffentlichkeit zugänglich ist.

Nichte bewahrte Koffer voller Erinnerungen

Dass die Familie Brandis noch aus dem Ghetto Briefe verschickt hatte, war schon länger bekannt. Muggenthaler interessierte aber der Verbleib der Originale. Er recherchierte, telefonierte in Hauzenberg zahlreiche Personen durch und landete schließlich bei Jutta Koller. Die Nichte von Fanny Hartl. Am Telefon habe erst einmal kurz Stille geherrscht, als Muggenthaler erfuhr, es gebe da diesen Koffer.

„Den wollte ich natürlich sehen und bin nach Hauzenberg gefahren”, berichtet Muggenthaler. Es sei bewegend, nicht nur abstrakte Daten zu den Personen zu haben, sondern über diesen Fund „einer Familie sehr nahe zu kommen“. Geschäftsdaten und Stammbaum, Fotos der Kinder. Aber auch eine eingerahmte Todesanzeige von 1902 sowie die Geburtsmeldung von Alice Holzinger im Jahr 1900 fand Muggenthaler in dem Koffer.

Dass all diese Dokumente überhaupt erhalten geblieben sind, ist Fanny Hartl zu verdanken. Sie verwahrte sie nach Kriegsende. 1947 schrieb sie dann einen Brief an Hedi Rossmann in den USA. Eine Schulfreundin von Alice Brandis. Rossmanns Antwort an Hartl ist ebenfalls Teil der Koffer-Sammlung.

Möglichkeit zum Auswandern kam zu spät

„Ich stelle mir nur immer vor welcher Mut dazu gehoerte mit Paeckchen fuer Piaski nur auf die Post zu kommen. Und da muss ich Ihnen sagen, dass ich Sie restlos bewundere. Sie haben mehr als Freundschaft bewiesen – ueber Menschenpflicht getan, dass Sie diesen armen Ungluecklichen so die Treue hielten.“ (Aus dem Original zitiert) Handschriftlich ergänzte Rossmann nachträglich noch: „unter den damaligen Umständen“.

Thomas Muggenthaler vermutet, dass es sich bei diesem Bild um Charlotte Brandis handelt. Die älteste Tochter war 18, als die Familie deportiert wurde. Foto: bm

Vor Kriegsbeginn hatte die Familie Brandis lange mit dem Gedanken gespielt, Deutschland zu verlassen. Man haderte, überlegte hin und her. „Gott sei Dank planen wir keine Auswanderung, ist alles so unsicher“, heißt es in einem Brief. Und auch Rossmanns Schreiben gibt hierzu Einblicke.

„…es gibt Grenzen der Vorstellungskraft.“

Sie habe mit viel Mühe in den USA eine „Bürgschaft für alle Brandis“ auftreiben können, schreibt sie an Hartl. „Man findet nicht leicht jemand, der fuer 6 Personen gutsteht, dass sie dem Staat nicht zur Last fallen werden.“ Als es Rossmann endlich gelingen sollte, hatte der Krieg bereits begonnen. „Ganz zuletzt, vor der Kriegserklärung an Amerika, schickte mir Lissl noch ihre Papiere zu da sie bei mir besser aufgehoben seien als bei ihr.“ Dann sei der Kontakt abgerissen.

Sie habe immer an „Lissl und ihre vier Kinder gedacht“, schreibt Rossmann. Sterbe jemand an Krankheit oder Unfall, sei „man traurig, sehr traurig“. Aber man wisse, man könne „irgendwie drueberkommen“. Im Falle der „fuerchterlich zugrunde Gemarterten“ aber könne man sich „bei allem Einfühlungsvermoegen nie vorstellen“ was diese Menschen durchgemacht haben. „Denn es gibt Grenzen der Vorstellungskraft.“

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Kommentare (16)

  • R.G.

    |

    Mit Empörung sehe ich, dass man es schafft, grinsende Menschen hinter die Habseligkeiten von Ermordeten zu stellen und so den Fotografen anzubieten.
    Wertvolle Dokumente der jüdischen Opfer werden einfach auf moderne Tischflächen gelegt, nicht mal eine säurefreie Unterlage darf es sein. Was die Familie der ehemaligen Angestellten rettete, indem sie es im Koffer beließ, kann jetzt durch unsachgemäßen Umgang in Kürze extremem Verfall unterliegen.
    Zog man überhaupt Handschuhe an, bevor man die Sachen berührte?
    Dann noch alles wild hindrapiert, als käme es von einem Messie Haushalt!
    Ich schäme mich fremd. Mein Eindruck ist, die Papiere landeten beim falschen Archiv, zumal man da den Fund preist, aber das Schicksal der Menschen lieblos wie eine Nebensache behandelt.
    Man hätte das besser einer jüdischen Gemeinde geben sollen.
    Oma Gisela Holzinger,
    Alice Holzinger, verheiratete Brandis,Dechbettenerstraße.
    Brandis Karl, Dechbettenerstraße, weiters Werner, Rudolf, Paul und Charlotte, die in einen 2.4.1942 abfahrenden Zug gesteckt werden sollten, er traf erst am 3.4. ein.
    Herr Brandis Karl war offensichtlich vor seiner Deportation als Arbeiter eingeteilt. Bereits 1947 hatte er seine Fabrik “verkaufen” müssen.
    Seit der Nachkriegszeit suchten wenigstens zwei nähere Verwandte aus dem Ausland eifrig nach Karl Brandis, in solchen Fällen wäre es geradezu unanständig, den Nachlass nicht eventuell Überlebenden aus der eigenen Sippe zu übergeben, eine Aufgabe, die ein Regensburger Archiv schnellstens erfüllen sollte.
    Herr Muggentaler, wenn sie sich für kompetent halten, weshalb haben sie den Hütern des Schatzes nichts von den überlebenden Verwandten der Opfer gesagt? Möglicherweise haben sie Nachkommen.
    Die Daten über die nach den Brandis Suchenden liegen offen vor!

  • R.G.

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    Korrektur: Fabriks”verkauf” 1937.

  • R.G.

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    Regensburger Anekdoten fürwahr.
    1945 langten aus England Erkundigungen über den Firmeninhaber Karl Brandis ein, über eine ausländische Suchstelle. Ein Verwandter hatte den Auftrag dazu gegeben. Die letzte ihm bekannte Adresse war die Maximilianstraße.
    Eine zuständige Stelle in Regensburg fragte nun die “Käufer”(!) des mutmaßlich arisierten Betriebes, was aus dem Deportierten geworden wäre. Sie antwortete, ein anderer Verwandter der Familie habe ihr aus dem Ausland mitgeteilt, Herr Brandis sei verstorben….

    Bis vor dreißig Jahren suchte ein Familienteil weiter nach dem Schicksal der Brandis…

  • xy

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    Ganz so weit wie R.G. in seinem Eingangsstatement würde ich in meiner Empörung nicht gehen. Aber prinzipiell hat er schon recht. Dass der Fund in einem greislichen Durcheinander völlig lieb- und stillos in einer provisorisch hergerichteten Baustelle und dann noch in den ausgebeueltesten Hosen präsentiert wird, die man finden konnte, ist anstößig und peinlich. Gibt es denn in der Stadt Regensburg keine Presseabteilung, die weiß, wie man so etwas professionell und weniger wurstig präsentiert?

    Übrigens: Die “eingerahmte Todesanzeige von 1902” stammt aus 1904.

  • Zapfnmandl

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    Was soll diese Empörung? Sollen die Leute alle nur noch wie auf einer Beerdigung rumstehen? Außerdem, wo bitte, wird auf dem Foto gegrinst?
    Daß die Unterlagen nun um Stadtarchiv sind, ist jedenfalls besser als im Koffer auf dem Dachboden. Und wenn sich die Unterlagen dort erhalten haben, dann werden sie das sicherlich kurzfristige Ausstellen für den Fototermin auch überstehen.
    Ob man das dann an eventuell noch lebende Angehörige weiter gibt, ist ja etwas, was sich sicherlich erst im Laufe der nächsten Zeit entscheiden muß. Nur dazu muß man die Angehörigen erst einmal informieren und dann entscheiden.

  • Daniela

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    Vielmehr, würde mich interessieren, was nach Kriegsende mit dem enteigneten Besitz der Familie geschah?

    Wenn ich die Anmerkungen von R.G. lese, bekomme ich Bauchgrimmen. Nicht nur, dass die Familie in der NS Zeit enteignet wurden, verschleppt wurden, am Ende nach Mühsal in einem Ghetto zu Tode kamen, scheinbar machte man sich noch nicht einmal Mühe nach Kriegsende andere verwandte Überlebende im Ausland zu suchen und denen das Eigentum zurück zu übereignen. Es wird ja von Familienteilen geschrieben.
    Eine offizielle Rückübertragung an die getöteten Eigentümer, wie wurde dies abgehandelt.
    Es ist ja schön, dass die “Fundstücke” aus dem Koffer ins Archiv kommen. Aber richtig aufgearbeitet sind die “Mordfälle Familie Brandis aus Regensburg” damit nicht.
    Wenn sich das Archiv nun darum bemühen würde, die Geschichte komplett zu recherchieren und damit das unsägliche Leid von jüdischen Familien sichtbar machen würde, aber so richtig kann ich die Bemühungen der Aufarbeitung der NS Zeit nicht erkennen. Noch mehr verwundert mich immer wieder, dass es nie dazu kommt, das Nutznießer dieser Zeit namentlich genannt werden und klar gemacht wird, dass es in weiten Teilen der Regensburger Stadtgesellschaft die Nachkommen der Verbrecher von einst gibt. Was soll das ganze Getue um einen Koffer, wenn das Mass der Mitschuld vieler Deutscher unter den Teppich gekehrt wird. Wir regen uns über Fanatismus und dessen Folgen auf (Paris Urteile IS), aber wir selbst haben uns nie wirklich zu unserer Schuld bekannt. Die Auswirkungen erleben wir jetzt schon mit. Da werden Politiker gewählt, die am liebsten das alte, verheerenden Tun, die alten nationalistischen Denkweisen predigen, keine Scheu haben sich mit rechtsradikalen öffentlich zur Schau stellen. Und das schlimmste, sie werden von Teilen der Bevölkerung noch gefeiert. Die Entwicklung ist mehr als bedenklich.
    Ich kann R.D. Haltung zu dem Bild schon verstehen, es wirkt, wie eine erfolgreiche Schatzsuche, es wird sich gefreut. Nur keiner will wirklich das Elend hinter dem Schatz sichtbar machen.

  • R.G.

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    @Zapfnmandl

    Niemand muss wie auf einer Beerdigung rumstehn.
    Frau Koller kann im Wissen, dass ihre Tante ihr Leben riskierte, sich gerne freuen.
    Die Aufgabe des Stadtarchivs und vorher des Herrn Muggenthaler sollte aber sein, eine professionelle Atmosphäre zu erzeugen und damit den Wert des Fundes zu unterstreichen. Schon mal indem man, so wie bei kostbaren Inkunabeln, demonstrativ Handschuhe anzieht, bevor man das angreift. Wenige mit modernen Pflegemitteln eingecremte Hände können Papiere und Bütten ernsthaft schädigen.
    Falsch ist, dass ein Koffer auf dem Dachboden ein schlechterer Aufbewahrungsort wäre, als einige Tage bei grellem Licht, falscher Luftfeuchtigkeit und Durchblättern durch mehrere ungeschützte Hände. Ich habe oftmals Handschriften nach der Verbringung in moderne Umgebungen regelrecht beim Zerfall zusehen müssen, während sie zuvor Jahrzehnte bis Jahrhunderte in äußerlich verkommen aussehenden Koffern auf durchlüfteten Dachböden in gutem Erhaltungszustand überlebt hatten.
    Es handelt sich aber nicht nur um den materiellen Wert.
    Das sind die Dokumente und wichtigsten Habseligkeiten von Mordopfern, Fabrikchefs. Eine Angestellte ihrer Firma sparte nicht nur vom zu kargen Essen der Kriegszeit für die deportierten Opfer ab, sie riskierte, als sie ihnen weiter ins Ghetto schrieb und Pakete verschickte, selbst im KZ zu landen. Das vorbildhafte Verhalten Frau Fanny Hartls sollte übrigens Yad Vashem bekannt gemacht werden.

    Eine würdevolle, geordnete und alleinige Präsentation der Papiere und Fotos auf einigen Bildern, auf einem anderen eine herzliche Übergabe von der Familie Koller an den Leiter des Archivs, unbedingt im Beisein Jüdischer Vertretung, hätte gezeigt, dass man den menschlichen Wert hinter dem erhaltenen Material versteht.

    Ich fände es sehr richtig, zum erstmöglichen Zeitpunkt jüdische Mitmenschen als eine Art moralische Schirmherren über die Habseligkeiten der Brandis, Weiss und Holzinger – mit dem Leiter des Stadtarchivs, wenn gewünscht- auf ein Bild zu bringen, und zu garantieren, dass man bemüht ist, nach den entfernten Nachkommen zu suchen.
    Nach meiner kurzen Recherche könnte es in Israel und den USA welche geben.

  • R.G.

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    Die Dechbettenerstraße, Hausnummer lasse ich noch ausgespart – dabei dürfte es sich tatsächlich um eine Juden- Sammelwohnung gehandelt haben, wo man sie nach Arisierung ihres Eigentums beengt unterbrachte, bis man die deportierte.
    Weitere Regensburger Holocaust Opfer traten von dort aus den Weg in das Ghetto an.

    Was wären die nächsten Schritte des Anstands?
    Digitalisierung der im Koffer gefundenen Bilder, wo Namen zuordenbar sind und es Opfer der Shoah betrifft, diese Fotos ehebaldigst an Yad Vashem übermitteln.
    Vom Opfer Otmar Holzinger, auf der Sterbeanzeige als Sohn der Klara Holzinger, geb. Weiss angeführt, gibt es bei YadVashem ein Foto.
    Nach und nach weitere Übermittlung von Digitalisaten, seien es Texte oder Fotos von Shoah Opfern.
    Es stünde der Stadt Regensburg gut zu Gesicht, wenn sie der IRememberWall beiträte. Aber Regensburger Bürger können selbst eines der Opfer der Stadt gedenken.

    Möglicherweise gestalteten sich die Besitzverhältnisse in der Regensburger Firma so:
    Großhändler NN Holzinger und Ehegattin Klara, geb. Weiss, verstorben 1904 (siehe Todesanzeige von 1904), bzw. Mitgliedern ihrer Herkunftsfamilie Weiss.
    Sohn Emil Holzinger mit Ehegattin Gisela Holzinger, geb. Salomon (diese später als Omama Holzinger mit der Familie Karl Brandis deportiert)
    Karl Brandis aus Schweinfurth mit Großhändlerstochter Alice Holzinger (in der Geburtsanzeige im Bild angeführt)

    So erklären sich ev. Suchanfragen von Namensträgern Weiss, Holzinger, Brandis nach Karl Brandis samt Familie und “Omama”..

  • R.G.

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    Ein weiterer Schritt wäre die Meldung von Daten an das Arolsen Archiv bzw. die Verknüpfung mit den dortigen Nachkriegs Suchanfragen der Herren Weiss bzw. Holzinger, eingeordnet unter Karl Brandis.
    Das kann jeder Regensburger(oder anderer) Bürger erledigen.

  • Burgweintinger

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    ba, eh, echt anstrendend, R.G. !

    vielleicht haben die Personen Handschuhe angehabt? Oder was ist das auf dem Bild an der linken “oberen” Schreibtischecke?

  • R.G.

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    @Burgweintinger
    Dieses eine Paar Baumwollhandschuhe habe ich gesehen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ein Archivar höchstpersönlich die Sachen so schmissig und übereinander anordnete.
    Wenn es Ihre Angehörigen wären und man legte es so lieblos hin?
    Ergäbe das irgendeinen Sinn?

  • F.W.

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    @R.G.
    Die im Gegensatz zu Ihnen anwesenden Pressevertreter dürften den Gebrauch der im Bild sichtbaren Baumwollhandschuhe bestätigen können. Täuschen Sie sich dabei nicht über deren Gebrauch in namhafteren Häusern.
    Die Objekte befinden sich in dem Zustand, in dem sie dem Stadtarchiv an diesem Tag und zu diesem Termin übergeben wurden. Eine fachgerechte Bearbeitung seitens des Schenkungsnehmers konnte bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht stattfinden. Dachbodenfunde präsentieren sich meist in einem weitaus schlimmeren Zustand.
    Als Schauplatz des Pressetermins steht dem Stadtarchiv im Grunde nur der Runtingersaal zur Verfügung, ohne den Koffer anschließend quer durch die Stadt in die dafür bestimmten Magazine transportieren zu müssen. Und die Beteiligten dürfen sich m.E. gerne freuen, dass das Schicksal der Familie Brandis durch diese Schenkung erlebbarer und präsenter gemacht wird, als auf einem privaten Dachboden.

  • R.G.

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    @F.W.
    Danke für Ihre warmherigen Worte. Das schafft Vertrauen.

  • Robert

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    Im Text wird T. Muggenthaler mehrfach zitiert mit eigenartigen F ormulierungen wie “länger bekannt”. Da es einige Autoren gibt, die Brandis/Holzinger gearbeitet und Daten veröffentlicht haben, frage ich mich, wieso diese nicht genannt werden: Etwa Siegfried Wittmer (Regenburger Juden 1996), oder Waltraud Bierwirth ( Schandzeit in Regensburg 1933-1945, 2017 ). Letztere beschreibt in ihrem Buch (2017) den Versuch der Familie Brandis Nazideutschland zu verlassen mit vielen Details (S.166 -170).

    Die genannte Oma, Giesela Holzinger, war 64 Jahre alt, als sie deportiert wurde. Die Kategorie “zu alt für den Transport” ist gelinde gesagt: unhistorischer Unsinn.

  • matzregensburg

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    @R.G. bzgl. Beisein jüdischer Vertretung: Aus dem ersten Foto und der Bildunterschrift ist ersichtlich, dass Frau Danziger, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Regensburg, beim Termin vor Ort war.

  • R.G.

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    @matzregensburg
    Einen bloßen jüdischen Repräsentanten hatte ich mir nicht gewünscht, sondern jüdische Schutzherrschaft über die Papiere, damit und bis man diese in die erweiterte Familie rückführt.
    Rührt euch das denn gar nicht, dass jemand aus der Verwandtschaft Holzinger bis knapp 1990 nach den Regensburger Familien Brandis und Holzinger suchte und keinerlei Rückmeldung erhielt?

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