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Prozess am Amtsgericht

Erfundene Vergewaltigung am Regensburger Hauptbahnhof: Ein Brei aus Alkoholismus, Erinnerungsfetzen und anderen Übergriffen

Der Fall sorgte für eine bundesweite Debatte und eine Öffentlichkeitsfahndung – doch die Vergewaltigung am Regensburger Hauptbahnhof im Januar 2024 war frei erfunden. Nun stand das vermeintliche Opfer vor Gericht – nicht nur wegen dieses Falls.

Auf Höhe des Obelisken in ein Gebüsch gezerrt und vergewaltigt – diese Behauptung einer heute 29-jährigen Frau war frei erfunden. Foto: Wikimedia Commons

Mit 2,7 Promille Blutalkohol landen manche auf der Intensivstation. Für die 29-jährige Natascha R. (Name geändert), die ihr Alkoholismus in Untersuchungshaft und schließlich auf die Anklagebank des Amtsgerichts Regensburg gebracht hat, waren solche Promillewerte offenbar Alltag. Seit Jahren. Richter Daniel Killinger verliest eine Liste von Vorstrafen: fahrlässige Trunkenheit im Straßenverkehr, Fahren ohne Fahrerlaubnis und Ladendiebstahl – meist Lebensmittel und Fusel.

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2024 wurde Natascha R. obdachlos. Sie trieb sich die meiste Zeit rund um den Regensburger Hauptbahnhof herum. Am 19. Januar desselben Jahres, erneut stark alkoholisiert, erzählte sie der Polizei eine Geschichte, die bundesweit Schlagzeilen machte, Ängste schürte und eine von rassistischen Ressentiments begleitete Debatte über die Sicherheitslage am Bahnhof auslöste.

Zwei Wochen intensive Ermittlungen entlarvten die Lüge

Am helllichten Tag, so behauptete sie, sei sie von zwei Unbekannten „mit arabischem Aussehen“ in der Fürst-Anselm-Allee, nahe dem Milchschwammerl, in ein Gebüsch gezerrt und dort vergewaltigt worden. Die Polizei ermittelte intensiv, ein Fahndungsaufruf wurde veröffentlicht.

Kamerateams und Reporter überregionaler Medien strömten zum vermeintlichen Tatort. Kurzzeitig wurde nach Hinweisen aus der Bevölkerung auch gegen drei Tatverdächtige ermittelt.

Doch zwei Wochen später stellte sich heraus: An der Geschichte war nichts dran. Nun war es Natascha R., gegen die wegen falscher Verdächtigung ermittelt wurde. Doch damit nicht genug.

Im September 2024: der nächste Vergewaltigungsvorwurf

Einige Monate später, am 2. September, gegen Mittag, erschien Natascha R. erneut bei der Polizei. Sie sei von ihrem Exfreund und einem weiteren unbekannten Täter am Vorabend mit einem schwarzen Pkw entführt, zu einem Parkplatz gebracht und dort mehrfach von beiden vergewaltigt worden.

Doch auch wenn es hier möglicherweise zu einem Sexualdelikt gekommen ist – gegen einen der möglichen Beteiligten läuft ebenfalls ein Verfahren – hat auch diese Tat so nicht stattgefunden. Das gab die Frau bereits am nächsten Tag zu, als sie mit Ungereimtheiten konfrontiert wurde. Seit letztem Oktober befindet sich Natascha R., die zu dem Zeitpunkt noch unter Bewährung stand, in Untersuchungshaft.

Die gebürtige Russin räumt über ihren Rechtsanwalt Philipp Janson die Vorwürfe vollumfänglich ein – in objektiver Hinsicht. Denn was sie damals zu den beiden Strafanzeigen bewegt hat, kann die Angeklagte auch selbst nicht wirklich nachvollziehen. Sie hat aufgrund ihres damals regelmäßigen exzessiven Alkoholkonsums allenfalls bruchstückhafte Erinnerungen.

Sie übernachtete unter der Brücke, auf der Parkbank, bei wechselnden Bekanntschaften und „hat konsumiert, was ihr gerade zur Verfügung stand“, so Rechtsanwalt Janson. Ausschließlich Alkohol, keine anderen Drogen.

„Sie hat gemeint, dass etwas geschehen ist.“

In diesem Zustand sei bei ihr „das Kopfkino“ losgegangen. Ein „Brei, der sich vermischt hat“, sei das gewesen. „Sie hat gemeint, dass etwas geschehen ist“, sagt Janson mit Blick auf die öffentlichkeitswirksame Strafanzeige vom Januar. Als Natascha R. am nächsten Tag klar wurde, was sie getan hatte, blieb sie wegen ihrer offenen Bewährung bei der Geschichte. „In der Hoffnung, dass niemand gefunden wird. “

Der zweite Vorwurf vom September ist zwar noch Gegenstand von Ermittlungen. Bilder der Videoüberwachung am Hauptbahnhof und Chatverläufe legen aber nahe, dass es zumindest anfänglich zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr zwischen der Angeklagten und einem oder zwei Männern kam. In dessen Wohnung.

Ein Video auf dem Handy von Natascha R. zeigt aber auch mögliche sexuelle Übergriffe auf die 29-Jährige, während sie augenscheinlich besinnungslos auf dem Bett liegt. Auch wurden bei einer Untersuchung Hämatome an Natascha R.s Körper festgestellt.

Was tatsächlich passiert ist, daran kann sich Natascha R. offensichtlich nicht mehr erinnern. Von der Polizei mit den Widersprüchen und dem Video konfrontiert, zeigte sie sich überrascht, war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich die Frau auf dem Video ist.

Gewalt und Alkohol in der Ehe mit 30 Jahre älterem Regensburger

Einem psychiatrischen Sachverständigen hat Natascha R. ihre Lebensgeschichte offenbart. Die gebürtige Russin kam 2017 nach Regensburg. Ihre Heimat verließ sie ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter, die bei einem Hausbrand ums Leben kam. Ihr Vater habe ihr deshalb immer wieder Vorwürfe gemacht. Damals begann sie zu trinken.

Über eine Internet-Plattform lernte sie einen 30 Jahre älteren Regensburger kennen und heiratete ihn. Die Ehe war von Alkohol und teils von sexueller und körperlicher Gewalt geprägt. Mehrere Aufenthalte im Bezirksklinikum mit Blutalkoholwerten von bis zu vier Promille prägten diese Zeit.

Nach dem Verlust des Führerscheins und ihrer Vorstrafe schaffte es Natascha R., über ein Jahr mit dem Trinken aufzuhören. Sie arbeitete als Pflegehelferin. Die MPU bestand sie beim ersten Mal und bekam ihren Führerschein zurück.

Rückfall, Scheidung, Absturz

Im Urlaub überredete sie ihr Mann dann zu einem Drink. Es folgte der erneute Absturz, die Scheidung, Arbeitslosigkeit. Staatliche Unterstützung erhielt sie nicht, weil Unterlagen fehlten. Schließlich landete die Frau auf der Straße – und im Bahnhofsmilieu.

Dort sei sie – ständig erheblich alkoholisiert – zunächst „wirklich der Überzeugung“ gewesen, vergewaltigt worden zu sein, so der psychiatrische Sachverständige. Doch Anhaltspunkte für eine dauerhafte alkoholbedingte psychische Beeinträchtigung oder gar eine Hirnschädigung habe er nicht feststellen können.

Während ihrer Untersuchungshaft nimmt Natascha R. therapeutische Hilfe in Anspruch, um ihrer Alkoholsucht Herr zu werden – 25 Stunden. Vor diesem Hintergrund bescheinigt der Sachverständige ihr gute Aussichten bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§64 StGB). „Das ist die einzige Möglichkeit, mein Leben auf die Kette zu kriegen“, sagt auch die 29-Jährige.

Keine gezielte Schädigungsabsicht

Am Ende trägt das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Killinger diesen Ausführungen Rechnung. Zwar sei der subjektive Tatbestand der falschen Verdächtigung in beiden Fällen erfüllt, auch bei dem Fall im September gebe es keinen zwingenden Schluss auf eine Vergewaltigung. Allerdings müsse man aufgrund des Alkoholkonsums der Angeklagten wohl von einer „erheblich geminderten Steuerungsfähigkeit“ ausgehen.

Auch sei weder eine gezielte Schädigungsabsicht gegen bestimmte Personen erkennbar, noch das Ziel, sich damit in den Mittelpunkt zu rücken oder bewusst Ressentiments zu schüren.

„Aussage ursächlich für erhebliche Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls“

Verantworten müsse sich Natascha R. aber für den erheblichen Ermittlungsaufwand, den sie mit ihrem Vorwurf eines besonders schweren Delikts ausgelöst hat – inklusive Öffentlichkeitsfahndung. Auch wenn das nicht die Absicht gewesen sei: „Ihre Aussage war ursächlich für eine erhebliche Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls in der Stadt.“

Das Gericht verurteilt Natascha R. zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, ordnet aber gleichzeitig die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Inklusive der offenen Bewährungsstrafe. Sie selbst entschuldigt sich in ihrem Schlusswort für alles, was sie mit ihren Behauptungen ausgelöst hat. Nach Verbüßung ihrer Strafe und dem, so hofft sie, erfolgreichen Entzug, will sie Bayern verlassen, um in einem anderen Bundesland neu anzufangen.

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