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Diskussion zum NSU-Prozess

„Verfassungsschutz“ abschaffen!

Vor einem Jahr begann der NSU-Prozess in München. Doch das Verfahren lässt bislang mehr Fragen offen als beantwortet, wie eine vom Bündnis gegen Naziterror organisierte Diskussionsrunde zeigte. Die Forderung am Ende des Abends: den Verfassungsschutz abschaffen.

Von Dike Attenbrunner

friedrich burschel

Friedrich Burschel, Referent für Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und Angelika Lex, Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess. Fotos: ad

Ermittlungsakten zum Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter, in denen völlig ungeniert von „Negern“ und „Zigeunern“, die „typischerweise lügen würden“ die Rede ist. Nazi-Zeugen, die sich anscheinend sicher sind, dass sie nichts zu befürchten haben – und die deshalb die Aussagen verweigern („Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“). Verfassungsschützer, die ebenfalls ein wahnsinnig schlechtes Gedächtnis zu haben scheinen. Akten, deren Einsicht den Nebenklage-Anwälten zum Teil verwehrt wird. Notwendige Polizeiermittlungen, die nicht geführt wurden. Und zwei V-Männer, die während des Prozesses verstarben – und bei deren Todesumständen sich manch Prozessbeobachter nicht sicher ist, ob der Selbstmord des einen und der Diabetes-Tod des anderen wirklich so selbstverschuldet waren wie es angeblich den Anschein macht. Und von denen man nun nie mehr Anworten auf wichtige Fragen im NSU-Verfahren erhalten wird.

Gesellschaft, die Rassismus zulässt

Angesichts all dieser Ungereimtheiten, so Friedrich Burschel, könne er es keinem verdenken, wenn er in Sachen NSU und Verfassungsschutz zum Verschwörungstheoretiker werde. Auch wenn er Verschwörungstheorien ausdrücklich für gefährlich halte. Der Referent für Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung war gemeinsam mit Robert Andreasch, Prozessbeobachter des Projektes „NSU WATCH“ und Mitarbeiter des aida-Archivs aus München, und Angelika Lex, Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess, nach Regensburg gekommen, um mit Moderator Stefan Aigner von Regensburg Digital über den Stand des NSU-Prozesses zu diskutieren.

Vieles von dem, was die Podiumsteilnehmer berichteten, war den Zuschauern im gut gefüllten Saal des Leeren Beutels bereits aus den Medien bekannt. Dennoch reichten, angesichts von so viel „Blindheit“ seitens der Behörden, entsetztes Kopfschütteln und ungläubiges Raunen einander die Hand. „Dieser Prozess ist das Spiegelbild einer Gesellschaft, die Rassismus zulässt“, brachte Anwältin Angelika Lex es auf den Punkt. Und deshalb sei das Verfahren auch so wichtig.

Und um aufzuzeigen, dass die NSU eben nicht nur aus drei Personen bestand, sondern dass dahinter ein Unterstützernetzwerk vermutet wird. „Wir wissen von 24 namentlich bekannten V-Leuten, die die NSU umstanden haben“, machte Friedrich Burschel deutlich. „Es müsste deshalb eigentlich einen Aufschrei der Empörung in diesem Land geben“, befand der Referent angesichts der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde. Diese Organisation, die die rassistisch motivierten NSU-Morde weder habe verhindern noch aufklären können, betonte Journalist Robert Andreasch, habe ihre Wirkung verfehlt und gehöre deshalb, das sei die einzige Konsequenz, abgeschafft.

aigner andreasch

Journalist Robert Andreasch (links), Prozessbeobachter des Projektes “NSU WATCH“ und Mitarbeiter des aida-Archivs aus München, und Moderator Stefan Aigner, Herausgeber von Regensburg Digital.

Das Interesse am Prozess habe mittlerweile nachgelassen, berichteten die Podiumsteilnehmer einstimmig. Friedrich Burschel wünschte sich denn auch am Ende des Abends, dass vor dem Gerichtssaal mehr passiere und forderte die Zuhörer dazu auf, sich den Prozess mal vor Ort anzuschauen: „Dass man es den Leuten, die da ein- und ausgehen etwas ungemütlicher macht. Da sitzen Neonazis auf der Zuschauertribüne und fürchten sich kein bisschen, sich zu zeigen.“

breites Bündnis gegen Naziterror

Denn die juristische Aufarbeitung in diesem Prozess sei ein Teil eines großen Problems, nämlich dem des Rassismus, betonte Anwältin Angelika Lex. Man müsse sich nicht unbedingt in den Gerichtssaal setzen, aber jeder Einzelne könne sich im Alltag gegen Rassismus wehren, auch auf institutioneller Ebene.

So wie das breite Bündnis gegen Naziterror, das sich in Regensburg zusammengetan hatte, um mit dieser Diskussionsrunde und einer lautstarken Demonstration den Opfern des NSU zu gedenken. Mit von der Partie: Die Regensburger SPD, die, entgegen der Parteilinie ihrer Bundespartei, öffentlich gegen den Verfassungsschutz auftrat.

Momentaufnahmen:

angelika lex

Alltagsrassismus in Zwickau: „Das ist doch ganz normal“ sei eine der häufigsten Aussagen von Zeugen aus Zwickau, so Anwältin Angelika Lex. Diese Antwort bekam das Gericht zum Beispiel auf die Frage, warum einer das Autokennzeichen „BH“ habe, was vermutlich für das rechtsextreme Netzwerk „Blood and Honour“ steht oder darauf, warum auf dem Fernseher im Keller ein Bild von Hitler stehe („Ein Andenken an den Nachbarn.“).

Andreasch

Robert Andreasch: „Es wird des Öfteren behauptet, bayerische Neonazis hätten nichts mit der NSU zu tun. Dabei wurden doch die meisten Opfer hier in Bayern, in Nürnberg und München ermordet. Das ist doch kein Zufall! Es muss lokale Treffen gegeben haben, auch wenn diese bislang noch nicht ermittelt wurden. Solche Behauptungen sind einfach ein Nicht-Wissen-Wollen von einer netzwerkartigen Organisation.“

burschel

Der Verfassungsschutz konnte den NSU-Terror nicht verhindern, vielmehr hat er die Neonazi-Szene mit aufgebaut: „Ein Teil des Geldes aus der Verfassungsschutzbehörde ist in die Neonazi-Szene eingespeist worden“, so Burschel. Über den jahrelangen V-Mann Tino Brandt sei so vermutlich die Neonazi-Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ mitfinanziert worden. Zu dieser Kameradschaft werden übrigens auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gezählt…

lex

„Für die Angehörigen ist das Verfahren unglaublich belastend. Die Kosten für Anreise oder Verdienstausfall werden nicht erstattet, außer man wird als Zeuge aufgerufen. Emotional belastend ist auch die räumliche Nähe zu den Angeklagten. Die Angehörigen sehen deren Anteilslosigkeit. Sie müssen zuschauen, wie Beate Zschäpe beispielsweise gleichgültig auf ihrem Laptop herumscrollt oder den Verteidigern Bonbons zuschiebt.“ Dennoch, betonte Lex, gehe es den Angehörigen nicht um die Höchststrafe, sondern in erster Linie um Aufklärung.

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