In eigener Sache: Sind wir vielleicht überflüssig?
Die Journalistin Felicitas Weiß-Alles ist verzweifelt. Seit drei Jahren betreibt sie nun schon eine Internetzeitung namens www.feli-weiss-alles.de. Doch obwohl sie regen Zuspruch von ihren Lesern erfährt und ihre Berichterstattung oft von überregionalen Medien aufgegriffen wird, bleibt es meist nur beim unbezahlten Lob. Ihren Lebensunterhalt kann sie davon immer noch nicht bestreiten. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an ihre Leser. Eine Glosse über Freud und Leid des unabhängigen Online-Journalismus.
Von Dike Attenbrunner
Liebe Leserinnen und Leser,
ich hab mir gedacht, ich plaudere heute mal ein wenig aus dem Nähkästchen. Nein, fragen Sie nicht nach dem Warum. Lesen Sie einfach.
„Ah, die Frau Weiß-Alles! Und, wissen‘ S heut schon alles?“ Ich lächle gequält als ich noch unausgeschlafen zur Bäckerei reinstolpere. „Nein, Sie können noch gar nicht alles wissen!“, redet die Ladenbesitzerin ohne Punkt und Komma weiter. „Zum Beispiel wissen Sie noch gar nicht, dass mein verehrter Kollege, der Herr Müller, die Semmeln, die er am Vortag nicht verkaufen konnte, am nächsten Tag abermals in den Ofen schiebt und seinen Kunden dann als Frischware andreht! Wäre das nicht mal etwas für Ihr Internet-Ding?“ Ja sowas, denk ich mir. Macht ihr Bäcker das nicht alle? „Und jetzt soll ich Ihrer Meinung nach einen Artikel über den Herrn Müller und seine Machenschaften veröffentlichen?“, frage ich sie müde. „Freilich!“, nickt sie begeistert. „Gut“, entgegne ich ernst. „Dann schreib ich rein, dass Sie mir das gesagt haben.“ Quiekend schreit sie auf: „Nein, bloß nicht!“ Dachte ich mir. „Und warum nicht?“, hake ich boshaft nach.
„Da schreim‘ S halt dann `anonymer´ Hinweis hin, oder so.“
„Natürlich will ich, dass Sie Herrn Müller anschwärzen, aber das haben Sie doch nicht von mir! Da schreim‘ S halt dann `anonymer´ Hinweis hin, oder so. Weil wissen’ S, ich back die Brötchen vom Vortag ja auch auf. Aber solange es alle fressen…“ Ok, denk ich mir, ab heute haben Sie eine Stammkundin weniger. Der Herr Müller schwärzt wenigstens keine Kollegen an, weil das eigene Geschäfte scheiße läuft. Ich lege das Geld auf den Tresen und nehme meine Semmeln. Aber noch bevor ich meinen linken Fuß über die Türschwelle heben kann, schreit sie mir hinterher: „Also, wenn Sie das machen, würd ich sogar mal einen Fuffi springen lassen, unter der Hand, versteht sich. Wenn ich eine Werbung schalte, weiß der Trottel da drüben doch gleich, dass ich ihn verpfeift habe!“ Ich schüttele bloß den Kopf und laufe zornigen Schrittes nach Hause.
Als ich meinen Sohn dann an der Schule absetze, kommt Hans Eckl ums Eck (haha) gesprungen. Seines Zeichens Autohändler und seit geraumer Zeit auch im Stadtrat vertreten. „Ach, die Felicitas“, flötet er mir ins Ohr, während er mich fest an sich drückt und mir seinen Frühschoppen ins Gesicht haucht, „morgen ist ja wieder Stadtratssitzung. Und ich wüsste da einiges zu erzählen, was deine Kollegen von der Heimatzeitung noch nicht wissen. Wie wär’s, wenn wir es uns heute Abend in meinem Schrebergarten gemütlich machen. Wir quatschen ein wenig, und naja, dann könnten wir …na du weißt schon… Da hat ein Schreiberling wie du ja phantasiemäßig keine Probleme!“
Ich schubse den lüstern dreinblickenden Fettwanst auf Armeslänge von mir. „Herr Eckl, erstens wäre es mir lieb, wenn Sie mich nach wie vor Siezen würden – und zweitens unterhalte ich schon seit längerem ein Tête-à-Tête mit Ihrem Stadtratskollegen, dem Herrn Köhler.“ Das stimmt zwar nicht, aber darüber wird der verdutzte Eckl nun hoffentlich die ganze Nacht grübeln, weil der Köhler bekanntermaßen auf Männer steht. Genervt lasse ich den Eckl stehen und steige wieder ins Auto.
Und dann dieser Facebook-Mob…
Zu Hause angekommen, schalte ich meinen Rechner ein. Fehler. Böser, böser Fehler! Pling, pling, pling, macht es. Ein Kommentar nach dem anderen ploppt auf meinem Bildschirm auf. Tags zuvor hatte ich ein Porträt über einen Flüchtling veröffentlicht. Neben einigen aufmunternden Lobeshymnen über die realistische Darstellung eines vom Schicksal nicht gerade glimpflich behandelten Menschen, springen mir nun Wortfetzen wie „Wirtschaftsflüchtling“, „Schmarotzer“ oder „Schleich dich“ ins Gesicht. Wie verrückt hammere ich auf die Entf-Taste. Gut, dass ich die Kommentare auf meiner Seite nicht mehr ungesehen freischalte. Das ist ja nicht zum Aushalten!!!
Und dann dieser Facebook-Mob! Ich bezweifle, dass diese hirnverbrannten Hohlköpfe meine Artikel auch nur ansatzweise lesen. Warum auch? Es reicht doch, wenn das Wörtchen „Flüchtling“ in der Überschrift steht, um zur Treibjagd zu blasen!
Fortlaufende Auswürfe über die Zukunft des Journalismus…
Ein Blick auf die Auswürfe meiner unsäglichen Kollegen (vorwiegend Männer!), die über Facebook und Twitter fortlaufend über die Zukunft des Journalismus und ihrer eigenen herausragenden Rolle als unerschütterliche Leuchttürme in dieser ach so unsicheren neuen Medienwelt schwadronieren als gäbe es kein Zeitungs-Morgen mehr, macht es nicht besser. Ich weiß auch nicht, ich habe bislang immer gedacht, an den journalistischen Grundsätzen ändere das mobile Zeitalter nichts. Eigentlich geht es für einen Journalisten doch immer nur um das Eine: einen Missstand aufzudecken. Oder?
Eine Hand wäscht die andere, oder?
Das nächste „Pling“ reißt mich aus meinen Grübeleien. Ah, eine Email der Firma „Bruckmandl“. Die hatten letzte Woche Interesse an Werbung bekundet. Voller Vorfreude reibe ich mir die Hände. Könnte entgegen aller Anzeichen vielleicht doch noch ein guter Tag werden! Doch als ich das Schreiben öffne, erstarre ich zur Salzsäule. „Liebe Frau Weiß-Alles, wie Sie sicherlich wissen (haha, guter Witz, nicht wahr?), unterhalten wir zu allen Medien im Landkreis beste Geschäftsbeziehungen. Networking nennen wir das. Wie wäre es, wenn Sie am Wochenende zu unserem Presse-Brunch hinzustoßen? Dann können wir mal in aller Ruhe ausloten, was wir füreinander tun können. Es gibt auch Häppchen und Sekt! Auf Ihr Kommen freut sich: die Geschäftsleitung.“
Ich atme erst mal tief durch und antworte dann kurz und knapp: „Sehr geehrte Geschäftsleitung, danke für die Einladung, aber an einer ´Eine Hand wäscht die andere´-Beziehung bin ich nicht interessiert. Ihre Felicitas Weiß-Alles.“ Verdammt Felicitas, schelte ich mich, genau dieses Verhalten haben sie dir doch im diesem ´Journalist als Unternehmer´-Workshop ständig versucht auszutreiben. Mit deiner Impulsivität machst du dir noch alles kaputt!
Die Qualität ist nicht wichtig solange die Quantität stimmt
Die von dem neuen Blog im Nachbar-Landkreis machen das schon besser. Seit einem Jahr sind die online, haben jede Woche mindestens drei neue Anzeigen drauf und schon über 4.000 Facebook-Freunde. Gut, das mit der unabhängigen Berichterstattung hatte sich schnell erledigt als sie gemerkt haben, dass sich kritische Artikel und Werbeanzeigen nicht miteinander vertragen. Stattdessen praktizieren sie nun einen heimeligen Wohlfühljournalismus. Ausführliche Reportagen und Hintergrundberichte sucht man vergebens. Kostet ja alles Zeit – und somit Geld.
Effektiv, so soll sie sein, die Zeitung im Internet. Und multimedial! Unbedingt multimedial! Audio, Video, Bildergalerien, Gewinnspiele usw. usf. Die Qualität ist nicht wichtig solange die Quantität stimmt – und man sich gegenseitig dazu beglückwünschen kann, wie schön man es doch in der Heimat hat.
Das Telefon klingelt. Gottseidank! Eine neue Story! Ein landkreisweit bekannter Vermieter will eine alleinerziehende Mutter und ihre beiden Kinder aus der Wohnung ekeln. Ha, die Sache wird einschlagen! Die Heimatzeitung berichtet nicht. Besagter Vermieter soll ein großer Werbekunde sein, und den will man nicht vor den Kopf stoßen. Aber nicht mit mir! Ich besuche die junge Dame vor Ort, mache Fotos, befrage die anderen Mieter im Haus, die auch nicht recht verstehen können, was an der sympathischen Familie auszusetzen sein soll. Und finde raus: Der Vermieter wollte bei seiner Mieterin landen und jetzt fühlt er sich nach einer Abfuhr in seiner Ehre gekränkt, weshalb die Angebetete nun raus muss. Und ich erfahre noch mehr: Das ist nämlich keineswegs das erste Mal, dass dieser Lump so verfährt.
„Du verscherzt es dir mit jedem!“
Flugs fahre ich heim, hack die Geschichte in den Computer und lehne mich zufrieden mit einem Kaffee zurück während ich genüsslich die Kommentare meiner Leser verfolge, die sich ob des verbrecherischen Verhaltens des Vermieters natürlich völlig entsetzt zeigen.
Jetzt weiß ich es wieder: Deswegen mache ich meinen Job so gerne! Damit ich den kleinen Leuten im Kampf gegen die Obrigkeit helfen kann. Meine Freunde halten mir das jedoch dauernd vor: „Was soll denn aus dir werden, Felicitas?“, „Du verscherzt es dir mit jedem!“, „Du und die Kinder, ihr müsst doch auch von etwas leben!“, „Meine Güte, du und dein verdammter Idealismus! Der wird dir noch mal zum Verhängnis!“ Und wenn schon. Menschlichkeit ist doch kein Idealismus! In unserer selbstverliebten kapitalistischen Gesellschaft hat doch nur noch Bedeutung, was Kohle bringt und das Ansehen steigert.
Mahnung, Rechnung, Abmahnung
Wie zur Bestätigung beginnt das Faxgerät zu rattern. Na super. Der verunglimpfte Vermieter schickt mir über seinen juristischen Beistand eine einstweilige Verfügung. Da wird sich mein Rechtsanwalt sicher freuen. Selbst der rät mir neuerdings, es mal ruhiger angehen zu lassen. Seufz. Resigniert lege ich das Fax auf meinen unansehnlichen Stapel an längst überfälligen Rechnungen und Mahnungen – und mache mich auf den Weg, um meine Söhne abzuholen.
Als ich die Tür zum Kindergarten aufstoße, antwortet mein Sohn seinen Freunden, die ihn nach dem Beruf seiner Mutter gefragt haben, gerade: „Meine Mama ist Touristin!“ Gut, mit dem Wort „Journalistin“ tut er sich noch etwas schwer. Doch als er den ratlos um ihn versammelten Knirpsen im Brustton tiefster Überzeugung erklärt, dass das bedeute, ich würde viel reisen und hätte wenig Zeit für ihn und seinen Bruder, bin ich sprachlos.
Die anschließende Diskussion mit seinem älteren Bruder darüber, warum wir schon solange nicht mehr im Urlaub waren – was ich mit einem genervten „Das können wir uns momentan nicht leisten!“ abschmettere, worauf er wiederum mit einem „Du arbeitest ständig und kriegst dafür kein Geld?!? Das glaub ich dir nicht!“ kontert, gibt mir schließlich den Rest.
Als die Kinder endlich schlafen, beschließe ich, dass ich nicht heulen werde, sondern die letzten Bröckchen meines Selbstwertgefühls zusammenkratze, um sie Ihnen vor die Füße zu schmeißen.
ICH ARBEITE 60 BIS 70 STUNDEN DIE WOCHE! FÜR EINEN HUNGERLOHN! DAMIT SIE WIRKLICH ERFAHREN, WAS IN UNSEREN LOKALEN GEFILDEN VOR SICH GEHT. DENN SONST MACHT ES KEINER!!!
Ja, das war gebrüllt!!! Ich habe schon überlegt, ob ich das nicht im multimedialen Sinne als schreierisches Audiofile hochlade, um Sie wachzurütteln. Aber die Vorstellung, eine Straße entlangzulaufen während mir aus jedem zweiten Haus meine eigene Wut entgegenschlägt, war mir dann doch eine Spur zu melodramatisch…
Vielleicht wollen Sie mich am Ende gar nicht haben…
Und überhaupt dämmert es mir langsam: Was, wenn Ihnen gar nicht bewusst ist, wie viel Arbeit hinter weiss-alles.de steckt? Was, wenn Sie möglicherweise glauben, dass ein erfolgreiches Medium auch automatisch finanziellen Erfolg bedeutet? Und was, wenn ich gar überflüssig sein sollte – und Sie mich am Ende eigentlich gar nicht haben wollen?
Ihre ratlose Felicitas Weiß-Alles
P.S: Die Heimatzeitung hat die Geschichte mit dem Vermieter gerade aufgegriffen. Der öffentliche Druck war wohl zu groß…
P.P.S.: Dass der Großteil ihrer Berichterstattung aus meiner Feder stammt, schreiben sie natürlich nicht!!!