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Glosse

Vanitas Ratisbonensis

Ein neuer Geist hält Einzug bei der Regensburger Stadtplanung – denn nichts ist für die Ewigkeit und es muss auch nicht alles perfekt sein.


Von Martin Stein

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Wer in Regensburg lebt, atmet den Hauch der Geschichte. Das ist hier kein Lüftchen, das ist direkt ein Odem. Diese Geschichte, von der man auf Schritt und Tritt umgeben ist! Kelten! Römer! Wikinger! Kaiser und Könige! Tote Fürsten und lebendige Fürstinnen! Bei jeder Brotzeit möchte man innehalten und der Durchlauchten gedenken, die vor einem wohl schon an diesem Ort in eine Knackersemmel gebissen haben.

Ich bin nichts, ich bin sterblich, aber möglicherweise langt’s noch zum Stadtrat.

Das Leben in Regensburg öffnet den Blick ins Metaphysische, den Blick auf den größeren Zusammenhang der Dinge und die eigene Nichtigkeit im Kontext; ähnlich wie das Besteigen majestätischer Gebirge, bloß ohne die ganze Schinderei. Andererseits ist Regensburg auch überschaubar genug, um einem das Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit nicht allzu dick aufs Butterbrot zu schmieren. Man steht auf, öffnet das Fenster, atmet Historie, geht ins Bad und kann zum Spiegel sagen: Ecce homo! Ich bin nichts, ich bin sterblich, aber möglicherweise langt’s noch zum Stadtrat.

Dieses sympathische Understatement liegt daran, dass Regensburg von sich aus die Latte nicht mehr so arg hochlegt. Alles in allem hat man mit den Ewigkeiten hier ja auch keine so besonders guten Erfahrungen gemacht, womit man natürlich weltweit nicht alleine steht, weil, im Grunde, an der Ewigkeit scheitert man ja überall schnell einmal, dafür braucht man ja nicht einmal groß die Nettolaufzeit berüchtigter 1.000jähriger Reiche durchzurechnen. In Regensburg freut man sich mittlerweile schon, wenn eine sechsjährige bürgermeisterliche Standardamtszeit nicht zu optimistisch angesetzt war. Aber so ist das im Leben oft: So manch großer Geist samt seinen einzigartigen Visionen verzagt an der chronischen Unterfinanzierung der Weltläufe.

Endlich: Regensburg lernt aus den Fehlern der Vergangenheit.

Aber Regensburg lernt endlich aus den Fehlern der Vergangenheit. Ich erinnere mich noch deutlich an meine Enttäuschung, als ich 1993 in diese Stadt gezogen war und feststellen musste, dass der sogenannte „Immerwährende Reichstag“ überhaupt nicht mehr währte. Der reinste Etikettenschwindel. Etwas versöhnlich allerdings wirkte der Umstand, dass die Gesandten bei ihrem Abzug eine recht ansehnliche Gastronomie zurücklassen mussten. Die hat man hier gut brauchen können. Immerhin.

Man fährt nicht gut mit diesen Etiketten ohne Verfallsdatum, und die Gastronomen damals werden auch nicht fröhlich geschaut haben, mit ihren überteuerten Pachtverträgen auf der Grundlage von „immerwährend“, und es war dann wohl auch reines Glück, dass irgendwann die Studenten kamen, um den verlorengegangenen Politikerdurst zu kompensieren.

Von der Übergangslösung zur Lösung für den Übergang

Der Blick zurück durch die Jahrhunderte lässt jedenfalls manche Entscheidung fragwürdig erscheinen. Das geht schon mit den sogenannten Wahrzeichen los.

Mühsam eine Steinbrücke in den Fluss pflanzen, über die dann irgendwann eh bloß noch Fußgänger und Radlfahrer dürfen: was für eine Verschwendung; da hätte es ein Holzsteg auch getan. Das wenn man halt früher gewusst hätte.

Ein paar Meter flußaufwärts steht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: der eiserne Behelfssteg aus der Nachkriegszeit, der ohne großspurige Attitüden still und heimlich ein Jahrzehnt nach dem anderen runterreißt und sein Etikett als Übergangslösung längst von den Wassern der Donau hat wegtragen lassen und dabei ganz schlicht die Lösung für deren Übergang bietet.

Wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Da plant man mühsam und teuer jahrelang eine Neugestaltung des Arnulfsplatzes, und kaum ist man fertig, merkt man, dass die neuen Gelenkbusse da nicht mehr draufpassen. Alles Geplane für die Katz. Soll man da jetzt etwa neu planen? Wo man gar nicht weiß, was denn dann wieder für neue Busse daherkommen, bis man endlich fertig ist? Oder ob Menschen bis dahin überhaupt noch wohin wollen werden, bei all den guten Gründen, das Haus nicht mehr zu verlassen?

Lieber mal abwarten.

Regensburger bemessen ihr Alter in Stadthallen-Abstimmungen

Der Regensburger selbst wird durch sehr spezifische Rituale immer wieder an den eitlen Widersinn aller Zukunftsplanung erinnert. Wie überall feiert man auch hier Weihnachten, das Fest der Geburt, oder Ostern, das Fest der Auferstehung, und an Allerheiligen gedenkt man der Toten. Ein überkonfessionelles Fest, das an die Unwägbarkeiten des Diesseits gemahnen soll, ist die etwa dreijährlich stattfindende feierliche Abstimmung über den Bau einer Stadthalle.

Regensburger bemessen ihr Alter in Lebensjahren oder alternativ in bereits erlebten Stadthallen-Abstimmungen. Lange überfällig wäre eigentlich die offizielle Erhebung zu einem städtischen Feiertag, ähnlich dem Augsburger Friedensfest, um den verbindenden Charakter dieses unauslöschlichen Abstimmungs-Repetitivums zu würdigen. Man geht zur Stimmabgabe, es gibt Bier und und Blasmusik, und ganz am Ende werden die Stimmzettel zeremoniell in die Donau geworfen, ohne sie vorher zu zählen. Das Leben in einer glücklichen Stadt. die im Jetzt lebt.

Nur weil etwas provisorisch ist, muss es nicht billig sein…

Ach ja, apropos Busse. Die Stadt hat gelernt, dass die Zukunft nichts weiter ist als eine verhaltensgestörte kleine Bitch, die völlig zu Unrecht soviel Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Sollen sich die Gretas der Welt um diese Schlampe kümmern. Wenn’s denn tatsächlich einen neuen Busbahnhof geben soll, dann wird’s halt einen geben, aber höchstens provisorisch. Und nur weil etwas provisorisch ist, muss etwas ja noch lange nicht billig sein; die Stadt kann da all ihre Erfahrungen aus vergangenen Prunktoilettenbauten und -planungen zur Entfaltung bringen. Schließlich soll so ein Provisorium ja auch noch in 50, 60 Jahren noch ordentlich aussehen.

Es ist eine zeitgemäße Art des Denkens, des Planens und des Bauens, die endlich Einzug gehalten hat. Das Stadtplanungsamt tagt dem Vernehmen nach unter einer Gryphius-Büste mit der Inschrift „Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein, auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.“ Im Augenblick unseres Hinscheidens wird es nicht wichtig sein, ob wir vorher noch unseren Bus gekriegt haben.

Die interne Abstimmung über das Motto der Abteilung ist noch nicht entschieden, „Nur nicht hudeln“ liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit „Ein Spatz in der Hand“.

„Castra Regina Provisoria Imponderadibilis“

Regensburg könnte wieder ein Vorreiter in Deutschland werden, wie zu den Zeiten, bevor die Eisenbahn alles über den Haufen warf. Und jetzt ist die Eisenbahn auch nicht mehr das, was sie mal war, und fast jeder Stadtteil hat einen eigenen Autobahnzubringer.

Im Hinblick auf das historische Erbe der Stadt müsste sich das neue Ethos auch im Namen widerspiegeln, so etwas wie „Castra Regina Provisoria Imponderadibilis“ fände ich gut. Ob das jetzt korrekt dekliniert ist, weiß ich leider nicht, mein Latein war auch nie auf die Ewigkeit ausgerichtet. Aber so langt’s ja auch.„"

 

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Kommentare (1)

  • Walter Herter

    |

    Samuel Beckett dazu:
    “ever tried – ever failed – no matter
    try again – fail again – fail better.”
    Lernprozesse möglich?

Kommentare sind deaktiviert

drin