Recherchen zu Wunderglaube und Geschichtsklitterung
Der Wehrmachtsmajor Robert Bürger hat Regensburg vor der Zerstörung durch die amerikanischen Truppen gerettet: Mit dieser Legende hat das kürzlich erschienene Buch „Kriegsende in Regensburg. Die Revision einer Legende“ gründlich aufgeräumt. Unser Autor Robert Werner hat das Buch ausführlich besprochen und ist den Gründen für die willfährig unterstützte Geschichtsklitterung Bürgers nachgegangen. In einer dreiteiligen Serie veröffentlichen wir seine Ergebnisse, die wir hier zunächst kurz zusammenfassen.
War es göttliche Fügung? Ein Wunder? Eine Heldentat? Viel wurde nach Kriegsende darüber spekuliert, warum Regensburg relativ glimpflich davon gekommen ist, warum die Stadt – etwa im Gegensatz zu Augsburg oder Würzburg – von größeren Zerstörungen verschont geblieben war.
Seit den 80ern galt die Lesart, es habe einen Helden gegeben: den Wehrmachtsmajor Robert Bürger. Er habe ein in Regensburg stehendes Regiment von 1.400 Mann über einen Schleichweg aus der Stadt hinaus geführt und so die kampflose Übergabe an die amerikanischen Truppen ermöglicht. Einzige Quelle für diese Heldengeschichte ist Bürger selbst. Dass seine Schilderungen bislang als historisches Faktum galten, ist der tatkräftigen kritiklosen Übernahme seiner Behauptungen durch Regensburger Historiker zu verdanken, allen voran dem heutigen Stadtheimatpfleger Dr. Werner Chrobak.
Das Ende einer Legende
In dem kürzlich erschienenen Buch „Kriegsende in Regensburg. Die Revision einer Legende“ haben die beiden Autoren Günter Schießl und Peter Eiser nun mit diesem Mythos aufgeräumt. Nach über 20jähriger Forschung und Recherche weisen Eiser und Schießl in akribischer Detailarbeit nach: Bürgers Schilderungen halten einer genauen Überprüfung in kaum einem Punkt stand.
Das von ihm behauptete Regiment könne „in dieser Form nicht existiert haben“. Ein von Bürger abgeschriebenes und teilweise geschwärztes angebliches Kriegstagebuch dieses Regiments – in Form einer Kopie übrigens die einzige Quelle für seine Behauptungen – sei vermutlich erst viele Jahre nach Kriegsende von Bürger selbst verfasst worden. Robert Bürger gehe „durchgängig manipulatorisch mit Texten und Dokumenten“ um, so Eiser und Schießl.
Die Kampfhandlungen in Regensburg maßgeblich beendet und weitere Zerstörungen verhindert habe ein anderer: Othmar Matzke, seinerzeit taktischer Führungsoffizier der Kampfkommandanten in der Stadt. Er habe entgegen der Befehlslage die kampflose Übergabe der Stadt propagiert und sei daraufhin, drapiert als Kühlerfigur auf einem US-Jeep, durch die Stadt gefahren, um den verbliebenen Soldaten und Volkssturmeinheiten zu verdeutlichen: Der Krieg ist aus. Matzkes Schilderungen werden, so die Autoren, durch andere Dokumente „weitestgehend bestätigt“.
Tatkräftiger Unterstützer Bürgers
Doch wie kam die Legende vom Helden Bürger auf bzw. wie konnte sie sich so lange halten?
Nachdem Bürger mit einer Vorarbeit seines Berichts zum Kriegsende mangels Relevanz und wegen Befangenheit beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg abblitzte, wandte er sich im Jahr 1982 an das Regensburger Bischöfliche Zentralarchiv. Dort erhielt er tatkräftige Unterstützung des damaligen Bibliotheksrats Dr. Werner Chrobak. Mit einem Vorwort machte dieser den Weg frei für eine Publikation in den „Verhandlungen des Historischen Vereins Regensburg und Oberpfalz“ (Band 123, 1983). Aus dem stark subjektiv gefärbten Erinnerungsbericht Bürgers entstand ein wissenschaftlich gehaltener Aufsatz, der in den renommierten „Verhandlungen“ und somit in die Lokalgeschichtsschreibung aufgenommen wurde.
Die erste wissenschaftliche Arbeit, die in Teilen auf Bürger fußt und dessen Schilderungen endgültig wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verliehen hat, erschien 1985 und stammt wiederum aus der Feder von Dr. Chrobak, heute Stadtheimatpfleger der Stadt Regensburg und 2. Vorsitzender des Historischen Vereins.
So kam es also, dass Chrobak zunächst Robert Bürger „entdeckt“ und damit in Wissenschaft und Medien für Furore gesorgt hatte, ihm anschließend historische Glaubwürdigkeit verlieh und im Verlauf der folgenden Jahre mit seinen stets auf Bürger gestützten Arbeiten (zuletzt 2005 im „Almanach“) die Rezeptionsgeschichte zum Kriegsende in Regensburg maßgeblich bestimmte.
Informationen bewusst ausgeblendet
Obwohl Chrobak 1985 auch die Schilderungen Matzkes vorlagen – er hatte mit dem ehemaligen Wehrmachts-Offizier ein ausführliches Interview geführt – blendet er diese Informationen weitestgehend aus. Stattdessen stützt er sich völlig kritiklos auf den vermeintlichen Helden Bürger und das angebliche Kriegstagebuch. Dass Matzke Bürger in wesentlichen Punkten widerspricht, diesen nicht einmal kennt, lässt Chrobak 1985 und auch in allen weiteren Arbeiten zu diesem Thema komplett unerwähnt.
Warum?
Das Interview mit Matzke sei so ausführlich gewesen, dass es damals „unmittelbar nicht verwertbar war“, sagt Chrobak dazu auf Nachfrage. Doch auch später hat er seine Aussage, wonach Bürgers Behauptungen ein „historisches Faktum“ darstellen würden, nie revidiert. Übrigens bis heute. Alle Belege und Recherchen von Eiser und Schießl ignorierend beharrt Chrobak darauf, dass diese „keine stichhaltigen Gegenbeweise“ zu der von ihm propagierten These des Helden Bürger geliefert hätten.
Revidieren oder (wieder einmal) aussitzen?
Es bleibt also die Frage, ob Schießls und Eisers Recherchen tatsächlich zu einer Korrektur der von Bürger betriebenen und von Chrobak willfährig unterstützten Geschichtsklitterung führen werden oder ob man das Thema in Regensburg – in gewohnter Manier – aussitzen will. Von den Exponenten etwa des Historischen Vereins oder des städtischen Amts für Archiv- und Denkmalpflege gibt es derzeit nur vernehmliches Schweigen.
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