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Archiv für 12. Mai 2012

Seit Jahren arbeitet der BR-Autor Thomas Muggenthaler zum „Verbrechen Liebe“ während der NS-Zeit. Erst vor kurzem hat er den Ort der Hinrichtung eines polnischen Zwangsarbeiters ausfindig gemacht (am kommenden Montag Thema in der Sendung “Aus Schwaben und Altbayern”) . In seinem 2010 erschienenem Buch dokumentiert Muggenthaler das Schicksal von über 20 polnischen Männern, die wegen Beziehungen zu deutschen Frauen hingerichtet wurden. Im Jahr 2003 strahlte der Bayerische Rundfunk die Radiosendung „Verbrechen Liebe“ aus, in der der Journalist Thomas Muggenthaler über ein spezielles Kapitel in der Geschichte von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in Nazi-Deutschland berichtete. Anhand von Akten und Interviews mit Angehörigen und Zeitzeugen ging er dem Schicksal von mehr als 20 polnischen Männern nach, die wegen verbotener Beziehungen zu deutschen Frauen hingerichtet wurden. Das vorliegende Buch dokumentiert die Einzelfälle aus der Region Niederbayern und Oberpfalz und gibt dadurch den Opfern – sowohl den getöteten Männern als auch den ebenfalls hart bestraften deutschen Frauen, die größtenteils ins Konzentrationslager kamen – ihre Namen und ihre Geschichte wieder. Für manche betroffenen polnischen und deutschen Familien, zum Teil auch für aus diesen Beziehungen hervorgegangene Kinder, war dies das erste Mal, dass sie Näheres über das Schicksal ihrer Angehörigen erfuhren. Das Vorwort von Dr. Jörg Skriebeleit, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, und auch die Einleitung von Thomas Muggenthaler zeigen den historischen Rahmen für die berichteten Ereignisse. Das NS-Regime diffamierte zwar Menschen aus Polen als rassisch minderwertig, litt aber gleichzeitig unter massivem Arbeitskräftemangel und setzte daher gleich nach Kriegsbeginn 300.000 polnische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter vor allem in der Landwirtschaft ein. Diesen Widerspruch versuchte man, durch Kontaktverbote zwischen der deutschen Bevölkerung und den Zwangsarbeitern, den sogenannten Polenerlassen, zu lösen. Alle polnischen Arbeiter bekamen diese Vorschriften in polnischer Sprache vorgelesen und mussten die Kenntnisnahme mit ihrer Unterschrift bestätigen. Es kam aber dennoch nicht selten zu intimen Kontakten und auch Liebesbeziehungen zwischen den auf den Höfen eingesetzten jungen Männern und deutschen Frauen. Auch die umgekehrte Konstellation kam übrigens vor, also Verhältnisse zwischen polnischen Zwangsarbeiterinnen und deutschen Männern; dies war ebenfalls verboten, wurde aber viel weniger hart bestraft. Die vorgenommenen Hinrichtungen wurden von der bundesdeutschen Justiz in den 50er Jahren untersucht, die diesbezüglichen Unterlagen und Zeugenaussagen sind eine wichtige Quelle Muggenthalers. Die verantwortlichen Täter der Gestapo Regensburg wurden für ihre Taten unbegreiflicherweise nicht verurteilt. Es handelt sich also um ungesühnte staatliche Morde, die durch Muggenthalers Arbeit nun wenigstens dokumentiert wurden – nach über 60 Jahren. 1978 hatte erstmals Rolf Hochhuth mit seinem Buch „Eine Liebe in Deutschland“ für Wirbel gesorgt. Er schildert, ergänzt durch historische Zitate und Berichte zum Kriegsverlauf, die erschütternde Geschichte einer Liebesbeziehung zwischen einem jungen Polen und einer deutschen Frau, die der Mann mit dem Leben bezahlen musste. Muggenthaler zeigt nun für die Region Niederbayern/Oberpfalz, dass dieser Mord keineswegs ein Einzelfall war. Bei den im vorliegenden Buch dokumentierten Fällen handelte es sich um polnische Kriegsgefangene sowie auch um Zwangsarbeiter. Die Geschichten sind ganz unterschiedlich, die Bandbreite reicht von der echten Liebesbeziehung mit Heiratsplänen über die kurze Affäre bis hin zur versuchten Vergewaltigung, aber auch zur falschen Beschuldigung. Aufgekommen sind die Beziehungen häufig durch Denunziation aus der deutschen Bevölkerung oder aber dadurch, dass die Frauen schwanger wurden. 22 Männer wurden in der Nähe ihres Arbeitsortes hingerichtet, wobei die anderen Zwangsarbeiter in der Umgebung den Gehängten besichtigen mussten, als abschreckendes Beispiel. Auch ausgewählte Einheimische mussten der Hinrichtung beiwohnen. Später ging man dazu über, die Hinrichtungen im KZ durchzuführen, z.B. in Flossenbürg. Muggenthaler berichtet aber auch von zwei Geschichten mit glücklichem Ausgang, in denen die Männer überlebten, unter anderem durch „Eindeutschung“. Muggenthaler hat sowohl aus den Akten die Geschehnisse rekonstruiert, vor allem aus den Ermittlungen in den 50er-Jahren, als auch mit verschiedenen Betroffenen gesprochen, mit Angehörigen, zum Teil mit den aus den verbotenen Beziehungen hervorgegangenen Kindern oder Enkeln, mit Zeitzeugen, in einem Fall auch mit einem weiteren polnischen Zwangsarbeiter, der der Exekution seines Landsmannes beiwohnen musste. In vielen Familien war nie offen über die Geschehnisse gesprochen worden, einige Kinder erfuhren erst durch den Anruf Muggenthalers davon, wer ihr Vater war und wie er ums Leben kam. Auch die Frauen wurden bestraft, viele verbrachten Jahre im Konzentrationslager. Die Bevölkerung reagierte unterschiedlich, auf jeden Fall beeindruckt und aufgebracht, nicht selten auch empört, weil die jungen Männer beliebt und als Arbeiter geschätzt waren. Es gab aber offenbar keinen offenen Widerstand gegen die Morde. Thomas Muggenthaler, der schon verschiedentlich zum Thema Zwangsarbeit gearbeitet hat, hat hier verdienstvolle und überfällige Aufklärungsarbeit für ein bisher wenig beachtetes Kapitel der NS-Zeit geleistet. Trotz des bedrückenden Themas ist das Buch eine hervorragend aufbereitete und gut lesbare Dokumentation, der eine breite Aufnahme und Leserschaft zu wünschen ist. Thomas Muggenthaler: Verbrechen Liebe. Von polnischen Männern und deutschen Frauen: Hinrichtungen und Verfolgung in Niederbayern und der Oberpfalz während der NS-Zeit. Lichtung Verlag Viechtach, 2010.
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