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Archiv für 19. November 2011

Der AK Vorrat macht es vor: Auch in Regensburg lassen sich hochkarätig besetzte Veranstaltungen zur Netzpolitik ins Leben rufen. Das bewies am vergangenen Donnerstag im alten Finanzamt eindrucksvoll die Podiumsdiskussion „Grundgesetz vs Sicherheit“, die die Ortsgruppe des AK Vorrat organisiert hatte (Hier geht’s zur Video-Aufzeichnung). Zwei Europaparlamentarier (beide von der SPD), ein bespitzelter Ex-Aufsichtsrat der Telekom, der prominente IT-Anwalt und Netzaktivist Thomas Stadler, der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Bayern und ein Wissenschaftler der TU Dresden als Experte für Datensicherheit und -speicherung im Internet stellten sich der Diskussion mit einem erwartungsgemäß kritischen Publikum, getragen von einer langen Liste von Unterstützern aus Parteien und Verbänden.

Vorratsdatenspeicherung bringt nichts und verstößt gegen die Verfassung

Prominenz auch im Publikum: Stefan „sekor“ Körner, bayerischer Landesvorsitzender der Piratenpartei.
Im März 2010 kippte das Bundesverfassungsgericht die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung. Diese verpflichtete Telekommunikationsunternehmen zur Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten, ohne Anfangsverdacht oder konkrete Gefahr. Das sei, verbunden mit den etwas laschen Sicherungsmaßnahmen, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, so das Bundesverfassungsgericht. Seitdem diskutieren Parteien, IT-Spezialisten und Grundrechtsaktivisten das Thema in den Medien, gelegentlich auch recht emotional und bar jeder technischen Kompetenz. In seiner kurzen Einführung erklärte Schmid die Position des AK Vorrat, die sich Umfragen zufolge mit der von 90 Prozent der Deutschen deckt: Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist unwirksam, das falsche Mittel, gefährdet unsere verfassungsmäßigen Grundrechte und muss weg. Die 2005 beschlossene EU-Richtlinie, die die Mitgliedsstaaten zwingt, eine VDS einzuführen, sei hochgradig fragwürdig, so Schmid. Nie zuvor sei eine derart weitreichende Entscheidung in so kurzer Zeit umgesetzt worden: „Das Gesetzgebungsverfahren war ein unüberlegter Schnellschuss, (…) mit nur drei Monaten das schnellste Gesetzgebungsverfahren der EU-Geschichte.“ Eine aktuelle Magisterarbeit der Uni Regensburg, wo Verfasser Michael Biendl die unterschiedliche Praxis in Umsetzung, Länge, Art und Reichweite der VDS anschaulich in Karten darstellt, zeige: Das Ganze funktioniert nicht.

In der CSU tobt ein Krieg jung gegen alt

Moderiert von Andreas Schmal (DGB Regensburg) durften anschließend die Podiumsmitglieder ihre und die Positionen ihrer Parteien oder Organisationen klarstellen.
In der eigenen Partei oft auf verlorenem Posten: Ronald Kaiser (CSU).
Dass diese sich nicht immer decken, überraschte vor allem beim stellvertretenden CSU.net-Vorsitzenden Ronald Kaiser nicht wirklich. Innerhalb der CDU, vor allem aber der CSU, tobt ein erbitterter Aufklärungskampf. Wie seine Kollegin Dorothee Bär tritt auch Kaiser für eine deutlich eingeschränktere Vorratsdatenspeicherung ein als die Herren Kauder, Uhl und Friedrich oder Frau von der Leyen. Der jungen Generation in CDU und CSU scheint durchaus bewusst zu sein, dass die VDS nicht geeignet ist, um Terrorismus und Schwerstkriminalität erfolgreich zu bekämpfen. Kaiser: „Mit zwei Mausklicks surfen Sie anonym. Dienste wie Tor stellen Anwender heutzutage vor keine Probleme mehr.“ Kaiser fordert deshalb kompetente Richter, eine Garantie der Datensicherheit und die VDS wirklich nur für schwere Kriminalität zu erlauben. Leichter in der eigenen Partei tun sich da Grüne und Piraten, wo ein weitreichender, kritischer Konsens zur VDS vorherrscht.

„I am not convinced“

Auch die Europaparlamentarier Birgit Sippel und Ismail Ertug (beide SPD) stehen der VDS sehr kritisch gegenüber. Sippel verlangte Beweise für die Wirksamkeit, fragte nach Alternativen und lädt zur Suche nach einem Mittelweg ein. Ertug zitiert Joschka Fischer („I am not convinced“) und bekräftigt seine „sehr sehr kritische Haltung zur VDS, die uns nicht nur Freunde gebracht hat. Es gibt so viele Daten, die wir nicht im Griff haben“. Ertug hält die von Armin Schmid vorgetragene Forderung nach einem Moratorium der Terrorismusgesetze für durchaus überlegenswert. Sippel warnt davor, „bei jedem Fahrraddiebstahl die VDS bemühen zu wollen“. Sie hält den Richtervorbehalt (Datenzugriff für Ermittler nur nach Genehmigung durch einen Richter) für zwingend. Rechtsanwalt Thomas Stadler, der nicht erst durch die Strafanzeige gegen den bayerischen Innenminister Hermann wegen des Bundes- oder Bayerntrojaners bundesweite Bekanntheit erlangte, skizzierte kurz den Werdegang der VDS-Gesetzgebung.
Thomas Stadler, Rechtsanwalt für IT-Recht und Betreiber des Blogs www.internet-law.de.
Er sieht vor allem in zwei Punkten Probleme: Zum einen sei eine sichere Datenspeicherung unmöglich, die Datenerfassung nicht verhältnismäßig und die rechtlichen Rahmenbedingungen unklar. Ebenso im Trüben läge nach Ansicht der Richter die Frage, wer wann und unter welchen Bedingungen Daten abrufen dürfe und wie dieser Zugriff abgesichert sein soll.

„Die Daten werden im Netz kursieren!“

Dr. Stefan Köpsell (TU Dresden) konnte dem auch aus technischer Sicht nur beipflichten: „Kriminelle können sich leicht schützen, die erwischt man damit nicht. Das ist auch für Laien sehr einfach zu umgehen. (…) Ein sicheres System für die VDS kann es technisch nicht geben, das ist unrealistisch. (…) Die Daten werden irgendwann im Netz kursieren. Nur das ist sicher. (…) Mit den Auflagen, die ein Provider erfüllen müsste, um Missbrauch auszuschließen, sind die meisten Unternehmen überfordert. (…) Die Anonymität im Netz aufzuheben, das geht nur mit Totalüberwachung, die aber auch weltweit durchgesetzt werden müsste. Das wiederum ist eine Illusion.“

Überlastete, inkompetente Ermittler?

Ganz auf der Linie von Sicherheitshardlinern wie dem unter IT-Kundigen auch in der eigenen Partei berüchtigten Hans-Peter Uhl (CSU), der nicht müde wird, bei jeder Gelegenheit seine Gebetsmühle zu drehen („Nur mit VDS können wir schützen“), präsentierte sich Peter Schall von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Doch seine Beispiele pro VDS vermochten die Anwesenden nicht wirklich zu überzeugen: gestohlene Bagger, slowenische SIM-Karten, Betrügerbanden, die nur per Handyortung überführt werden konnten, oder das Bild einer Terrorismusbekämpfung ohne VDS als „Kartoffelsalat ohne Kartoffeln“. Zugegeben: Die Ermittler sind offensichtlich in der schwierigsten Position. Selbst wer von hochmotivierten und jederzeit rechtskonformen Mitarbeitern ausgeht, muss sich vor Augen halten, dass die Waffen ungleich verteilt sind. Kein Techniker mit der notwendigen IT-Kompetenz würde in Zeiten des Fachkräftemangels einen Job zu den Konditionen eines Polizisten annehmen, wenn er in der freien Wirtschaft leicht das Doppelte oder gar Dreifache verdienen kann.

„Nicht mehr die CSU, die ich kannte.“

Josef Falbisoner, ehem. Verdi Landesbezirksleiter Bayern und 13 Jahre Aufsichtsratsmitglied bei der Telekom, Betroffener im Telekom-Spitzelskandal.
An dieser Stelle hakte Josef Falbisoner ein. Der ehemalige Telekom-Aufsichtsrat war vom eigenen Management jahrelang bespitzelt und überwacht worden und hat durch den erfolglosen Verlauf der Ermittlungen und der Gerichtsverfahren „jeglichen Glauben an den Rechtsstaat verloren“. Auch die CSU „ist nicht mehr die CSU, die ich kannte. Da werden Sparpakete durchgezogen, obwohl mehr Personal notwendig wäre“, ärgert er sich und fordert „einen Datenbeirat, der denen auf die Finger schaut, die mit den Daten umgehen“. Dem stimmt auch EU-Parlamentarierin Sippel zu: „Ja, es fehlen gesetzliche Rahmenbedingungen für den Umgang mit den Daten.“ Anwalt Stadler fordert, zunächst eine Zertifizierung einzuführen, und die gesamte Diskussion um die VDS erst danach weiterzuführen. Andernfalls sei das nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Und weiter: „Entgegen vieler Behauptungen ist das Internet kein rechtsfreier Raum, und die VDS fehlt ja derzeit auch nicht. Es gibt keine Belege für Vergehen, die mit ihr aufgeklärt worden wären.“

Jede Vorratsdatenspeicherung ist staatsgefährdend

An dieser Stelle meldete sich noch einmal Veranstalter Armin Schmid aus dem Publikum mit einem (mit viel Beifall bedachten), knapp zehnminütigen Statement. Die VDS sei verfassungswidrig, von den Menschen nicht gewollt, technisch nicht durchsetzbar und erzeuge viele Konflikte und Diskussionen. Im Gegenteil, gerade die Perspektive einer Vollzeitüberwachung der Bürger und die Angst vor dem potentiellen Machtmissbrauch erweise sich deutlich eher als „staatsgefährdend“ und geeignet, dem Bürger jedes Vertrauen in den Staat zu nehmen.
Armin Schmid, Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Ortsgruppe Regensburg.
Überraschenderweise erhielt er da sogar Zustimmung vom Polizei-Gewerkschafter Peter Schall, den es auch „maßlos ärgert, wenn Politiker nichts auf Gerichtsurteile geben.“. Klar, wie soll man einen Verkehrssünder auch motivieren, sich an Regeln zu halten, solange bayerische Innenminister Urteile und selbst Verfassungsgerichtsentscheide zum Thema Überwachung als „das gilt ja nicht für uns“ abtun?

Ein schweres Los: Mit IT-Kompetenz in der CDU/CSU

Insgesamt konnte die Veranstaltung des Regensburger AK Vorrat voll und ganz überzeugen, wenn auch die fast drei Stunden bisweilen anstrengend waren. Das aber war eher dem kleinen Raum im alten Finanzamt und den vielen anwesenden Besuchern geschuldet. Schade ist eigentlich nur, dass in diesem Land nach wie vor Diskussionen über nicht funktionierende, ungeeignete, staatsgefährdende Werkzeuge überhaupt notwendig sind. Der aktuelle Stand zeigt sich in der CSU am deutlichsten: Die Betonköpfe in den entscheidenden Positionen haben die Macht, die Posten sind fest abgesichert. Beratungsresistent hängen die „Falken“ überholten, konservativen Wertvorstellungen nach und schämen sich nicht, blanke Unkenntnis in Sachen IT in der Öffentlichkeit zu zeigen. Junge Parteimitglieder mit etwas mehr Ahnung tun sich da sehr schwer, auch bei vorhandener Sachkenntnis . Nicht selten reagieren sie auf die Frage von Journalisten „Und wie erklären sie das Herrn Uhl/Friedrich/Kauder?“ mit desillusioniertem Kopfschütteln und genervtem Augenverdrehen.

Andere Baustellen wären wichtiger

Einziger Lichtblick ist da die Ansicht, die auch Wissenschaftler Köpsell vertritt: Er verlangt „andere Methoden, um Terrorismus zu verhindern. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die Sicherheit in der IT zu erhöhen.“ Das ist in der Tat notwendig. Gute Ansatzpunkte wären etwa ein sicheres Online-Banking mit Beweislastumkehr, also der Haftung durch die Banken oder ein entschlosseneres und selbstbewussteres Auftreten der EU beim Datenschutz, auch gegenüber amerikanischen Konzernen oder Behörden wie Facebook, Ebay, Google, oder rund um Bank- (Swift-) und Flugdaten. Die zentrale Haltung eines aufgeklärten Staates, der seine Bürger wirksam schützen will, muss ein Verbot der Vorratsdatenspeicherung sein. Das ist die Politik, gerade die konservativer Parteien, ihren Bürgern eigentlich schuldig. Andernfalls werden früher oder später unsere Daten kursieren, und zwar alle.
drin