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Hard:Line Filmfestival

Ein scheiß Heimatfilm

Zu Besuch bei der ersten Weltpremiere eines Langfilms beim 9. Hard:Line Filmfestival in Regensburg. „Holy Shit“ ist eine herzallerliebste Splatter-Hommage an den bayerischen Filz.

Ein großes Bauprojekt, ein schmieriger Provinzpolitiker mit Trachtenjanker und Hang zu Größenwahn und ein ziemlich beschissenes Klo. In den zehn Jahren, die es das Hard:Line Filmfestival gibt (dass es heuer nur die Nummer Neun war, ist Corona geschuldet), hat es wohl kaum einen Film gegeben, der so gut nach Regensburg passt wie „Holy Shit“ (Ach du Scheiße!), Debütfilm des 35-jährigen Lukas Rinker.

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Filz und Fadenwürmer, Münchner Freiheit und Micaela Schäfer

Hier trifft Kunstblut (Kakao und Rote Beete) auf Fassbier, Schmerzensschrei auf Festrede, bayerischer Filz auf Fadenwürmer-Paradies und Münchner Freiheit auf Micaela Schäfer. Was in der Ankündigung ein wenig klingt wie eine Mischung aus „Hindafing“ plus und Danny Boyles „127 Hours“ ist eine wunderbar schwarzhumorige und hervorragend aufgenommene Splatter-Granate (Kamera: Knut Adass) mit ansehnlichen Schaueffekten und einem Dixie-Klo in der heimlichen Hauptrolle, das schlimmer beieinander ist als so eine Toilette nach einem bestens besuchten Palmator-Anstich am Adlersberg oder am Ende einer Bier-Pong-Meisterschaft auf der Jahninsel.

Nicht wesentlich besser geht es allerdings Workaholic Frank (Thomas Niehaus). Als Architekt eines Luxusressorts am Ebersberg liegt er, den Arm an einem Stahlbolzen aufgespießt, in diesem Klo in einer Baugrube, wo in 30 Minuten die Auftaktsprengung über die Bühne gehen soll – in Anwesenheit von Horst (Gedeon Burkhart), Bürgermeister in spe mit Vaterkomplex und psychopathischen CSU-Allüren, und unter den wachsamen Augen des japanischen Großinvestors. Mitten im Tierschutzgebiet und gegen den Widerstand irgendeiner „Umweltschlampe“ (Frederike Kempter), die gleich neben dem Klo gefesselt in der Baugrube liegt. Denn merke: Hier geht Baurecht garantiert immer vor Tierrecht – koste es was es wolle – und sei es der streng geschützte Nachwuchs vom Gamsbartkauz (Gastrolle: Steinkauz Obelix).

Fünf Tage Spannung, Splatter und Wahnsinn

Was am Donnerstag in der Spätvorstellung beim Hard:line gezeigt wurde, wo sich auch heuer wieder jede Menge Fans des gepflegten Horrors, abgefahrenen Splatter, von Zombies, Killern, Spannung und Wahnsinn, fünf Tage lang die Augen viereckig glotzen dürfen, ist übrigens die erste Weltpremiere eines Langfilms bei dem Festival, das Spiritus Rector Florian Scheuer mit viel Hartnäckigkeit, hoher Frustrationsschwelle und Leidenschaft etabliert hat und das mittlerweile zu den renommiertesten des Genres in ganz Europa zählt. Mit Gästen aus aller Welt und mit der Verleihung des begehrten Méliès D’Argent Award für den besten europäischen Kurzfilmbeitrag.

„Genrekino verhandelt Problemfelder der Moral, steht für die schrecklichen Dinge in der Welt und im Individuum. Diese Schattenseiten in düstere Kultur zu verwandeln, war stets Bestandteil des Erzählens und der Kunst. Dass das aber auch irre viel Spaß machen kann, wissen und schätzen wir.“
Florian Scheuer im Programmheft zum aktuellen Hard:Line Festival

Beiträge aus 13 Ländern, 31 Filme, 16 kurz, 15 lang, 17 Deutschlandpremieren, eine Europapremiere und vier Weltpremieren kann Scheuer mit seinem Team heuer feiern – handverlesen ausgewählt aus etwa 450 Einreichungen, 300 Stunden Material. Und „Holy Shit“ kam erstens zu spät und zweitens aus Deutschland – keine gute Voraussetzungen, meint Scheuer am Premierenabend. Doch nach der Sichtung habe er sich dann doch über das Glück gefreut, diesen Film als Erster zeigen zu dürfen. Eine Corona-Produktion mit einem Cast von gerade einmal acht Leuten, der man die strengen Hygieneregeln hinter der Kamera auf der Leinwand beileibe nicht ansieht. Recht viel dreckiger als auf den etwas mehr als zwei Quadratmetern zarten Dixie-Blaus geht es selten zu.

Lukas Rinker und ein Teil seiner Crew im Ostentorkino. Foto: Hard:Line

In 23 Tagen hat Regisseur Lukas Rinker mit einem Budget von 500.000 Euro einen Debütfilm hingelegt, der Kultstatus erlangen könnte. Besondere Affinität zu Bayern hat der gebürtige Frankfurter zwar nicht, allerdings, das erzählt er, seien die bairische Sprache und hiesigen Gepflogenheiten so „herzallerliebst“, dass es sehr viel davon in seinen Film geschafft habe. Der läuft zunächst mal auf Festivals – unter anderem in Frankfurt, Helsinki und Porto Alegre – und ab Mitte September in den Kinos. Das Hard:line Filmfest läuft noch bis Sonntag im Ostentorkino und vom 14. bis 24. April als Streaming-Angebot.

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