Entdecke Veranstaltungen in Regensburg Alle Kultur Oekologie Soziales Kino
Ein Verbund, zwei Systeme

„Leihverkehr eingestellt“: Alleingang der Bayerischen Staatsbibliothek verursacht nicht nur in Regensburg Probleme

Mindestens bis Ende Juni können Bücher der Staatsbibliothek Regensburg nicht mehr an Uni und Hochschule ausgeliehen werden – und umgekehrt. Grund für dieses bayernweite Problem ist, dass man sich trotz jahrelanger Vorgespräche nicht auf ein gemeinsames neues Bibliothekssystem einigen konnte.

FOLIO oder ALMA – bei dieser Frage gab es keine Einigung zwischen den Bibliotheken an Universität und Hochschule auf der einen und Bayerischer Staatsbibliothek auf der anderen Seite. Deshalb ist gerade alles etwas kompliziert. Foto: pm

„Totaler Anachronismus.“ So bezeichnet ein verärgerter regelmäßiger Nutzer der Staatlichen Bibliothek Regensburg gegenüber unserer Redaktion den Umstand, dass diese vorerst nicht mehr mit den Bibliotheken an Universität und Hochschule zusammenarbeiten wird, besser gesagt: zusammenarbeiten kann.

WERBUNG

In einer gleichlautenden Mitteilung, die von der Staatsbibliothek auf der einen sowie Uni- und OTH-Bibliothek auf der anderen Seite veröffentlicht wurde, wird angekündigt, dass der „Zweigstellenleihverkehr“ zum 15. April eingestellt werde. „Konkret heißt dies, dass Nutzerinnen und Nutzer der Universitätsbibliothek und der Hochschulbibliothek der OTH Bücher aus der Staatlichen Bibliothek (Stabi) ab diesem Zeitpunkt nur noch direkt vor Ort entleihen und nicht mehr in der Universitätsbibliothek bzw. Hochschulbibliothek der OTH abholen können.“

Hintergrund der vorerst auf Eis gelegten Zusammenarbeit ist eine Umstellung des Bibliothekssystems, zentrales Element der bibliothekarischen Infrastruktur. Und der Umstand, dass es – im Gegensatz zu den letzten 20 Jahren – künftig zwei verschiedene Systeme geben wird.

Zwei bis drei Bibliothekssysteme müssen in Einklang gebracht werden

Bernhard Lübbers, Leiter der Stabi Regensburg, bedauert, dass es bei der „sehr guten jahrzehntelangen Zusammenarbeit“, die es in Regensburg bei den drei Bibliotheken gebe, derzeit ruckelt. Es werde aber daran gearbeitet, dass „hoffentlich“ Ende Juni alles wieder wie gewohnt funktioniert.

Bis zum 27. Juni soll nämlich die Umstellung auf ein neues Bibliothekssystem abgeschlossen sein – sie betrifft die Bayerische Staatsbibliothek in München und deren zehn Zweigstellen, zu denen auch die Stabi Regensburg gehört.

Bis zu diesem Termin wird im Hintergrund fieberhaft daran gearbeitet, zunächst eine funktionierende Schnittstelle zu erstellen zwischen dem neuen System der Stabi (ALMA) und dem noch vorhandenem alten System, mit dem die Bibliotheken an Universität und OTH vorerst noch arbeiten (SISIS).

Anschließend geht die Arbeit weiter, um für das erste Quartal 2025 dann reibungslos die Funktionalität mit dem neuen System zu gewährleisten, auf das Universität und OTH dann umstellen (FOLIO).

Neues Bibliothekssystem notwendig: Gespräche seit 2015

Das Problem betrifft nicht nur Regensburg, sondern ganz Bayern – und insbesondere, aber nicht nur an den Stabi-Standorten mit Universitäten und Hochschulen fällt das besonders auf: Regensburg, Bamberg und Passau.

Wie uns André Schüller-Zwierlein, Leitender Bibliotheksdirektor an der Universität Regensburg, schildert, wurde bereits seit 2015 im Bayerischen Bibliotheksverbund – hier sind die etwa 200 wissenschaftlichen Bibliotheken in Bayern organisiert – darüber diskutiert, dass das alte System (SISIS) nach über 20 Jahren im Einsatz am Ende seiner Möglichkeiten angelangt ist. Es muss dringend ersetzt werden.

Unis und Hochschulen pro Open Source

„In umfangreichen, breit besetzten Arbeitsgruppen“ habe man „verschiedene verfügbare Systeme geprüft und verschiedene Szenarien diskutiert“, so Schüller-Zwierlein. Und 2020, so ist es einer Mitteilung des Bibliotheksverbunds zu entnehmen, sprachen sich die 29 bayerischen Hochschul- und Universitätsbibliotheken schließlich einstimmig dafür aus, die Open-Source-Lösung FOLIO als aussichtsreiche Option weiterzuverfolgen.

Insbesondere die „dringend notwendige Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit“ eines solchen Systems habe dafür den Ausschlag gegeben, doch auch dessen Internationalität. Unter anderem die Library of Congress in den USA hat sich zur Verwaltung, Organisation und Ausleihe ihrer über 160 Millionen Medieneinheiten für FOLIO entschieden.

Staatsbibliothek will kommerzielles Produkt

Die Bayerische Staatsbibliothek unter Generaldirektor Dr. Klaus Ceynowa, ihm sind die regionalen Stabis unterstellt, befand hingegen, dass ein kommerzielles System die „zielführendste Lösung“ sei. Außerdem äußerte er die Befürchtung, dass die Umstellung auf FOLIO zu lange dauere.

Im Rahmen einer wenig später, im April 2021 durchgeführten Ausschreibung, die dem Vernehmen nach die übrigen Mitglieder im Verbund kalt erwischte, wurde ein Auftrag an die Ex Libris Group vergeben, ein israelisches Unternehmen, das als Marktführer für Bibliothekssoftware gilt und zum US-Konzern ProQuest gehört.

Mit dessen Produkt ALMA, ebenso wie FOLIO eine cloud-basierte Lösung, arbeiten ab dem 27. Juni denn auch die Bayerische Staatsbibliothek und die ihr untergeordneten Stellen in Regensburg, Würzburg, Amberg, Augsburg, Ansbach, Aschaffenburg, Dillingen, Passau, Augsburg, Bamberg, Coburg und Neuburg an der Donau.

Alle FOLIO – außer Stabis?

Universitäts- und Hochschulbibliotheken führen derweil nun Schritt für Schritt das System FOLIO ein – online sind mehrere Wikis, Diskussionspapiere und Präsentationen dazu zu finden. Gestartet wird mit zunächst vier Pilotbibliotheken, zu denen auch Regensburg gehört. Hier soll das System Anfang 2025 einsatzfähig sein, bis 2027 an allen anderen Hochschulstandorten.

Langfristig werden – im besten Fall – alle anderen wissenschaftlichen Bibliotheken in Bayern auf FOLIO zurückgreifen können. Außer eben die Bayerische Staatsbibliothek und die ihr unterstellten regionalen Außenstellen.

Anlass zu Kritik müsse das nicht unbedingt sein, sagt Schüller-Zwierlein von der Universitätsbibliothek Regensburg. Unterschiedliche System seien auch woanders nicht unüblich und es gebe auch unterschiedliche Anforderungen.

Kritik an Entscheidung des Generaldirektors

Doch nicht jeder scheint glücklich mit der Entscheidung des Generaldirektors zu sein. Bernhard Lübbers in Regensburg legt auf Nachfrage den Schwerpunkt zwar darauf, dass man auf jeden Fall die gute Zusammenarbeit mit Universität und Hochschule fortsetzen werde.

Andernorts äußert man seinen Unmut schon deutlicher. Zum Beispiel in einer gemeinsamen Mitteilung der Leitungen von Universitätsbibliothek und Staatsbibliothek Bamberg vom März, die unserer Redaktion vorliegt.

Hier wird zwar ebenfalls betont, dass man die „jahrzehntelange gute Zusammenarbeit (…) auf jeden Fall weiterführen“ werde. Allerdings macht man auch seinen Widerwillen gegen die Entscheidung des Generaldirektors deutlich. Man bedauere es sehr, dass man auf dessen Geheiß „das Ausleihsystem der Universitätsbibliothek Bamberg verlassen“ müsse. „Wir (…) haben aber den Generaldirektor leider nicht zu einer Rücknahme bewegen können.“

Und was kostet das Ganze?

Nicht zu erfahren war bislang, mit welchen Kosten die zwei unterschiedlichen Systeme jeweils zu Buche schlagen – letztlich im Etat des Bayerischen Wissenschaftsministeriums, das sowohl für Universitäts- und Hochschulbibliotheken als auch für die Stabis zuständig ist. Als das Land Nordrhein-Westfalen 2019 ein neues System für seine Hochschulbibliotheken einführte – das kommerzielle ALMA – wurden für die ersten fünf Jahre über zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt – allerdings ging es hier um ein System für rund 40 Bibliotheken.

Edwin Pretz, Leiter der Verbundzentrale des Bayerischen Bibliotheksverbunds, die einerseits für den technischen Support bei der Einführung von FOLIO zuständig ist, formal aber zu einer Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek gehört, die ALMA benutzt, beruhigt zumindest, was die Abstimmung der unterschiedlichen System aufeinander betrifft.

Hier treffe man sich regelmäßig in Arbeitsgruppen. Das könne gelöst werden. Vielleicht sogar bis zum Stichtag 27. Juni. Es brauche auch keine eigene, möglicherweise teure Ausschreibung, das werde hausintern erledigt.

Ein Verbund, ein Ministerium – aber zwei Systeme

Ohne das Stabi-System ALMA zu kritisieren, stellt Pretz die Vorteile des FOLIO-Systems heraus. Das sei – trotz Open Source – natürlich auch nicht kostenlos zu haben. Vieles könne aber mit vorhandenen personellen Ressourcen erledigt werden. „Wir gehen davon aus, dass die Kosten keinesfalls über die Lizenzgebühren für das alte SISIS-System hinausgehen werden.“

Konkrete Beträge kann Pretz uns in einem ersten Telefonat nicht nennen. Insbesondere auch nicht für die Anschaffung des ALMA-Systems und die jährlichen Lizenz-Gebühren, die künftig bei der Bayerischen Staatsbibliothek anfallen werden. Wir haben deshalb beim Bayerischen Wissenschaftsministerium nachgefragt, auch dazu, warum man trotz jahrelanger Vorgespräche nun mit zwei verschiedenen Systemen arbeiten muss, obwohl es ein zuständiges Ministerium gibt, von dem das alles bezahlt wird.

Print Friendly, PDF & Email

SUPPORT

Ist dir unabhängiger Journalismus etwas wert?

Dann unterstütze unsere Arbeit!
Einmalig oder mit einer regelmäßigen Spende!

Per PayPal:
Per Überweisung oder Dauerauftrag:

 

Verein zur Förderung der Meinungs- und Informationsvielfalt e.V.
IBAN: DE14 7509 0000 0000 0633 63
BIC: GENODEF1R01

Kommentare (1)

  • Informant

    |

    Dass man sich nicht auf ein System einigen konnte und warum wer welches System bevorzugt, würde ich gar nicht so sehr in den Fokus stellen. Viel interessanter: Warum GENAU wird “der Zweigstellenleihverkehr zum 15. April eingestellt”? Eine Schnittstelle wird ja geschaffen – also sind nicht die verschiedenen Systeme das Problem, sondern offenbar die Aufrechterhaltung der Schnittstelle WÄHREND der Umstellung bei der Staatsbibliothek – und die macht ja auch nicht am 15.4. zu.

    Die Reihenfolge der Umstellung verstehe ich auch nicht:

    1. Einrichten einer Schnittstelle von ALMA SISIS
    2. Umstellung SISIS -> FOLIO
    3. Einrichten einer Schnittstelle von ALMA FOLIO

    Hätte man sich 1. nicht sparen können?!

    Einsicht in den Vertrag zwischen der TU Berlin und Ex Libris bezüglich Beschaffung von ALMA und anderer Software hat übrigens “Frag-den-Staat” erlangt:

    https://fragdenstaat.de/anfrage/vertrage-zwischen-tu-berlin-und-ex-libris-group-ltd-clarivate-plc/#nachricht-711905

    Die Analgen mit allen Preisen fehlen leider, die Migration der Altdaten kostete jedenfalls 60.000 EURO.

Kommentare sind deaktiviert

drin